Benutzer:Robert O./Briefspiel

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Kressenburg in finanziellen Nöten

Wie viel Zeit braucht es um ein Lehen zu Grunde zu richten? Diese Frage muss man sich stellen, glaubt man Gerüchten aus der Greifenfurter Mark. Drei Götterläufe ist es nun her, dass der junge Ritter Ardo von Keilholtz vom Reichsverräter Tilldan von Nebelstein zum Baron der Kressenburger Lande erhoben wurde. Mochte es Teil des perfiden Plans des ehemaligen Meisters der Mark gewesen sein, einem unerfahrenen Heißsporn solch eine enorme Verantwortung zu übertragen, so ist es doch erstaunlich wie schnell und effektiv der junge Baron den Karren in den Dreck zu fahren scheint.

Ein halbes Jahrzwölft wurde die Baronie Kressenburg zuvor vom erfahrenen Landvogt Phexian von Kieselholm verwaltet, der mit Umsicht dafür sorgte, dass der markgräfliche Säckel immer seinen gebührenden Anteil aus den Kressenburger Landen erhielt. Es bestand darob keine Not der Lehen vorschnell in andere Hände zu geben und den verdienten Verwalter auszubooten. Als Berater des jungen Keilholtzers scheint der Landvogt kaum mehr Gehör zu finden, denn dem Baron sitzen die Dukaten so locker als wären es Heller und Kreuzer.

Überall in der kleinen, waldreichen Baronie wird man dieser Tage Zeuge von Bauarbeiten. So werden aufwendig Wege erweitert und ausgebessert, vor allem ins benachbarte Eslamsroden. In dem kleinen Weiler Kressenforst werden Stallungen für mindestens einhundert Pferde errichtet und glaubwürdige Quellen berichten, dass der Baron Zuchtstuten aus dem markgräflichen Marstall aufgekauft hätte. An der Grenze zur benachbarten Grafschaft Waldstein soll indes eine große Mauer errichtet werden, vorgeblich um Schmuggler fernzuhalten. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Baron Ardo mit seiner forschen Selbstjustiz einem Waldsteiner Ritter gegenüber, bei seinen praioswärtigen Nachbarn keine Freunde gemacht hat. Auf Nachfrage bei Vogt Phexian erhält man zwar die Antwort, dass "niemand die Absicht hat eine Mauer zu errichten", aber ein Zollturm, der den Handelsweg aus Waldstein überwacht, ist bereits im Bau. Auch wurde ein Weiler mit rund vier Dutzend Fronbauern an die Grenze umgesiedelt um für die Bauarbeiten zur Verfügung zu stehen. Zudem gilt der junge Baron bei seinen Untertanen als reiselustig und es vergeht kaum ein Mond, das er nicht auf einem Turnier oder Adelsbankett im Garetischen oder Weidenschen weilt, wo er zudem mit wertvollen Gastgeschenken um die Gunst von Seinesgleichen werben soll.

Doch dies alles sind Kleinigkeiten wenn man von den neuesten Ideen des Barons erfährt. So soll er in der Stunde seiner Belehnung ein großes Werk zu Ehren des Götterfürsten gelobt haben, welches nun im Neubau eines Tempels münden soll. Was er damit bezweckt, wo doch seit der Zerstörung der Stadt des Lichts noch immer keine Tempelweihen in Praios’ Namen mehr durchgeführt werden können, bleibt vorerst sein Geheimnis. Der Kressenburger Lichthüter Badilak von Praiostann äußerte sich jedoch lobend über dieses göttergefällige Vorhaben und rechnet mit baldigem Baubeginn.

Bedenkt man die übrigen Vorhaben des Keilholtzers, so fragt man sich wie er dies alles aus den Mitteln seiner zwar nicht armen, so doch aber kleinen Baronie bestreiten will. Auf Nachfrage im Kontor des Greifenfurter Stadtratsmitglieds und Geldverleihers Perval Svellter, bekamen wir "zu aktuellen Transaktionen keine Auskunft", wohl aber konnte man bestätigen, dass "Kressenburg in der Vergangenheit bereits öfter Geschäftspartner" gewesen sein soll.

Trotz der zumindest zu vermutenden hohen Verschuldung seines Lehens, gab Baron Ardo dieser Tage nun auch noch ein rauschendes Fest anlässlich seiner Vermählung. Nicht nur wurde ein prächtiges Turnier mit über achtzig Teilnehmern abgehalten, auch an Speis und Trank mangelte den hunderten Gästen und Einwohnern des Marktes Kressenburg an diesem Tage an nichts. Dafür soll die Speisekammer der herrschaftlichen Burg nun einem ausgetrockneten Brunnen gleichen, wohl auch ein Grund dafür, warum der Baron bereits wenige Tage nach der Hochzeit mit Frau und großem Gefolge gen Puleth aufbrach um dort für Wochen auf einem großen Fest der Alriksritter zu verweilen.

Was indes die Markgräfin vom finanziellen Gebaren ihres Lehnmannes hält ist fraglich. Sicherlich zählt der junge Baron als Garafanist zu ihren treusten Anhängern und eilte nach ihrer Rückkehr aus dem selbstgewählten Exil im Kloster Rabenhorst als einer der ersten Gefolgsleute an ihre Seite. Trotzdem kann der Greifin nicht gefallen, dass in Kressenburg auch jene Dukaten verschwendet werden, die zum Wiederaufbau der Greifenfurter Truppen und dem Erhalt der Wacht im Finsterkamm dringend benötigt würden. Auf dem Hochzeitsfest sah man die Markgräfin bereits lange in ein ernstes Gespräch mit Landvogt Phexian vertieft und auch mit Baron Ardo selbst soll es zu später Stunde noch ein vertrauliches Gespräch gegeben haben. Ob Irmenella von Greifenfurt gedenkt die Zügel straffer zu ziehen und ob der Kressenburger seine Baronie vor dem unbestreitbar bevorstehenden Bankrott zu bewahren vermag, werden wir hoffentlich schon in Kürze berichten können.

Das Hochzeitsturnier zu Kressenburg

Am Vortag der Hochzeit von Baron Ardo von Keilholtz ä.H. mit seiner Braut Praiadne Leuinherz Keilholtz j.H. fand auf den Feldern vor den Toren der Stadt Kressenburg ein gar prächtiges Turnier statt, dass sich nicht nur von der Anzahl der Teilnehmer, sondern auch von deren Rang und Namen mit den Großereignissen des Garetischen Turnierkalenders messen konnte.

Wohl mehr als der halbe Greifenfurter Hochadel ritt in die Schranken, dazu dutzende Junker und Ritter aus allen Teilen der Mark. Seine Duchlaucht Prinz Edelbrecht höchstselbst fungierte als Turnierstich und auch Braut und Bräutigam ließen sich die persönliche Teilnahme nicht nehmen. Die Markgräfin indes zierte mit ihren Kindern die Tribüne, wo der Kressenburger Vogt Phexian von Kieselholm in Vertretung des Barons den Gastgeber gab. Der Hexenhainer Rondra-Geweihte Rondrian von Reiffenberg fungierte als Turniermarschall und hatte ein strenges Auge auf alle Teilnehmer.

Aus dem Königreich Garetien war der berühmte Tjoster Nimmgalf von Hirschfurten angereist. Auch die Baronin zu Linara, eine halbelfische Neuadlige, löste einiges Getuschel aus, und der Reichsritter Balrik von Keres gaben sich die Ehre. Aus Bärenau war der Stadtvogt Roban Albertin zu Stippwitz, ein ehemaliger Weggefährte des Greifenfurter Prinzgemahls, mit seiner Gattin Turike, einer gebürtigen Keilholtz, gekommen und selbst einige Waldsteiner Nachbarn hatten trotz der Spannungen der letzten Götterläufe den Weg nach Kressenburg gefunden. Ritter Unswin von Keilholtz war gar aus dem fernen Perricum gekommen und überbrachte eine Grußbotschaft des Zornesordens. Aus der weidenschen Grafschaft Heldentrutz reisten Alt-Baron Andilgarn von Gugelforst und seine Schwester Travine an, die älteren Geschwister von Baron Ardos früh verstorbener Mutter. Mit ihnen kamen die Brüder Walthari und Waldhold von Leufels aus Dergelquell, ersterer ein guter Freund, zweiter ein bald angeheirateter Verwandter des Kressenburger Barons.

Gleich in der ersten Runde wartete das Los mit einigen interessanten Begegnungen auf. Baron Ardo ritt erfolgreich gegen die Halbelfe aus Linara, während Ritter Wulfhart von Keilholtz gegen seinen Schwager Andilgarn aus der Heldentrutz antreten musste und gewann. Die Erbin der waldsteinschen Baronie Osenbrück gewann gegen den Waldsteiner Ritter Helmbrecht Firumir von Rossreut. Mit Renzi und Urion von Reiffenberg musste gar ein Ehepaar gleich zu Beginn gegeneinander antreten. Der Lanzengang zwischen den beiden endete unentschieden, doch trat die Edle hernach nicht zum Fußkampf gegen ihren Gatten an. Baron Gerbald von Reiffenberg, glorreicher Sieger des 1034er Waldsteiner Grafenturniers, schied indes völlig unerwartet gegen einen bis dato völlig unbekannten älteren Ritter aus der Mark Greifenfurt aus. Im Duell der Ritter des Bundes von Korbronn besiegte Junker Cordovan vom Greifener Land seinen Freund Eldwin von Korbronn. Den Abschluss machte seine Liebden Prinz Edelbrecht, der im Duell mit einer märkischen Ritterin siegte und so das Teilnehmerfeld für die nächsten Runden ausglich.

Auch die zweite Runde brachte interessante Duelle. Junker Anselm Hilberan von Hundsgrab-Bugenbühl, immerhin Sieger des 1032er Waldsteiner Grafenturnier und einer des führenden Köpfe des Garafanbundes, unterlag der Königsgauer Junkerin Arwen von Grevinghoff nach Lanzen. Zornesritter Unswin von Keilholtz musste sich dagegen erst im Fußkampf einem älteren Greifenfurter Ritter geschlagen geben. Im Familienduell der Imminger Ritter schaffte es Ritter Arnulf seine Tochter Bärlinde aus dem Sattel zu stoßen. Für den Bärenauer Stadtvogt Roban war der Wettbewerb in dieser Runde bereits beendet, da er gegen den Landvogt von Dergelquell unterlag, seine Frau Turike jedoch erreichte die dritte Runde. Ebenfalls eine Runde weiter kam nach mühevollem Kampf zu Fuß der Baron zu Hirschfurten. Gastgeber Ardo von Keilholtz zeigte sich gut aufgelegt und warf mit Baronin Thârgrin von Arpitz, der Löwin von Lodenbach, bereits die zweite Gegnerin des Tages aus demm Sattel.

Die dritte Runde brachte schließlich keine großen Überraschungen. Die Bärenauerin Turike zu Stippwitz verlor gegen den Waldsteiner Ritter Randolph von Leustein, während Ritter Arnulf von Immingen gegen dessen Vater Irberod in die nächste Runde einzog. Die Gebrüder Leufels blieben ebenfalls ungeschlagen. Gerade der jüngere Waldhold, der zu Ehren seiner ebenfalls anwesenden Braut, der Ingerimm-Geweihten Grinugildis von Waldenklamm, unter dem Zeichen des Schmiedegottes in die Schranken ritt, wurde lautstark von den zahlreichen Kressenburger Zwergen angespornt und gefeiert. Während Baron Ardo erneut souverän seinen Gegner aus dem Sattel hob, schaffte es Baron Nimmgalf wieder nur mit größter Mühe seinen Gegner, einen unbekannten Greifenfurter Ritter, zu bezwingen, diesmal knapp mit 2:1 Lanzen.

In der vierten Runde kam es schließlich zu einer kleinen Sensation, die sich in den Runden zuvor bereits leise angekündigt hatte. Der wohlbeleibte Kressenburger Ritter Arnulf von Immingen schaffte es die ungezielten Lanzenattacken des ermüdenden Hirschfurteners schadlos auszusitzen und zwang den frustrierten Baron schließlich mit einigen wuchtigen Überkopfschlägen im Fußkampf in die Knie. Wohlmeinende Beobachter hoben die ritterliche Anerkennung seiner Niederlage durch den erfolgsverwöhnten Reichsforster hervor, während andere Stimmen lästerten, der Baron sei in seiner langen Gefangenschaft bei den Pulethaner körperlich völlig außer Form geraten, weswegen ihn seine nun zu eng sitzende Turnierrüstung über Gebühr behindert hätte. Walthari und Waldhold von Leufels machten indes dem Weidener Adel alle Ehre indem sie ihre Duelle jeweils mühelos für sich entschieden und dem scheinbar durch den bevorstehenden Travia-Bund beflügelten Ardo gelang gegen Ritter Braniborian von Praiostann gar der vierte Niederwurf in Folge.

Erst in der fünften Runde fand sich ein Gegner, der dem jungen Keilholtzer an diesem Tag Paroli bieten konnte. Junker Walthari wehrte sich wacker, verlor zwar nach Lanzen, blieb jedoch als ersten Gegner des Tages gegen den gut aufgelegten Gastgeber im Sattel. besser machte es der jüngere der Heldentrutzer Brüder, der den Nimmgalf-Bezwinger Arnulf von Immingen niederrang. Der fünfte verbliebenen Teilnehmer war Baron Otwin von Greifenhorst-Schwarzberg, der nun das Freilos gezogen hatte und gegen den Turnierstich Prinz Edelbrecht antreten musste. Der erfahrene Greifenfurter hatte seine liebe Mühe mit dem Gatten der Markgräfin, konnte sich aber letztlich durchsetzen.

Somit standen noch drei Kontrahenten in der sechsten Runde. Das Freilos und damit das Duell gegen Prinz Edelbrecht fiel diesmal auf den Bräutigam, während der Greifenhorster Baron sich mit dem Ritter aus Dergelquell messen musste. Unter dem Jubel der Kressenburger Zwerge gewann der junge Leufelser sein Treffen mit dem erfahrenen Greifenfurter denkbar knapp mit 1:0 Lanzen. Noch lauter schrien die Zuschauer jedoch, als Baron Ardo mit seiner Liebden Edelbrecht in die Schranken ritt. Zweimal ritten sie gegeneinander und beide Male glitten die Lanzen unbeschadet von den Schilden ab. Im dritten Anritt jedoch zielte der Kressenburger besser und brachte den Prinzen ins Wanken. Erst sah es so aus als könne der gebürtige Koscher sich im Sattel halten, doch kurz vor Ende der Kampfbahn verlor er doch noch das Gleichgewicht und fiel zu Boden.

Vor dem Finale ritten sowohl Ritter Waldhold als auch Baron Ardo vor die Ehrentribüne, um sich von ihren Verlobten ein Tuch als Zeichen der Gunst an die Lanzenspitze binden zu lassen. Die Kressenburger Zwerge schlossen Wetten auf den Sieger ab, wobei sich die Unterstützung für ihren Baron und den mit den Farben Ingerimms antretenden Weidener sich die Waage hielt. Nach einigen respektvollen Worten lenkten die Adligen ihre Pferde an die Startpositionen und warteten auf das Signal von Turniermarschall Rondrian von Reiffenberg. Als dieser schließlich seinen Arm senkte, gaben beide Kontrahenten ihren Pferden die Sporen. Mit donnernden Hufen flogen die Schlachtrösser unter dem Jubel hunderter Zuschauer aufeinander zu. Der wuchtige Aufprall brachte beide Lanzen zum Bersten. Doch wo der Weidener nur den Schild getroffen hatte, hatte der Keilholtzer auf die Körpermitte seines Kontrahenten gezielt und diesen damit sauber aus dem Sattel gehoben. So war Rondra an diesem besonderen Tag mit dem glücklichen Baron gewesen, hatte er doch überlegen sechs von sieben Duellen durch einen Niederwurf gewonnen.

Reise mit Yppolita

Reisestrecke: Kuslik – Punin – Gerbaldsberg – Gareth – Perricum – Seereise nach Festum

Dramatis Personae:

Auf einem Flußschiff auf dem Yaquier, Ende Ingerimm 1034 BF

Balrik saß in seiner Kabine und blätterte in einem grüneingebundenen Hesinde-Büchlein, das er sich in Kuslik besorgt hatte.

Vor einigen Tagen war er mit dem gerbaldsmärker Pfalzgrafen und dem Magier Anaxios von Ochs aus Kuslik abgereist und begleiteten die Schwester der Kaiserin, Yppolita von Gareth, nach Punin. Dort wolle sie endlich ihre Adeptenprüfung ablegen, wie sie auf dem Magierkonvent verlauten ließ, und anschließend wieder zurück in ihren Exil nach Festum reisen.

Sie beschloßen bis nach Punin auf einem Flußschiff zu reisen, das den Yaquier flußaufwärts fuhr. Der Kapitän war ein stämmiger Mittvierziger namens Phedro Neander, ein Horasier, der sich sehr umgänglich und von der Anwesenheit der Kaiserinschwester sehr geehrt zeigte. Zu seiner Mannschaft aber war er streng und er ließ keinen Zweifel daran, daß er hier das Sagen hatte.

Eigentlich wollte auch der greifenfurtener Baron Ardo von Keilholtz Yppolita auf der Reise begleiten. Doch hatte er kurz vor der Abreise den Zorn eines Magiers auf sich gezogen, der ihn kurzerhand mit einer Art Teleportzauber verschwinden ließ – zumindest war das Balriks erster Gedanke.

Erst nachdem Anaxios sich mit diesem Magier auseinander setzte, erfuhren sie, daß dieser Magier Thargelion von den Nebelwassern war, ein Zeitmagier, der Ardo einfach kurzerhand einige Monate in die Vergangenheit setzte!

Balrik hatte schon während seiner Zeit an der Kriegerakademie viele Sagen von einem Magier gehört, der in einem Turm in Weiden wohnte, dem sogenannten Nachtschattenturm, der in der Lage war durch die Zeit zu reisen – und da war auch der Name dieses Zeitmagiers gefallen.

Nachdem Anaxios ihnen versichert hatte, daß Ardo kein Leid zugefügt wurde, und derzeit wohl wieder in Greifenfurt weilte, und Balrik und Giselbert geraten hatte, den Magier nicht weiter zu behelligen, gaben sie sich mit der Antwort zufrieden. Dennoch hatte sich Balrik vorgenommen, eine Nachricht ins Kressenburgsche zu schicken um sich zu vergewissern. Auch Yppolita hatte ihnen später geraten, den Magier in Ruhe zu lassen. Auch sie vertraute hier Anaxios' Rat.

Es klopfte an der Tür.

"Hoher Herr", hörte Balrik die Stimme eines Matrosen. "Wir erreichen bald Punin."

"Danke. Ich komme gleich."

Balrik steckte das Büchlein weg und packte seine Sachen. Auf dem Deck angekommen sah er bereits die almadanische Fürstenstadt vor ihnen auftauchen. Es war ein sonniger Tag und die Eslamidische Residenz ragte auf dem Goldacker in einem strahlenden Weiß reinsten Eternienmarmors hervor. Auch die Magierakademie der Stadt, ihr Ziel, ragte über die Häuser der Stadt empor und war gut zu erkennen. Vor nicht einmal einem Jahr, hätten sie es sich nicht erlauben können, so offensichtlich durch das Fürstentum zu reisen. Als noch Selindian Hal die Kaiserkrone beanspruchte und von Punin aus Hof hielt, war es nicht ungewöhnlich, daß Adlige, die zu Kaiserin Rohaja standen, als Geiseln genommen wurden.

Doch nun war Selindian Hal tot und Almada wieder unter der Kontrolle Rohajas, und diese hatte Gwain von Harmamund zum neuen Fürsten von Almada ernannt.

"Eyne bejachtliche Stadt, njecht wahr?", sagte Igor Wasjeff im bornischen Aktzent und trat neben ihn. Auch er war beim Magierkonvent zugegen gewesen und reiste mit ihnen seit Kuslik auf dem Schiff. "Und das Wissen erst, das hier zu finden ist! Eier Schützling hat eyne jute Wahl jetroffet, hier ihre Prüfung abzulegen."

Balrik sagte nichts darauf. Der Grund warum Yppolita Punin wählte, war nicht das Wissen das hier zu finden war, sondern weil diese Magierakadmie die einzige Graue innerhalb des Reiches war. Andererseits, wenn es sich Balrik recht überlegte, Yppolita hätte trotz allem wohl kaum eine Akademie gewählt, in der sie nichts erlernen könnte ...

Allmählich kamen auch die anderen an Deck, die in Punin aussteigen wollten. Giselbert hatte seinen Lederhut auf dem Kopf und einen Rucksack geschultert. Anaxios war in einer Lektüre vertieft, die er in Händen hielt, und halb abwesend aus dem Schiffsinneren kam.

Nur Yppolita war bereits an Deck gewesen und betrachtete die Landschaft.

Auch ein fünfzehnjähriges Mädchen und ein neunjähriger Junge kamen auf das Deck; ebenfalls mit Rucksäcken geschultert. Das Mädchen trug sogar ein Kurzschwert.

"Habt ihr alle Eure Sachen?", fragte Balrik.

"Ja, wir haben alles", antwortete das Mädchen.

Das Mädchen und der Junge waren Mechthild von Kieselhom und Firnwulf von Hirschfurten, die Knappin und Page Ardos von Keilholtz. Balrik hatte sich den beiden angenommen, nachdem Ardo auf solch übernatürliche Weise verschwand.

Schließlich machte das Schiff an der Pier fest und Yppolita bezahlte den Kapitän für die Reise aus. Anschließend begaben sie sich in die Magierakademie.

Leomaras Geburtstag

Dramatis Personae:

  • Unswin von Keilholtz - Ordensritter zu Schwertwacht
  • Leomara von Isenbrunn - Ritterin von Gnitzenkuhl, seine Verlobte
  • Chaantrea von Zackenberg - Novizin im Zornesorden und Unswins Knappin

Burg Friedburg, Baronie Gnitzenkuhl, 9. Rahja 1033 BF

Unswin, seine Novizin Chaantrea und Leomara waren kurz nach dem Abendessen auf der Friedburg oberhalb der Stadt Gnitzenkuhl eingetroffen und nun, fast zwei Stunden später senkte sich die Praiosscheibe langsam dem Horizont entgegen. Es war ein wundervoller Anblick, doch Unswin verschwendete keine Minute damit das Schauspiel anzustarren. Im Wall hatte er genügend bezaubernde Sonnenuntergänge für den Rest des Götterlaufes gesehen. Stattdessen war er schon seit der Ankunft damit beschäftigt kreuz und quer durch die Burg zu laufen und die Bediensteten mit kleinen Wünschen und Aufgaben auf Trab zu halten, während sich seine Knappin um die Pferde kümmerte. Gerade trat er nach einem längeren Gespräch mit der Köchin aus der Küche heraus, als Chaantrea mit ihren typischen federleicht anmutenden Schritten auf ihn zu kam.

„Die Tiere sind nun versorgt Bruder Unswin. Gibt es sonst noch etwas für mich zu tun?“

„In der Tat, das gibt es.“

An der wenig begeisterten Miene der Novizin erkannte der Ritter, dass sie auf eine andere Antwort gehofft hatte. Wenigstens hatte sie inzwischen so viel Anstand gelernt, ihm dies nicht vorlaut an den Kopf zu werfen.

„Du wirst zum Arbeitszimmer von Baronin Geshla gehen. Sie sitzt noch immer mit Roderick und Leomara zu rate, was wegen der Mine in Kelsenstein unternommen werden soll. Sobald die Besprechung ein Ende gefunden hat, bitte ich dich Leomara zum Bad zu bringen. Danach kannst du dir in der Küche dein Abendessen geben lassen. Ich habe veranlasst, dass man dir etwas bereiten wird. Den Rest des Abends hast du dann frei.“

„Ich nehme an du ißt mit Ritterin Leomara?“

Der Ritter hob die Augenbrauen, verwundert über den merkwürdigen Ton in dem die Frage gestellt war. Hatte er dort Eifersucht durchklingen hören? Oder sprach nur wieder der Trotz aus der jungen Frau? Manchmal wurde er einfach nicht schlau aus seiner Knappin.

„So ist es. Du brauchst also nicht auf mich zu warten.“

„Wie du wünschst.“

Mit einer knappen Verbeugung, bei der Unswin einmal mehr nicht wusste ob sie ehrerbietig oder spöttisch sein sollte, wandte Chaantrea sich zum Gehen. Auch sie war nicht das erste mal auf dieser Burg. In den letzten zwölf Monden war sie mit ihrem Schwertvater oft hier zu Besuch gewesen, wenn er einen Vorwand gefunden hatte seine Verlobte aufzusuchen. Nun würde sie also wieder einmal die Botin für ihren verliebten Ordensbruder spielen, damit dieser seinem zukünftigen Schwiegervater aus dem Weg gehen konnte.

Wenige Minuten später stand sie vor der Tür des barönlichen Arbeitszimmers. Sie blieb einen Moment davor stehen und lauschte. Tatsächich vernahm sie immer wieder Stimmen durch die dicke Holztür, was vermuten ließ, dass die Diskussion teilweise recht hitzig geführt wurde. Etwas andere hatte sie aber auch nicht erwartet, wenn Geshla, Roderick und Leomara sich zusammen in einem Raum befanden. Leider dämpfte die massive Tür die Laute soweit ab, dass Chaantrea keine einzelnen Worte verstehen konnte. Einfach einzutreten wäre unhöflich gewesen, also würde sie sich wohl in Geduld üben müssen, bis die Baronin ihres Vogtes und ihrer Ritterin überdrüssig geworden war. Mit einem götterergebenen Seufzer lehnte sich die Novizin mit dem Rücken gegen eine Säule gegenüber der Tür, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete.

Nach einer schieren Ewigkeit öffnete sich schließlich endlich die Tür, und Leomara kam mit roten Gesicht sichtlich erledigt heraus. Sie schloß geräuschvoll die Tür hinter sich und stieß deutlich die Luft aus. Die Person an der gegenüberliegenden Wand hatte sie noch gar nicht gesehen.

Sie brummelte leise vor sich hin: „Im Rahmen ihrer Möglichkeiten wohl das beste raus geholt, pah, das nächste mal schicke ich ihr den Schwarm Harpyien ins Tal, von Friedburg aus haben die auch nen hübschen Ausblick!“

Sie wendete sich in Richtung Dienstboten steige um in die Küche zu gehen. Chaantrea löste sich aus dem Schatten der Säule und trat schnell vor um die Ritterin abzufangen. Die Novizin berührte sie leicht an der Schulter und zuckte zurück, als Leomara sich überrascht mit einem Ruck zu ihr umwandte. Die Jüngere hob die rechte Hand und legte sie ihrer Gegenüber besänftigend auf den linken Unterarm.

„Entschuldigt bitte, ich wollte Euch nicht erschrecken. Ich habe auf Euch gewartet um eine Nachricht zu überbringen. Ritter Unswin lässt Euch bitten sogleich ins Bad zu kommen, wenn es Eure Pflichten der Baronin gegenüber zulassen.“

Verdutzt schaute Leomara sie an. „…Pflichten äh…? Ach so, nein, ich darf mich wohl erst einmal zurück ziehen. Der Vogt und die Baronin müssen die Sachlage erst einmal unter sich besprechen…“ Leomaras Augen brachten zum Ausdruck, was sie von einer derartigen Unterredung wohl hielt.

„Daher habe ich also Zeit. Wieso um Himmels willen im Bad? Hat Praiowyn ihn dort eingesperrt und lässt ihn erst wieder heraus, wenn er sich ordentlich kleidet?“ Amüsiert musterte die Rittfrau Chaantrea.

Die Novizin unterdrückte mit Mühe ein leises Kichern und schaffte es nicht länger ernst zu dreinzuschauen. „Wäre eigentlich denkbar. Manchmal lässt er ja schon merken, dass er aus Greifenfurt stammt. Aber diesmal hat Praiowyn Gnade vor Recht ergehen lassen. Ich darf Euch leider nicht sagen worum es sich handelt, aber geht besser gleich hin. Nicht das er ungeduldig wird und denkt die Baronin hätte Euch gefressen oder ich hätte Euch entführt.“

„Ach du liebes Bisschen, ich fürchte der Aufenthalt in den Bergen ist nicht spurlos an ihm vorüber gegangen…!“ Leomara schmunzelte. „Dann werde ich mich wohl besser sputen, bevor er sich den Weg hierher frei kämpft. Ich denke man sieht sich später…!“ Mit diesem Worten drehte sich Leomara weg und ging raschen Schrittes zu ihrem Verlobten. Was hatte er nur vor?

Schließlich stand sie vor der Türe zum Bad klopfte kurz an, trat dann aber sofort ein.

Die Tür öffnete sich ohne Widerstand und der Raum dahinter war hell erleuchtet. Doch brannten nicht die an den Wandhalterungen dafür vorgesehenen Fackeln, sondern über zwei Dutzend dicke, vor allem auf dem Fussboden verteilte Kerzen. Der süßliche Duft von Honig lag in der Luft.

Abrupt blieb die Rittfrau stehen und schaute sich staunend um.

In der Mitte des Raumes stand Unswin, angetan in in jene leichte Kleidung die er immer trug, wenn er auf Friedburg zu Gast war. Ohne Waffen, Rüstung und Wappenrock war er jedes Mal ein ungewohnter Anblick. Jemand der ihn nicht kannte hätte ihn in diesem Aufzug für einen einfachen Bürger halten können. Nur ein gesticktes Ordenswappen in der Herzgegend seines Hemds, ließ erkennen wer er war.

Neben dem Ordensritter stand eine junge Magd. Beide schienen sich unterhalten zu haben und von Leomaras Klopfen aufgeschreckt worden zu sein. Sie hielt einen leeren Eimer in der Hand mit dem sie offenbar Wasser für den großen gemauerten Badezuber gebracht hatte, auf dessen Rand ein kleiner abgedeckter Weidenkorb stand. Der Ofen unter dem Zuber war in Betrieb und würde dem frischen Wasser bald eine angenehme badetemperatur gegeben haben. Unswins Miene hellte sich bei Leomaras Anblick augenblicklich zu einem breiten Lächeln auf, während die Magd fast schuldbewusst den Kopf neigte und errötete.

„Leomara, da bist du ja schon. Ich hatte schon befürchtet Geshla und Roderick halten dich bis zum Frühstück fest.“ Mit einem leichten Nicken gab er der Magd ein Zeichen, welche sich auch sofort in Bewegung setzte und mit einem leisen „Euer Wohlgeboren“ an der Ritterin vorbei durch die Tür entschwand. Noch bevor Leomaras Sprachlosigkeit geendet hatte ging der Redestrom Unswins ungemindert weiter. Er schien bester Stimmung.

„Komm herein meine Liebste und mache es dir gemütlich.“ Unswin deutete mit einer Armbewegung auf einen schmalen Tisch und zwei gepolsterte Stühle, die Leomara in diesem Raum noch nie gesehen hatte. Offensichtlich hatte der Ordensritter diese extra hierher bringen lassen. Nur den Zweck konnte die Ritterin nicht sofort erkennen, denn außer einer der großen Kerzen in der Mitte war der Tisch leer.

„Ehem…!“ sagte sie dann auch nur während sie im Näherkommen die Umgebung begutachtete. „…was soll das Ganze hier?“ Etwas widerstrebend setzte sie sich hin, lächelte aber Unswin neugierig an. „Du hast mir doch nicht etwa was zu beichten? Ich hörte schuldbewusste Männer neigen zu solchen Extravaganzen.“ Noch immer schien sie keine Ahnung zu haben was das ganze sollte.

Unswin lachte erst fröhlich und schaute dann gespielt empört drein. „Na hör mal. Vor dir sitzt ein ehrenwerter Ritter des Zornesordens. Ich mag nicht abstreiten, dass du mich auf einige zuvor unbekannte Geschmäcker gebracht hast seit wir uns kennen. Aber für mich gibt es nur dich. Ich bin doch kein Nebachote der nach jedem Glas Wein eine andere bespringt. Aber abgesehen von dir und dem guten Wein, hat mir Perricum wohl auch diesen kleinen Hang für das Dramatische geschenkt.“ Mit einem beiläufigen Nicken deutete er auf die Kerzen, während er über den Tisch hinweg nach ihren Händen griff.

Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Ohne zu zögern rief er die Wartenden herein. Die Magd von eben schritt vorweg, nur trug sie diesmal statt einem Wassereimer eine gut gefüllte Platte vor sich her. Mit einem Lächeln plazierte sie diese auf dem Tisch und legte vor den beiden Adligen kleinere Essplatten und Besteck aus. Hinter ihr kam noch ein Küchengehilfe der eine Karaffe roten Weines und zwei mit Blei verzierte Weingläser dazu stellte. Danach kümmerte er sich sofort um den kleinen Ofen unter dem Zuber und warf eine Hand voll Blütenblätter aus dem kleinen Weidenkörbchen hinein, welche Leomara aus dem Augenwinkel heraus aber nicht genauer erkennen konnte.

Die Magd hatte derweil die Deckel von den Speisen genommen. Zum Vorschein kamen, neben einem Korb mit weißem Brot, ein mit Honig bestrichenes und goldgelb gebratenes Kanninchen, zwei liebevoll verzierte Pasteten sowie eine kleine Schale mit kandierten Datteln. Unter den immer größer werdenden Augen Leomaras goss die junge Frau die Weingläser noch halbvoll und zog sich dann mit einem Knicks zurück. Auch der Küchenjunge war inzwischen mit seiner Arbeit am Zuber fertig und schloss eilig hinter sich die Tür.

Noch immer sprachlos schaute sich die Rittfrau das Essen an, und in ihrem Blick spiegelte sich der Unglaube über diese kunstfertige Art der Kochkunst. „Hast du heimlich die Angroscho in der Binge bestohlen, oder wie hast du den Koch dazu gebracht etwas Derartiges zu erschaffen?“

Vorsichtig strich sie mit dem Finger über den Teigmantel der Pasteten, auf denen aus Teig geformte Weinreben, Pferde und Rosen aufgebracht waren. Kindliches Vergnügen bemächtigte sich schließlich ihrer und sie ergriff den Pokal.

Mit einem lausbübischen Grinsen beobachtete Unswin die Veränderung die sich auf ihrem Gesicht abzeichnete.

„Egal, was auch immer es sein mag, was mir dieses Mahl bescherte, lass uns anstoßen, bevor uns hier jemand raus wirft!“

Seitdem sie wieder in Gnitzenkuhl waren genoss sie einfach das unbeschwerte Leben und allmählich kehrte auch die ihr eigene Leichtigkeit zurück, die sie im Angesicht der täglichen Bedrohungen am Berg fast gänzlich verloren hatte.

Der Ritter ließ sich nicht zweimal bitten, erhob ebenfalls sein Glas und suchte beim Klang der feinen Pokale den Blick Leomaras, bevor er schließlich einen Schluck des vorzüglichen Weines genoss. Im flackernden Schein der Kerzen leuchtete die Flüssigkeit blutrot. Dann hob er die als Deckel drapierte Oberseite seiner Pastete ab und darunter kam eine dampfende Gemüsebrühe zum Vorschein.

„Der Grund für diesen kleinen Festschmaus bist ganz allein du meine Liebste. Ich hoffe Geshla kann es verkraften, dass ich diese Leckereien aus ihrer Küche dafür habe verwenden lassen. Nachdem wir den ganzen Ärger im Wall überlebt haben, fühle ich mich wie neu geboren. Deswegen feiern wir heute gemeinsam nicht nur deinen, sondern auch meinen Tsatag.“

Natürlich, ihr Tsatag, wo hatte sie nur wieder ihre Gedanken gehabt? Leomara musste schmunzeln, hatte sie ihn doch über den Tag hinweg erfolgreich verdrängt…bis sie Alwene aufgesucht hatte. Der Besuch bei ihrer alten Amme war nicht sonderlich erquicklich gewesen. Die hatte ihr geraten in Zukunft ein wenig mehr auf sich zu achten, damit, wenn sie doch einmal Tsas Segen ereilte, sie nicht schon aussähe wie eine alte Frau. Entschlossen diesen dummen Satz zu verdrängen, lächelte sie Unswin an.

„Auf uns…und das wir wieder heil hier angekommen sind.“

„Auf uns...und auf die Herrin Rahja, der ich gedenke den restlichen Abend zu widmen...“

Dann griffen beide hungrig zu den Löffeln. Nach der kargen Kost in den Bergen ließen sie sich gerade genug Zeit beim Kauen um die vorzügliche Süße der Speisen zu würdigen und gleichsam verschlangen sie sich gegenseitig mit den Augen. Neben ihnen verströmte der große Badezuber inzwischen seinen einladenden Rosenduft.


Zwei Häuser, eine Familie

Peraine 1032 BF

Die frischgebackenen Barone von Eslamsroden und Kressenburg wollen zukünftig zum Wohle der Familie und der Mark enger zusammenarbeiten.

Tischgespräche

Interessiert blickten sich die beiden Eslamsrodener um, wobei sich eine Spur des Widerwillens in Ifirnias Gesicht zeigte, während sie den Stammbaum betrachtete. Die Aufforderung zum Essen ließen sich die Geschwister nicht zweimal geben, hatten sie doch einen langen Tag hinter sich.

Nachdem er seinen drängensten Hunger mit einigen Bissen befriedigt hatte, wandte Greifwin sich an Ardo: „Wie ich sehe, hast Du dich rasch eingelebt.“ Er deutete in Richtung des Stammbaums. „Das ältere Haus, wenn ich mich nicht irre, oder? Was mich zu einem... wunden Punkt zwischen unseren Familien bringt.“ Greifwins Blick wanderte zu seiner Schwester, die diesen mit versteinerter Miene erwiderte. „Da er inzwischen Teil Deiner Familie ist, was hälst Du von Herdan Lucius? Bei uns ist er ungefähr so beliebt wie der Ork, aber ich hätte gerne Deine Meinung gehört...“

Der Kressenburger wollte gleich etwas zu dem angesprochenen Stammbaum sagen, doch bevor er dazu kam, hatte Greifwin bereits das nächste Thema angeschnitten. Trotzdem wollte Ardo das Missverständnis schnell ausräumen. „Leider irrst du doch was den Stammbaum dort angeht, Greifwin. Dieser und das Wappen dort gehören der Familie von Kressenburg. Bei weitem nicht so alt wie unsere Familie und es lebt nur noch eine einzige letzte Vertreterin, meine Vorgängerin, Faralda von Hasenfeld-Kressenburg. Sie ist erst Anfang der dreißig, hat sich aber schon vor Jahren auf ihr Wittibengut zurückgezogen und die Belange der Baronie ihrem Vogt, dem guten Phexian hier, überlassen. Die Baronswürde indess blieb wegen der Krankheit der Greifin vakant, bis der Meister der Mark nun endlich stellvertretend darüber entschieden hat. Natürlich soll dort später einmal der Stammbaum der Familie Keilholtz hängen und nicht nur der des älteren Hauses. Der wäre zwar recht breit aber wenig zurückreichend, ist die Fehde doch immerhin erst fünf Generationen alt, während man unsere Familie bis fast zur Reichsgründung zurückverfolgen kann. Mein Großvater hat einige Abschriften aus den Familienarchiven von Burg Keilholtz und Reste aus den Aufzeichnungen der markgräflichen Kanzlei retten können. Auch aus der Reichskanzlei hat er noch vor der Zerstörung Gareths einige Abschriften zu garethischen Zweigen unserer Familie bekommen. Er arbeitet nun schon seit Jahrzehnten daran. Irgendwann wird sein Werk hier den Saal verzieren.“

„Und Herdan Lucius? Puh, ich bin ehrlicherweise froh, wenn ich von dem nichts höre. Beliebt wie ein Ork trifft es ziemlich gut. Du weißt schon, keine Nachrichten sind gute Nachrichten. Allerdings hat er das Ohr unseres Patriarchen und seit Bogumil ihn adoptiert hat, ist der Ton von Burg Keilholtz gegen uns und die anderen unabhängigen Zweige wieder rauher geworden. Die Waldenklammer, also die Weidener, sind für den senilen Alten sowieso nicht existent. Die Hundsgrab-Keilholtz hat er aus der Familie verstoßen und uns hier in Kressenburg hätte wohl bald das selbe geblüht, wenn ich jetzt nicht so unverhofft zu der Baronie gekommen wäre. Was man auf Burg Keilholtz vom jüngeren Haus hält muss ich euch wohl nicht sagen.“ Sein Lächeln fiel arg gezwungen aus, war ihm die derbe Wortwahl die der Patriarch und der Baron von Finsterkamm zu benutzen pflegten doch nur zu geläufig. „Ich kann mich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass Herdan Lucius einen großen Teil zur aktuellen Hetze im älteren Haus beiträgt. Es hat den Anschein, dass er die Zurücksetzung in Schroffenstein einfach nicht verwinden kann. Solcherart nachtragender Hass ist nicht gut für die Mark und steht keinem Greifenfurter gut zu Gesicht.“

Während Ardos Ausführungen veränderten sich die Mienen seiner Gäste merklich. Zeigte das Gesicht Ifirnias bei den Erläuterungen zum Stammbaum noch immer die gleiche, stille Verachtung und Greifwins das offener Neugier, so wandelte sich dies bei den Worten zu Lucius Herdan deutlich. Mit beinahe höhnischem Grinsen blickte Ifirnia nun in Richtung Greifwins. Nach einem Schluck aus seinem Krug hob dieser an: „Ich danke dir für deine Offenheit, Ardo“, er warf einen Blick zu seiner Schwester. „Wie man an der Reaktion meiner... verehrten Schwester erkennen mag, hielt ich die Einschätzungen von Lucius bisher für das Resultat der in unserem Teil der Familie weitverbreiteten Verachtung für alles, was mit dem älteren Haus zu tun hat. Bedauerlich. Aber ich“, wiederum blickte er zu seiner Schwester, „bin wohl in der Lage, wenn notwendig einen Fehler zuzugeben. Mit drei Baronen, die untereinander einig sind, hätten wir eine exzellente Position gehabt. Seis drum. Aber,“ er deutete zum Stammbaum, „ich würde das Werk gerne sehen, wenn es soweit ist. Wobei ich offen zugeben muss, dass mich derartige Werke seit den Umwälzungen in meiner Familie immer etwas nervös machen.“ Er nahm einen weiteren schnellen Bissen.

„Ihr müsst wissen“, warf seine Schwester ein, „dass mein Bruder sich seit Jahren erfolgreich seinen dynastischen Pflichten entzieht.“ Trotzig blickte sie zu Greifwin.

Dieser rollte leicht mit den Augen. „Ja, durchaus richtig. Ein weiterer Beweis der, verzeih Schwester, sehr seltsamen Traditionen in unserem Haus. Ihr Frauen dürft selbst wählen, wovor auch du dich, nebenbei gesagt bislang gedrückt hast, während man über den Kopf der Männer hinweg entscheidet. Wenn, dann doch bitte gleiches Recht für alle. Zumal die Ablehnung der Verbindung, die unsere Mutter, möge sie in Frieden ruhen, für mich vorgesehen hat, durchaus wechselseitig ist. Ich bin noch jung und habe derzeit dringendere Probleme. Vielleicht in ein bis zwei Götterläufen...“ Er hielt einen Moment inne.

Ardo hatte mit Freude zur Kenntnis genommen, dass Ifirnia ihn das erste Mal seit ihrer Ankunft direkt angesprochen hatte. Wenn es auch nur gewesen war um ihren Bruder in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen, so dass er sich gezwungen sah seinem Freund beizuspringen.

„Es ist durchaus gerechtfertigt, wenn du unter den veränderten Vorzeichen noch etwas warten willst. Immerhin konnte deine Frau Mutter nicht wissen, dass du so jung in den Hochadel aufsteigen würdest. Wer weiß wie ihre Wahl der Braut für dich heute ausgefallen wäre. Immerhin gibt es ja wohl eine Absprache die sich nicht so leicht lösen lässt?“ Die in dem Satz mitschwingende Frage und auch der neugierige Blick des Kressenburgers ließ vermuten, dass er gerne mehr über die Modalitäten erfahren würde.

„Das Problem ist, dass es nichts Schriftliches gibt“, antwortete Greifwin sichtlich unbegeistert. „Praktisch gesehen ist es das Übliche, eine Verlobung von Adelssprösslingen die weit außerhalb der Erbfolge stehen. Damit ist der Vertrag auf Basis der nicht länger gegebenen Grundlagen, soll heißen meiner nicht länger unbedeutenden Position in der Erbfolge eines nicht länger gegebenen Junkertums gemäß einer ganzen Reihe von Präzedenzfällen leicht anfechtbar. Vom Standesunterschied mal abgesehen, als Niederadel könnten mich die Eltern kaum vor Gericht zerren. Natürlich steht dem der erhebliche politische Schaden gegenüber, wenn ich die Abmachung einfach für null und nichtig erkläre. Die Alt-Nardesfelder sind zwar derzeit nicht gerade von Phex verfolgt, aber man sieht ja an uns, wie schnell sich das ändern kann. Und sie haben immer noch weitreichende Beziehungen. Ich werde also das Gespräch und eine gütliche Einigung suchen...“

„...will heißen, Du willst versuchen, dich freizukaufen, nicht wahr?“, warf Ifirnia ein.

„In der Tat. Ein Gut als Abfindung sollte die Sache hoffentlich hinreichend versüßen. Doch genug davon, es sei denn, du willst unbedingt eine Unterweisung in die Feinheiten des Greifenfurtschen Ehe- und Erbrechts. Wie sieht es denn bei dir aus?“, wandte sich Greifwin an Ardo.

„Dahingegen bin ich in der komfortablen Situation mich fast völlig frei entscheiden zu können. Aber ich habe nicht vor lange zu zögern wenn der Werber einer standesgemäßen Braut an meine Tür klopft. Zwar bin auch ich noch jung, ein Götterlauf jünger sogar als du Greifwin, aber die Zeiten sind unsicher. Wer weiß ob es dem Ork nicht morgen schon wieder gefällt über die Pässe zu kommen? Dann werden wir in den Kampf ziehen wo jederzeit der Tod auf uns warten kann. Und selbst wenn der Schwarzpelz Ruhe hält, so ist dieser Tage mit dem fortwärenden Vordringen der Wildermark nicht einmal mehr ein Adliger auf den Straßen der Mark vor Wegelagerern sicher. Ich habe mir aber in den Kopf gesetzt Kressenburg für die Familie zu erhalten. Dafür brauche ich rechtzeitig einen Erben, denn es ist durchaus nicht sicher, dass mein Vater oder meine Schwester das Lehen erben würden. Dynastisch gesehen haben sie kein festes Anrecht darauf und wer weiß schon wie der Nebelsteiner in einem solchen Fall entscheiden würde.“

„Ich habe glücklicherweise genug Familie, so dass mein vorzeitiges Dahinscheiden kein allzu großes Problem darstellen sollte.“ Er lachte trocken. „Und zumindest mit letzterem hat unsere Familie in den letzten Jahren große Erfahrungen gewonnen. Daher habe ich das noch vor allem anderen vertraglich geregelt. Das muss seine Exzellenz natürlich nicht aufhalten, wie man bei Seguld von Breitenquell gesehen hat. Das war und ist, mit Verlaub, eine höchst seltsame Sache. Ich habe mich bis dahin nicht wirklich für die Belange Eslamsrodens und den guten Trär interessiert. Und plötzlich wird sein Sohn entlehnt, ohne das bekannt wäre, warum. Sehr merkwürdig.“

Greifwin trank einen weiteren Schluck Bier. „Und wie der Meister der Mark ausgerechnet auf mich verfallen ist, bleibt mir auch ein Rätsel. ‚Die Mark hat ihre Gründe‘ war alles, was ich bislang aus ihm herausbekommen habe...“

„Die Mark hat ihre Gründe. Nun, ich bin mir sicher, dass es die gibt, auch wenn ich ebenso wie du vor dem Rätsel stehe womit genau ich mich für die Baronswürde in Kressenburg empfohlen habe. Sicherlich habe ich dem Prinzen im Winter tausendeinunddreißig bei der Suche nach seinem Bruder im Kosch geholfen, ich habe im Rondra in Waldstein bei zwei Schlachten gegen Anhänger des Namenlosen gefochten, habe mich beim Uslenrieder Turnier zweimal gegen Nimmgalf von Hirschfurten behauptet und beim Konvent konnte ich Edelbrecht ebenfalls zu Diensten sein. Dennoch hätte es einige Kandidaten gegeben, die für Kressenburg eher in Frage gekommen wären. Bestes Beispiel ist Phexian hier. Seine Familie stellt die Vögte von Kressenburg seit der Zeit der klugen Kaiser, wahrscheinlich seit Raul selbst und hält mit dem Junkertum Kieselbronn das höchstrangige Nachlehen der Baronie. Phexian war nach dem politischen Rückzug der letzten Baronin aus der Familie Kressenburg in den letzten sieben Götterläufen wieder regierender Vogt.“

Der alte Vogt an seiner Seite schüttelte abwehrend die Hände vor sich und schaute unwillig drein. „Lass das mein Junge. Du weißt, dass weder ich noch meine Schwester je nach der Baronswürde geschielt haben. Wir Kieselholms haben eine lange Tradition des Dienens, das ist der Platz den Praios uns zugewiesen hat.“

„Und ich kann den Herrn Praios nur preisen, dass er mir Euch als Vogt und Stellvertreter gegeben hat, Phexian. Trotzdem hättet Ihr es verdient gehabt. Aber lassen wir das. Nach den Kieselholms waren die Praiostanns die zweite Familie der Baronie. Die sind wohlhabend und haben Einfluss. Immerhin stellen sie seit Generationen den Lichthüter des Kressenburger Praios-Tempels. Es wundert mich, dass Prätor Badilak nicht versucht hat für seinen Neffen, den aktuellen Ritter von Praiostann, die Baronie zu bekommen.“

Auf Phexians Gesicht zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab, so als würde er darüber mehr wissen. Da Ardo jedoch gerade seine Gäste ansah während er sprach, war es nur Greifwin und Ifirnia möglich diese Regung des Vogtes zu erkennen. Der alte Mann griff schnell zum Bierkrug und als er ihn wieder absetzte, zeigte er die selbe ruhige und aufmerksame Miene wie zuvor.

„Meine Familie“, fuhr Ardo fort, „lebt erst seit meinem Großvater in Kressenburg. Wir hatten immer nur das arme Rittergut ander Grenze zu Waldstein und Großvater Bernhelm ist auch nach fünfundvierzig Götterläufen noch immer der erste und einzige amtierende Ritter zur Neuen Gerbaldslohe aus der Familie Keilholtz. Insofern spricht für uns weder Einfluss noch Reichtum. Von Rechts wegen wären auch mein Vater oder Großvater vor mir an der Reihe gewesen, aber da wurde ja auch bei dir nicht berücksichtigt.“

„Aber zurück zu dir. Hast du denn ein Auge auf jemanden geworfen?“

Ardo lachte kurz auf und schob sich mit der Gabel eine Scheibe des erkaltenden Bratens in den Mund. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen kaute er zuende, während seine Zuhörer nach seinem Heiterkeitsausbruch gespannt auf eine Antwort warteten.

„Wenn dem so wäre lieber Greifwin, dann würde ich nicht so theoretisierend daherreden. Sicherlich habe ich auf meinen Reisen die eine oder andere Ritterin und Edeldame kennengelernt welche mir gefallen hat. Aber was blieb mir als einfachem landlosen Ritter mehr als in ritterlicher Minne zu ihren Ehren zu Tjosten? Zu Anfang meiner Armeezeit war da auch noch diese schmucke Offizierin, aber eine Bürgerliche kam für mich damals schon nicht für den Travia-Bund in Frage, noch weniger jetzt wo ich Baron bin.“

Mit einem lauten Räuspern machte sich Phexian kurz bemerkbar und machte gleich darauf wieder den Anschein in aller Stille in seinen Braten vertieft zu sein. Ardo verstand den Wink seines Schwertvaters, der ihn wohl daran hindern wollte sich allzu ausschweifend über verflossene Liebschaften der Vergangenheit auszulassen.

„Wie dem auch sei. Die wenigen Wochen seit der Belehnung hatte ich auch anderes zu tun als mich nach neuen geeigneten Kandidatinnen für den Platz an meiner Seite umzutun. Der Baron von Hundsgrab hat eine jüngere Tochter, die an der Greifenfurter Kriegerakademie gelernt hat und Gerbald von Reiffenberg, der neue Hexenhainer Baron, hat ebenfalls noch eine unvermählte Tochter, die Kammerzofe bei der Markgräfin war. Auch unser Nachbar in Quastenbroich hat noch eine unvermählte Schwester im besten Alter, aber die soll gerüchteweise etwas unleidlich sein. Doch bisher kenne ich weder diese noch die anderen persönlich und wenn ich demnächst auf den Rat der Barone in Weiden oder beim nächstjährigen Reichskonvent in Perricum zu Gast bin, ergibt sich vielleicht eine andere passende Gelegenheit.“

An diesem Punkt mischte sich der Vogt wieder in das Gespräch ein. Offensichtlich war es ihm nicht lieb, wie weit der junge Baron sein Suchgebiet auszudehnen gedachte.

„Eine Edeldame aus der Mark sollte es aber vielleicht schon sein mein Junge. Auch wenn, oder gerade weil, dein Vater und Großvater in Waldstein und Weiden gewildert haben. Die Mark muss angesichts der äußeren Probleme enger zusammenrücken. Auf welche Braut auch immer deine Wahl fällt, bedenke dass es nie schadet sich seine Nachbarn zu Freunden und Verwandten zu machen. Die Mark steht und fällt mit dem Zusammenhalt ihrer edlen Familien.“

Ardo verdrehte zu Greifwin gewandt leicht genervt die Augen, woraus dieser schließen konnte, dass eben dieses Argument nicht zum ersten Mal zur Sprache kam. Trotzdem blieb der Kressenburger seinem Vogt gegenüber höflich und wenn auch unverbindlich.

„Da habt Ihr sicherlich recht verehrter Schwervater. Aber ich bleibe dabei, dass ich mir meine zukünftige Braut nicht allein nach ihren politischen Vorzügen wählen werde. Sollte jedoch eine junge Dame aus dem Greifenfurter Hochadel mein Interesse wecken, so verspreche ich Euch, werde ich diese Möglichkeit nicht leichtfertig verwerfen und in meinen Überlegungen den Vorrang geben.“

folgt

Ein Stein im Nebel - Südgruppe

Aufruhr auf dem Marstall

Markgräflicher Marstall, Ende Phex 1034 BF

In diesem Götterlauf waren die Fohlen früh geboren. Lediglich zwei Stuten sollten noch im Peraine ihren Nachwuchs bekommen. Es war die arbeitsreichste Zeit für die Reiffenbergs und auch auf Gut Rosskuppe, welches erst im letzten Herbst hatte fertiggestellt werden können, gab es mehr Arbeit als der Tag Stunden hatte. Urion und Renzi hatten sich die Aufgaben aufgeteilt und auch Urions Geschwister Rondrian und Meran, die wieder mal auf dem Gut weilten, packten an, wo es nötig war.

Meran war vor drei Tagen ohne ihren Gatten aus Perainefurten eingetroffen. Rondrian hatte sich nun endgültig von seiner schweren Verletzung erholt und würde in den nächsten Monden wieder gen Warunk aufbrechen.

Es dämmerte bereits, difuses Licht warf bereits lange Schatten über den Innenhof, als Urion und Rondrian das Herrenhaus des Marstalls betraten. Sie wusche sich in den bereitgestellten Wasserschüsseln und legten die Stallkleidung ab. Beide trugen im Alltag darunter lediglich ihre schlichten Leinenhemden und enganliegende Hirschlederhosen.

Sie saßen beim Abendessen, als plötzlich der Zwergenschmied Artog den Raum betrat. „Urion, es riecht nach Ärger, gerade sind zwei Reiter eingetroffen, Boten des Prinzen, wie sie behaupten, der jüngere gibt sich als Berhelm von Dunkelsfran aus, des Prinzen Bannerträger. Der Zweite ist unser alter Bekannter Rosco Falkenblick.“

„Nun Artog, lasse sie eintreten und sorge bitte dafür, dass sich die Knechte ihrer Pferde annehmen.“

Artog wand sich zur Tür und öffnete sie. Auf seinen Wink betraten zwei Männer den Raum. Sie waren in Reiseumhänge gehüllt, die die Spuren eines schnellen Rittes erkennen ließen. Urion erkannte Bernhelm und Rosco auf den ersten Blick und erhob sich von seinem Platz. Er trat mit einer einladenden Geste auf sie zu: „ Bernhelm von Dunkelsfarn, Rosco Falkenblick, Travia zum Gruße, die Zwölfe mit Euch. Nehmt Platz. Euer Erscheinen ist schon deshalb eine Überraschung, weil er in dieser Konstellation erfolgt. Aber fiel mehr wurdet ihr als Boten des Prinzen gemeldet, deshalb tragt schnell vor wie die Meldung lautet.“

Nachdem sich beide verneigt hatten, nahmen alle Platz und Bernhelm begann seinen Bericht. Schließlich endete er mit den Anweisungen die der Prinz ihm für Urion aufgetragen hatte. „ Ihr mögt umgehend alle Waffenfähigen um Euch sammeln und Euch darauf vorbereiten, dass die Greifin mit ihrem Gefolge in wenigen Tagen über Hesindelburg und Hexenhain zum Marstall kommt. Ihr sollt euch ihr dann mit den Truppen anschließen.“

Urion war ob des Berichts des Bannerträger wie vor den Kopf geschlagen. Der Meister der Mark ein Verräter, der den Prinzen hatte festsetzen lassen. Ein Umstürzler. Nun erschienen es ihm im Nachhinein durchaus logisch. Der meister der Mark hatte ihm befohlen die Schwadronen der Grenzreiter sämtlich im Süden und vor allem im Osten der Mark zu stationieren. Ferner hatte der Nebelsteiner den Heermeister der Mark Reto von Schattenstein abgesetzt, eine Tatsache, die Urion als eher als notwendige Umstrukturierung innerhalb der märkischen Wehr betrachtet hatte. Zudem war Urion ja dadurch selbst in der märkischen Administration mit der zusätzlichen Aufgabe des Rittmeisters der Mark beauftragt worden. Ein perfides aber wie sich jetzt zeigte erfolgreiches Ablenkungsmanöver des Nebelsteiners. Und jetzt kamen ihm auch einige Gespräche mit dem Meister der Mark in den Sinn. Hatte dieser nicht immer gesagt er solle sich nicht den Kopf zerbrechen übe Dinge, die Meister und Prinz zu verantworten hätten. Nun standen auch seine letzten Missionen außerhalb der Mark in Frage. Hatte der Meister der Mark ihn nur deshalb gesandt, um ihn aus den Rennen zu haben. All diese Gedanken liefen blitzartig durch seinen Geist und er bemühte sich um seine innere Ruhe. Er sammelte sich und räusperte sich.

„Ihr bringt wahrlich schlechte Kunde Bernhelm von Dunkelsfarn. Der Verrat des Nebelsteiners trifft mich im Mark. Nichts desto weniger gilt es jetzt schnell und entschlossen zu handeln. Was ist Euer weiterer Auftrag?“

„Nun der Prinz sandte uns aus, um euch und den Kressenburger Baron zu alarmieren. Danach reiten wir schnellstmöglich in den Kosch, um den Fürsten zur Lage vorzutragen und ihn im Namen des Prinzen um Unterstützung zu bitten.“

Nun machte sich bezahlt, was Urion in unzähligen Stunden an der Wehrheimer akandemie und auf den Schlachtfeldern gelernt hatte. Sein Verstand erfasste augenblicklich die Gesamtsituation und in seinen Gedanken sortierte er Truppenstärken, Möglichkeiten des Handelns sowohl des Gegners als die eigenen, mögliche Marschrouten, Logistische Fragetstellungen und letztlich auch der Ort einer konfrontation mit dem Nebelsteiner, der, wie Urion bereits wusste, selbst ein erfahrener Truppenführer war.

„Nun gut, ans Werk, die Zeiten werden nicht besser, in dem man beklagt wie schlecht sie sind. Wir gehen ab jetzt wie folgt vor. Ich werde noch heute Nacht Boten aussenden, welche die umliegenden Barone alarmieren und in Kenntnis setzen. Das betrifft auch den Kressenburger, zu dem ihr noch hättet reiten müssen. Ihr bleibt heute Nacht hier und ruht.“ Urion wischte den Versuch eines Einwandes Berhelms zu Seite und fuhr fort. „Keine Diskussion, ich befehle das als Rittmeister der Mark. Morgen früh statte ich Euch mit den besten Botenpferden der Mark aus. Damit kommt ihr auf schnellstem Wege zum Fürsten und so die Götter es fügen, auch genau so schnell mit Koscher Verstärkung zurück. Bernhelm und Rosco, ein koscher Verstärkung kann das Zünglein an der Waage sein, denn wir sind den Truppen des Nebelsteiners deutlich unterlegen. Deshalb führt sie schnell und auf sicheren Wegen heran. Ich hinterlasse auf unserem Weg in den Osten der Mark in den großen Siedlungen Anweisungen, dass man Euch mit dem notwendigsten versorgt und Euch unterstützt wo es geht. Egal wo ihr her kommt, von Westen oder Süden, der Marstall aber auch die Baronien Hexenhain und Hesindelburg werden Euch die notwendige Unterstützung gewähren. Und noch etwas, schaut auf Eurem Marsch unter die Meilensteine auf dem Fürstenweg, dort werde ich unsere aktuellen Marschziele hinterlegen, damit ihr nicht fehlgeht. Und jetzt bekommt ihr erst mal was anständiges zum Essen und einen Humpen Bier. Dann geht es ins Bett.“

Rosco Falkenblick erhob sich und es war das erste mal, dass Urion ihn mehr als einen Satz sprechen hörte. „Habt Dank, Herr Urion. Es erleichtert uns unseren Auftrag immens, dass ihr uns den Ritt nach Kressenburg erspart. Wir werden dem Fürsten die Botschaft so schnell wie möglich zustellen.“

Urion nickte , verließ kurz den Raum und kam wenig später zurück. Er drückte Bernhelm ein Kupferstück in die Hand. „Hier ist mein Abzeichen des Kupferkeilers. Als Mitglied der Gesellschaft der 42 trage ich es seit der Queste des Prinzen zur Rettung seines Bruders. Es sollte Euch den Zugang zum Fürsten erleichtern und Beleg für die Dringlichkeit unseres Ansinnens sein.“

Bernhelm schloss die Hand um das Emblem. „Ich werde es sicher verwahren, dessen seid gewiss.“

Nachdem die beiden den Raum verlassen hatten, wandte sich Urion an Artog und Rondrian: „Artog, sorge dafür, dass in einer halben Stunde Meldereiter für die Baronien Hesindelburg, Donfanger, Feldharsch, Nardesfeld und Zalgo bereit gemacht werden. Ferner möchte ich eine Reiter nach Hexenhain zu Hesindiane und Alrik schickst du verdeckt nach Greifenfurt zu Reto von Schattenstein. Reto ist der erfahrenere Stratege und muss jetzt wissen, mit wem er rechnen kann. Ich setze jetzt sofort die Botschaften auf. Die Süd- und Westbaronien sollen ihre verfügbaren Truppen sofort hier her in Marsch setzen. Wenn die Greifin hier eintrifft, möchte ich eine Großteil der Kräfte vor Ort haben.“ Artog nickte und stürmte zur Tür heraus.

„Die Nachricht an Ardo überbringst du ihm bitte selbst, Rondrian. Er muss schnellstmöglich seine Landwehr mobilisieren und bereithalten. Reite hin und setze ihn ins Bild. Er soll nicht zu früh losschlagen, weil wir nicht wissen, wo der Nebelsteiner derzeit ist und er muss auf jeden Fall auf die Befehle der Greifin warten. Am besten nähert ihr Euch vorsichtig der Stadt und bezieht Versteck bis weitere Order kommt. Wenn Ardo neue Erkenntnisse hat, lasst sie uns zukommen. Und Rondrian, Ardo ist ein Keilholtzer, aber er ist auch mein Freund und Garafanist und deshalb über jeden Zweifel erhaben. Wenn sein Onkel gefehlt hat, hat das nicht Ardo zu verantworten. Wenn er es einrichten kann, soll er hier her kommen. Ach und bevor ich es vergesse, sag ihm ich bräuchte seine Reiterei umgehend hier im Marstall. Wenn die Greifin marschiert, dann brauche ich zur Flankendeckung und Avantgarde alles, was ich an Kavallerie aufbieten kann.“

Rondrian erhob sich ebenfalls und drückte seinem Bruder die verbliebene Hand auf die Schulter. „Mach dir keine Sorgen, Urion, ich weiß, die Herrin wird an unserer Seite sein. Und seit ich Ardo kenne, hat er immer Wort gehalten. Nur schade, dass Vater auf diese Wallfahrt in den Schlund ziehen musste.“

„Wenn da nicht auch der Nebelsteiner seine Finger im Spiel hat. Vater war kurz vor seiner Abreise noch in Greifenfurt. Aber es hilft nichts, wir brauchen jetzt jede Klinge und jede Lanze. In Vaters Abwesenheit ist Hesindiane in der Pflicht. Sie muss die Hexenhainer Wehr führen. Ich werde alle mitnehmen, die Kämpfen können. Rudebrecht wird es allein schwer haben, aber es geht nicht anders. Denn glaubst du im Ernst, ich könnte Renzi hier halten, wenn die Greifin zu den Fahnen ruft. Die beiden pflegen einen regen Briefwechsel, seit die Greifin bei unserer Hochzeit war. Auch das Exil im Kloster Rabenhorst hat daran nichts geändert, zumal nach der Geburt unserer Zwillinge. Doch nun reite schnell zu Ardo und bringe Ihm die Botschaft. Sei aber vorsichtig, wer weiß, wo der Meister der Mark überall seine Spitzel hat. Möge die stürmische Göttin dir beistehen.“

Als Rondrian den Raum verlassen hatte, begab sich Urion in die Schreibstube und entzündete eine Öllampe. Im Sekretär fand er leeres Pergament, Tinte und Federkiel. Er machte sich daran, die Botschaften zu verfassen, als plötzlich sein Verwalter Rudebrecht von Jungsalm hinter ihm stand. „Ah, Rudebrecht, entschuldige, ich wollte dich nicht wecken.“ „Ist schon gut, Urion. Ich hörte Pferde im Hof und dachte mir, ich werde vielleicht gebraucht?“

Urion berichtete dem Verwalter alles, während er seine Botschaften zu Ende schrieb. „Lass mich eben die Meldereiter losschicken, dann müssen wir planen.“

Er griff die gesiegelten Botschaften, eilte durch den Raum und den Flur zur Haustür hinaus. Im Hof warteten bereits sieben Reitknechte auf eilig gesattelten Pferden. „Männer zuhören, hier sind Botschaften für die umliegenden Baronien und überbringt sie persönlich an die Barone. Reitet schnell und seid vorsichtig. Haltet nicht an und meidet es, gesehen zu werden, bis ihr an Eurem Ziel seid. Nur so viel, die Mark ist in großer Gefahr und der Feind kommt von Innen. Wenn Euch die Barone fragen, was es mit der Botschaft auf sich hat, dann sagt ich hätte euch aufgetragen, alles wichtige stünde in der Botschaft. Wenn man euch festsetzt, dann verzagt nicht.“

Er verteilte sechs Pergamentrollen und wies den Reitern die Ziele zu. Gerade als die sechs Reiter auf das Tor zuritten, schloss sich Ihnen Rondrian auf seinem Schlachtross an. Urion wandte sich nun seinem Vormann zu. „Alrik, du reitest nach Greifenfurt. Du kennst den Edlen von Schattenstein, den ehemaligen Heermeister der Mark. Nimm vorsichtig zu ihm Kontakt auf. Sag ihm ich würde dich schicken und wenn er einen Beweis verlangt, dann nenne das Kennwort: Finsterwacht. Dann weiß er, dass ich dich schicke. Sag ihm, ich wäre über den Verrat des Meisters der Mark im Bilde und hätte meine Aufträge vom Prinzen erhalten. Ich warte auf die Greifin und schließe mich ihr an. Wir stellen alles unter Waffen, was laufen kann. Ardo kommt mit seiner Landwehr von Süden bis vor die Stadt und bezieht dort Versteck, bis die Lage klar ist. Bernhelm ist bereits auf dem Weg zum Fürsten des Kosch! Sag dem Edlen, du könntest eine Antwort sofort mitnehmen, und kommst dann so schnell wie möglich zurück.“

Jetzt, da die Meldereiter unterwegs waren fiel ein Teil der Last von Urions Schultern. Dennoch lag der größte Teil der Arbeit noch vor ihm. Bis zum frühen Morgen besprach er sich mit seinem Verwalter, plante und organisierte. Sollten die Truppen vor der Markgräfin eintreffen, musste sie untergebracht und verpflegt werden. Aber auch für den weiteren Feldzug mussten sie genügend Proviant mitführen. Die Scheunen des Gutes und des Marstalls waren relativ gut gefüllt, und Urion wusste, dass er einen Teil würde hierlassen müssen, wollte er die Zucht nicht gefährden. Das gleiche traf die Bewohner zu. Er konnte mit drei Reitknechten eine Rumpfbetrieb sicherstellen. Der Rest wäre eine willkommene Verstärkung der leichten Kavallerie. Sowohl in den Reitkünsten als auch im Kampf mit Lanze und Schwert würden sie es mit durchschnittlichen Kämpfern aufnehmen können, den sie hatten jahrelang, tagein tagaus nichts anderes getan. Viel wichtiger waren Sie für Urion aber als flinke Botenreiter und Späher.

Noch bevor die Dämmerung einbrach ließ er Bernhelm und Rosco wecken. Mit Proviant und Pferden versorgt preschten sie durch das große Tor und waren alsbald im Südwesten verschwunden.

Kurze Zeit später verließ auch eine berittene Patrouille den Marstall gen Hesindelburg, um möglichst früh den Zug der Greifin auszumachen und zu melden.

Mit dem wichtigsten Auftrag jedoch betraute Urion seine Schwester Meran. Sie würde sich in den Osten an die Grenze zur Wildermark begeben, um in Erfahrung zu bringen, was die Absichten des Nebelsteiners waren und wo er sich befand.

An diesem Tag wurde nach den Planungen Rudebrechts und Urions die Arbeit auf dem Marstalls umgestellt. Über Nacht war der Krieg in die Mark zurückgekehrt. Erst jetzt wurde Urion erschreckend klar, dass es nicht die Schwarzpelze waren, sondern ein Fall, den er für eigentlich unmöglich gehalten hatte. Die Einheit der Provinz stand auf dem Spiel. Wenn es der Götter Wille ist, dass wir den Sieg davontragen, werden wir nicht nur einen Krieg gewinnen. Dann werden wir alle auch einen hohen Blutzoll zu entrichten haben. Bruder gegen Bruder. Und schon dachte er daran, dass sie derart geschwächt eine leichte Beute für die Schwarzpelze sein würden.

Mobilmachung in Kressenburg

Kressenburg, Ende Phex 1034 BF

Rondrian war schnell und hart geritten und hatte dabei weder sich noch sein Ross geschont. Bei tiefster Nacht hatte er die Breite an einer Furt überquert, nachdem er sich und dem Pferd eine einzige kurze Rast gewährte, danach ritt in den ganzen Morgen durch Königsgau und erreichte kurz vor der Mittagsstunde schließlich die Stadttore Kressenburgs. Die Büttel ließen ihn ohne zu zögern passieren und er sprengte wort- und grußlos an ihnen vorbei den Burgberg hinauf. Erst auf dem Burghof hielt er sein Ross vor dem lieblich angelegten Brunnen an und war schneller an der Tür zum Palas, als die Pferdeknechte aus der Scheune kommen konnten um zu sehen wer es denn da so eilig hätte.

Die erste Person die Rondrian begegnete war ein rundlicher Zwerg mittleren Alters mit gepflegtem, kunstvoll geflochtenem Bart und feiner Kleidung. In der rechten Hand den Stab des Majordomus haltend kam er dem Geweihten aus einem seitlichen Gemach entgegen. Nach einem kurzen Blick auf die Insignien verbeugte sich der Zwerg artig und machte eine einladende Geste in Richtung des Burginneren.

„Euer Gnaden, bitte tretet näher. Euer Besuch ehrt unser Haus. Darf ich mich nach Eurem Namen und nach Eurem Begehr erkundigen?“

„Mein Name ist Rondrian von Reiffenberg. Ich bin hier um Baron Ardo eine persönliche Nachricht meines Bruders Urion zu überbringen,“ sagte er mit lauter aber nicht schroffer Stimme. „Ist er zu sprechen? Es eilt und duldet keinen Aufschub.“

„Natürlich. Wenn Ihr mir bitte ins Arbeitszimmer folgen wollt. Seine Hochgeboren von Keilholtz wird erfreut sein Euch zu empfangen.“

Der Majordomus drehte sich auf den Hacken um und schritt Rondrian so schnell es seine Zwergenbeine zuließen voraus. Am Ende des Ganges ging es über eine Wendeltreppe einen Turm hinauf bis der Zwerg schließlich vor einer schweren Eichentür stehen blieb und mit dem Knauf seines Stabes dreimal gewichtig daran klopfte. Von drinnen erklang ein gedämpfter Ruf woraufhin er ohne weiteres Zögern die Klinke ergriff, die Tür aufschob und eintrat.

„Ugrimm! Was gibt es?“ Am schweren Arbeitstisch saßen sich Ardo und sein Vogt Phexian gegenüber. Diversen Pergamentrollen und ein schwerer Foliant lagen offen auf dem Tisch und schienen bis eben das Gesprächsthema gewesen zu sein.

„Ich bitte die Störung zu verzeihen Euer Hochgeboren, aber Ihr habt wichtigen Besuch. Ihro Gnaden von Reiffenberg wünscht umgehend ein Gespräch.“

„Wer? Ach, Rondrian! Willkommen auf der Kressenburg!“ Der Baron sprang sogleich auf um den Reiffenberger freudig zu begrüßen. Die ernste Miene des Geweihten ließ ihn jedoch innehalten. „Ist mit Urion und Renzi alles in Ordnung? Es wird doch den Kindern nichts zugestoßen sein.“

„Nichts dergleichen.“ Rondrian hob beschwichtigend die rechte Hand und trat näher. „Dennoch komme ich mit schlimmer Botschaft und dringlicher Bitte von Urion. Die Mark und das Reich sind in großer Gefahr.“

Mit wenigen Sätzen erklärte der Geweihte der Leuin den erstaunten Zuhörern was sich zugetragen hatte und was von ihnen erwartet wurde. Ardo schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf als könne oder wolle er das Gehörte nicht begreifen. Schließlich hatte Rondrian geendet und sah Baron und Vogt erwartungsvoll an. Der Keilholtzer wirkte noch immer wie vor den Kopf gestoßen und es bedurfte eines lauten Räusperns des Kieselholmers um ihn zu sich zu bringen.

„Ja was soll man dazu sagen? Der Meister der Mark ein Verräter an Greifenfurt und dem Reich. Das hätte ich ehrlich niemals erwartet. Wenn ich nur daran denke wie ich ihm gegenüber vor zwei Götterläufen den Lehnseid auf die Mark geleistet habe. Die Landwehren habe ich in seinem Namen geübt und nun wird er sie gegen das Reich verwenden. Und dazu Verräter in den Reihen meiner eigenen Familie! Praiossanctus, gib mir Kraft oh Götterfürst!“ Donnernd krachte Ardos Faust auf den massiven Eichentisch. „Das werde ich nicht zulassen!“

„Niemand bezweifelt deine Loyalität zur Greifin und zur Mark, ganz gleich welche Verfehlungen man anderen deiner Familie vorwerfen kann.“ Rondrian nahm den Eifer des jungen Barons mit einem Lächeln zur Kenntnis, beschwichtigte ihn jedoch sogleich. Gerechter Zorn mochte im Kampf hilfreich sein, aber bei den anstehenden Planungen hieß es einen kühlen Kopf zu bewahren um dem Verräter auch mit unterlegenen Kräften einen guten Kampf zu liefern. „Urion hat mich persönlich geschickt um dir das zu sagen und um dich an seine Seite zu bitten sobald es dir möglich ist. Der Bund des Garafan soll an der Seite der Markgräfin in den Kampf ziehen. Zusätzlich zieht mein Bruder alles an Reiterei zusammen was er in der Kürze der Zeit bekommen kann.“

„Natürlich werde ich sobald als möglich aufbrechen. Ginge es nur um mich würde ich sofort und durch die NAcht reiten und wäre morgen früh in Rosskuppe. Aber ich fürchte das hier bedarf größerer Vorbereitung.“ Der Baron überlegte wohl eine Minute lang und fing dann schließlich an Befehle zu geben.

„Ugrimm, geh in den Hof und schick die Pferdeknechte mit Nachricht zu meinen Vasallen. Kieselbronn, Praiostann, Immingen. Schicke auch nach meinen Großvater, er möge sich hier einfinden. So gern ich ihm das auf seine alten Tage ersparen würde, aber wir brauchen jedes Schwert. Sie sollen sofort alles stehen und liegen lassen und noch bis heute Nacht auf der der Kressenburg sein. Dann können wir morgen früh zu Urion reiten. Die restlichen Ritter werden heute Nachmittag mit dem Erztransport aus Sturmhöhe zurückerwartet. Außerdem soll die Landwehr ausgehoben werden. Die meisten kommen sowieso hier aus Kressenburg oder aus Tsanau selbst, aber einige werden von abgelegenen Höfen marschieren müssen. Sie sollen binnen zehn Tagen hier sein und werden dann von Phexian nach Greifenfurt gebracht.“ Mit einem Wink entließ er den Zwerg, der eilfertig davon stob.

„Phexian, du kümmerst dich auch um die Zusammenstellung des Trosses. Ich weiß, die Lager sind nach dem Winter fast leer, aber sieh zu, dass die Truppe gut versorgt ist. Leerer Bauch kämpft nicht gut. Was wir an zusätzlichen Wagen und Karren brauchen wird im Ort requiriert, zur Bespannung nimm die Rückpferde aus dem Forst.“ Mit einem schweren Seufzer blickte Ardo durch das Fenster auf das Land hinaus. „Wo wir bei den Pferden sind, ich werde wohl HIDALGO reiten müssen, den alten Warunker. Mein BOROMIL ist noch mit Mechthild auf dem Weg ins Bornland. Zudem habe ich weder meinen Pagen noch meine Knappin an der Seite. Ich werde wohl wieder beim Stadtkommandanten nachfragen müssen, ob ich mir Hamfast ausborgen kann. Und bei Gelegenheit kümmere ich mich um einen Zweitknappen.“ Mit einer entschlossenen Geste wischte er seine eigenen Bedenken beiseite. „Aber es sei wie es ist. Wir sollten schauen, dass wir weitere Unterstützung bekommen und die Nachbarn warnen, Eslamsroden voran. Praiossanctus, ich muss Greifwin Nachricht senden!“

Hier machte Rondrian eine Geste um ihm das Wort abzuschneiden. „Vielleicht solltest du das besser nicht tun Ardo. Wir wissen nicht wie vertrauenswürdig dieser Zweig deiner Familie ist. Immerhin ist der Finsterkammer einer der Anführer des Verrats. Du bist nur ins Vertrauen gezogen worden, weil du als Garafanist über jeden Zweifel erhaben bist und Urion dich persönlich sehr schätzt. Doch das gilt nicht für alle deine Anverwandten, so schmerzlich das für dich auch sein mag.“

„Greifwin mag mehr als ich auf seinen eigenen Vorteil bei allem bedacht sein, aber er stand immer loyal zur Mark!“ Erregt verteidigte Ardo seinen Vetter und musste sich zusammennehmen den Geweihten nicht ungebührlich anzubrüllen. Zähneknirschend gab er dann jedoch unter dem strengen Blick Rondrians nach. „Zugegeben, er wäre uns im Moment wohl auch keine große Hilfe. Er selbst ist mehr Krämer denn Ritter und seine Position als Baron ist nach wie vor so schwach, dass ihm abgesehen von seinen Geschwistern wohl keiner seiner Vasallen in den Kampf folgen würde. Doch ich fürchte die Entscheidung ihn nicht vor dem falschen Spiel des Nebelsteiners zu warnen, könnte meinen Vetter unwissentlich und ungewollt ins Lager der Verräter treiben.“

„Das ist ein Risiko welches wir eingehen müssen. Wichtiger als wirklich jeden einzelnen Streiter in unsere Reihen zu rufen ist es, den Verräter nicht eher als notwendig davon in Kenntnis zu setzen, dass seine Ränke aufgeflogen sind. Im Moment zieht er mit seinen Truppen vom Finsterkamm in Richtung Wildermark. Wir wissen nicht genau wo er gerade steckt, auch wenn Urion schon Meran auf dieses Problem angesetzt hat. Aber Tilldan schart auf seinem Weg sicherlich die ahnungslosen Vasallen der Greifin und die Landwehren um sich, was ihn Zeit kostet. So lange er sich unentdeckt glaubt, können wir ihn vielleicht noch stellen bevor er die Greifenfurter Gemarkungen verlässt. Ist er aber erst einmal aufgeschreckt wird er jedes weitere Zögern vermeiden und wir werden ihn nicht mehr aufhalten können.“

Ardo nickte einsichtig, wenngleich ihm der Gedanke Greifwin, Praiadne und ihre Brüder im Unwissen zu lassen trotzdem nicht gefiel. „Dann sollten wir trotzdem jene die wir gefahrlos erreichen können möglichst vollzählig unter dem Banner der Greifin versammeln. Zum Beispiel hat Urion Königsgau nicht bedacht. Die Mersingerin, wenn sie denn zugegen ist, aber auf jeden Fall die Königsgauer Junker und Ritter werden mit Sicherheit mit uns ziehen. Auerbach, Waldschatten, die Rübenhainer Ritter, sie alle könnten heute noch alarmiert werden und morgen mit uns nach Rosskuppe reiten.“

„Du hast Recht Ardo, der Gedanke ist uns nicht gekommen. Aber meine vorrangige Aufgabe war es dich zu warnen und an der Greifin Seite zu holen. Dabei bin ich wahrscheinlich sogar an einigen ihrer Höfe vorbeigeritten.“ Jetzt war es an Rondrian sich zu ärgern und er schlug mit Wucht seinen Armstumpf in die rechte Hand. „Du brauchst nicht noch einen Boten schicken, ich werde das auf dem Rückweg persönlich übernehmen und die Königsgauer Ritterschaft nach Niemith rufen. Dort werden wir uns euch anschließen wenn ihr morgen Mittag dort durchkommt. Hier ist alles gesagt und entschieden was ich wissen musste und ich werde es Urion getreulich berichten. Wir sehen uns dann morgen Abend auf dem Marstall.“ Er reichte Ardo und Phexian die Schwerthand und ging eben so schnell wie er gekommen war den Turm hinunter zu seinem Ross. Keine fünf Minuten später hörte man den Geweihten vom Hof traben.

Kressenburger Waffenschau

Kressenburg, Ende Phex 1034 BF

Seit mehr als zwanzig Götterläufen hatte man in dem Marktflecken Kressenburg nicht mehr so viele Bewaffnete auf einmal gesehen. Ein Dutzend Ritter aus der ganzen Baronie samt ihrem Gefolge tummelten sich auf dem Markplatz, und breiteten sich unter dem Banner Ardos darauf vor nach Hexenhain zu reiten.

Der verbitterte Junker Balduin, dessen Bogenschützen aus Kieselbronn einen sehr guten Ruf besaßen und der einst selbst ein begnadeter Bogenschütze gewesen war, bis Waldsteiner Marodeure ihm Anfang des Götterlaufs die Schildhand abgeschlagen hatten. Des Junkers jüngerer Bruder Kasimir und ihr Schwager Alwin, welche den Baron in den letzten Götterläufen schon oft bei anderen Gelegenheiten begleitet hatten. Der grimmige Ritter Wulfhart, der Vater des Barons und in Friedenszeiten Anführer der Kressenburger Ritterschar. Der strenge Ritter Braniborian, dessen praiosfrommer Blick keine Ungerechtigkeit und keinen Müßiggang duldete. Der beleibte Ritter Arnulf, in seiner Jugend ein begeisterter, wenn auch erfolgloser Tjoster, mit dreien seiner Töchter. Isolde, Bärlinde und Wolfhilde, die der alte Imminger selbst zu stolzen Ritterinnen ausgebildet hatte. Der fast greise Ritter Bernhelm, der sein kleines Gut am Rande des Reichsforstes seit beinahe vier mal zwölf Jahren durch allen Unbill der Zeiten seit Kaiser Reto führte. Der junge Eldwin, Gralshüter der Ritter von Korbronn, war ob seiner Aufregung vor dem ersten echten Waffengang seit seinem Ritterschlag wieder so nervös wie dereinst als Knappe. Zum ersten Mal seit dem Orkensturm sah man auch den betagten Vogt Phexian wieder in seiner alten Brünne hoch zu Ross, wenn er auch nur hier war um den Baron und die anderen zu verabschieden. Lediglich Junkerin Faralda fehlte, denn sie weilte mal wieder im fernen Süden, bei einem ihrer dubiosen Bekannten aus ihrer bewegten Jugend.

Zusammen mit ihren Pagen und Knappen bildeten sie eine Streitmacht, die jeden im Ort vor Ehrfurcht staunen ließ und auch dem Baron ging das Herz auf als er seine Vasallen zum ersten Mal vollzählig und kampfbereit versammelt sah. Noch wusste niemand hier worum es eigentlich ging und die meisten Bauern fürchteten sich vor einem erneuten Einfall der Schwarzpelze. Und so sammelte sich viel neugieriges Volk als Ardo vor die in einer Reihe auf dem Marktplatz vor dem Praios-Kloster aufgestellten Ritter ritt und mit lauter, weit tragender Stimme zu sprechen begann.

„Ihr tapferen Männer und Frauen Kressenburgs! Großes Unheil zieht über der stolzen Mark Greifenfurt herauf. Der Meister der Mark hat sich als schurkischer Verräter an Reich und Mark erwiesen. Er hat im Geheimen im ergebene Soldaten ausgehoben und ist nun drauf und dran das Land mit Feuer und Schwert zu überziehen. Seit dem Winter hielt er unseren Prinzen Edelbrecht und weitere treue Ritter auf einer Burg im Finsterkamm gefangen, weil sie seinen Ränken auf die Spur gekommen waren. Der Prinz und seine Getreuen konnten jedoch vor wenigen Tagen entkommen und haben uns eine Warnung geschickt. Der Verräter Tilldan aber schart zur Stunde bereits weitere Truppen um sich. Die Landwehren des Nordens und Ritter, so wie ihr, die von seinem Verrat noch nichts wissen und im Glauben wider die Wildermark zu ziehen vom Finsterkamm gen Süden marschieren. Noch wissen wir nicht was seine Ziel ist und wohin er seine Truppen lenken wird, aber eines ist gewiss: Dass wir uns ihm entgegenstellen werden und dabei keinen Fuß breit märkischen Boden preisgeben werden, auf Gedeih oder Verderben!“

In überraschte und erboste Gesichter blickend machte Ardo eine Pause um Luft zu schöpfen. In den Reihen der Bürger um ihn herum kam Unruhe und lautes Gemurmel auf. Seinen Vasallen und Untertanen diese schlechte Nachricht zu verkünden war ihm nicht leichtgefallen, doch war es seine Pflicht und Aufgabe als ihr Baron und Lehnsherr. Er war sehr froh darüber, dass er ihnen wenigstens einen kleinen Hoffnungsschimmer mit auf den Weg geben konnte und wandte sich bei den folgenden Worten nicht nur den Ritter vor ihm, sondern auch den Menschen um sich herum zu.

„Doch verzaget nicht, ihr tapferen Männer und Frauen Kressenburgs, denn es gibt Hoffnung! Wisset, dass in dieser verzweifelten Stunde, wo das Schild des Reiches zu wanken und zu weichen scheint, unsere geliebte Markgräfin nach langer Krankheit endlich zu uns zurückgekehrt ist!“

Lauter Jubel aus hunderten Kehlen unterbrach Rede des Kressenburger Barons, als Ritter und Bürger wie aus einem Mund ihrer Freude und Erleichterung Luft machten. Ardo musste einige Moment abwarten bis sich alle wieder soweit beruhigt hatten, dass man ihn über das allgemeine Gemurmel wieder hören konnte.

„Die Greifin höchst selbst steht an der Spitze der reichstreuen märkischen Truppen und ruft ihre Getreuen zum Kriegsrat! Zu dieser Stunde strömen Ritter und Bewaffnete wie wir herbei, dem Ruf der Greifin folgend. Unter ihrem Banner ziehen wir gegen den Verräter und mit der Götter Segen werden wir ihn niederwerfen!“

Noch lauter war das Gejohle als Ardo geendet hatte. Seiner Ritter schlugen die Schwerter an die Schilde als würde es just in diesem Moment in die Schlacht gehen. Er genoss den erhebenden Anblick seiner Gefolgsleute und gab ihnen dann das Zeichen sich marschbereit zu machen. Während die Ritter sich vorbereiteten, lenkte der Baron sein Pferd neben seinen Vogt, der ihn mit einem aufrichtigen Lächeln begrüßte. „Du verstehst es zu begeistern mein Junge.“

„Motivation ist so wichtig wie die reine Kampfkraft, das lernt man schnell in der Armee. Vor allem bei den öden Nachtwachen. Ich hoffe darauf, dass dieser Kampfeswille uns Stärke und Flügel verleiht. Denn Tilldan wird deutlich mehr Truppen um sich scharen können als wir und er ist uns einige Tage voraus.“ Ardos Miene zeigte Besorgnis und Unsicherheit ob der vor ihnen liegenden Aufgabe. „Wenn wir das Glück haben ihn noch auf märkischen Boden stellen zu können, werden wir Rondras ungeteilte Aufmerksamkeit und ihres ganzen Wohlwollens bedürfen, um den Reichsverräter auf offenem Feld schlagen zu können. Wir müssen darauf vertrauen, dass die Greifin seinen unwissenden Gefolgsleuten die Augen öffnet und sie auf unsere Seite zieht bevor es zum Kampf kommt. Aber die wahren Verräter werden sich wohl kaum kampflos unserer Gnade ergeben, dafür sind sie zu weit gegangen.“

Phexian nickte nachdenklich und sah dann die Straße hinab. „Also brecht ihr nun auf?“

„Das tun wir. Aber ich möchte dich noch einmal bitten die Landwehr so schnell wie möglich nach Greifenfurt zu führen. In neun Tagen sollen alle hier versammelt sein, am zwölften Tag erwarte ich euch in Greifenfurt. Sieh zu, dass der Tross bis dahin steht und ihr nur noch die Nachzügler ausrüsten müsst. Ich hätte die Landwehr gerne selber angeführt wo ich sie schon mondelang ausgebildet habe, aber muss einfach dabei sein wenn die weiteren Schritte entschieden werden. Allein um zu zeigen, dass nicht alle aus meiner Familie Verräter sind. Es ist schlimm genug, dass der Finsterkammer sich als ein solcher erwiesen hat. Deswegen kann ich nicht auf die Landwehr warten.“

„Und ich nehme an diese Ehre wird mir zuteil, weil ich jeden Kressenburger seit Geburt und mit Namen kenne, wie es manches Mal hinter meinen Rücken gesagt wird?“

„Genau.“ Unwillkürlich musste Ardo lächeln. Natürlich kannte Phexian diese Sprüche, auch wenn ihm dies nie jemand ins Gesicht gesagt hätte. So gut wie nichts in Kressenburg blieb dem tüchtigen Vogt verborgen. Manchmal war dem Keilholtzer das fast unheimlich. „Dich kennen die Leute und du bist ihnen seit vielen Götterläufen ein vertrautes Gesicht. So entsteht am wenigsten Unruhe, denn wenn die erste Euphorie in ein paar Stunden verflogen ist, werden bei den Leuten die alten Sorgen wieder aufbrechen. Bring die Truppe vollzählig zur Stadt, damit wir unsere Pflicht für die Mark erfüllen können.“

„Wohlan, dann reite mit meinem Segen Junge. Wir kommen so schnell es geht hinterher.“

Ardo nickte seinen ehemaligen Schwertvater dankbar zu, schwenkte sein Pferd scharf um und setzte sich neben Junker Balduin an die Spitze seiner Ritterschar. Alle senkten die Köpfe für ein letztes Gebet vor dem Praios-Kloster, von dessen Stufen aus Prätor Badilak ihnen Praios’ Segen mit auf den Weg gab. Dann ritten der Baron und seine Getreuen unter dem Jubel der Städter an und folgten dem Verlauf der Hauptsraße den Berg hinab. Hinter den Knappen und Pagen reihte sich Bruder Praiomel ein, den der Kressenburger Lichthüter den Ausziehenden als seelischen Beistand im Feld mitgegeben hatte. Bis zum Stadttor rannten ihnen die Kinder nach und im Zwergenviertel säumten viele Angroschim den Weg um ihnen zuzuprosten. Hinter dem Stadttor bog die Gruppe auf die Straße nach Greifenfurt ein und schon nach wenigen Minuten waren die Ritter hinter der nächsten Hügelkuppe verschwunden.

Die Dorfbewohner aber machten sich nach und nach auf und gingen in ihre Handwerksstuben oder auf die Äcker. Krieg hin oder her, Sensen mussten geschmiedet, Tische gehobelt, Schuhe besohlt und die Felder bestellt werden, bevor in ein paar Tagen die kräftigsten Männer und Frauen für den Baron in den Kampf zogen. Aber so war es schon immer gewesen, ob gegen den Ork, falsche Kaiser oder den schrecklichen Feind im Osten.

Die Kressenburger kommen

Edlengut Rosskuppe, Ende Phex 1034 BF

Die sich nähernde Reitertruppe war durchaus beeindruckend. Wohl zwei Dutzend Ritter und ihr Gefolge ritten in Zweierreihe von Donfanger kommend auf das Gut Rosskuppe zu. Die Panzer und Kettenhemden spiegelten sich im Schein der untergehenden Abendsonne und ab und an sah man eine Lanzenspitze aufblitzen.

Die Neuankömmlinge waren schon lange bevor sie in Sichtweite des Edlengutes gekommen waren von einem umherstreifenden Pferdeknechte entdeckt und gemeldet worden. Nur auf die Wappen hatte der Junge in seiner Aufregung nicht geachtet. Inzwischen war alles auf dem Gut in Alarmbereitschaft versetzt worden, denn es waren unruhige Zeiten und kaum jemand konnte sich dieser Tage über Freund und Feind wirklich sicher sein. Auf der letzten Hügelkuppe vor Gut Rosskuppe hielt der Tross an, denn die Reiter schienen das hektisch geordnete Durcheinander welches sie verursacht hatten bemerkt zu haben. Einer der beiden Reiter an der Spitze schien einen Befehl zu rufen, woraufhin ihm aus den hinteren Reihen eine Stange mit einem großen Banner gebracht wurde. Sorgsam entrollte der Ritter die Fahne und bugsierte die Stange dann in seine Stiefelschaft um sie auf dem Pferd besser handhaben zu können, bevor alle ihre Pferde wieder in Trab versetzten. Über dem Reiter an der Spitze strahlte nun im rötlichen Schein der letzten Sonnenstrahlen auf dunkelgrünem Grund ein Amboss unter zwei gekreuzten Schmiedehämmern in Gold.

Erleichtert lächelnd blickte Urion zu seiner Frau, die mit ihm auf der Wehrmauer stand. „Die Kressenburger kommen!“

Eine starke Truppe

Edlengut Rosskuppe, Ende Phex 1034 BF

Urion gab den Schützen und Speerträgern Befehl wegzutreten und stürmte dann zum schweren Eichentor, das langsam von den Wachen aufgezogen wurde. Er saß auf sein Schlachtross auf und trieb es vorwärts, den Reitern entgegen.

„Bei Rondra, Ardo von Keilholtz, noch nie war ich froher dein Banner wehen zu sehen. Ich grüße auch Euch ihr Edlen der Mark, die Ihr der Greifin Ruf so treu gefolgt seid.“ Er verneigte sich leicht im Sattel und wies in Richtung der untergehenden Praiosscheibe. „Lasst uns zum Marstall reiten. Mein Verwalter wird euch Euer Quartier zuweisen, die Knappen könne die Zelte gleich seitlich vom Tor aufbauen.“

Während die ganze Kavallkade gen Efferd einschwenkte gesellte sich auch Renzi zu ihnen und begrüßte Ardo und die Ritter freundlich.

„Es ist gut, dass du so schnell kommen konntest Ardo, spätestens übermorgen erwarte ich die restlichen Landwehren aus dem Süden und in drei Tagen sollte auch die Greifin hier sein. Meine Späher sind in der ganzen nördlichen Breitenau unterwegs und überwachen jeden Weg. Dazu kommen noch Fußpatrouillen und Jagdtrupps. Einer davon hat deine Annäherung bemerkt und uns gewarnt. Ich freue mich, dass du gleich die schwere Kavallerie zusammengezogen hast. Eine solch starke Truppe werden wir brauchen, denn nach meiner Analyse sind wir dem Verräter weit unterlegen. Sag, was konntest du in der Kürze der Zeit noch alles mobilisieren?“

„Rondrian hat zur Eile gemahnt, also habe ich alles stehen und liegen lassen um zu dir zu eilen.“ Mit ein wenig Stolz zeigte er auf die Reitertruppe hinter ihnen. „Neben der Kressenburger Ritternschaft habe ich noch ein halbes Dutzend aus Königsgau mitgebracht. Die Pfalzgräfin hat sie meinem Befehl unterstellt, zumindest bis ich sie den Truppen der Greifin zu geführt habe, denn die Mersingerin ist keine Frau des Schwertes und wird in Niemith bleiben. Allerdings hat sie zugesagt eine größere Lieferung für die Versorgung von Tross und Truppen zusammenzustellen. Ansonsten wird vor allem noch die Landwehr zu uns stoßen, die Königsgauer und in Greifenfurt meine Kressenburger. Mein Vogt wird sie zur Stadt führen wenn alle Kämpfer beisammen sind.“

„Das ist mehr als ich erwartet habe. Ich hoffe nur, dass Phexian sich mit den Truppen nicht zu früh vor Greifenfurt blicken lässt. Reto und ein paar Getreue sind in der Stadt und ein Banner Langschwerter. Reto ist sich sicher, dass sie auf unsere Seite kommen. Ferner hat der Meister der Mark überall seine Informanten. Er soll so spät wie möglich von unseren Absichten erfahren. Meran ist bereits unterwegs um ihn auszuspähen. Wenn es sein muss auch mittels Magie. Du kennst sie ja.“

„Dann werde ich Phexian noch einmal Nachricht schicken, dass er mit der Landwehr in Tsanau warten soll, bis wir aufbrechen. Ich hoffe Meran findet den Verräter schnell genug, damit wir noch rechtzeitig verhindern können, was immer er auch planen mag.“

Sie hatten den Marstall erreicht und Ardo konnte beiderseits des großen Eichentores viele bunte Zelte erkennen. Überall brannten Lagerfeuer an denen vereinzelt Männer und Frauen herumstanden. Gleich neben dem Tor stand ein großer Leiterwagen, an dem die Mägde des Marstalls aus großen Kupferkesseln Suppe Ausgaben.

Als sie den Innhof erreicht hatten hob Urion die Hand und wandte sich der Rittern zu. „Ardo, ihr edlen Herren und Damen ich bitte Euch mir in die große Halle zu folgen. Ich werden allen Edlen die neusten Informationen geben und dann müssen wir unser Vorgehen in den nächsten Tagen beraten. Wenn die Greifin hier eintrifft, muss alles marschbereit sein.“

Der Keilholtzer gab den Reitern das Zeichen abzusitzen. Die Zügel wurden den Pagen und Knappen übergeben, die die Tiere wegführten, während die Ritter Urion und Renzi folgend das Haus betraten.

Kressenburger Stadtgeflüster

Praios’ Wille

Praios 1034 BF, Markt Kressenburg

„Was soll das heißen der Baron ist nicht anwesend?“ Der Lichthüter wäre fast von seinem Stuhl aufgesprungen, bewahrte jedoch im letzten Moment die Fassung. Gerade gegenüber dem Vogt wusste er, dass er sich keine Blöße geben durfte. Aber er wartete nun schon seit Wochen darauf dieses Gespräch zu führen und jedes Mal war der junge Keilholtz wegen irgendeines fadenscheinigen Grundes nicht zu sprechen. „Gestern bei den Praiostagsfeierlichkeiten war er sehr wohl zugegen. Wo bitte ist er denn abgeblieben?“

„Verzeiht das Ungemach Ehrwürden, doch Seine Hochgeboren ist auf dem Weg nach Hundsgrab. Er folgt einer Einladung des Junkers von Pechackern und dem praiosgefälligen Bund des Garafan, in dessen Reihen er dorten aufgenommen werden soll.“ Phexian ließ sich mit keiner Regung anmerken, wie sehr ihn die Unwissenheit des obersten Praios-Geweihten Kressenburgs belustigte. Auch, dass Badilak von Praiostann nun bereits zum dritten Mal umsonst vorstellig geworden war schien dem alten Vogt ein ausgesprochen amüsanter Schachzug Phexens zu sein und er konnte es sich nicht verkneifen Salz in die Wunde zu streuen. „Hernach wird Seine Hochgeboren in Eslamsroden weilen wo er im Auftrag des Meisters der Mark die Ausbildung der Landwehren leitet. Wenn Ihr ihn also noch vor der Ernte sprechen möchtet, so müsstet Ihr Euch nach Broien bemühen.“

„Ich werde nichts dergleichen tun!“ Wütend fuhr die Faust des Geweihten auf den Tisch. „Bin ich denn ein Laufbursche? Wenn Seine Hochgeboren nicht zu sprechen ist, dann werdet eben Ihr Euch anhören was ich zu sagen habe. Immerhin seit Ihr der Vertreter und habt als Vogt alle Vollmachten. Oder hat der junge Keilholtz Euch etwa an die kurze Leine genommen?“ Ein herausforderndes Glitzern trat in seine Augen.

Phexian erwiderte den Blick ruhig und äußerlich gelassen, aber die unterschwellige Beleidigung durch den Praiostann wurmte ihn. „Seid versichert Ehrwürden, dass ich in Abwesenheit des Barons weiterhin die volle Entscheidungsgewalt habe um die Baronie zu Praios’ Wohlgefallen zu führen. Was immer Ihr Seiner Hochgeboren zu sagen habt könnt Ihr mir anvertrauen und ich werde es ihm getreulich weitergeben.“

„Schön, sehr schön.“ Badilak strich sich das Gewand zurecht, das durch seinen kleinen Ausbruch ein paar unerwünschte Falten geworfen hatte. „Ich habe nämlich in den letzten Monden mehr und mehr den Eindruck gewonnen, dass es um die Gunst und das Wohlgefallen des Götterfürsten hinsichtlich Kressenburgs nicht sonderlich gut bestellt ist. Diesen Zustand halte ich für untragbar und verlange, dass dem Abhilfe geschaffen wird.“

„Darf ich erfahren, wodurch sich Eurer Eindruck gefestigt hat, dass Herr Praios mit uns unzufrieden ist?“ Phexians Stimme war vorsichtig, fast lauernd..

„Es ist doch ganz offensichtlich!“ Der Prätor stand erneut kurz vor einem Ausbruch, weil der alte Kieselholmer ihm offensichtlich nicht folgen konnte. Oder wollte, was er bei einem Spross dieser von Praios verlassenen Familie eher annahm. „Wenn Ihr die Zeichen nicht erkennt, was wahrscheinlich von einem einfachen Mann auch zu viel verlangt ist, so will ich sie Euch nennen.“ Wieder beobachtete er genau wie seine Spitze auf den Vogt wirkte. Vielleicht war es sogar besser, dass der junge Baron nicht anwesend war, so konnte er den Kieselholmer endlich einmal in seine Schranken weisen.

Phexian bemühte sich um Ruhe. In ihm brodelte es, doch nach außen strahlte er nichts als interessierte Gelassenheit aus. „Ich bitte darum, Ehrwürden. Erleuchtet mich.“

„Ich werde mich bemühen, auch wenn ich da wenig Hoffnung hege.“ Badilak verzog die Lippen zu einem Hohnlächeln. Die Wortwahl seines Gegenüber machte ihm deutlich, dass seine Kritik an der Lehensführung wohlgetroffen hatte. „Nehmen wir als erstes die Umtriebe der Druiden, welche zudem ihren Ursprung in Eurer Familie haben, zumindest teilweise.“ Wieder weidete sich der Prätor einen Moment am Unwillen des Vogtes der die Lippen fest aufeinander presste um keine ungehörige Erwiderung zu geben. „Zwar haben ich, mit ein wenig Hilfe durch den Baron und Eurer Anverwandten, einen dieser Schwarzmagier im letzten Götterlauf unschädlich machen können, doch ist uns auch einer vom Scheiterhaufen entwischt und das wäre ihm ohne Hilfe weiterer Schwarzkünstler nicht möglich gewesen. Ohne jeden Zweifel streunen sie noch immer in den Wäldern herum und warten nur auf die nächste Gelegenheit uns götterfürchtigen Menschen zu schaden.“

Der Lichthüter machte eine Pause um Phexian Gelegenheit zu geben sich über die Anschuldigungen und Andeutungen wider seine Familie zu beschweren, doch der Vogt setzte sich nur bequemer hin, da er erwartete noch eine längere Liste zu hören zu bekommen. „Bitte fahrt fort Ehrwürden, ich bin ganz Ohr.“

„Wie Ihr wünscht. Eine Sache an die ich Euch wohl kaum erinnern brauche ist die Situation in Immingen. Es ist keine zwölf Götterläufe her, als der Namenlose selbst dorten der Entfesselung durch seine Anhänger gefährlich nahe war. Ich bin mir bewusst, dass sich die Draconiter diesem Ort angenommen haben. Aber unter ihnen sind auch Magier, die ich für denkbar ungeeignet halte sich an solch einem Ort der Versuchung aufzuhalten. Zumal ich das Problem für einen solchen Orden mit begrenzten Mitteln und weitläufigen Zielsetzungen für nicht dauerhaft lösbar halte.“ Badilak machte keinen Hehl aus seiner geringen Meinung. Seine Stimme troff förmlich vor Überheblichkeit. „Ich bin mir sicher, dass sie bald das Interesse an Immingen verloren haben werden und uns mit diesem ungelösten Problem zurücklassen.“

„Die Brüder und Schwestern haben uns bisher sehr geholfen, Ehrwürden. Ihren Einsatz als Fehlschlag herabzuwürdigen käme mir anmaßend vor. Zumal es seit dem zweiten Angriff keine weiteren Vorfälle mehr gegeben hat.“ Phexian war ehrlich erstaunt, dass der Praiostanner den Hesinde-Geweihten eine Lösung des Problems nicht zutraute. Es war offensichtlich, dass es den Praioten ärgerte, dass der Imminger damals nicht die Kirche des Götterfürsten zur Hilfe gerufen hatte.

„Der nächste kritische Punkt ist die stete Ausweitung der Wildermark“, fuhr der Prätor erbost über den Widerspruch fort. „Inzwischen kommen die Verbrecher auch zu uns nach Kressenburg, obgleich wir abgelegen und weit weg scheinen. Erst im letzten Rahja wurde wie Ihr wisst eine Band Rauschkraut-Schmuggler gestellt und gerichtet. Hierbei hat Seine Hochgeboren zwar beeindruckende Entscheidungsfreudigkeit gezeigt, doch bin ich besorgt über sein Rechtsverständnis und die Selbstverständlichkeit mit der er sich bei der Aburteilung des Hagenbronners über gängige Rechtspraktiken hinweggesetzt hat. Ich fürchte um seine Seele wenn er sich in solche Nähe zum Herren der Rache begibt.“

„Ardo hat völlig korrekt gehandelt und der Meister der Mark hat sein Urteil bestätigt! Zudem wurde sämtliches Schmuggelgut Euch überstellt um eine zukünftige Verwendung zu unterbinden.“ Der Vogt nahm sich mit Mühe zurück. Die Anschuldigungen waren natürlich haltlos, da Ardo in den Augen aller auf die es ankam richtig gehandelt hatte. Selbst die Praios-Kirche hatte den Vorfall bisher kommentarlos abgenickt. Des Prätors jetziger Vorstoß war in seinen Augen eine unerhörte Eigenmächtigkeit.

Badilak indes lächelte. Hier also war der wunde Punkt des alten Mannes. Die Vorwürfe gegen sich und seine Familie kannte er und wusste sie einzuordnen aber einen Angriff auf seinen ehemaligen Knappen schien er nicht so kaltblütig hinnehmen zu können.

„Ob das Handeln des Barons vor Praios’ Augen korrekt war kann weder der Meister der Mark noch dieser Laienorden in den Seine Hochgeboren nun wohl als Belohnung für sein Handeln aufgenommen werden soll wirklich beurteilen. Die Kirche des Götterfürsten hält sich indes eine abschließende Beurteilung noch vor, aber ich will nicht in Abrede stellen, dass der Baron im Glauben, das Beste für die Mark zu tun, gehandelt hat. Gleichwohl“, sprach er mahnend den Finger hebend weiter, „müssen wir bedenken und beobachten welche Folgen seine Taten auf die Einigkeit nicht in der Mark sondern im Reich haben. Denn ich bezweifle, dass gerade die Waldsteiner der Rechtsauffassung seiner Hochgeboren und des Meisters der Mark folgen werden. Hier ist Zwietracht gesät wo wir sie nicht gebrauchen können, dräut uns im Osten doch ein größerer Feind.“

Wieder nahm der Vogt das Gehörte wortlos in sich auf. Widerworte, hatte er erkannt, fruchteten beim Lichthüter nicht, so begründet sie auch waren. Der Prätor war mit einem klaren Ziel hierher gekommen und Phexian wartete ungeduldig darauf, wann sein Gesprächspartner den eigentlichen Grund seines Kommens offenbaren würde.

„Zudem ist mir zu Ohren gekommen“, wechselte Badilak scheinbar zusammenhanglos das Thema, “dass Seine Hochgeboren nach seiner Belehnung vollmundig versprochen hat dem Götterfürsten seinen Dank auszudrücken. Ein Fest zu seinen Ehren wollte er ausrichten, doch habe ich bisher weder von eine Feier gehört, noch habe ich Vorbereitungen dazu wahrgenommen. Das lässt mich befürchten, dass der Baron seine Versprechen und Verpflichtungen Praios gegenüber nicht sonderlich ernst nimmt oder aber nicht in der Lage ist diese zu erfüllen.“

Phexian schwieg zuerst weiter, doch dann wurde offensichtlich, dass der Prätor nun eine Erwiderung erwartete. Der Vogt zögerte, denn die Beweggründe Badilaks waren ihm nicht gänzlich offenbar. Der Lichthüter wollte etwas von Ardo, etwas Großes und Wichtiges. Aber was?

„Ihr seid also hier um den Baron daran zu erinnern, dass er dem Götterfürsten noch ein Festmahl schuldig ist?“

„Wenn man es so will“, meinte Badilak listig, „ist ein Fest tatsächlich Teil dessen was Praios von Seiner Hochgeboren erwartet. Denn was wäre eine Tempelweihe ohne eine angemessene Feier?“

„Ein Tempel?“, fragte Phexian ungläubig. Der Vogt glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können. „Einen neuen Tempel für den Götterfürsten? Aber warum? Euer Kloster ist doch jetzt schon das größte Götterhaus in Kressenburg. Und wie glaubt Ihr sollen wir das bezahlen? Die Baronie wirft kaum genug ab um alle die darin wohnen zu ernähren und die vorhandenen Tempel und Schreine zu unterhalten. Euer Fest könnt Ihr meinethalben haben, aber wir können keinen Tempelneubau stemmen ohne Kressenburg auf Generationen zu ruinieren.“

„Baut meinem Herren ein neues Haus, damit sein Name und jedes Gebet an ihn wieder mit Ehrfurcht gesprochen wird! Wie Ihr das anstellt ist mir völlig gleichgültig, Kieselholm.“ Badilaks Stimme war kalt wie Eis. „Aber Praios wird sich angesichts der Zustände in diesen Landen nicht mit weniger zufrieden geben als ich in seinem Namen verlangt habe.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem fast diabolischen Lächeln als er sich zum Gehen erhob. „Sagt dem jungen Keilholtz, es sei eine jener Questen denen er anscheinend so gerne nachjagt, dann ist er vielleicht zugänglicher wenn Ihr ihm Praios Wunsch mitteilt. Sollten die Belange des Götterfürsten aber weiterhin so sträflich missachtet werden, könnt Ihr Euch sicher sein, dass die Kirche die Fähigkeit des Barons, und auch Euer Urteilsvermögen in dieser Sache, einer eingehenderen Untersuchung unterziehen wird.“

„Ich nehme Euch beim Wort Ehrwürden.“ Phexian hatte sich schnell gefangen und seine Stimme war so nüchtern und berechnend wie immer wenn er ein Geschäft abschloss. Nachdem der Praiostanner seine höfliche Maske hatte fallen lassen und die unverhohlene Drohung in den Raum gestellt hatte war ihm klar, dass sein Schützling diesmal ein Problem hatte vor dem er nicht einfach zum nächsten Turnier davon reiten oder zu seinen Freunden flüchten konnte.

„Das solltet Ihr auch! Praios mit Euch.“

Mit diesem kurzen Gruß wandte sich der Lichthüter zur Tür und ließ den verhassten Vogt allein zurück.

Efferds Ungemach

Ende Efferd 1034 BF, Burg Kressenburg

Ardos Blicke schweiften sorgenvoll den Burgberg hinab bis vor die Tore des Ortes, dem praioswärts große Felder vorgelagert waren. Im trüben Licht der Morgensonne sah er dutzende Bauern die damit beschäftigt waren die vom Sturm niedergedrückten Ähren aufzulesen um zu retten was noch zu retten war. Allein sie waren zu langsam. Von Osten her näherten sich bereits die nächsten regenschweren Wolkenbänke. Wohl ein halbes Stundenglas mochte ihnen noch bleiben, bevor die nächsten Regengüsse bevorstanden.

"Man möchte meinen die Hexe aus Eslamsroden hat ihre Hände hier im Spiel." Grimmig drehte der Baron sich zu Phexian um, der wie immer hinter seinem Arbeitstisch saß und noch die Schäden notierte die man bei der morgendlichen Begehung der Felder festgestellt hatte.

"Hüte dich davor die Diener der Zwölfe zu beleidigen mein Junge!" Mahnend hob der alte Vogt den Zeigefinger wie er es zu Ardos Knappenzeiten stets getan hatte. "Gleichwohl kann ich nicht umhin zu gestehen, dass mir der Gedanke auch schon kam. Dein Vetter Greifwin schreibt, dass die Unwetter in Eslamsroden noch viel heftiger gewütet haben als bei uns. Bedenke allerdings auch, dass diese Wolken aus dem Osten kommen. Wer von uns mag schon wissen, welche Mächte sie erst aufgehalten haben um sie nun mit aller Macht zu uns zu treiben. Aber der Launische kann auch einfach Lust gehabt haben seine Gaben besonders reichlich auf unsere Ländereien zu ergießen, nachdem er uns zuvor vernachlässigt hat."

"Den ganzen Rondra war es heiß und trocken wie in der Khom und jetzt ertrinken wir wenn wir mit offenem Mund zu lange gen Alveran schauen! Das kann doch kein Zufall sein. Ausgerechnet zur Ernte!" Die Stimme des jungen Barons klang verzweifelt, wenn er seinen Miene auch gut genug unter Kontrolle hatte um dort keine Spur davon sichtbar werden zu lassen. "Wenn wir doch nur ein paar Wochen eher angefangen hätten zu ernten. Dann hätte man das Meiste retten können."

"Du weißt genau, warum wir das nicht getan haben, Ardo. Das Korn war völlig ausgedorrt und hat noch ein wenig Regen gebraucht. Dass der nun gleich so reich kommt, dass es die Felder wegspült, damit konnte keiner rechnen. Außerdem waren viele der jungen Mädels und Burschen noch bei dir im Landwehrlager als die Stürme anfingen. Hättest du sie ein paar Tage weniger gedrillt und eher heim geschickt, hätte man eher anfangen können das Korn von den Feldern zu holen."

"Mache mir deswegen keine Vorwürfe, Phexian. Ich habe lediglich die Befehle des Meisters der Mark ausgeführt. Ja, ich habe die Zeit ausgereizt: Aber es ist meine Aufgabe die südlichen Landwehren bis zum Frühjahr in bestmöglicher Verfassung zu haben und bei Praios, diese Aufgabe werde ich erfüllen!."

"Gemach mein Junge. Es sollte keine Schuldzuweisung sein, denn auch du hast ja nicht wissen können welches Ausmaß diese Regenfälle haben würden. Es macht ohnehin wenig Sinn vergossener Milch nachzutrauern. Lass uns lieber überlegen, wie wir mit den zu erwartenden Ernteausfällen zurecht kommen."

Ardo setzte sich endlich auf den Hocker seinem Vogt gegenüber und drehte leicht den Hals um die für ihn auf dem Kopf stehenden Zahlen leichter lesen zu können. "Soweit ich heute früh auf dem Feld gesehen habe und dem hier entnehme, sollten sich die Verluste bisher in einem erträglichen Rahmen bewegen. Unsere größte Sorge ist wohl, dass uns das Korn wegen des vielen Regens auf den Feldern vergammelt wenn wir es länger stehen lassen."

"Ja, selbst wenn es sofort aufhören würde zu regnen, so ist die Erde doch so durchgeweicht und nass, dass es Tage dauern würde bis die Felder wieder trocken sind. Bis dahin ist längst alles angeschimmelt. Was wir nicht in den nächsten zwei Tagen von den Feldern holen können ist für uns verloren und kann genausougt untergepflügt werden."

"Zwei Tage sind aber zu wenig, oder? Selbst wenn ich alle Zwerge und Bergleute aus den Minen und Schmieden und die Köhler von ihren Meilern weghole und die Nächte durcharbeiten lasse, so werden wir doch nicht alles retten können." Resignierend ließ der Baron die Schultern sinken.

"So ist es. Ich gehe davon aus, dass wir etwa ein Viertel der Ernte verlieren werden. Das bedeutet, dass wir wieder einmal zukaufen müssen. Allerdings dürften die Preise gesalzen sein, denn in den anderen Baronien sieht es ja kaum besser aus. Dazu kommt, dass wir im kommenden Praios ein größeres Fest ausrichten wollen wenn du dich erinnern magst." Phexian wusste, dass der Baron nur ungerne an den bevorstehenden Traviabund dachte, sah sich aber gezwungen ihn jetzt doch einmal auf die anstehenden Kosten hinzuweisen. "Und Greifwin hat es noch härter erwischt als uns. Er wird es also ebenfalls schwer haben seinen Teil zu den Feierlichkeiten beizutragen. Vielleicht haben die Hexenhainer etwas mehr Glück gehabt, dann kannst du das neue Abkommen mit Gerbald gleich einmal nutzen. Ein erneuter Besuch beim Svellter wäre mir sehr ungenehm, aber wohl notwendig, wenn der Reiffenberger nichts entbehren kann."

Der Keilholtzer ignorierte die zur Sprache gebrachte Hochzeit geflissentlich und richtet seinen Zorn gegen den Greifenfurter Kaufmann. "Ich wette dieser Aasgeier hat bereits seine Lakaien losgejagt um von Beldenhag bis Zalgo die Ernteüberschüsse zu guten Preisen aufzukaufen, um sie uns dann für den doppelten Preis anzubieten. Dieser Pfeffersack macht mich noch wahnsinnig!" Wütend schlug Ardo mit der Faust auf den massiven Eichentisch, musste aber gleich erkennen, dass er damit nichts erreichte, als dass ihm die Hand schmerzte.

"Du dürftest mit deiner Einschätzung durchaus Recht haben, mein Junge. Eventuell müssen wir uns deshalb überlegen, ob wir uns nicht auch über die Mark hinaus nach Einkaufsmöglichkeiten umschauen. In Waldstein gab es noch nie viel zu holen, aber der Kosch ist nicht so weit weg und auch deine Verbindungen nach Weiden könnten sich hier vielleicht einmal als nützlich erweisen. Ich werde sehen was sich anderweitig machen lässt. Es wurmt mich genau wie dich, dass wir gegen den Svellter und seine Praktiken keine Handhabe besitzen. Absprachen wie zwischen dir und Greifwin oder Gerbald sind im Moment unser einziger Schutz dagegen. Wir sollten ernsthaft überlegen auch mit den anderen Baronen solche Abmachungen zu treffen."

"Das mit Greifwin und Gerbald funktioniert doch bloß, weil wir Dinge haben die sie brauchen können. In Quastenbroich, Hasenfeld oder Königsgau bräuchte ich dagegen mit Holz und Kohle gar nicht erst ankommen. Außerdem kann ich die Preise vom Svellter bei weitem nicht mitgehen. Mit Eslamsroden und Hexenhain habe ich Absprachen unter Freunden getroffen, aber mit den anderen verbindet mich nichts. Warum sollten sie also auf gutes Geld verzichten?"

"Natürlich verbindet euch etwas!" Phexian war ernshaft aufgebracht über die Mutlosigkeit seines ehemaligen Knappen. "Ihr seid allesamt von Stand und Barone. Was mehr braucht es um gegen eine Krämerseele wie den Svellter zusammenzustehen?"

"Offensichtlich braucht es mehr", gab Ardo zurück, "denn bisher kocht jeder sein eigenes Süppchen. Ich gebe zu, dass spielt den Pfeffersäcken natürlich in die Karten. Zumal es teils wenig Gemeinsamkeiten und auch einige Antipatien im märkischen Adel gibt. Wir sind nicht so einig wie wir es sein sollten um ein starkes Schild des Reiches zu sein und zu bleiben."

"Dann sollte man etwas an dieser Situation ändern, meinst du nicht auch?"

"Doch wo willst du anfangen..."

Lautes Prasseln unterbrach den Baron, der sich erschrocken zum noch immer geöffneten Fenster umsah. Taubeneigroße Hagelkörner schlugen gegen den Fenstersims und die hölzernen Fensterläden und als er ans Fenster trat um es zu schließen, sah er seine Bauern in Eile von den Feldern in ihre Hütten flüchten, die Arme zum Schutz über den Köpfen verschränkt.

"Praiossanctus, steh uns bei oh Götterfürst," flüsterte er leise ohne seinen Blick von dem Schauspiel abwenden zu können. Erst als ihn ein Hagelkorn schmerzhaft an der Schläfe traf, schloss er die Läden und trat zurück an den Tisch.

Phexian hatte unterdessen mit unbewegter Miene weitere Zahlen notiert und sah seinen Baron nun mit unergründlichem Blick an. "Hatte ich gesagt wir verlieren ein Viertel der Ernte?" Ardo nickte nur stumm. "Rechne lieber mit der Hälfte mein Junge."

Angroschs Wunsch

Kressenburg; Firun 1034 BF

In der Schänke „Weinerlichen Wildsau“ trafen sich sonst immer viele Kressenburger, Menschen wie Zwerge, um den Abend nach getaner Arbeit bei einem Humpen Zwergenbier ausklingen zu lassen. Doch an diesem Abend hatte die Wirtin Orlescha alle menschlichen Gäste abgewiesen und vom kleinen Volk waren sowieso nur jene gekommen die eingeladen waren. Nun saßen die Ältesten der Zwerge Kressenburgs versammelt um einen Tisch am Herdfeuer. Neben Orlescha saß ihr inzwischen weißbärtiger Gatte Durac, das Oberhaupt der Kressenburger Zwerge, danach ihrer beider Söhne. Der hitzige Angarimm, hiesiger Geweihter des Angrosch, und der bedächtige Angarosch, Duracs designierter Nachfolger und sein Stellvertreter in den Minen von Sturmhöhe. Hinzu kamen die drei angesehensten Schmiedemeister der Sippe, eine Zwergin unter ihnen, allesamt mit grauen Haaren. Zum ersten Mal zu solch einer Besprechung geladen war der stämmige Ugrimm, der sonst auf der Burg des Barons seinen Dienst tat und seinen stets wohl gepflegten braunen Bart zu diesem Anlass ganz besonders kunstvoll geflochten hatte. Nadescha, die junge Tochter des Hauses, die noch auf ihre Feuerprobe wartete, vertrat ihre Mutter hinter dem Tresen und sorgte unauffällig für steten Nachschub für die vom Reden trockenen Kehlen.

„Wie kommst du aber darauf, dass der Baron deine Bitte auch nur in Erwägung ziehen könnte, Angarimm.“ Durac hatte seine Frage vorsichtig formuliert um seinen Sohn nicht zu einem seiner berüchtigten Zornesausbrüche zu reizen. Dem alten Zwerg stand heute der Sinn nach ruhiger Rede und nicht nach unnützer Diskussion. „Warum sollte er Sturmhöhe als Binge anerkennen?“

„Weil die Mine doch im Grunde sowieso uns gehört!“ Der Geweihte war mit einer in seinen Augen zündenden Idee zu dem Treffen gekommen, war aber von den bedächtigen Meinungen und Ratschlägen der Ältesten enttäuscht worden. Doch noch hatte er nicht aufgegeben sie überzeugen zu wollen. „Ohne uns würde es die Mine gar nicht geben! Ohne uns könnte das Erz dort nicht gewonnen werden! Ohne uns würde der Baron davon leben müssen seine kümmerlichen Bäume zu fällen! Und ohnehin kommt alles Erz von Angrosch und gehört somit von Rechts wegen uns, seinen Kindern,“ fügte er fast verbockt hinzu und verschränkte die Arme vor der Brust.

Durac lächelte milde. Fern der Koscher Bergheimat geboren und aufgewachsen, hatte sein Ältester immer schon sehr konservative Auffassungen vertreten, die er nicht zuletzt von seinem Lehrmeister, dem vor über zwei Jahrzehnten verstorbenen alten Angrosch-Geweihten, übernommen hatte. Doch Angarimms Meinung nicht ungefährlich, vor allem da er großen Einfluss auf die jungen Zwerge Kressenburgs besaß. Das Zwergenoberhaupt hatte gehofft, dass sein Sohn der nun im besten Alter war, mit den Jahren besonnener werden würde, aber noch immer loderte Angroschs Flamme so heiß in Angarimm dass sie immer wieder ausbrach. Anders dagegen war der Zwillingsbruder Angarosch geraten, der schon in der Jugend stets der Bedächtigere von den beiden gewesen war. Durac sah, dass dem Zweitgeborenen eine Antwort auf der Zunge lag und trat ihm mit einem Nicken das Recht zu sprechen ab.

„Mein lieber Bruder“, fing Angarosch auch sofort an zu reden, „ich fürchte du siehst die Angelegenheit in einer sehr erzzwergischen Perspektive.“

„Was willst du damit sagen?“ Angarimm sprang wütend von seinem Stuhl und stand auf, was ihn zwar nicht wirklich größer erscheinen ließ, aber doch deutlich machte, dass er kurz davor war zu explodieren.

„Gemach mein Bruder, ich bitte dich.“ Beschwichtigend hob Angarosch die Hände. Im nächsten Moment tauchte Nadescha am Tisch auf und hatte im Nu je einen frischen Humpen Schwarzbier vor dem erregten Geweihten und allen anderen auf den Tisch gestellt. Mit einem schelmischen Zwinkern in Richtung Angaroschs verschwand sie wieder hinter den Tresen und tat unbeteiligt. Angarosch verbarg ein anerkennendes Lächeln in seinem Bart und griff nach dem Bier. „Auf Angrosch!“

„Auf Angrosch,“ stimmten alle mit ein und auch der aufgebracht Angarimm kam nicht umhin einen Zug zu nehmen. Als alle ihr Bier wieder abgestellt hatten und ihn ansahen war im die Situation unangenehm und ersetzte sich schnell wieder. „So sprich denn, Bruder Angarosch. Was gibt es an meiner Idee auszusetzen?“

„Niemand will bestreiten, dass tatsächlich alles Erz von Angrosch geschaffen wurde und wir, seine Kinder, es am Besten verstehen damit zu arbeiten. Doch es gibt Verträge, von unserem Hochkönig Greifax erst vor wenigen Generationen mit den Menschen ausgehandelt, und an jene haben wir uns zu halten bis ein neuer Hochkönig anderes beschließt. Alles andere setzt uns ins Unrecht. Außerdem,“ fuhr er schnell fort um einer Erwiderung seines Bruders zuvor zu kommen, „können wir uns einen solchen Schritt schlicht nicht leisten. Wir können den Baron weder dazu zwingen uns die Rechte einer Binge einzuräumen, noch können wir es uns erlauben den Baron zu verärgern indem wir dies wider dem Recht einfordern. So weise es von Baron Ulfried damals gewesen ist unsere Sippe mit dem Abbau des hiesigen Erzes zu beauftragen, so leicht kann uns der jetzige Baron auch wieder die Tür weisen.“

„Aber das würde er doch niemals tun!“, entrüstete sich der Geweihte sofort. „Ardo ist zwar noch ein Kind, aber er ist nicht so dumm diesen Schritt zu gehen. Zumal er mit Phexian einen Berater hat, der einen durchaus annehmbaren Bart vorweisen kann.“

„Natürlich wird Baron Ardo das nicht tun. Warum sollte er auch? Bisher haben wir ihm keinen Grund dazu gegeben und Kressenburg verdient gut am Handel mit unseren Erzeugnissen. Sogar so gut, dass er die Transporte der Waren nach Greifenfurt und Eslamsroden von seinen Rittern beschützen lässt.“ Jetzt aber erhob Angarosch mahnend den linken Zeigefinger. „Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass das Erz das wir schürfen und verhütten von Rechts wegen dem Baron gehört. Auch ist er es, der den Vertrag über die Kupferlieferungen aus Schnayttach in den Händen hält und es auf seinen Karren heranschafft. Er ist es der uns die Erze und die Kohle für unsere Essen preiswert zur Verfügung stellt. Er ist es, der unsere Werke zu guten garantierten Preisen abnimmt und dann das ganze Risiko des Weiterverkaufs trägt. Ihm obliegt es durchzusetzen, dass wir in seinen Landen den gleichen Schutz und die Rechte wie die Menschen genießen. All das hat unser Vater mit den verschiedenen Baronen seit dem Weisen Ulfried ausgehandelt.“

Angarimm fuhr sich nachdenklich durch den Bart und dachte über die Worte seines jüngeren Zwillingsbruders nach. Je länger er nachdachte desto mehr wuchs sein Verständnis und desto mehr schwand sein Zorn. „Ich verstehe was du meinst, mein Bruder Angarosch. All das was unsere Sippe in den letzten zweihundertfünfzig Jahren gewonnen hat, könnte von einem Tag auf den nächsten ein eingestürzter Stollen sein.“

Anerkennend nickte der alte Durac und tauschte mit seiner Frau ein zufriedenes Lächeln. „Du siehst, mein Junge, manchmal muss man hinterfragen ob das was man sich wünscht wirklich das ist was man will, auch wenn es der Wunsch Angroschs ist. Trotzdem stimme ich dir zu, dass uns Angroschim, nach allem was wir für die Kressenburger Barone getan haben, noch mehr Wertschätzung zustünde. Allerdings müssen wir vorsichtig sein, denn Ulfrieds Geschlecht ist nicht länger Herr über diese Lande. Phexian schätzt uns und auch der junge Ardo weiß was er an uns hat. Dennoch müssen wir uns das uneingeschränkte Wohlwollen, dass wir unter Ulfrieds Kindeskindern genossen haben bei ihnen erst noch verdienen.“

„Warum in Angroschs Namen sollten wir uns bei den Menschen anbiedern, selbst wenn sie in dieser Gegend über uns herrschen?“ Angrimm verzog vor Abscheu die Lippen. „Wir sind niemandes Diener!“

„Das weiß ich, mein Junge. Doch halte ich es für klüger und einfacher sie dazu zu bringen aus freien Stücken etwas für uns zu tun, als sie darum zu bitten oder etwas einzufordern. Wenn unsere Belange ihnen am Herzen liegen, werden sie von sich aus anfangen in unserem Sinne zu handeln.“

„Das soll funktionieren?“ Angarimm war mehr als skeptisch. “Und was hast du eigentlich im Sinn?“

„Von unserem Bruder Ugrimm hier weiß ich, dass der junge Baron gerade in großen finanziellen Nöten steckt. Phexian wälzt jeden Tag stundenlang die Rechnungsbücher und scheint doch keine Lösung zu finden. Also denke ich, dass es an der Zeit ist ihnen ein wenig unter die Arme zu greifen.“

„Du willst ihnen unser Gold geben?“

Durac nickte bedächtig. „Natürlich nicht alles und auch nur geliehen. Aber wir werden ihnen dazu einen guten Zins anbieten. Ein Angebot das sie nicht ablehnen können, wenn sie sich nicht in Greifenfurt verschulden wollen. Uns ist letztlich selbst damit geholfen wenn die Baronie liquide bleibt, denn wenn der Baron seinen Verpflichtungen nicht nachkommen und die Handelsverträge zum Beispiel mit Schnayttach nicht mehr erfüllen kann, dann leiden auch wir darunter. So investieren wir kurzzeitig etwas Geld und sichern damit langfristig unser Auskommen.“

„Aber was ist, wenn Baron Ardo uns das Geld nicht zurückzahlen kann?“

„Die Schuld bleibt bestehen, so oder so. Bekommen wir das Gold nicht zurück, so verbleiben er und seine Kinder in unserer Schuld, immer in der Gefahr, dass wir darauf bestehen könnten es einzufordern. Abgesehen davon wäre der kleine Verlust zu verschmerzen, wenn wir dafür auch in Zukunft ungestört unsere Gewinne aus dem Handel mit den Baronen ziehen können. Was auch immer passieren wird, wir haben Zeit und können es aussitzen.“

"Ich sehe, du scheinst an alles gedacht zu haben, Vater. Was du und Angarosch sagen kann tatsächlich funktionieren. Wann willst du ihnen den Vorschlag unterbreiten? Baron Ardo ist ja zur Zeit in Eslamsroden."

"Ugrimm, du hast die Lage in der Burg am besten im Blick. Wann denkst du wäe ein guter Zeitpunkt ihnen unser Angebot zu unterbreiten?"

Der angesprochene strich sich etwas nervös über die Zöpfe im Bart. Ihm war nicht ganz wohl dabei solch delikate Informationen seiner Dienstherren weiterzugeben. Aber schließlich siegten seine Loyalität zur Sippe und das Wissen, dass Kressenburg der Gold der Zwerge dringend brauchte über seine Zweifel. "Zögert nicht mehr lange wenn ihr euch nun dazu entschlossen habt es zu tun, denn verzweifelter kann die Lage kaum noch werden. Es fehlt nicht mehr viel um Phexian zum scheinbar letzte Nagel greifen zu lassen und er sich ande Svellter wendet. Die nächste schlechte Nachricht kann der Tropfen sein der den Stollen zum Überlaufen bringt."

"Dann ist es entschieden. Angrimm, Angarosch, wir drei statten morgen früh den jungen Phexian einen Besuch ab."

Unter dem allgemeinen zusimmenden Gemurmel brachte Nadescha für alle neues Bier mit dem sogleich auf den Ratsschluss angestoßen und die Entscheidung besiegelt wurde.

Firuns Grimm

Burg Kressenburg, Firun 1034 BF

Phexian saß über das alte Rechnungsbuch gebeugt und raufte sich die ergrauten Haare. Eine Geste der wachsenden Sorge die er sich nur gestattete, wenn er sicher war, dass ihn niemand beobachtete. Es musste ja keiner wissen, dass auch dem selbstsicheren Vogt von Kressenburg ab und an die Probleme über den Kopf zu wachsen schienen. Solange die Menschen und Zwerge darauf vertrauen konnten, dass er alles richten würde, solange trugen sie die Last der täglichen Prüfungen leichter und leisteten bessere Arbeit. Nichtsdestotrotz hatte der Kieselholmer schwer an den Nachrichten zu nagen die ihn erreichten.

Nach der verregneten Ernte war es ihm gelungen mit Gerbald von Hexenhain einen Vertrag über die Lieferung günstigen Getreides abzuschließen. Die für Kressenburg so verheerenden Regenfälle, hatten sich westlich der Breite soweit abgeschwächt, dass sie dort der erwartete segensreiche Guss nach heißen Wochen gewesen waren. Hier war es ihm gelungen dem Svellter ein Schnippchen zu schlagen, hatte er doch über einen Freund aus Greifenfurt erfahren, dass der gierige Ratsherr die gute Hexenhainer Ernte komplett hatte aufkaufen wollen. So hatte der heftige Herbstregen Kressenburg zwar noch immer eine Stange Geld gekostet, aber wenigstens hatte er sie nicht gänzlich ruiniert.

Allerdings sah es nun so aus, als wollte Herr Firun vollenden, was seinem Bruder Efferd nicht gelungen war. Schon seit Ende Boron hatte der frostige Atem des Winters Kressenburg fest im Griff und ohne ein Kohlebecken hätte es Phexian keine Viertelstunde in dem zugigen Turmzimmer ausgehalten. Die Bäche waren längst mit einer dicken Eisschicht überzogen die selbst voll beladene Lastkarren trug und alle Brunnen, ja selbst die Fischteiche in Kieselbronn waren bis auf den Grund zugefroren. In einigen Weilern waren bereits Menschen erfroren, vor allem Alte und die kleinsten Kinder. ‚Die Erfahrung und die Zukunft der Baronie’, wie Phexian sich in einem traurigen Moment dachte.

Schlimmer noch erging es aber dem Vieh. In Praiostann war mehr als die Hälfte der Schafe erfroren. Zwar wünschte der alte Vogt den erklärten Widersachern seiner Familie selten etwas Gutes, aber dieser Verlust schwächte die gesamte Wirtschaft der Baronie ungemein. Auch auf der Kressenburg war man von der plötzlichen Kälte überrascht worden, so dass in einer Nacht sämtliche Hühner der Burg auf ihren Stangen erfroren waren. Aus allen Dörfern hatte er solche Meldungen erhalten, mal mehr, mal weniger schlimm. Vor dem Winter hatten die Bauern wie immer alle überzähligen und schwachen Tiere geschlachtet von denen sie wussten, dass sie sie nicht über den Winter bringen würden. Doch nun starben auch die jungen und gesunden Tiere, die im kommenden Frühjahr für neue Kälber, Ferkel und Lämmer hatten sorgen sollen.

Das füllte für den Moment die Speisekammern und versprach ein fettes Frühjahr, doch Phexian graute vor dem nächsten Herbst, wenn es kaum Schlachtvieh geben würde. Man würde Schlachtvieh dazukaufen müssen, mindestens in diesem und wohl auch im nächsten Jahr. Es würde ein paar Götterläufe dauern, bis die eigenen Bestände sich erholt hätten und er konnte nur hoffen in Hexenhain oder bei einem der anderen Nachbarn einen ähnlich guten Handel wie mit dem Getreide abschließen zu können. Doch damit wollte der vorsichtige Vogt lieber nicht rechnen und so suchte er bereits jetzt nach Möglichkeiten die Ersparnisse der Baronie über den Sommer aufzustocken. Dummerweise wartete im Praios noch immer das Traviafest des Barons, das man ebenfalls in einem würdigen Rahmen begehen musste, wollte man die Nachbarn auf die man jetzt angewiesen war nicht verprellen.

Ein halbes Stundenglas später war Phexian noch immer zu keiner Lösung gekommen. So ungern er es einsah, aber Gold ließ sich nun einmal nicht von Alveran herabzaubern. Ein stilles Gebet zu Phex sprechend legte er die Schreibfeder beiseite und schloss für einen Moment die müden Augen. Ein lautes Pochen an der Tür, einem Hammer gleich, schreckte ihn auf.

„Ja bitte?“

Sofort wurde geöffnet der Vogt erkannte sogleich, warum das Klopfen die massive Tür zum Wanken gebracht hatte. Drei stämmige Zwerge traten in die Kammer, welche plötzlich viel kleiner erschien, und sammelten sich um das Feuer.

„Väterchen Durac, Euer Gnaden Angarimm, werter Angarosch.“ Müde fuhr sich der alte Mann mit der Hand über das Gesicht, bevor er eine einladende Geste zu den Hockern machte. „Was kann ich für euch tun?“

Durac, Sohn des Dugramm setzte sich mit einem verschmitzten Lächeln, während seine Söhne mit verschlossenen Mienen neben ihm stehen blieben. „Die Frage ist nicht was du für uns tun kannst mein lieber Junge, sondern was wir für Kressenburg tun können.“

Golgaris Ernte

6. Ingerimm 1034 BF, Hasenfeld

Der Abend legte sich über das Schlachtfeld am Stein in Hasenfeld. Überall hörte man das Krächzen der allgegenwärtigen Raben. Den schmerzenden Schildarm schützend vor der Brust haltend stand Ardo bei den Toten die man bereits für die Beerdigung aufgereiht hatte. Noch immer wurde alle paar Minuten ein weiterer Körper dazugelegt, denn nicht jeder tödlich Verwundete kam in die Gnade eines schnellen Todes.

Direkt vor ihm lagen in zwei Reihen jene, welche in den Farben Kressenburgs in die Schlacht wider den verräterischen Meister der Mark gezogen waren. Fünfzig Männer und Frauen, Pinkeniere und Bogenschützen hatte der Baron ins Feld geführt, drei Dutzend von ihnen sollten ihm nun nicht wieder in die Heimat folgen, sondern in der Erde Hasenfelds ihre letzte Ruhe finden, gemeinsam mit hunderten anderen Landwehrkämpfern aus der ganzen Mark.

Hinter dem jungen Keilholtzer hatte man indes die zu Golgari gegangenen Edlen der Markgrafschaft, sowie der zu Hilfe geeilten Koscher und Weidener aufgebahrt. Mit den Baronsfamilien von Hundsgrab und Hasenfeld waren in den erbitterten Kämpfen zwei bedeutende Adelsgeschlechter komplett ausgelöscht worden.

Mehr als das bekümmerten Ardo jedoch die persönlichen Verluste. Mit Junker Balduin hatte er einen guten Vertrauten und treuen Gefolgsmann verloren, dessen Platz schwer wieder auszufüllen war. Zumal er seinem Vogt und Schwertvater den Verlust eines Neffen und seiner Knappin bei ihrer Rückkehr den Tod ihres Onkels würde beibringen müssen. Der Baron war froh, dass das Mädchen den von Schwarzpelzen in Stücke gehackten Leichnam nicht würde sehen müssen.

Schlimmer noch traf ihn aber der Tod seines eigenen Großvaters. Bernhelm von Keilholtz war trotz seines hohen Alters ohne zu zaudern und zu klagen auf sein altes Schlachtross gestiegen und war an der Seite seines Sohnes und seines Enkels in die Schlachtreihen der Verräter eingebrochen. Ausgerechnet die Lanze eines Anverwandten hatte dem langen Leben des Ritters dabei ein jähes wenn auch Rondra gefälliges Ende bereitet. Ardo würde den Toten persönlich zur Neuen Gerbaldslohe begleiten und dafür Sorge tragen, dass er auf dem kleinen Boronsanger des Gutes bestattet wurde, dessen Herr er fast vier mal zwölf Götterläufe gewesen war.

Bevor es soweit war, würden die Überlebenden jedoch ihre Wunden lecken müssen. Die wenigstens überlebenden Teilnehmer der Schlacht waren ohne ernsthafte Verletzungen davon gekommen. Die anwesenden Peraine-Geweihten würden in den nächsten Tagen alle Hände voll zu tun haben, wenn ihre schweigsamen Brüder und Schwestern im Dienste Borons nicht noch mehr Arbeit bekommen sollten.

Nach einer Weile hörte der Keilholtzer hinter sich Schritte. Als er sich umsah erkannte er seinen Vetter Greifwin, der wohl wieder einmal Phex auf seiner Seite gehabt haben musste. Ardo sah nicht einen Riss oder Schramme an der Kleidung des Eslamsrodeners, obschon wusste, dass dieser sich mit im dichtesten Kampfgetümmel befunden hatte.

„Zwei Orks auf einen Streich mein lieber Greifwin. Ein wahrhaft unvergesslicher Schlag. Zu schade, dass nicht mehr überlebt haben um davon zu berichten. Dein Schlachtenruhm würde dich sonst zum ersten Kämpfer des Reiches machen. Wer weiß ob nicht gar Haffax vor dir zittern würde.“

„Vielen Dank für die Blumen. Du weißt sehr gut, dass ich auf solchen Ruhm bestens verzichten kann, mein lieber Ardo. Nichts wäre mir lieber als in Ruhe auf Weidensee zu sitzen und Praios einen guten Mann sein zu lassen. Aber wie du siehst ist uns beiden diese Art der Ruhe nicht vergönnt.“ Greifwin brachte ein schiefes Lächeln zustande, war jedoch offensichtlich nicht in der Stimmung die düstere Lage mit Scherzen aufzuhellen. „Ich habe dich auch nicht gesucht um mit Schlachtenruhm zu prahlen. Dafür hätte ich hinüber zum Fest der Greifin gehen können. Nein mein Vetter, ich möchte gerne etwas, nun nennen wir es Geschäftliches, mit dir besprechen.“

„Jeder scheint im Angesicht des Todes Geschäfte machen zu wollen. Urion kann auf seinem Krankenlager kaum den Kopf heben aber redet von nichts als den Pferden die er von mir haben will.“ Der Kressenburger schüttelte den Kopf und sah ein letztes Mal auf die Toten seiner Landwehr. Er wollte sie und ihr Opfer nicht vergessen, wenigstens das war er ihnen schuldig. „Wenn es denn sein muss. Du findest mich in meinem Zelt“ Abrupt drehte Ardo auf den Hacken um und ließ Greifwin in der Dämmerung zwischen den Toten alleine stehen. Er hörte nicht, dass der Eslamsrodener Baron im folgte, aber war sich sicher, dass er nicht lange würde auf ihn warten müssen.

Rahjas Flüstern

An seine Wohlgeboren Urion von Reiffenberg, Rittmeister des Markgräflichen Marstalls, Baronet zu Hexenhain, Edler zu Rosskuppe

Lieber Urion,

ich lade dich, Renzi und die Kinder ganz herzlich ein, Gäste bei der Schließung meines Traviabundes am 16. Praios in Kressenburg zu sein. Die Feierlichkeiten werden bereits am 15. Praios mit einer großen Tjost beginnen, bei der ich auf rege Beteiligung hoffe.

Wie wir vor einigen Wochen besprochen haben, entsende ich dir die sechs Fohlen des letzten Jahrgangs, welche von meinem BOROMIL und den Svellttaler Stuten meines Forstes abstammen. Sie sind soweit ich es beurteilen kann gesund und kräftig und werden für deine Zwecke hoffentlich geeignet sein. Bitte gib die vereinbarten fünfzehn Dukaten pro Tier meinem Ritter, der die Tiere und diesen Brief bei dir abliefern wird.

Die Zwölfe mit dir!

Gegeben am 30. Ingerimm 1034 BF

Ardo von Keilholtz ä.H. Baron zu Kressenburg

Phexens Anteil

14. Rahja 1034 BF, Burg Kressenburg

Seit etwa einem Stundenglas saß Phexian zusammen mit dem Sekretär des Kressenburger Lichthüters in seinem Turmzimmer. Um völlig frei und offen reden zu können, hatte der Vogt gegen seine Gewohnheit den Riegel vor die schwere Eichentür geschoben und den Bediensteten durch den Haushofmeister das Betreten des Turms bis zum Ende der Unterredung untersagen lassen. Er war sich sicher, dass der treue Zwerg dafür Sorge tragen würde, dass auch die neugierigste Magd seinen Anweisungen Folge leistete.

„Mein lieber Praiomel. Du bist dir doch im Klaren darüber, dass wir die Forderungen des Praiostann nicht werden erfüllen können. Weder in diesem, noch im nächsten Götterlauf haben wir nur im Ansatz die Dukaten übrig um ernsthaft über den Bau eines Tempels nachdenken zu können.“

„Das sieht der Lichthüter aber gänzlich anders, lieber Vater. Er weiß von dem Kredit den die Zwerge dir gegeben haben und der Verkauf der Fohlen an den Marstall ist ihm auch nicht entgangen. Da musst du nicht staunen, er ist weder dumm noch blind und bekommt von den Tempelgängern Praiostags vieles zugetragen. Badilak muss also davon ausgehen, dass du nur so im Geld schwimmst.“

„Du scheinst zu vergessen, dass es nicht mein Geld ist von dem wir reden. Ich bin bloß der Verwalter der Kressenburger Lande, auch wenn ich für Ardo alles Finanzielle und die allgemeine Verwaltung des Lehens regele. Der Junge hat einfach noch zu viele Flausen im Kopf, mag auch die eine oder andere kluge Idee darin schlummert.“

„Trotzdem oder eben darum bist du es aber letztlich der entscheidet und weiß wo das Geld hingeht. Ardo hört auf deinen Rat und lässt dir freie Hand, wenn er in einigen Dingen auch seinen eigenen Kopf hat.“

„Wir haben also festgestellt, dass weder Badilak noch ich dumm sind und keiner dem anderen etwas vormachen kann.“ Verschnupft wechselte der Vogt das Thema. „Willst du mir dann vielleicht einmal verraten, warum der Praiostann so versessen auf diesen Tempel ist? Das Kloster am Fuße der Burg ist doch sowieso schon das größte Götterhaus der Baronie. Warum noch ein Praios-Tempel und noch dazu in diesen Dimensionen die dem Lichthüter vorschweben? Ist er so sehr darauf erpicht sich ein Denkmal zu setzen? Oder legt er es bewusst darauf an Kressenburg zu ruinieren um mein Lebenswerk am Ende meiner Tage doch noch zu zerstören?“

„Weder das eine noch das andere, Vater. So sehr Badilak unsere Familie und dich im speziellen auch verachten mag, der Prätor würde sich niemals derartig in die Nähe des Herrn der Rache begeben. Ganz im Gegenteil ist er davon überzeugt, und darin unterstütze ich ihn aus vollem Herzen, dass er damit ein Werk zum Wohlgefallen des Herrn Praios vollbringt.“

Misstrauisch sah Phexian seinen Sohn an. Bisher hatte er sich der Loyalität und Objektivität seines Jüngsten immer sicher sein können, doch die fixe Idee des Kressenburger Prätor wider alle Vernunft auch noch zu verteidigen ließ ihn an Praiomels gesunden verstand zweifeln.

„Was um Deres Willen soll es denn bitte bringen einen Tempel zu bauen der im Moment nicht einmal geweiht und dementsprechend nicht für den Zweck, für den er gebaut würde, genutzt werden kann?“

„Aber gerade das ist doch der Kern des Ganzen.“ Praiomel war fast euphorisch als er die Pläne des Lichthüters erklärte. „Prätor Badilak hat sich der Quanionsqueste verschrieben. Nur ist er der Meinung, dass all das Suchen nach Praios’ ewigem Licht auf Dere keinen Erfolg haben wird bis nicht der Götterfürst selbst es uns sendet.“

„Darin kann ich Badilak sogar einmal zustimmen. Diese sogenannten Abenteurer und Glücksritter verschwenden Zeit und Mühen wo sie sicherlich alle etwas Nützliches tun könnten. Doch was hat der Tempel damit zu tun.“

„Der Prätor ist davon überzeugt, dass wir die Gnade des Götterfürsten verloren haben und sie uns erst wieder verdienen müssen. Es ist eine Prüfung unseres Glaubens und Badilak will lein Zeichen setzen! Für den Götterfürsten, aber auch für all jene die in diesen dunklen Tagen zweifeln und wanken mögen. Das Volk braucht nach den schweren Prüfungen der letzten Götterläufe und auch in Anbetracht dessen was uns noch erwartet in erster Linie Hoffnung. Nur Herzen in denen Hoffnung lebt sind wahrhaft stark.“

Phexian fürchtete noch immer ein wenig um Praiomels Geisteszustand, aber langsam begann er zu verstehen was den Lichthüter so verbissen vorantrieb. Der Glaube war sicherlich eine starke Kraft und es mochte sein, dass dieses Schwert in der letzten Zeit nicht genug geschärft worden war. Trotzdem konnte er bloß resignierend die Schultern heben als er antwortete.

„Nun gut. Nehmen wir einmal an wir würden diesen Tempel bauen wollen. Wir können es uns schlicht nicht leisten. Was auch immer Badilak glaubt, der Kredit der Zwerge und der Erlös der verkauften Fohlen reichen gerade so aus um Ardos Traviafeierlichkeiten zu begleichen und uns einigermaßen unbesorgt über den Sommer kommen zu lassen. Trotzdem wartet ein Hungerwinter auf uns, denn es gibt nach dem letzten harten Winter bei weitem nicht genügend Schlachtvieh. Wir werden bis ins nächste Jahr auf Getreide aus Hexenhain angewiesen sein um unser täglich Brot backen zu können. Mancher kann sich trotz der moderaten Preise nicht einmal mehr das leisten und im Forst nehmen die Fälle der Wilderei merklich zu. Was die Kressenburger im Moment vor allem brauchen ist Nahrung. Ein neuer Tempel kann später noch immer gebaut werden.“

„Ich glaube das ist ein Trugschluss werter Vater.“ Praiomel widersprach mit dem Brustton der Überzeugung. „Gerade jetzt müssen wir ein Zeichen setzen. Das Vertrauen der Leute in die Obrigkeit ist nach dem Verrat des Nebelsteiners schwer erschüttert. Man freut sich zwar über die Rückkehr der Greifin, aber bei vielen halten sich hartnäckig Gerüchte, sie wäre noch immer nicht klar im Kopf, vielleicht gar besessen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Menschen anfangen die Ordnung der Dinge zu hinterfragen! Deswegen muss dieser Tempel für den Götterfürsten so bald als möglich gebaut werden, ob er dann geweiht werden kann oder nicht. Aber er wird das Zeichen der Hoffnung sein welches das einfache Volk braucht! Egal was es kostet!“

„Du denkst also, um dem Götterfürsten einen Tempel zu errichten wäre es angebracht sich mit dem schlimmsten Vertreter des Herrn der Gier auf Dere einzulassen?“

„Niemand redet davon, dass du zum Svellter gehen sollst. Wie gesagt, Badilaks Zeil ist es nicht Kressenburg zu ruinieren und es würde ihn sicherlich nicht glücklich machen, wenn sein Versuch die Ordnung zu unterstützen ein finanzielles Chaos anrichten würde. Doch ich glaube ich habe einen Weg gefunden das alles unter einen Hut zu bringen.“

„Du?“ Ungläubig zog Phexian die Augenbrauen nach oben. „Ohne dich gering schätzen zu wollen mein Sohn, aber ich beiße mir seit fast einem Götterlauf die Zähne daran aus wie ich Kressenburg vor dem Ruin bewahren soll. Alles was ich finde sind Tropfen auf den heißen Stein die uns immer nur von Mond zu Mond retten, immer in der Hoffnung, dass unsere großen Projekte endlich Früchte tragen. Wie kommt es, dass ausgerechnet du jetzt eine Lösung haben willst.“

Praiomel lächelte schelmisch. Er nahm dem Vogt seine Worte nicht krumm, wusste er doch, dass er mit einem der gewieftesten Händler versiertesten Verwalter der Mark sprach.

„Was uns retten wird Vater, ist nicht nur der reine Glaube, sondern vor allem die Gesetze. Solche des Reiches und solche der Mark. Ich habe die letzten Jahre kaum etwas anderes getan als Gesetzestexte und Verträge zu lesen um dem Lichthüter mit gutem Rat zur Seite stehen zu können. Alles was wir brauchen ist das Wohlwollen der Markgräfin, und Ardo hat bei ihr ja soweit ich informiert bin einen dicken Stein im Brett. Die Greifin ist der Schlüssel zu allem!“

Travias Heim

Tanz und Gesang schienen kein Ende nehmen zu wollen in dieser Nacht. Die ganze Burg war von Fackeln erleuchtet und an mehr als einer Stelle hörte man Lautenspiel und Gesang. Im großen Saal, der bei weitem nicht ausreichte um die zahlreiche Gästeschar auf einmal zu beherbergen hatten sich Familie und enge Freunde des Brautpaares eingefunden. Praiodane tanzte ein ums andere Mal ausgelassen mit ihren Brüdern, während Ardo im Kreise der Garafanisten gefeiert wurde. Von der verlustreichen Schlacht am Stein nur zwei Monde zuvor sprach keiner, doch merkte man es einem jeden Anwesenden an, dass dieser Anlass zu Ausgelassenheit und Freude hochwillkommen war.

Die Greifin stand indes Arm in Arm mit ihrem Gatten zwischen den Feiernden und hatte für jeden der Anwesenden ein freundliches Wort. Schließlich ließ sie sich aber zu einem Platz am Rande des Raumes geleiten, während Edelbrecht sich unter die Garafanisten mischte.

„Werter Ardo, entschuldigt wenn ich diese traute Runde stören muss, doch hättet Ihr die Güte mir einen Augenblick zu folgen? Meine Gemahlin wünscht Euch auf ein Wort zu sprechen.“

Der junge Baron war wenig überrascht. Eigentlich hatte er schon seit der Ankunft der Markgräfin mit diesem Gespräch gerechnet. Dass es erst so spät erfolgte machte ihm ein wenig Sorge. Hatte seine Lehnsherrin bewusst Rücksicht auf ihn nehmen wollen um die Feierlichkeiten nicht zu stören? Immerhin hatte er seine Baronie in kurzer Zeit ziemlich heruntergewirtschaftet, wenn auch kaum aus eigenem Verschulden. Er wusste um den Hilfsgesuch den Phexian der Greifin in seinem Namen unterbreitet hatte. Hatte er vielleicht zu viel gewagt seine letzte Hoffnung in die Markgräfin zu setzen? Ardo warf einen Blick zu Praiadne. Seine junge Frau lachte glücklich mit ihren Brüdern und wusste noch nichts über die Dimensionen die Kressenburgs Schulden bald annehmen würden wenn sie keine Hilfe bekamen. Ihr Anblick wärmte ihm das Herz. Was auch immer kommen würde, Ardo fühlte sich gewappnet. Mit einem energischen Nicken trat er aus der Runde der Garafanisten heraus und folgte Prinz Edelbrecht.

„Euer Erlaucht.“ Ardo verneigte sich artig, wenn auch ein wenig steif vor seiner Lehnsherrin. „Ihr habt nach mir rufen lassen.“

Seine Förmlichkeit schien die Markgräfin zu amüsieren. Sie schenkte dem Baron ein warmes Lächeln und deutete auf den Hocker ihr gegenüber. „Nehmt bitte Platz werter Ardo. Unser Gespräch wird ein wenig länger werden und ich möchte Euch unter keinen Umständen zu sehr ermüden. Immerhin wartet Eure Braut noch auf Euch.“

Der Keilholtzer errötete leicht, kam der Aufforderung jedoch ohne zu zögern nach. Der Prinz stellte sich indes an die Seite seiner Frau und hielt den Blick diskret auf die Feiernden gerichtet, so als ginge ihn das folgende Gespräch nicht das Geringste an.

„Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden.“ Stimme und Mimik der Greifin wurden sogleich eine Spur ernster. „Mit dem Euch anvertrauten Lehen steht es nicht zum Besten werter Ardo und damit kann ich nicht zufrieden sein. Die Zeilen die Euer Vogt mir schrieb lassen tief blicken und werfen kein gutes Licht auf Eure Lehensführung. Obschon der gute Phexian Euch zu schützen trachtete, entnehme ich dem Schreiben trotzdem, dass Ihr Euch in aller Hast verkalkuliert habt und nun meiner Hilfe bedürft. Ist dem so?“

Mit festem und offenem Blick sah Ardo die Markgräfin an. Er hatte mit dieser Art der Anschuldigungen gerechnet und wusste wie er als praiosfürchtiger Mann von Stand darauf zu antworten hatte. Die Zeit der Ausflüchte war endgültig vorbei. „Ja, Euer Erlaucht. Ich habe die Situation zu verantworten. Wider dem besseren Rat meines erfahrenen Vogtes, der mich zu Zeiten gemahnte Maß zu halten und Sicherheiten anzulegen, habe ich ein aufs andere begonnen ohne abzuwarten ob es den Ertrag bringt den ich mir davon versprochen habe. Ich habe mir in meinem Bemühen die Mark zu schützen Feinde gemacht wo es vielleicht nicht notwendig gewesen wäre und damit wahrscheinlich mehr geschadet als genützt. Nun bin ich in dem Punkt angelangt, dass allein die Gunst meiner Freunde und die Gnade meiner Lehnsherrin mich noch aus meiner prekären Lage befreien können. Denn allein mit den Mitteln die mir in Kressenburg noch zur Verfügung stehen, kann ich die Situation nicht mehr retten.“

Irmenella von Wertlingen nickte zustimmend. Sie war erfreut, dass der junge Baron den Ernst seiner Lage offenbar erkannt hatte. Das war, wenn sie den Berichten Glauben schenkte die sie bisher über den Keilholtzer erhalten hatte, in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen. Als sie wieder fortfuhr war ihre Stimme wieder so sanft wie zu Beginn des Gesprächs.

„Ihr habt Euch hohe Ziele gesteckt, werter Ardo. Das ist im Grunde nicht verkehrt, denn nur wer strebt kann auch etwas erreichen. Dass Ihr dabei Fehler macht ist nur natürlich. Auch ich war jung als ich das zur Markgräfin erhoben wurde. Jünger als Ihr mit noch größerer Verantwortung und der Aufgabe kaum gewachsen.“ Irmenellas Hände legten sich unbewusst wie schützend um ihren Bauch. „Doch ich hatte stets Menschen um mich auf die ich mich verlassen konnte. Jene die so wie ich allein das Wohl der Mark im Sinn hatten und jeder hat auf seinem Gebiet getan was er konnte. An ihrer Seite konnte ich wachsen und reifen um zu der Person zu werden die ich heute bin.“ Sie machte eine Pause und warf ihrem Gatten neben sich einen liebevollen Blick zu. Edelbrecht strich ihr dankbar und aufmunternd über die Schulter und richtet seinen Blick dann wieder zur Gästeschar. „Um es klar zu sagen, junger Ardo, sucht Euch solche Menschen denen Ihr vertrauen könnt. Oder besser, fangt endlich an auf jene zu hören die bereits treu an Eurer Seite stehen und das Wohl Kressenburgs im Sinn haben. Ihr könnt Dere nicht an einem Tag verändern. Jeder Schritt will wohl überlegt sein, denn seid Ihr einmal vorgeprescht gibt es nur selten ein Zurück. Wollt Ihr diesen Rat in Zukunft beherzigen?“

„Das will ich sehr gerne, denn ich habe erkannt, dass ich dieses Rates bedarf.“ Ardo senkte demütig den Blick. Er bemühte sich nicht die Hoffnung zu verlieren. Denn wenn die Greifin nichts für ihn hatte als gute Ratschläge, dann würde es ihm trotz der guten Vorsätze nicht gelingen Kressenburg vor der totalen Verschuldung zu retten. Als er wieder aufblickte hielt die Greifin die Hand des Prinzen und beide sahen ihn an.

„Ihr habt viele Fürsprecher, werter Ardo. Eslamsroden, Hexenhain, Pechackern, die Garafanisten und nicht zuletzt meine geliebter Gatte selbst haben sich für Euch ausgesprochen. Sie kennen Euch und haben an Eurer Seite gestritten, im Namen der Zwölfe und zum Ruhme Greifenfurts. In dem Bemühen die Mark zu schützen habt Ihr Euch nicht nur Feinde gemacht, wie Ihr zu glauben scheint. Jenen auf die es ankommt ist Euer Streben nicht entgangen, was Euch spätestens seit der Aufnahme in den Orden des Garafan bewusst gewesen sein sollte.“

Beschämt wandte Ardo den Blick ab. Selbst als er sich und der Markgräfin seine Fehler eingestanden hatte, war er noch dem Selbstmitleid verfallen.

„Wie ich bereits erwähnte ist es das Vorrecht der Jugend Fehler zu begehen, auch wenn sie nicht immer so zahlreich sein sollten wie bei euch.“ Die Belustigung in der Stimme Irmenellas ließ den Baron wieder aufschauen. „Trotz aller Fehler die Euch unterlaufen sind, ward Ihr der Mark, und somit auch mir und meiner Familie, doch stets treu ergeben. Treue aber soll belohnt werden, so wie es Euer Lehnseid besagt.“