Geschichten:Barbenwehr in neuer Hand - Im Land der Wilden

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Padal'Awar, 13. Hesinde 1040 BF.

Sie hatten es sich im großen Gasthaus gemütlich gemacht. Fridega hatte kurzerhand alles gemietet und ein paar Viehhändler und Reisende vor die Tür setzen lassen. Eine Handvoll Abenteurer, die an einem der Tische herumlungerten und sowieso so aussahen, als würden sie auf irgendeinen Auftraggeber warten, war von Fridega ebenfalls unverzüglich mit den Worten verpflichtet worden: „Stoerrebrandt bin ich zwar nicht, aber Ihr könnt gutes Gold verdienen, wenn Ihr meinen Trupp verstärkt.“

Die Reichsvögtin war gut gelaunt. Sehr gut sogar. Bisher war ihr die Landschaft überdies sehr einladend erschienen. Wahrscheinlich würden der ganze Wüstensand, die trostlose Steppe und die kargen Geröllhalden erst weiter im Süden kommen, wo die Menschen zwangsläufig grausam und blöde werden mussten. Hier aber – Haselhain war schön. Und wäre noch schöner gewesen, wenn diese halbwilden Reiter sie nicht ständig belästigen würde. Bei praktisch jeder rast waren sie auf Fridegas Truppe zugespurtet, in höchstem Galopp, hatten das Lager umrundet, mit den Säbeln gefuchtelt und laut gekreischt. Einmal – Fridega war gerade hinter dem Gebüsch hervorgekommen, hinter dem sie sich erleichtert hatte – erwischten die Reiter sie auf freier Pläne. Sie hatte mit keiner Wimper gezuckt. Wer bei ihrem Vater aufgewachsen war, der würde sich nicht von ein paar Wilden auf Kleppern erschrecken lassen. Scheinbar seelenruhig war sie einfach zurück zum Lager geschritten und hatte dort ungerührt nach dem Wasserschlauch gegriffen, getrunken und erst dann den Reitern huldvoll gewinkt, woraufhin diese erst recht vollkommen aus dem Häuschen waren. Wilde. Wahrscheinlich hatten sie noch nie eine blonde Edeldame aus Gareth aufrechten Ganges über ein Feld gehen sehen.

Nun aber war die halbe Wegstrecke geschafft. Hauptmann Sigerain machte seine Aufgabe recht gut und hielt die Truppe zusammen. Die Ritter Olruk und Adhemar unterwarfen ich seinem Kommando und selbst Winna hatte das Ziel ihres Nörgelns geändert: Nicht mehr der Hauptmann, sondern die bucklige Kutsche war jetzt „unerträglich“.

Fridega begab sich in den Keller des Gasthauses. Erstens war es hier kühl und still, und zweitens saß hier die Schreckhaupt in ihren Ketten. Das Weib hatte am Anfang der Strecke immer wieder dieses wissende Lächeln in der Visage gehabt und sich sogar erdreistet, bisweilen anerkennend zu lächeln oder tadelnd die Brauen zusammenzuziehen. Deshalb hatte Fridega angefangen, mit ihr zu reden: über Perricum, die Nebachoten, den Markgrafen, über Barbenwehr und die Zwickenfell, über Haffax und die Männer.

Sie setzte sich der Gefangenen gegenüber in das weiß gekalkte Gewölbe. Licht kaum durch zwei Fenster herein sowie durch die Tür zur Treppen. Fridega pflanzte sich auf einen festen Stoffballen, die Schreckhaupt saß auf dem Boden und sah sie erwartungsvoll an.

„Nun?“, fragte Fridega und hob eine Braue.

„Das habt Ihr gut gemacht, als die Nebachoten angeritten kamen. Sie schätzen starke Frauen.“

„Aha“, gab Fridega zurück. „Das gehört sich auch so. Im Übrigen hat es nichts mit Stärke zu tun, dem Blöken der Rinder nicht hinterherzugaffen.“

„Wie ihr meint.“

„Weißt du, Walda, Stärke ist so eine Eigenschaft, die man am besten aufträgt wie ein Ballkleid: prunkend, auffällig und neiderregend. Dann muss sich nicht ständig der Frage stellen, ob es echt ist. Mein Lehrmeister war ein zynisches Scheusal, der mich immer wieder spüren ließ, wie Stärke aussieht und wie sie sich zu Macht umformen lässt. Aber ich bin eine gute Schülerin gewesen.“

Die Schreckhaupt lauschte stumm. Sie wusste mittlerweile, dass Gespräche mit der Reichsvögtin sozusagen einseitig waren.

„Er pflegte zu sagen, dass man gerade im Kreise von Mächtigen, von mächtigen Männern, an seinem äußeren Schein arbeiten muss, denn der sei entscheidend am Beginn jedes Unternehmens. Und wir Frauen hätten es da einfach. ‚Die Frauen sind der Triumph der Materie über den Geist‘, hat er gesagt und gemeint, wir wären nur dazu geeignet, hübsch auszusehen, wenn wir etwas sagen, egal was wir sagen. ‚Die Männer aber sind der Triumph des Geistes über die Moral – zumindest glauben sie das.‘ Und wenn man die mächtigen Männer in genau diesem Glauben lässt, dann sind sie schon so gut wie in die Falle gelaufen.“ Fridega schloss herrisch den Mund und sah auf die Gefangene.

„Die Nebachoten funktionieren so. Aber sie wollen auch immer den Beweis der Stärke sehen. Bloße Behauptung reicht nicht.“

„Bist du deshalb Haffax hinterhergelaufen?“

Die Schreckhaupt überlegte kurz, ehe sei antwortete: „Auch. Aber vor allem wegen Oberst Zillingen. Er war ein großer Anführer. Wir vertrauten ihm sehr. Und wenn er von er Krone enttäuscht war …“

„Mir unverständlich. Er ist die Krone. Er war es zumindest. Jetzt bin ich es. Und ich habe nicht im geringsten vor, enttäuscht zu sein. Ich bin gut vorbereitet, meinem Lehrmeister sei Dank.“

„Seid ihr ihm dankbar?“

„Dankbar“, überlegte Fridega, „Dankbarkeit ist ein sehr großes Wort. Natürlich bin ich dankbar für das Gelernte. Aber das ändert nichts daran, dass ich zwar gerne lerne, aber es hasse, belehrt zu werden.“

„Wer ist Euer Lehrmeister?“

„Ein Frettchen. Ein kleines, mieses Frettchen, das den Mächtigen die ganze Zeit vormacht, mächtiger zu sein, und das sich nicht einen Augenblick einbilden wird, dass ich ihm aus Dankbarkeit auch nur den Staub vom Mantel klopfen werde.“

Fridega erhob sich zum Gehen: „Hab Dank Walda. Es ist immer wieder eine Freude, mit dir zu reden.“