Benutzer:Robert O./Briefspiel

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Ehre dem Ritterlichen - Vergnügungsreise nach Puleth

Burg Kressenburg, Anfang Rondra 1035 BF

Es war später Vormittag und auf der altehrwürdigen Burg wimmelte bereits von Leben. Seid der Hochzeit des Barons vor wenigen Wochen waren deutlich mehr Mägde und Knechte zugegen die damit beschäftigt waren aus dem Junggesellenhaushalt, die die Burg über viele Jahre gewesen war, ein wohnliches Gemäuer zu machen. In allen Ecken wurde gefegt und geputzt, neue Wandvorhänge deckten einst kahle Wände zu und immer schien jemand in großer Eile durch die Gänge zu hetzen. Nicht, dass es zuvor dreckig oder ungastlich gewesen wäre. Aber die Veränderung war nichtsdestoweniger deutlich zu spüren.

Ardo gähnte noch einmal ausgiebig und strich sein unordentliches Gewand leidlich zu recht bevor er in seine Schreibstube trat. Sein Vogt saß bereits wie erwartet am Schreibpult und brütete über den Schriftstücken die ein Bote in aller Frühe aus Greifenfurt gebracht hatte.

„Sieh einmal an, der Herr Baron hat den Weg aus seinem Schlafgemach hin zu seinen Pflichten gefunden.“ Einladend deutete Phexian auf den Schemel ihm gegenüber. „Nicht, dass ich dir dein junges Glück missgönne mein Junge, aber die Verwaltung der Baronie macht sich nicht von alleine. Deine hübsche Braut wird es schon verschmerzen müssen, dass du dich zumindest nach Sonnenaufgang deinen praiosgegebenen Aufgaben widmest.“

Abwehrend hob der müde Baron die Hände und setzte sich widerstandslos. „Friede werter Phexian. Lass meinen Gedanken ein paar Momente Zeit um auf Trab zu kommen.“ Noch einmal gähnte er kräftig und sah dann missmutig auf die Schriftstücke die er gereicht bekam. „Außerdem, wer bist du mir wegen meiner Frau Vorhaltungen zu machen? Soweit ich weiß, hast du in deiner Jugend selber des Öfteren den Weiberröcken nachgestellt und mehr Bastarde als Finger an einer Hand. Zumal es ja wohl auch meine Göttergegebene Pflicht ist, meiner Frau des Nachts beizuwohnen, auf das Tsa der Baronie einen Erben schenken möge, damit auch fürderhin alles seinen praiosgewollten Weg gehen kann.“

Wider Willen musste der alte Vogt lachen. „Wohl gesprochen mein Junge. Aber sei dir gewiss, dass nicht alles was du über mich zu wissen denkst der Wahrheit entspricht.“ Dabei zeigte er ein wahrhaft phexisches Lächeln, welches er sich nur selten gestattete und dass mit großer Offenheit zeigte, wie viele Schritte er seinem Gegenüber voraus war. Fast sofort wurde er denn auch wieder ernst. „Sieh dir das hier zuerst an. Es wird dich garantiert interessieren und munter machen.“

„Was ist das für ein Siegel? Ich kenne niemanden der so eines besitzt.“ Schnell überflog er die Zeilen, während sein Vogt das bereits Gelesene kommentierte.

„Sie nennen sich die Alriksritter. Ein Ritterbund aus dem Hartsteenschen wenn ich das richtig verstanden habe. Offensichtlich haben sie in ihren Lehen so wenig zu tun oder so fähige Vertreter, dass sie es sich erlauben konnten über viele Monde auf eine Queste in die Tulamidenlande zu reisen. Da muss man sich nicht wundern, wenn es dem Blautann schwer fällt den Kaisertaler zu kassieren, wenn die werten Adligen sich lieber auf Vergnügungsreise begeben.“ Abfällig wedelte der alte Vogt mit der Hand. „Es sei wie es ist und Praios wird wissen wer seine Pflicht erfüllt. Auf jeden Fall haben diese Alriksritter in der gorischen Wüste ein angebliches Artefakt des seligen Kaisers Alrik gefunden, ein altes Rüstungsteil wie es heißt. Nun wollen sie in Puleth einen Schrein errichten und es ausstellen, besser gesagt auf einer Burg im Norden der Baronie, denn der gute Baron von Schallenberg hat nur diesen Teil seines Lehens unter Kontrolle.“

„Wer will es ihm verdenken, ist doch alles Land östlich der Greifenfurter Grenzen der Wildermark anheim gefallen.“

„Das müsste nicht so sein, wenn sich einige Barone mehr um ihre Lehen als um ihre selbstherrlichen Interessen kümmern würden.“

Ardo beschloss diesen neuerlichen Einwand zu übergehen und sich auf das Wesentliche der Botschaft zu konzentrieren. „Hier steht etwas von einem Turnier. Zwar nur zu Fuß, aber zu Ehren Rondras und ihrer göttlichen Geschwister und um dem ritterlichen Andenken Kaiser Alriks zu gedenken.“ Der Baron war von einem Moment zum Nächsten hellwach geworden und tippte mit dem Finger begeistert auf die Textstelle auf dem Pergament.

„Woher habe ich nur gewusst, dass dich das erfreuen würde.“ Säuerlich dreinblickend schüttele Phexian den Kopf und griff zu einem leeren Pergament um zu schreiben anzusetzen. „Ich hoffe du denkst nicht ernsthaft daran dorthin zu reisen?“

„Aber warum denn nicht. Puleth liegt gleich hinter der Grenze. Das ist eine wunderbare Gelegenheit um mal wieder aus dem Wald raus zukommen. Praiadne wird sich sicherlich auch freuen wieder unter andere Menschen zu kommen. Nicht, dass ich die Ruhe Kressenburgs nicht zu schätzen wüsste, aber gerade bei solchen Gelegenheiten muss man sich in der Gesellschaft blicken lassen“, fügte er fast entschuldigend hinzu.

„Du hast selber gerade gesagt, dass Puleth faktisch Teil der Wildermark ist und doch willst du nicht nur dich sondern auch deine junge Frau den Gefahren dort aussetzen?“ Warnend hob Phexian den Zeigefinger. „Denke daran was mit Ifirnia geschehen ist. Ich glaube kaum, dass der Eslamsrodener dir verzeihen würde, wenn seine letzte Schwester ein ähnliches Schicksal ereilt.“

„Rede das Böse doch nicht herbei!“ Eilig schlug Ardo das Praioszeichen und spuckte über die Schulter. „Ich nehme die Lanze als Bedeckung mit und Igor noch dazu. Die Diebesbande will ich sehen die sich mit einem Dutzend Ritter und einem Magier samt Tross anlegt.“

„Ich sehe, du willst dir dieses Vergnügen nicht nehmen lassen.“ Resignierend blickte der alte Mann auf, seufzte, und widmete sich dann wieder seinem Text.

„Ja, ich werde mit Praiadne zu diesem Turnier reisen. Es ist Rondra, das Korn wächst von allein und das Vieh wird auch ohne meine Anwesenheit dick. Und du wirst es verschmerzen können mir für zwei Wochen mal keine Vorhaltungen machen zu können. Setze eine dementsprechende Antwort auf und schicke sie an diesen... diesen Schwertvater der Alriksritter.“ Eifrig wedelte Ardo mit dem Schreiben des neuen Ritterbundes.

Phexian legte die Schreibfeder beiseite und blies etwas Sand über die frische Tinte. Dann reichte er sein Schreibwerk dem jungen Baron. „Schon erledigt. Lies und siegle es, dann können wir gleich zu den wichtigen Sachen übergehen. Wach genug scheinst du ja jetzt zu sein.“

Verblüfft nahm Ardo das Schriftstück entgegen. Korrekt war die Anzahl der Personen verzeichnet die ihn begleiten würde, selbst die Pagen und Knappen waren nicht vergessen. Mit einem jungenhaften Grinsen gestand er sich und Phexian ein, dass der alte Vogt ihm wieder einmal einen Schritt voraus gewesen war. „Wunderbar, dann also als nächstes zur neuesten Rechnung für den neuen Praios-Tempel. Ehrwürden Badilak erwähnte auf der Hochzeitsfeier einige kostspielige bauliche Sonderheiten die er umzusetzen gedenkt…"

Reise mit Yppolita

Reisestrecke: Kuslik – Punin – Gerbaldsberg – Gareth – Perricum – Seereise nach Festum

Dramatis Personae:

  • Yppolita von Gareth
  • Balrik von Keres
  • Anaxios von Ochs
  • Giselbert von Streitzig j.H.
  • Mechthild von Kieselhom, Knappe von Ardo
  • Firnwulf von Hirschfurten, Page von Ardo
  • Igor Wasjeff, Heilmagier aus Norburg

Auf einem Flußschiff auf dem Yaquier, Ende Ingerimm 1034 BF

Balrik saß in seiner Kabine und blätterte in einem grüneingebundenen Hesinde-Büchlein, das er sich in Kuslik besorgt hatte. Vor einigen Tagen war er mit dem gerbaldsmärker Pfalzgrafen und dem Magier Anaxios von Ochs aus Kuslik abgereist und begleiteten die Schwester der Kaiserin, Yppolita von Gareth, nach Punin. Dort wolle sie endlich ihre Adeptenprüfung ablegen, wie sie auf dem Magierkonvent verlauten ließ, und anschließend wieder zurück in ihren Exil nach Festum reisen.

Sie beschloßen bis nach Punin auf einem Flußschiff zu reisen, das den Yaquier flußaufwärts fuhr. Der Kapitän war ein stämmiger Mittvierziger namens Phedro Neander, ein Horasier, der sich sehr umgänglich und von der Anwesenheit der Kaiserinschwester sehr geehrt zeigte. Zu seiner Mannschaft aber war er streng und er ließ keinen Zweifel daran, daß er hier das Sagen hatte. Eigentlich wollte auch der greifenfurtener Baron Ardo von Keilholtz Yppolita auf der Reise begleiten. Doch hatte er kurz vor der Abreise den Zorn eines Magiers auf sich gezogen, der ihn kurzerhand mit einer Art Teleportzauber verschwinden ließ – zumindest war das Balriks erster Gedanke.

Erst nachdem Anaxios sich mit diesem Magier auseinander setzte, erfuhren sie, daß dieser Magier Thargelion von den Nebelwassern war, ein Zeitmagier, der Ardo einfach kurzerhand einige Monate in die Vergangenheit setzte! Balrik hatte schon während seiner Zeit an der Kriegerakademie viele Sagen von einem Magier gehört, der in einem Turm in Weiden wohnte, dem sogenannten Nachtschattenturm, der in der Lage war durch die Zeit zu reisen – und da war auch der Name dieses Zeitmagiers genannt worden.

Nachdem Anaxios ihnen versichert hatte, daß Ardo kein Leid zugefügt wurde, und derzeit wohl wieder in Greifenfurt weilte, und Balrik und Giselbert geraten hatte, den Magier nicht weiter zu behelligen, gaben sie sich mit der Antwort zufrieden. Dennoch hatte sich Balrik vorgenommen, eine Nachricht ins Kressenburgsche zu schicken um sich zu vergewissern. Auch Yppolita hatte ihnen später geraten, den Magier in Ruhe zu lassen. Auch sie vertraute hier Anaxios' Rat.

Es klopfte an der Tür.

"Hoher Herr", hörte Balrik die Stimme eines Matrosen. "Wir erreichen bald Punin."

"Danke. Ich komme gleich."

Balrik steckte das Büchlein weg und packte seine Sachen. Auf dem Deck angekommen sah er bereits die almadanische Fürstenstadt vor ihnen auftauchen. Es war ein sonniger Tag und die Eslamidische Residenz ragte auf dem Goldacker in einem strahlenden Weiß reinsten Eternienmarmors hervor. Auch die Magierakademie der Stadt, ihr Ziel, ragte über die Häuser der Stadt empor und war gut zu erkennen. Vor nicht einmal einem Jahr, hätten sie es sich nicht erlauben können, so offensichtlich durch das Fürstentum zu reisen. Als noch Selindian Hal die Kaiserkrone beanspruchte und von Punin aus Hof hielt, war es nicht ungewöhnlich, daß Adlige, die zu Kaiserin Rohaja standen, als Geiseln genommen wurden.

Doch nun war Selindian Hal tot und Almada wieder unter der Kontrolle Rohajas, und diese hatte Gwain von Harmamund zum neuen Fürsten von Almada ernannt.

"Eine beachtliche Stadt, nicht wahr?", sagte Igor Wasjeff der neben ihn trat. Auch er war beim Magierkonvent zugegen gewesen und reiste mit ihnen seit Kuslik auf dem Schiff. "Und das Wissen erst, das hier zu finden ist! Euer Schützling hat eine gute Wahl getroffen, hier ihre Prüfung abzulegen."

Balrik sagte nichts darauf. Der Grund warum Yppolita Punin wählte, war nicht das Wissen das hier zu finden war, sondern weil diese Magierakadmie die einzige Graue innerhalb des Reiches war. Andererseits, wenn es sich Balrik recht überlegte, Yppolita hätte trotz allem wohl kaum eine Akademie gewählt hätte, in der sie nicht erlernen könnte ...

Allmählich kamen auch die anderen an Deck, die in Punin aussteigen wollten. Giselbert hatte seinen Lederhut auf dem Kopf und einen Rucksack geschultert. Anaxios war in einer Lektüre vertieft, die er in Händen hielt, und halb abwesend aus dem Schiffsinneren kam. Nur Yppolita war bereits an Deck gewesen und betrachtete die Landschaft.

Auch ein fünfzehnjähriges Mädchen und ein neunjähriger Junge kamen auf das Deck; ebenfalls mit Rucksäcken geschultert. Das Mädchen trug sogar ein Kurzschwert.

"Habt ihr alle Eure Sachen?", fragte Balrik.

"Ja, wir haben alles", antwortete das Mädchen.

Das Mädchen und der Junge waren Mechthild von Kieselhom und Firnwulf von Hirschfurten, die Knappin und Page Ardos von Keilholtz. Balrik hatte sich den beiden angenommen, nachdem Ardo auf solch übernatürliche Weise verschwand.

Schließlich machte das Schiff an der Pier fest und Yppolita bezahlte den Kapitän für die Reise aus. Anschließend begaben sie sich in die Magierakademie.

Turnierankündigung

Hochzeitsturnier zu Kressenburg

Einer jeden ehrbaren Dame und einem jeden ehrbaren Herren von Stand sei kundgetan, dass im Namen Seiner Hochgeboren Ardo von Keilholtz ä.H., Baron zu Kressenburg, anlässlich seiner Hochzeit mit Ihro Hochgeboren Praiadne Leuinherz Keilholtz j.H., am 6. Praios im Jahre 1035 nach dem Fall des tausendtürmigen Bosparan, am Vortag derselben, ein ritterliches Turnier gegeben sei.

Der ehrbaren Siegerin oder dem ehrbaren Sieger dieser Tjost sei die Ehre zuteil, mit Braut oder Bräutigam den ersten Tanz zu führen.

Eine jede ehrbare Dame und ein jeder ehrbarer Herr von Stand, welche dem Hochzeitspaar an diesem Tage die Ehre geben möchten, sei geladen und ist gebeten seine Absicht per Depesche kundzutun.

Es sei zudem im Namen der Kirchen des Herrn Praios und der Herrin Rondra ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Bruch des Turnierfriedens auf das Strengste geahndet wird.

Draconiter verlassen Immingen

Phex 1034 BF

Mehr als ein Jahrzwölft liegt es nun zurück, dass das kleine Dorf Immingen in der beschaulichen Greifenfurter Baronie Kressenburg am Rande des Reichsforstes im Ingerimm des Jahres 1022 BF zum Schauplatz eines Angriffs Namenloser Paktierer wurde. Damals sollen diverse Schwarzmagier versucht haben, eine Lücke im Sphärengeflecht zu schaffen um einen einzelnen Buchstaben vom Namen des Namenlosen (unheilig!) zu erfahren. Zwar konnte der Frevel mit Mühe vereitelt und die Kultisten vertrieben werden, doch blieb die Struktur der Sphären an diesem Ort fragil. Im Zuge der Absicherung des verderbten Kultplatzes, an welchem der massive Angriff auf die Sphärengrenzen verübt wurde, und als Folge eines nur wenige Götternamen später erfolgten zweiten Übergriffes, waren zuletzt ein Dutzend profane, arkane und klerikale Brüder- und Schwestern des Draconiter-Ordens unter Führung der Präzeptorin Beychaliban al-Siskir im abgelegenen Immingen stationiert. Heute thront ihr wehrhafter Hort über dem bescheidenen Gut der Ritter von Immingen und garantierte bis zuletzt die Sicherheit der ansässigen Bauern.

Nun jedoch liegt das Gemäuer verlassen, denn alle Ordensmitglieder haben Immingen Anfang Phex, fast überstürzt wie man hört, in Richtung der Madaburg gen Gareth verlassen. Erzäbtissin Canyraith von der Lohe erklärte auf Nachfrage, das angegriffene Sphärengeflecht in Immingen habe sich inzwischen regeneriert, und die Anwesenheit der Brüder und Schwestern sei nicht länger von Nöten. Gerüchteweise sind einige der abberufenen Ordensmitgliedern bereits mit neuen Aufgaben im noch immer besetzten östlichen Teil des Reiches betraut worden, auch wenn Fragen darüber von Dero Ehrwürden nur mit eisernem Schweigen beantwortet werden.

Leomaras Geburtstag

Dramatis Personae:

  • Unswin von Keilholtz - Ordensritter zu Schwertwacht
  • Leomara von Isenbrunn - Ritterin von Gnitzenkuhl, seine Verlobte
  • Chaantrea von Zackenberg - Novizin im Zornesorden und Unswins Knappin

Burg Friedburg, Baronie Gnitzenkuhl, 9. Rahja 1033 BF

Unswin, seine Novizin Chaantrea und Leomara waren kurz nach dem Abendessen auf der Friedburg oberhalb der Stadt Gnitzenkuhl eingetroffen und nun, fast zwei Stunden später senkte sich die Praiosscheibe langsam dem Horizont entgegen. Es war ein wundervoller Anblick, doch Unswin verschwendete keine Minute damit das Schauspiel anzustarren. Im Wall hatte er genügend bezaubernde Sonnenuntergänge für den Rest des Götterlaufes gesehen. Stattdessen war er schon seit der Ankunft damit beschäftigt kreuz und quer durch die Burg zu laufen und die Bediensteten mit kleinen Wünschen und Aufgaben auf Trab zu halten, während sich seine Knappin um die Pferde kümmerte. Gerade trat er nach einem längeren Gespräch mit der Köchin aus der Küche heraus, als Chaantrea mit ihren typischen federleicht anmutenden Schritten auf ihn zu kam.

„Die Tiere sind nun versorgt Bruder Unswin. Gibt es sonst noch etwas für mich zu tun?“

„In der Tat, das gibt es.“

An der wenig begeisterten Miene der Novizin erkannte der Ritter, dass sie auf eine andere Antwort gehofft hatte. Wenigstens hatte sie inzwischen so viel Anstand gelernt, ihm dies nicht vorlaut an den Kopf zu werfen.

„Du wirst zum Arbeitszimmer von Baronin Geshla gehen. Sie sitzt noch immer mit Roderick und Leomara zu rate, was wegen der Mine in Kelsenstein unternommen werden soll. Sobald die Besprechung ein Ende gefunden hat, bitte ich dich Leomara zum Bad zu bringen. Danach kannst du dir in der Küche dein Abendessen geben lassen. Ich habe veranlasst, dass man dir etwas bereiten wird. Den Rest des Abends hast du dann frei.“

„Ich nehme an du ißt mit Ritterin Leomara?“

Der Ritter hob die Augenbrauen, verwundert über den merkwürdigen Ton in dem die Frage gestellt war. Hatte er dort Eifersucht durchklingen hören? Oder sprach nur wieder der Trotz aus der jungen Frau? Manchmal wurde er einfach nicht schlau aus seiner Knappin.

„So ist es. Du brauchst also nicht auf mich zu warten.“

„Wie du wünschst.“

Mit einer knappen Verbeugung, bei der Unswin einmal mehr nicht wusste ob sie ehrerbietig oder spöttisch sein sollte, wandte Chaantrea sich zum Gehen. Auch sie war nicht das erste mal auf dieser Burg. In den letzten zwölf Monden war sie mit ihrem Schwertvater oft hier zu Besuch gewesen, wenn er einen Vorwand gefunden hatte seine Verlobte aufzusuchen. Nun würde sie also wieder einmal die Botin für ihren verliebten Ordensbruder spielen, damit dieser seinem zukünftigen Schwiegervater aus dem Weg gehen konnte.

Wenige Minuten später stand sie vor der Tür des barönlichen Arbeitszimmers. Sie blieb einen Moment davor stehen und lauschte. Tatsächich vernahm sie immer wieder Stimmen durch die dicke Holztür, was vermuten ließ, dass die Diskussion teilweise recht hitzig geführt wurde. Etwas andere hatte sie aber auch nicht erwartet, wenn Geshla, Roderick und Leomara sich zusammen in einem Raum befanden. Leider dämpfte die massive Tür die Laute soweit ab, dass Chaantrea keine einzelnen Worte verstehen konnte. Einfach einzutreten wäre unhöflich gewesen, also würde sie sich wohl in Geduld üben müssen, bis die Baronin ihres Vogtes und ihrer Ritterin überdrüssig geworden war. Mit einem götterergebenen Seufzer lehnte sich die Novizin mit dem Rücken gegen eine Säule gegenüber der Tür, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete.

Nach einer schieren Ewigkeit öffnete sich schließlich endlich die Tür, und Leomara kam mit roten Gesicht sichtlich erledigt heraus. Sie schloß geräuschvoll die Tür hinter sich und stieß deutlich die Luft aus. Die Person an der gegenüberliegenden Wand hatte sie noch gar nicht gesehen.

Sie brummelte leise vor sich hin: „Im Rahmen ihrer Möglichkeiten wohl das beste raus geholt, pah, das nächste mal schicke ich ihr den Schwarm Harpyien ins Tal, von Friedburg aus haben die auch nen hübschen Ausblick!“

Sie wendete sich in Richtung Dienstboten steige um in die Küche zu gehen. Chaantrea löste sich aus dem Schatten der Säule und trat schnell vor um die Ritterin abzufangen. Die Novizin berührte sie leicht an der Schulter und zuckte zurück, als Leomara sich überrascht mit einem Ruck zu ihr umwandte. Die Jüngere hob die rechte Hand und legte sie ihrer Gegenüber besänftigend auf den linken Unterarm.

„Entschuldigt bitte, ich wollte Euch nicht erschrecken. Ich habe auf Euch gewartet um eine Nachricht zu überbringen. Ritter Unswin lässt Euch bitten sogleich ins Bad zu kommen, wenn es Eure Pflichten der Baronin gegenüber zulassen.“

Verdutzt schaute Leomara sie an. „…Pflichten äh…? Ach so, nein, ich darf mich wohl erst einmal zurück ziehen. Der Vogt und die Baronin müssen die Sachlage erst einmal unter sich besprechen…“ Leomaras Augen brachten zum Ausdruck, was sie von einer derartigen Unterredung wohl hielt.

„Daher habe ich also Zeit. Wieso um Himmels willen im Bad? Hat Praiowyn ihn dort eingesperrt und lässt ihn erst wieder heraus, wenn er sich ordentlich kleidet?“ Amüsiert musterte die Rittfrau Chaantrea.

Die Novizin unterdrückte mit Mühe ein leises Kichern und schaffte es nicht länger ernst zu dreinzuschauen. „Wäre eigentlich denkbar. Manchmal lässt er ja schon merken, dass er aus Greifenfurt stammt. Aber diesmal hat Praiowyn Gnade vor Recht ergehen lassen. Ich darf Euch leider nicht sagen worum es sich handelt, aber geht besser gleich hin. Nicht das er ungeduldig wird und denkt die Baronin hätte Euch gefressen oder ich hätte Euch entführt.“

„Ach du liebes Bisschen, ich fürchte der Aufenthalt in den Bergen ist nicht spurlos an ihm vorüber gegangen…!“ Leomara schmunzelte. „Dann werde ich mich wohl besser sputen, bevor er sich den Weg hierher frei kämpft. Ich denke man sieht sich später…!“ Mit diesem Worten drehte sich Leomara weg und ging raschen Schrittes zu ihrem Verlobten. Was hatte er nur vor?

Schließlich stand sie vor der Türe zum Bad klopfte kurz an, trat dann aber sofort ein.

Die Tür öffnete sich ohne Widerstand und der Raum dahinter war hell erleuchtet. Doch brannten nicht die an den Wandhalterungen dafür vorgesehenen Fackeln, sondern über zwei Dutzend dicke, vor allem auf dem Fussboden verteilte Kerzen. Der süßliche Duft von Honig lag in der Luft.

Abrupt blieb die Rittfrau stehen und schaute sich staunend um.

In der Mitte des Raumes stand Unswin, angetan in in jene leichte Kleidung die er immer trug, wenn er auf Friedburg zu Gast war. Ohne Waffen, Rüstung und Wappenrock war er jedes Mal ein ungewohnter Anblick. Jemand der ihn nicht kannte hätte ihn in diesem Aufzug für einen einfachen Bürger halten können. Nur ein gesticktes Ordenswappen in der Herzgegend seines Hemds, ließ erkennen wer er war.

Neben dem Ordensritter stand eine junge Magd. Beide schienen sich unterhalten zu haben und von Leomaras Klopfen aufgeschreckt worden zu sein. Sie hielt einen leeren Eimer in der Hand mit dem sie offenbar Wasser für den großen gemauerten Badezuber gebracht hatte, auf dessen Rand ein kleiner abgedeckter Weidenkorb stand. Der Ofen unter dem Zuber war in Betrieb und würde dem frischen Wasser bald eine angenehme badetemperatur gegeben haben. Unswins Miene hellte sich bei Leomaras Anblick augenblicklich zu einem breiten Lächeln auf, während die Magd fast schuldbewusst den Kopf neigte und errötete.

„Leomara, da bist du ja schon. Ich hatte schon befürchtet Geshla und Roderick halten dich bis zum Frühstück fest.“ Mit einem leichten Nicken gab er der Magd ein Zeichen, welche sich auch sofort in Bewegung setzte und mit einem leisen „Euer Wohlgeboren“ an der Ritterin vorbei durch die Tür entschwand. Noch bevor Leomaras Sprachlosigkeit geendet hatte ging der Redestrom Unswins ungemindert weiter. Er schien bester Stimmung.

„Komm herein meine Liebste und mache es dir gemütlich.“ Unswin deutete mit einer Armbewegung auf einen schmalen Tisch und zwei gepolsterte Stühle, die Leomara in diesem Raum noch nie gesehen hatte. Offensichtlich hatte der Ordensritter diese extra hierher bringen lassen. Nur den Zweck konnte die Ritterin nicht sofort erkennen, denn außer einer der großen Kerzen in der Mitte war der Tisch leer.

„Ehem…!“ sagte sie dann auch nur während sie im Näherkommen die Umgebung begutachtete. „…was soll das Ganze hier?“ Etwas widerstrebend setzte sie sich hin, lächelte aber Unswin neugierig an. „Du hast mir doch nicht etwa was zu beichten? Ich hörte schuldbewusste Männer neigen zu solchen Extravaganzen.“ Noch immer schien sie keine Ahnung zu haben was das ganze sollte.

Unswin lachte erst fröhlich und schaute dann gespielt empört drein. „Na hör mal. Vor dir sitzt ein ehrenwerter Ritter des Zornesordens. Ich mag nicht abstreiten, dass du mich auf einige zuvor unbekannte Geschmäcker gebracht hast seit wir uns kennen. Aber für mich gibt es nur dich. Ich bin doch kein Nebachote der nach jedem Glas Wein eine andere bespringt. Aber abgesehen von dir und dem guten Wein, hat mir Perricum wohl auch diesen kleinen Hang für das Dramatische geschenkt.“ Mit einem beiläufigen Nicken deutete er auf die Kerzen, während er über den Tisch hinweg nach ihren Händen griff.

Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Ohne zu zögern rief er die Wartenden herein. Die Magd von eben schritt vorweg, nur trug sie diesmal statt einem Wassereimer eine gut gefüllte Platte vor sich her. Mit einem Lächeln plazierte sie diese auf dem Tisch und legte vor den beiden Adligen kleinere Essplatten und Besteck aus. Hinter ihr kam noch ein Küchengehilfe der eine Karaffe roten Weines und zwei mit Blei verzierte Weingläser dazu stellte. Danach kümmerte er sich sofort um den kleinen Ofen unter dem Zuber und warf eine Hand voll Blütenblätter aus dem kleinen Weidenkörbchen hinein, welche Leomara aus dem Augenwinkel heraus aber nicht genauer erkennen konnte.

Die Magd hatte derweil die Deckel von den Speisen genommen. Zum Vorschein kamen, neben einem Korb mit weißem Brot, ein mit Honig bestrichenes und goldgelb gebratenes Kanninchen, zwei liebevoll verzierte Pasteten sowie eine kleine Schale mit kandierten Datteln. Unter den immer größer werdenden Augen Leomaras goss die junge Frau die Weingläser noch halbvoll und zog sich dann mit einem Knicks zurück. Auch der Küchenjunge war inzwischen mit seiner Arbeit am Zuber fertig und schloss eilig hinter sich die Tür.

Noch immer sprachlos schaute sich die Rittfrau das Essen an, und in ihrem Blick spiegelte sich der Unglaube über diese kunstfertige Art der Kochkunst. „Hast du heimlich die Angroscho in der Binge bestohlen, oder wie hast du den Koch dazu gebracht etwas Derartiges zu erschaffen?“

Vorsichtig strich sie mit dem Finger über den Teigmantel der Pasteten, auf denen aus Teig geformte Weinreben, Pferde und Rosen aufgebracht waren. Kindliches Vergnügen bemächtigte sich schließlich ihrer und sie ergriff den Pokal.

Mit einem lausbübischen Grinsen beobachtete Unswin die Veränderung die sich auf ihrem Gesicht abzeichnete.

„Egal, was auch immer es sein mag, was mir dieses Mahl bescherte, lass uns anstoßen, bevor uns hier jemand raus wirft!“

Seitdem sie wieder in Gnitzenkuhl waren genoss sie einfach das unbeschwerte Leben und allmählich kehrte auch die ihr eigene Leichtigkeit zurück, die sie im Angesicht der täglichen Bedrohungen am Berg fast gänzlich verloren hatte.

Der Ritter ließ sich nicht zweimal bitten, erhob ebenfalls sein Glas und suchte beim Klang der feinen Pokale den Blick Leomaras, bevor er schließlich einen Schluck des vorzüglichen Weines genoss. Im flackernden Schein der Kerzen leuchtete die Flüssigkeit blutrot. Dann hob er die als Deckel drapierte Oberseite seiner Pastete ab und darunter kam eine dampfende Gemüsebrühe zum Vorschein.

„Der Grund für diesen kleinen Festschmaus bist ganz allein du meine Liebste. Ich hoffe Geshla kann es verkraften, dass ich diese Leckereien aus ihrer Küche dafür habe verwenden lassen. Nachdem wir den ganzen Ärger im Wall überlebt haben, fühle ich mich wie neu geboren. Deswegen feiern wir heute gemeinsam nicht nur deinen, sondern auch meinen Tsatag.“

Natürlich, ihr Tsatag, wo hatte sie nur wieder ihre Gedanken gehabt? Leomara musste schmunzeln, hatte sie ihn doch über den Tag hinweg erfolgreich verdrängt…bis sie Alwene aufgesucht hatte. Der Besuch bei ihrer alten Amme war nicht sonderlich erquicklich gewesen. Die hatte ihr geraten in Zukunft ein wenig mehr auf sich zu achten, damit, wenn sie doch einmal Tsas Segen ereilte, sie nicht schon aussähe wie eine alte Frau. Entschlossen diesen dummen Satz zu verdrängen, lächelte sie Unswin an.

„Auf uns…und das wir wieder heil hier angekommen sind.“

„Auf uns...und auf die Herrin Rahja, der ich gedenke den restlichen Abend zu widmen...“

Dann griffen beide hungrig zu den Löffeln. Nach der kargen Kost in den Bergen ließen sie sich gerade genug Zeit beim Kauen um die vorzügliche Süße der Speisen zu würdigen und gleichsam verschlangen sie sich gegenseitig mit den Augen. Neben ihnen verströmte der große Badezuber inzwischen seinen einladenden Rosenduft.


Zwei Häuser, eine Familie

Peraine 1032 BF

Die frischgebackenen Barone von Eslamsroden und Kressenburg wollen zukünftig zum Wohle der Familie und der Mark enger zusammenarbeiten.

Tischgespräche

Interessiert blickten sich die beiden Eslamsrodener um, wobei sich eine Spur des Widerwillens in Ifirnias Gesicht zeigte, während sie den Stammbaum betrachtete. Die Aufforderung zum Essen ließen sich die Geschwister nicht zweimal geben, hatten sie doch einen langen Tag hinter sich.

Nachdem er seinen drängensten Hunger mit einigen Bissen befriedigt hatte, wandte Greifwin sich an Ardo: „Wie ich sehe, hast Du dich rasch eingelebt.“ Er deutete in Richtung des Stammbaums. „Das ältere Haus, wenn ich mich nicht irre, oder? Was mich zu einem... wunden Punkt zwischen unseren Familien bringt.“ Greifwins Blick wanderte zu seiner Schwester, die diesen mit versteinerter Miene erwiderte. „Da er inzwischen Teil Deiner Familie ist, was hälst Du von Herdan Lucius? Bei uns ist er ungefähr so beliebt wie der Ork, aber ich hätte gerne Deine Meinung gehört...“

Der Kressenburger wollte gleich etwas zu dem angesprochenen Stammbaum sagen, doch bevor er dazu kam, hatte Greifwin bereits das nächste Thema angeschnitten. Trotzdem wollte Ardo das Missverständnis schnell ausräumen. „Leider irrst du doch was den Stammbaum dort angeht, Greifwin. Dieser und das Wappen dort gehören der Familie von Kressenburg. Bei weitem nicht so alt wie unsere Familie und es lebt nur noch eine einzige letzte Vertreterin, meine Vorgängerin, Faralda von Hasenfeld-Kressenburg. Sie ist erst Anfang der dreißig, hat sich aber schon vor Jahren auf ihr Wittibengut zurückgezogen und die Belange der Baronie ihrem Vogt, dem guten Phexian hier, überlassen. Die Baronswürde indess blieb wegen der Krankheit der Greifin vakant, bis der Meister der Mark nun endlich stellvertretend darüber entschieden hat. Natürlich soll dort später einmal der Stammbaum der Familie Keilholtz hängen und nicht nur der des älteren Hauses. Der wäre zwar recht breit aber wenig zurückreichend, ist die Fehde doch immerhin erst fünf Generationen alt, während man unsere Familie bis fast zur Reichsgründung zurückverfolgen kann. Mein Großvater hat einige Abschriften aus den Familienarchiven von Burg Keilholtz und Reste aus den Aufzeichnungen der markgräflichen Kanzlei retten können. Auch aus der Reichskanzlei hat er noch vor der Zerstörung Gareths einige Abschriften zu garethischen Zweigen unserer Familie bekommen. Er arbeitet nun schon seit Jahrzehnten daran. Irgendwann wird sein Werk hier den Saal verzieren.“

„Und Herdan Lucius? Puh, ich bin ehrlicherweise froh, wenn ich von dem nichts höre. Beliebt wie ein Ork trifft es ziemlich gut. Du weißt schon, keine Nachrichten sind gute Nachrichten. Allerdings hat er das Ohr unseres Patriarchen und seit Bogumil ihn adoptiert hat, ist der Ton von Burg Keilholtz gegen uns und die anderen unabhängigen Zweige wieder rauher geworden. Die Waldenklammer, also die Weidener, sind für den senilen Alten sowieso nicht existent. Die Hundsgrab-Keilholtz hat er aus der Familie verstoßen und uns hier in Kressenburg hätte wohl bald das selbe geblüht, wenn ich jetzt nicht so unverhofft zu der Baronie gekommen wäre. Was man auf Burg Keilholtz vom jüngeren Haus hält muss ich euch wohl nicht sagen.“ Sein Lächeln fiel arg gezwungen aus, war ihm die derbe Wortwahl die der Patriarch und der Baron von Finsterkamm zu benutzen pflegten doch nur zu geläufig. „Ich kann mich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass Herdan Lucius einen großen Teil zur aktuellen Hetze im älteren Haus beiträgt. Es hat den Anschein, dass er die Zurücksetzung in Schroffenstein einfach nicht verwinden kann. Solcherart nachtragender Hass ist nicht gut für die Mark und steht keinem Greifenfurter gut zu Gesicht.“

Während Ardos Ausführungen veränderten sich die Mienen seiner Gäste merklich. Zeigte das Gesicht Ifirnias bei den Erläuterungen zum Stammbaum noch immer die gleiche, stille Verachtung und Greifwins das offener Neugier, so wandelte sich dies bei den Worten zu Lucius Herdan deutlich. Mit beinahe höhnischem Grinsen blickte Ifirnia nun in Richtung Greifwins. Nach einem Schluck aus seinem Krug hob dieser an: „Ich danke dir für deine Offenheit, Ardo“, er warf einen Blick zu seiner Schwester. „Wie man an der Reaktion meiner... verehrten Schwester erkennen mag, hielt ich die Einschätzungen von Lucius bisher für das Resultat der in unserem Teil der Familie weitverbreiteten Verachtung für alles, was mit dem älteren Haus zu tun hat. Bedauerlich. Aber ich“, wiederum blickte er zu seiner Schwester, „bin wohl in der Lage, wenn notwendig einen Fehler zuzugeben. Mit drei Baronen, die untereinander einig sind, hätten wir eine exzellente Position gehabt. Seis drum. Aber,“ er deutete zum Stammbaum, „ich würde das Werk gerne sehen, wenn es soweit ist. Wobei ich offen zugeben muss, dass mich derartige Werke seit den Umwälzungen in meiner Familie immer etwas nervös machen.“ Er nahm einen weiteren schnellen Bissen.

„Ihr müsst wissen“, warf seine Schwester ein, „dass mein Bruder sich seit Jahren erfolgreich seinen dynastischen Pflichten entzieht.“ Trotzig blickte sie zu Greifwin.

Dieser rollte leicht mit den Augen. „Ja, durchaus richtig. Ein weiterer Beweis der, verzeih Schwester, sehr seltsamen Traditionen in unserem Haus. Ihr Frauen dürft selbst wählen, wovor auch du dich, nebenbei gesagt bislang gedrückt hast, während man über den Kopf der Männer hinweg entscheidet. Wenn, dann doch bitte gleiches Recht für alle. Zumal die Ablehnung der Verbindung, die unsere Mutter, möge sie in Frieden ruhen, für mich vorgesehen hat, durchaus wechselseitig ist. Ich bin noch jung und habe derzeit dringendere Probleme. Vielleicht in ein bis zwei Götterläufen...“ Er hielt einen Moment inne.

Ardo hatte mit Freude zur Kenntnis genommen, dass Ifirnia ihn das erste Mal seit ihrer Ankunft direkt angesprochen hatte. Wenn es auch nur gewesen war um ihren Bruder in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen, so dass er sich gezwungen sah seinem Freund beizuspringen.

„Es ist durchaus gerechtfertigt, wenn du unter den veränderten Vorzeichen noch etwas warten willst. Immerhin konnte deine Frau Mutter nicht wissen, dass du so jung in den Hochadel aufsteigen würdest. Wer weiß wie ihre Wahl der Braut für dich heute ausgefallen wäre. Immerhin gibt es ja wohl eine Absprache die sich nicht so leicht lösen lässt?“ Die in dem Satz mitschwingende Frage und auch der neugierige Blick des Kressenburgers ließ vermuten, dass er gerne mehr über die Modalitäten erfahren würde.

„Das Problem ist, dass es nichts Schriftliches gibt“, antwortete Greifwin sichtlich unbegeistert. „Praktisch gesehen ist es das Übliche, eine Verlobung von Adelssprösslingen die weit außerhalb der Erbfolge stehen. Damit ist der Vertrag auf Basis der nicht länger gegebenen Grundlagen, soll heißen meiner nicht länger unbedeutenden Position in der Erbfolge eines nicht länger gegebenen Junkertums gemäß einer ganzen Reihe von Präzedenzfällen leicht anfechtbar. Vom Standesunterschied mal abgesehen, als Niederadel könnten mich die Eltern kaum vor Gericht zerren. Natürlich steht dem der erhebliche politische Schaden gegenüber, wenn ich die Abmachung einfach für null und nichtig erkläre. Die Alt-Nardesfelder sind zwar derzeit nicht gerade von Phex verfolgt, aber man sieht ja an uns, wie schnell sich das ändern kann. Und sie haben immer noch weitreichende Beziehungen. Ich werde also das Gespräch und eine gütliche Einigung suchen...“

„...will heißen, Du willst versuchen, dich freizukaufen, nicht wahr?“, warf Ifirnia ein.

„In der Tat. Ein Gut als Abfindung sollte die Sache hoffentlich hinreichend versüßen. Doch genug davon, es sei denn, du willst unbedingt eine Unterweisung in die Feinheiten des Greifenfurtschen Ehe- und Erbrechts. Wie sieht es denn bei dir aus?“, wandte sich Greifwin an Ardo.

„Dahingegen bin ich in der komfortablen Situation mich fast völlig frei entscheiden zu können. Aber ich habe nicht vor lange zu zögern wenn der Werber einer standesgemäßen Braut an meine Tür klopft. Zwar bin auch ich noch jung, ein Götterlauf jünger sogar als du Greifwin, aber die Zeiten sind unsicher. Wer weiß ob es dem Ork nicht morgen schon wieder gefällt über die Pässe zu kommen? Dann werden wir in den Kampf ziehen wo jederzeit der Tod auf uns warten kann. Und selbst wenn der Schwarzpelz Ruhe hält, so ist dieser Tage mit dem fortwärenden Vordringen der Wildermark nicht einmal mehr ein Adliger auf den Straßen der Mark vor Wegelagerern sicher. Ich habe mir aber in den Kopf gesetzt Kressenburg für die Familie zu erhalten. Dafür brauche ich rechtzeitig einen Erben, denn es ist durchaus nicht sicher, dass mein Vater oder meine Schwester das Lehen erben würden. Dynastisch gesehen haben sie kein festes Anrecht darauf und wer weiß schon wie der Nebelsteiner in einem solchen Fall entscheiden würde.“

„Ich habe glücklicherweise genug Familie, so dass mein vorzeitiges Dahinscheiden kein allzu großes Problem darstellen sollte.“ Er lachte trocken. „Und zumindest mit letzterem hat unsere Familie in den letzten Jahren große Erfahrungen gewonnen. Daher habe ich das noch vor allem anderen vertraglich geregelt. Das muss seine Exzellenz natürlich nicht aufhalten, wie man bei Seguld von Breitenquell gesehen hat. Das war und ist, mit Verlaub, eine höchst seltsame Sache. Ich habe mich bis dahin nicht wirklich für die Belange Eslamsrodens und den guten Trär interessiert. Und plötzlich wird sein Sohn entlehnt, ohne das bekannt wäre, warum. Sehr merkwürdig.“

Greifwin trank einen weiteren Schluck Bier. „Und wie der Meister der Mark ausgerechnet auf mich verfallen ist, bleibt mir auch ein Rätsel. ‚Die Mark hat ihre Gründe‘ war alles, was ich bislang aus ihm herausbekommen habe...“

„Die Mark hat ihre Gründe. Nun, ich bin mir sicher, dass es die gibt, auch wenn ich ebenso wie du vor dem Rätsel stehe womit genau ich mich für die Baronswürde in Kressenburg empfohlen habe. Sicherlich habe ich dem Prinzen im Winter tausendeinunddreißig bei der Suche nach seinem Bruder im Kosch geholfen, ich habe im Rondra in Waldstein bei zwei Schlachten gegen Anhänger des Namenlosen gefochten, habe mich beim Uslenrieder Turnier zweimal gegen Nimmgalf von Hirschfurten behauptet und beim Konvent konnte ich Edelbrecht ebenfalls zu Diensten sein. Dennoch hätte es einige Kandidaten gegeben, die für Kressenburg eher in Frage gekommen wären. Bestes Beispiel ist Phexian hier. Seine Familie stellt die Vögte von Kressenburg seit der Zeit der klugen Kaiser, wahrscheinlich seit Raul selbst und hält mit dem Junkertum Kieselbronn das höchstrangige Nachlehen der Baronie. Phexian war nach dem politischen Rückzug der letzten Baronin aus der Familie Kressenburg in den letzten sieben Götterläufen wieder regierender Vogt.“

Der alte Vogt an seiner Seite schüttelte abwehrend die Hände vor sich und schaute unwillig drein. „Lass das mein Junge. Du weißt, dass weder ich noch meine Schwester je nach der Baronswürde geschielt haben. Wir Kieselholms haben eine lange Tradition des Dienens, das ist der Platz den Praios uns zugewiesen hat.“

„Und ich kann den Herrn Praios nur preisen, dass er mir Euch als Vogt und Stellvertreter gegeben hat, Phexian. Trotzdem hättet Ihr es verdient gehabt. Aber lassen wir das. Nach den Kieselholms waren die Praiostanns die zweite Familie der Baronie. Die sind wohlhabend und haben Einfluss. Immerhin stellen sie seit Generationen den Lichthüter des Kressenburger Praios-Tempels. Es wundert mich, dass Prätor Badilak nicht versucht hat für seinen Neffen, den aktuellen Ritter von Praiostann, die Baronie zu bekommen.“

Auf Phexians Gesicht zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab, so als würde er darüber mehr wissen. Da Ardo jedoch gerade seine Gäste ansah während er sprach, war es nur Greifwin und Ifirnia möglich diese Regung des Vogtes zu erkennen. Der alte Mann griff schnell zum Bierkrug und als er ihn wieder absetzte, zeigte er die selbe ruhige und aufmerksame Miene wie zuvor.

„Meine Familie“, fuhr Ardo fort, „lebt erst seit meinem Großvater in Kressenburg. Wir hatten immer nur das arme Rittergut ander Grenze zu Waldstein und Großvater Bernhelm ist auch nach fünfundvierzig Götterläufen noch immer der erste und einzige amtierende Ritter zur Neuen Gerbaldslohe aus der Familie Keilholtz. Insofern spricht für uns weder Einfluss noch Reichtum. Von Rechts wegen wären auch mein Vater oder Großvater vor mir an der Reihe gewesen, aber da wurde ja auch bei dir nicht berücksichtigt.“

„Aber zurück zu dir. Hast du denn ein Auge auf jemanden geworfen?“

Ardo lachte kurz auf und schob sich mit der Gabel eine Scheibe des erkaltenden Bratens in den Mund. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen kaute er zuende, während seine Zuhörer nach seinem Heiterkeitsausbruch gespannt auf eine Antwort warteten.

„Wenn dem so wäre lieber Greifwin, dann würde ich nicht so theoretisierend daherreden. Sicherlich habe ich auf meinen Reisen die eine oder andere Ritterin und Edeldame kennengelernt welche mir gefallen hat. Aber was blieb mir als einfachem landlosen Ritter mehr als in ritterlicher Minne zu ihren Ehren zu Tjosten? Zu Anfang meiner Armeezeit war da auch noch diese schmucke Offizierin, aber eine Bürgerliche kam für mich damals schon nicht für den Travia-Bund in Frage, noch weniger jetzt wo ich Baron bin.“

Mit einem lauten Räuspern machte sich Phexian kurz bemerkbar und machte gleich darauf wieder den Anschein in aller Stille in seinen Braten vertieft zu sein. Ardo verstand den Wink seines Schwertvaters, der ihn wohl daran hindern wollte sich allzu ausschweifend über verflossene Liebschaften der Vergangenheit auszulassen.

„Wie dem auch sei. Die wenigen Wochen seit der Belehnung hatte ich auch anderes zu tun als mich nach neuen geeigneten Kandidatinnen für den Platz an meiner Seite umzutun. Der Baron von Hundsgrab hat eine jüngere Tochter, die an der Greifenfurter Kriegerakademie gelernt hat und Gerbald von Reiffenberg, der neue Hexenhainer Baron, hat ebenfalls noch eine unvermählte Tochter, die Kammerzofe bei der Markgräfin war. Auch unser Nachbar in Quastenbroich hat noch eine unvermählte Schwester im besten Alter, aber die soll gerüchteweise etwas unleidlich sein. Doch bisher kenne ich weder diese noch die anderen persönlich und wenn ich demnächst auf den Rat der Barone in Weiden oder beim nächstjährigen Reichskonvent in Perricum zu Gast bin, ergibt sich vielleicht eine andere passende Gelegenheit.“

An diesem Punkt mischte sich der Vogt wieder in das Gespräch ein. Offensichtlich war es ihm nicht lieb, wie weit der junge Baron sein Suchgebiet auszudehnen gedachte.

„Eine Edeldame aus der Mark sollte es aber vielleicht schon sein mein Junge. Auch wenn, oder gerade weil, dein Vater und Großvater in Waldstein und Weiden gewildert haben. Die Mark muss angesichts der äußeren Probleme enger zusammenrücken. Auf welche Braut auch immer deine Wahl fällt, bedenke dass es nie schadet sich seine Nachbarn zu Freunden und Verwandten zu machen. Die Mark steht und fällt mit dem Zusammenhalt ihrer edlen Familien.“

Ardo verdrehte zu Greifwin gewandt leicht genervt die Augen, woraus dieser schließen konnte, dass eben dieses Argument nicht zum ersten Mal zur Sprache kam. Trotzdem blieb der Kressenburger seinem Vogt gegenüber höflich und wenn auch unverbindlich.

„Da habt Ihr sicherlich recht verehrter Schwervater. Aber ich bleibe dabei, dass ich mir meine zukünftige Braut nicht allein nach ihren politischen Vorzügen wählen werde. Sollte jedoch eine junge Dame aus dem Greifenfurter Hochadel mein Interesse wecken, so verspreche ich Euch, werde ich diese Möglichkeit nicht leichtfertig verwerfen und in meinen Überlegungen den Vorrang geben.“

folgt

Familienfrieden

Peraine 1033 BF bis Praios 1035 BF

Der seit über einhundert Jahren andauernde Unfriede zwischen dem älteren und jüngeren Haus Keilholtz soll beigelegt und das Ganze mit einer Hochzeit besiegelt werden.


Reichskongress zu Perricum

Peraine 1033 BF

Die Nacht war bereits weit fortgeschritten und es war ruhig geworden in den weitläufigen Hallen der Markgrafenburg in Perricum. Natürlich hörte man noch immer die Klänge der albernischen Musiker mit ihren sehnsüchtig klingenden Weisen. Albernische Edle saßen an den Tischen umher und manch Träne floss wo Weinselligkeit und Heimweh sich vermengten. Da und dort hörte man laute Stimmen wo einem Adligen der gute Wein zu Kopf gestiegen war. Noch immer huschten eilfertige Diener umher um jedem Wunsch schnell nachzukommen.

Ardo jedoch hatte sich mit einem Krug Bier in eine ruhige Ecke verzogen, nachdem er zuvor ein paar Stunden damit zugebracht hatte einem Weidener Baron und dessen Ritterin beim Würfelspiel Taler um Taler abzuknöpfen. Im Augenwinkel sah er seinen Vetter sein Gespräch mit dem Meister der Mark beenden und mit einer Flasche Likör auf ihn zu gehen. Einladend deutete der Kressenburger auf den freien Platz neben sich und Greifwin ließ sich nicht lange bitten.

„Hier sind wir also wieder.“ Der Eslamsrodener Baron suchte sofort das Gespräch und goss sich nebenher ein. „Ich habe keine Ahnung wie ich das schon wieder unbeschadet überstehen konnte, aber hier sitze ich und habe kaum einen Kratzer abbekommen. Aber ich sehe Phex war auch dir hold mein Vetter.“ Fröhlich deutete er auch den kleinen Geldhaufen den Ardo noch nicht in seine Börse getan hatte, weil er plante es noch zu vertrinken. „Morgen kehren wir endlich wieder zurück. Ich will für diesen Svellter hoffen, dass er bei unserer Rückkehr mein Papier liefern kann. Und mach dir keine Sorgen mehr wegen Mechthild. Sie wird wieder auf die Beine kommen.“

„Das hoffe ich wirklich. Sie ist ein tolles Mädel und es täte mir Leid sie zu verlieren. Vor allem wüsste ich nicht wie ich meinem Schwervater je wieder unter die Augen treten sollte, wenn ich seine geliebte Großnichte zu Tode kommen ließe.“ Greifwins Anwesenheit ließ Ardo wieder munter werden. Er setzte sich gerade auf, trank den Krug leer und hielt ihn seinem Vetter hin, auf das dieser nachschenke. „Aber die Geschehnisse in Lodenbach haben mich zu der Einsicht gebracht, dass es an der Zeit ist unser Gespräch von vor einem Götterlauf fortzusetzen. Du weißt schon, wegen Ifirnia.“

Greifwin nickte verstehend, trank einen Schluck und setzte den Becher dann ab. „Du hast Recht. Es war wirklich eine gefährliche Situation. Wir hätten genauso gut alle bei Boron enden können. Wir sind noch jung, aber dir fehlt nach wie vor ein Erbe für Kressenburg. Und wir zwei sind weiterhin die Einzigen die wirklich ernsthaft an eine Versöhnung der Familie glauben.“

„So ist es. Ich habe nicht vor mich demnächst auf meiner Burg zur Ruhe zu setzen. Die Feinde des Reiches sind zahlreich und vom Herumsitzen verschwinden sie nicht. Es braucht uns und unsere Schwerter um die Ordnung zu verteidigen, sonst werden wir der Wildermark niemals mehr Herr. Doch wäre mir bedeutend wohler, wenn ich die Erbfolge zweifelsfrei geregelt wüsste und auch endlich diesen bedeutenden Schritt zur Aussöhnung zu gehen.“ Auch Ardo nahm jetzt einen Schluck vom süßen Likör. „Mag Ifirnia mich noch immer nicht leiden?“

Beschwichtigend wedelte Greifwin mit der Hand. „Sie wird es schon noch rechtzeitig lernen dich zu mögen. Du bist ja kein schlechter Kerl und wenn sie nicht so stur wäre, könnte sie auch irgendwann hinter den Namen schauen. Unsere Großmutter hat sie völlig gegen das ältere Haus eingenommen. Wenn sie erst einmal bei dir in Kressenburg lebt wird sie sich schon an dich gewöhnen.“

Ardo pustete kurz durch. Es war ihm deutlich anzumerken, dass diese Regelung ihm nicht wirklich zusagte und er auch den Optimismus seines Vetters in dieser Sache nicht teilte. Trotzdem nickte er und schluckte seine Bedenken mitsamt einem großen Schluck Waldbeerlikör hinunter. „Dann soll es so sein. Du kennst sie besser als ich und wenn du ihr zutraust, dass sie ihre Vorurteile irgendwann zu überwinden versteht, dann will ich ihr die Möglichkeit dazu geben. Doch mit der Verlobung kann und will ich nicht länger warten. Sie hatte einen Götterlauf Zeit sich an den Gedanken zu gewöhnen und ich gestehe ihr bis zur Hochzeit einen weiteren zu. Aber dann ist es an der Zeit.“

Greifwin ließ nicht erkennen, wie sehr ihm der Gedanke missfiel seiner Schwester diese Nachricht bei seiner Heimkehr überbringen zu müssen. Er begann zu rechnen und im Kopf zu überschlagen wie eine Hochzeit im nächsten Götterlauf zu finanzieren und auszurichten sei. „Lass mal sehen. Die Aussaat sollte fertig sein und das Vieh mit dem Kalben und Ferkeln am Ende. Gutes Wetter wäre auch nicht zu verachten. Peraine und Ingerimm fallen also weg. Anfang Rahja ist wieder das Turnier und bei einem Fest hinterher wird die Zeit knapp, dass alle Gäste vor dem Jahreswechsel Heim kommen. Der beste Termin wäre meiner Meinung nach Mitte Praios tausendfünfundreißig. Was meinst du?“

„Gut, dann machen wir es so.“ Über den Tisch hinweg reichte Ardo seinem Vetter die Hand um die Absprache zu besiegeln. „Ich werde dich auf dem Heimweg nach Weidensee begleiten. Du sollst nicht alleine stehen wenn Ifirnia es erfährt. Und wer weiß, vielleicht überrascht sie uns ja doch.“ Nach diesen letzten hoffnungsvollen Worten hob er wieder seinen Krug und starrte den Rest der Nacht gedankenverloren zu den albernischen Musikanten hinüber.


Verlobung auf Weidensee

Ingerimm 1033 BF

Die Gruppe die sich in der Dämmerung aus Firun kommend dem Gut Weidensee näherte war nicht sehr groß. Drei Reiter auf großen Pferden, zwei vorweg und die kleinste, dritte Person, ein Packpferd hintendran führend. Im Licht der Abendsonne konnte man das typische Blitzen einer metallenen Rüstung erkennen und schließlich, als die Gruppe auf wenige hundert Schritt an das Gut heran gekommen war, auch die Wappen der beiden führenden Ritter.

Der Baron von Eslamsroden näherte sich dem Junkerngut das viele Jahre seine Heimat gewesen war. Auch heute noch, wo er sich viel öfter in Eslamsroden und Tiefenquell, seiner Verwaltung, aufhielt, kam er immer wieder gerne hierher zurück. In solch heimeligen Momenten konnte er vergessen, dass er im Zuge der Belehnung als Baron des Junkertitels verlustig gegangen war. Doch da bisher noch imemr kein neuer Herr über Weidensee bestimmt worden war, hatte seine Familie die Verwaltungsarbeit einfach fortgeführt, bis über die Nachfolge bestimmt wurde. Die Mühlräder der märkischen Verwaltung waren stellenweise langsamer geworden, seit die Greifin sich in die Obhut der Boron-Kirche begeben hatte und der Meister der Mark konnte auch nicht überall zugleich sein.

Zwei Brüder und eine Schwester Greifwins kamen von den Rufen des Stallknechts alarmiert aus dem Haus um die Ankommenden zu begrüßen. Mochte die Rückkehr des ältesten Bruders sie auch erfreuen, so schwankte der Ausdruck ihrer Mienen ob seiner Begleitung doch eher zwischen Erstaunen und Feindseeligkeit. Denn niemand anderes als der Baron von Kressenburg, ihr Vetter aus dem ungeliebten älteren Haus Keilholtz, ritt neben ihm heran. Das junge Mädchen im Gefolge trug ebenfalls die Kressenburger Farben.

Greifwin war kaum abgestiegen, als er seine Geschwister auch schon freudig und ohne jede Scheu vor dem Gast begrüßte. Ihre Zurückhaltung musste ihm aufgefallen sein, doch ließ er sich vorerst nichts anmerken. „Firngrimm, Yanis. Das ist Ardo von Keilholtz. Ardo, dies sind meine jüngeren Brüder. Ifirnia und du kennt euch ja schon. Die junge Dame hier ist Mechthild von Kieselholm, Ardos Knappin.“ Fast verlegen und ohne Überschwang wurden schnell ein paar Worte zur Begrüßung ausgetauscht, während Mechthild und der Stallknecht die Pferde in den Stall führten.

Eine halbe Stunde später saßen Ardo und seine Knappin auf der einen und Greifwins Geschwister auf der anderen Seite am großen Tisch im Speisesaal, während Greifwin selbst zu seiner Großmutter gegangen war um sie noch vor dem Abendessen über das Wichtigste zu unterrichten. Eine Magd hatte für jeden einen Humpen Bier gebracht. Nun saß man sich schweigend gegenüber, nachdem sich zaghafte Gesprächsversuche über das Wetter und den Zustand der Straßen schnell erschöpft hatten. Für eine Diskussion über die letzten Ereignisse in Lodenbach und auf dem Reichskongress fand Ardo indes die Runde zu gezwungen. Er kannte von keinem seiner Gegenüber die Einstellung zu diesen Themen und wollte nicht Gefahr laufen noch vor dem Abendessen einen Streit zu provozieren. Mechthild starrte die meiste Zeit auf ihre Hände und blickte nur dann und wann kurz auf, wenn jemand anderes am Tisch eine Bewegung machte. Einmal blickten alle zugleich auf und alle Blicke kreuzten sich, als die Stimme von Großmutter Ingrimma laut wurde. Die dicke Eichentür verhinderte zwar, dass verständliche Worte zu den Wartenden vordrangen, doch Ardo glaubte zu wissen welches Anliegen sein Vetter gerade angesprochen haben musste.

Es dauerte weitere zehn Minuten, bis sich die Tür endlich mit einem vernehmlichen Knarzen öffnete. Langsam und betont würdevoll schritt Ingrimma Keilholtz vor ihrem ältesten Enkel in den Raum, während Greifwin ihr mit einem verkniffen wirkenden Lächeln folgte. Ardo erhob sich und trat einen Schritt auf die alte Dame zu. Mit einer galanten Verbeugung begrüßte er sie und schaffte es sogar ein offenes Lächeln zur Schau zu stellen als er sie begrüßte.

„Euer Wohlgeboren, es ist mir eine Freude und eine Ehre Euch endlich persönlich kennenzulernen. Ich bedaure es sehr, dass die Umstände unsere Familie in den letzten Generationen so sehr gespalten haben und hoffe, dass wir zukünftig wieder in Freudnschaft und mit gegenseitigem Respekt verkehren können.“

Frostig und steif nahm Ingrimma die Begrüßung des jungen Barons entgegen. Man erkannte deutlich, dass der Alt-Keilholtzer mit keinem seiner freundlichen Worte zu ihr durchgedrungen war. Ohne ein Wort nahm sie am Kopf des Tisches Platz, während Mechthild stellvertretend für ihren Baron rot anlief. Ardo indes versuchte sich nichts anmerken zu lassen als er sich wieder setzte, doch war seine Mimik nun genauso verschlossen wie die von Ifirnia und Ingrimma. Auch Greifwin, der sich demonstrativ neben seinen Vetter setzte, war die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Bevor noch etwas gesagt werden konnte, kam schon die Magd wieder herbei und trug auf einem großen Tablett heiß dampfende Schüsseln mit dem Abendessen für die sieben Adligen herein. Auf Greifwins hastigen Wink hin servierte sie und gab so den Anwesenden einen willkommenen Vorwand weiterhin zu schweigen, ohne dabei unhöflich zu erscheinen.

Erst als die Schüsseln wieder abgeräumt und ein jeder ein frischens Bier vor sich stehen hatte, ließ sich ein ernsthaftes Gespräch nicht länger vermeiden. Ingrimma schwieg weiter eisern und so war es an Greifwin seinen Geschwistern von der Absprache mit Ardo zu berichten.

Wie zu erwarten gewesen war nahm Ifirnia die Nachricht, dass sie fortan mit dem Kressenburger Baron, einem Alt-Keilholtzer, verlobt sein würde nicht widerspruchslos hin. Als ihr gar eröffnet wurde, dass auch der Hochzeitstermin schon feststand, warf sie voller Wut den Bierkrug um und verließ schimpfend das Haus. In die entstehende Stille hinein erklärte Greifwin seinen Brüdern welche Vorbereitungen bereits in der nächsten Zeit begonnen werden mussten und in seiner nächsten Abwesenheit erledigt werden sollten. Immerhin standen im Sommer große Landwehrübungen an und auch Ardo und Greifwin hatten vom Meister der Mark wichtige Aufgaben erhalten.

Ingrimma Keilholtz verabschiedete sich irgendwann von ihren drei Enkeln, wieder ohne Ardo und seine Knappin eines Wortes zu würdigen und begab sich zur Ruhe. Auch Mechthild wurde von ihrem Schwertvater bald zu Bett geschickt. Die vier jungen Männer aber redeten noch bis lange in die Nacht hinein über den Reichkongress und die kleinen und großen Sorgen, die er für Greifenfurt mit sich gebracht hatte.


Schwermütige Gedanken

Ingerimm 1033 BF

Sein Pferd kannte den Weg und folgte der Straße. Ohne aufzublicken oder zu lenken brütete Ardo vor sich hin. In Gedanken war er noch immer auf Weidensee, obgleich er und Mechthild das Junkerngut schon vor Stunden verlassen hatten.

Seine Knappin hielt ihr Pferd genau in seiner Spur und versuchte ansonsten vor allem die Umgebung im Blick zu haben. Noch hatten sie die Grenzen Kressenburgs nicht erreicht und sie hatte in den letzten Wochen zuletzt schmerzvoll erfahren müssen, dass weder Eslamsroden noch die rahjawärts gelegenen Grenzen Greifenfurts noch sicher war. Die anhaltende Stille ihres Schwertvaters machte die junge Kieselholmerin dabei noch nervöser als sie ohnehin schon war. Sie verkniff es sich mit Mühe wie ein unartiges Kind zu fragen wann man denn endlich am Ziel wäre. Sie wusste selber ganz genau wie lange der Ritt in diesem Tempo noch dauern würde und schneller wurden die Pferde durch sinnlose Fragerei auch nicht.

Der Baron wälzte indes immer und immer wieder die selben Fragen in seinem Kopf. Natürlich war seine Entscheidung vernünftig gewesen. Er und Greifwin hatten bisher als einzige aus der Familie erkannt was die Stunde geschlagen hatte. Ifirnia mochte sich noch so sehr dagegen sträuben, Greifwins Großmutter noch so sehr toben. Es blieb die Tatsache, dass sie zusammen mehr erreichen konnten und erreichen würden. Sie waren nun Nachbarn und Blutsbande verbanden sie, wenn diese auch schon viele Generationen zurückreichten. Es war einfach nicht gut länger auf die alte Feindschaft zu beharren. Weder für die Familie Keilholtz, noch für Greifenfurt. Doch in diesem Punkt war das jüngere Haus genauso stur wie man es sonst nur dem älteren nachsagte.

Die Wildermark drängte mit jedem Mond stärker in die Kernlande der Mark vor. Eslamsroden war in diesem Sinne inzwischen eine Grenzbaronie. Der abgesetzte Erbe Eslamsrodens hielt noch immer die Burg besetzt und niemand konnte ihn mit Waffengewalt zwingen sie freizugeben und sich auf das seiner Familie zugewiesene Junkerngut zurückzuziehen. Ardo wollte helfen und würde das auch dann tun, wenn seine Hilfe vom Großteil des jüngeren Hauses abgelehnt wurde. Seine Mutter hätte diese Gedanken verstanden. Gütig und sanft hatte sie stets versucht auf seinen Vater einzuwirken doch war selbst sie, die Travia-Akoluthin, in diesem Punkt an seiner Sturheit gescheitert. Bei ihrem Sohn hatte sie mehr erreicht. Ardo wollte den Unfrieden beenden und war nun endlich in der Position dazu es zu tun. Er war nun der Baron von Kressenburg, sein Vater und Großvater nominell seine Vasallen. Genau wie Greifwin war er vor einem Götterlauf vom gehorsamen Sohn und Enkel zum mächtigsten Mann in seinem Haus aufgestiegen.

In diesen Tagen endlich hatten sie den Schritt unternommen diese neue Macht nicht nur zu besitzen, sondern sie auch zum Wohle der Familie einzusetzen. Der harte Strauß den Greifwin mit seiner Schwester und Großmutter auszufechten hatte, wartete noch auf Ardo. Sein Vater und Großvater mochten in vielen Dingen anders denken als die Hartschädel auf Burg Keilholtz. Wenn es aber um das jüngere Haus ging waren auch sie nicht frei von Vorurteilen. Doch der junge Baron war sich sicher, dass er diese letzte Hürde ebenso meistern würde wie sein älterer Vetter aus dem jüngeren Haus.

Viel mehr zu schaffen machten ihm die Gedanken an seine Braut selbst. Ifirnia Rondralieb Keilholtz war, wenn man sie unvoreingenommen betrachtete, wirklich eine tolle Frau. Jung und gutaussehend und geschickt mit dem Schwert. Zudem sprachen fünf Geschwister Bände über die Fruchtbarkeit der Familie. Das alles machte sie für einen Greifenfurter Baron zur perfekten Wahl. Wenn da nicht der unversöhnliche Hass in ihren Augen gewesen wäre, der jedesmal aufflammte wenn sie ihn ansah. Inzwischen glaubte Ardo nicht mehr daran, dass sich zwischen ihnen jemals so etwas wie Zuneigung oder auch nur gütliches Einvernehmen entwickeln würde. Diese Frau wurde in seiner Gegenwarts zu Eis. Wenn sie allein mit ihrem Blick hätte töten können, wäre er auf Weidensee ein Dutzend qualvolle Tode gestorben.

Natürlich hatten Greifwin und er sie im Grunde zu dieser Verlobung gezwungen. Sie wussten beide um die Abneigung Ifirnias und hatten trotzdem über ihren Kopf hinweg über ihr Leben entschieden. Ein Leben welches sie fortan an der Seite eines Mannes zubringen sollte den sie aus tiefsten Herzen hasste. Ardo war sich sicher, dass seine Mutter dieses Vorgehen auf das Schärfste veruteilt hätte wenn sie nicht schon vor Jahren in die Hallen ihrer geliebten Göttin abberufen worden wäre. An diesem Punkt fehlte nicht viel und er hätte sein Pferd gewendet um zurückzureiten und Greifwin um die Auflösung der gerade erst geschlossenen Verlobung zu bitten. Doch etwas in ihm weigerte sich diese Niederlage anzuerkennen. Der Kampf war erst vorbei wenn er gewonnen hatte. Mochte seine Braut ihn hassen, seine Familie verständnislos den Kopf schütteln und seine Mutter strafend aus Alveran zu ihm hinabsehen. Doch er würde nicht aufgeben Ifirnia zu zeigen, dass sie mit ihrem Hass den Falschen traf. Vielleicht würde sie es nie lernen. Oder ihn des Nachts im Ehebett erdolchen. Aber er war fest entschlossen es trotzdem zu versuchen.

So in Gedanken versunken, bemerkte der Baron nicht einmal, dass sie irgendwann die Grenze zu seinen eigenen Ländereien überschritten. Sein Pferd kannte den Weg und folgte der Straße.

Eine Kriegerin der Mark

Rondra 1034 BF

„Praiadne Leuinherz Keilholtz! Tretet vor!“

Die Stimme des greisen Hlûthar von Schellenstein hallte über den Hof der märkischen Kriegerakademie Lechdans Erbe. Die etwa drei Dutzend Bewohner der Akademie, Schüler, Ausbilder und Bedienstete, waren komplett versammelt, um die erfolgreichen Schüler des Abschlussjahrganges zu verabschieden. An der Seite des Akademieleiters stand Bodar von Reifenberg, der alte Rondra-Geweihte, der seit Eröffnung der Schule vor fast zwei Jahrzehnten als geistige Beistand für alle Schüler fungierte und immer daran gemahnte, die erlernten Fertigkeiten im Sinne der Leuin zu benutzen. Er hielt das Schwert, auf das nun schon eine Generation junger Greifenfurter den Schwur auf den Heiligen Lechdan geleistet hatten.

Der Moment erfüllte Praiadne mit Stolz und sie konnte ein Lächeln beim besten Willen nicht unterdrücken. Gemessenen Schrittes trat sie aus den Reihen der Schüler hervor, von denen sie die jüngsten im letzten Götterlauf noch selber mitgeschult hatte. Kraftvoll und sicher sprach sie die rituellen Worte mit denen ein jeder Abgänger sich im Angesicht Rondras zum Schutz der Schutzlosen und dem Dienst an der Mark Greifenfurt verpflichtete. Bodar von Reifenberg nickte anerkennend und erteilte ihr seinen Segen. Praiadne machte auf den Hacken eine viertel Drehung und wandte sich so dem Schellensteienr zu. Aus seiner Hand empfing die junge Frau zwei Schriftrollen aus Pergament, eine mit dem Siegel der Akademie und eine mit dem der Mark Greifenfurt..

„Praiadne Leuinherz Keilholtz! Ihr habt die Ausbildung an der Märkischen Kriegerschule mit Bravour bestanden. Vom heutigen Tage an erhaltet Ihr das verbriefte Recht Waffen zu tragen wie es einer Kriegerin zusteht. Ihr habt zudem im letzten Götterlauf unter Beweis gestellt, dass Ihr nicht nur eine gelehrige Schülerin seid, sondern das gelernte Wissen auch weiterzuvermitteln wisst. Aus diesem Grund wurde beschlossen, Euch sogleich im Anschluss Eurer Ausbildung nach Eslamsroden zu versetzen. Ihr erhaltet den Rang eines Leutnants und werdet als Adjudantin des dort zuständigen märkischen Hauptmanns die Ausbildung der Landwehren beaufsichtigen.“

Die Überraschung stand der frischgebackenen Kriegerin deutlich ins hübsche Gesicht geschrieben. In ihr rangen widerstreitende Gefühle um die Vorherrschaft aber keines wollte obsiegen. Gerne wäre sie im Anschluss sofort zurück nach Weidensee geeilt um ihre Großmutter und die Geschwister endlich einmal wieder zu sehen. Ihren ältesten Bruder hatte sie immerhin seit über einem halben Götterlauf nicht mehr zu Gesicht bekommen. Andererseits war der militärische Rang und die verantwortungsvolle Aufgabe eine unerwartete Auszeichnung, mit der sie so früh nicht hatte rechnen dürfen.

Praiadne salutierte pflichtbewusst vor ihrem Ausbilder, der ihr wie vielen anderen Rekruten ab dem zwölften Lebensjahr ein Vaterersatz gewesen war. Mit einem freundschaftlichen Lächeln klopfte ihr der alternde Recke auf die Schultern.

„Herzlichen Glückwunsch Mädchen! Es ist leider erstmal nur die Landwehr geworden, mehr habe ich gegenwärtig nicht erreichen können. Der Nebelsteiner wollte auf biegen und brechen keine neuen Rekruten für die Finsterwacht. Aber ich bin mir sicher du wirst deinen Weg gehen. Mach mir keine Schande und pass gut auf dich auf.“

Dankbar strahlte die junge Kriegerin den Schellensteiner an.

„Das werde ich. Versprochen.“

Zusammen mit den restlichen vier Abgängern des Jahrganges machte sich Praiadne noch am Mittag auf gen Greifenfurt. Ihre wenige persönliche Habe hatte sie in den Satteltaschen verstaut. Mit Freude und Stolz trug sie das Wappen der Mark und als sie vor dem Aufbruch nach Eslamsroden ein letztes Mal in der Greifenfurter Kaserne schlief, hielt ihre Aufregung sie noch bis weit in die Nacht wach.

Willkommen bei der Landwehr

Rondra 1034 BF

„Und das Ganze noch einmal von vorn. Piken hoch! Ausrichten! Gurvane, die Spitze muss niedriger. So holst du nur die Blätter vom Baum. Schau auf Tannrik neben die. Der macht es richtig. So, und nun die Wende. Achtung, jetzt!“

Innerhalb von Sekunden war aus dem eben noch geordneten Landwehrbanner ein Haufen übereinander stolpernder Leiber und verhakten Piken geworden. Ardo riss sich zusammen um nicht vor Verzweiflung die Hände vors Gesicht zu schlagen.

„Praiossanctus, gib mir Kraft oh Götterfürst.“ Nach diesem kurzen Stoßgebet ließ er seine Kasernenstimme wieder über der Feld schallen.

„Halt das Ganze! Halt habe ich gesagt Gurvane! Und jetzt ausrichten! Bei Rondra, da geht es ja in jedem Hühnerstall geordneter zu! Piken hoch und Augen zu mir! Wenn der Ork jetzt hinter euch gewesen wäre, wäret ihr abgeschlachtet worden wie tobrische Schafe!“

Die betretenen Mienen sprachen Bände. Unzufrieden wandte Ardo sich an den Unteroffizier neben sich, der sofort Haltung annahm. „Korporal Hamfast! Ihr lasst die Wende bis zum Abend weiterüben. Vor dem Abendessen will ich Fortschritte sehen. Macht ihnen Beine!“

„Jawohl Herr Hauptmann!“

Ardo ließ Hamfast und die Landwehr stehen und stapfte zurück in sein Zelt. Der Schweiß stand ihm in den Stiefeln und er ahnte, dass er im Moment nicht besser roch als ein Schweinebauer. Kurzentschlossen streifte er den Wappenrock und das Kettenhemd ab, nahm sich ein Leinentuch und machte sich auf zur Badestelle vor dem Lager.

Der kleine Bach war gerade ein paar Schritt breit und nur an dieser einen Stelle mehr als hüfttief. Dort, wo das Bachbett wieder flacher und breiter wurde, gab es eine kleine Furt wo der Feldweg aus Broien über den Bach führte. Ardo legte seine Kleidung am Ufer ab und stieg in das kühle Nass. Genießend ließ er sich das Wasser über Schultern und Kopf laufen, tauchte ein paar mal und blieb wohl ein viertel Stundenglas im Bach, bis er endlich glaubte alles an Staub und Schweiß des heißen Vormittags abgespült zu haben.

Gerade als er sich daran machte aus dem Wasser zu steigen, hörte er den Hufschlag eines einzelnen Pferdes. Es kam aus Richtung Broien und schon bald erkannte Ardo einen Wappenrock der Mark. Die junge Reiterin verlangsamte ihr Tier und kam auf dem Weg zur Furt heran. Auch sie hatte Ardo entdeckt, der noch immer bis zur Hüfte im Wasser stand.

„Rondra zum Gruße, Soldat. Wo finde ich das Zelt des befehlshabenden Offiziers?“

Ardo wollte schon aufbrausen, als ihm einfiel, dass er ohne Rüstung und Wappenrock nur schwer als Baron und Hauptmann zu erkennen war. Belustigt über die Situation musste er grinsen, was bei der jungen Frau ein verärgertes Stirnrunzeln hervorrief. Sie mochte glauben, dass der Soldat vor ihr sie nicht sonderlich ernst nahm.

Er blickte auf ihre Rangabzeichen. Leutnant also. Das war dann wohl die angekündigte Stellvertreterin. So wie sie aussah mochte sie selbst gerade erst aus der Ausbildung kommen. Vielleicht gar nicht verkehrt, da war das Wissen noch frisch. Er vertraute darauf, dass man ihm keine Niete geschickt hatte. Noch immer ruhte ihr fragender Blick auf ihm.

„Rondra zum Gruße, Frau Leutnant. Das Zelt des Hauptmanns könnt Ihr nicht verfehlen. Gleich das erste rechts im Lager. Der Hauptmann selbst ist gerade nicht da, aber ich werde dafür sorgen, dass er sogleich zu Euch stößt.“

Die Frau schaute kurz unschlüssig wegen Ardos Wortwahl, ließ es dann aber auf sich beruhen. Sie grüßte dankend, ritt durch die Furt und strebte dem Zeltlager zu. Ardo sah, wie sie vor seinem Zelt abstieg, das Pferd anband und nach kurzem Zögern eintrat. Schließlich stieg er aus dem Bach, trocknete sich mit dem Leinentuch ab, streifte sich Hemd und Hose über, stieg in seine Stiefel und legte zügig die zweihundert Schritt zu den Zelten zurück.

Ohne Umschweife betrat er sein Zelt und fand die junge Frau in aufrechter Haltung vor dem Besprechungstisch stehen. Verwirrt sah sie ihn an, als hinter ihm nicht wie erwartet ihr neuer vorgesetzter Offizier eintrat.

„Stehen Sie bequem und machen Sie Meldung.“

Ardo ging an ihr vorbei zu seiner Truhe und holte eine Flasche Wein und zwei Zinnbecher hervor. Er hatte vor seiner neuen Stellvertreterin die Begrüßung und den kleinen Scherz zu versüßen.

„Soldat? Was hat das zu bedeuten? Erklärt Euch!“

Mit einem feinen Lächeln stellte Ardo die Becher auf den Tisch und öffnete die Flasche.

„Ardo von Keilholtz, Baron zu Kressenburg, Hauptmann der Märkisch Greifenfurtschen Armee. Auch an Euch die Bitte, spart Euch hier im Lager das Hochgeboren. Und jetzt steht endlich bequem und macht Meldung.“

Praiadne wurde abwechselnd rot vor Scham und blaß vor Schreck und die Überraschung ließ ihr Kinn nach unten sacken. Sie hatte sich gehörig blamiert, noch bevor sie ihren Dienst überhaupt angetreten hatte. Zu allem Überfluss war ihr Vorgesetzter auch noch ein Altkeilholtzer! Am liebsten wäre sie auf der Stelle im Boden versunken oder schnurstracks zu ihrem Pferd gerannt um zu ihrer Familie ins nahe Weidensee zu flüchten. Aber die Abscheidsworte des Schellensteiners kamen ihr wieder in den Sinn. Sie nahm all ihren Mut zusammen um dem Kressenburger in die Augen zu sehen und zu salutieren.

„Leutnant Praiadne Leuinherz Keilholtz meldet sich zum Dienst, Herr Hauptmann.“ Etwas kleinlauter fügte sie den Versuch einer Entschuldigung an. „Ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich Euch unwissentlich beleidigt habe, Euer Hochgeboren.“

Ardo, der gerade den Wein hatte einschenken wollen, erstarrte für einen Moment, bevor er lachend und den Kopf schüttelnd fortfuhr.

„Praiadne Keilholtz, fürwahr. Da seht Ihr Eurer Schwester so ähnlich und ich habe Euch doch sehenden Auges nicht erkannt.“ Noch immer lachend reichte er ihr einen der Becher. In den Zinn war sehr detailliert und fein das Wappen der Baronie Kressenburg eingestanzt, was sie im Halbdunkel des Zeltes erst jetzt erkennen konnte. „Seid mir willkommen, werte Base und zukünftige Schwägerin. Auf das Herzlichste willkommen.“

Die Verwirrung stand Praiadne ins Gesicht geschrieben. Zukünftige Schwägerin? Dann musste dieser Mann hier derjenige sein, von dem ihre Schwester ihr vor Wochen voller Wut geschrieben hatte. In Gedanken verglich sie ihren Gegenüber mit den Attributen mit denen er von seiner Verlobten bedacht worden war. Alt und hässlich, schwach und feige, unangenehm und dumm, stinkend und faul. Wie konnte das derselbe Mann sein? Auf den ersten Blick war er in den meisten Punkten das genaue Gegenteil. Sicherlich, sie sah ihn das erste Mal. Das zweite Mal wenn man die Szene am Bach mitzählte. Aber auch Ifirnia hatte ihn kaum öfter gesehen. Wollte ihre Schwester vielleicht nur nicht sehen was für ein Mann ihr Verlobter hinter seinem Namen war?

Verlegen senkte Praiadne den Blick, als ihr bewusst wurde, dass sie Ardo wohl eine volle Minute angestarrt haben musste. Noch immer hielt er die Hand ausgestreckt um ihr den Wein zu reichen. Als sie wieder aufblickte lag ein Lächeln auf ihrem vor Verlegenheit gerötetem Gesicht. Ohne sich etwas anmerken zu lassen, griff sie nach dem Begrüßungswein. Sie hatte sich entschieden. Ardo war ihr Vorgesetzter. Egal was Ifirnia von ihm halten mochte, Praiadne konnte sich keine Vorurteile erlauben. Sie musste selbst erkennen ob sie sich im Notfall auf ihren neuen Hauptmann würde verlassen können. Er hatte sie offensichtlich vorbehaltlos akzeptiert, trotz des generationenalten Konflikts zwischen ihren Familien und er hatte es sich damit verdient, dass sie ihm ebenso unvoreingenommen entgegen trat.

Üben, üben, üben

Efferd 1034 BF

„Das nennst du sauber, Firnwulf? Da hängt ja noch Gras und Dreck von der Geländeübung gestern zwischen den Gliedern! Hier, nimm das Kettenhemd und mach dich wieder an die Arbeit. Und diesmal mach sie anständig! Wenn mir das Hemd wegen deiner Nachlässigkeit wegrostet, streiche ich dir so lange die Rationen zusammen, bis das neue bezahlt ist. Lass dir von Mechthild das Öl zum Einreiben geben! Und wenn du schon dabei bist schicke Leutnant Keilholtz zu mir.“

Kopfschüttelnd sah Ardo seinem neuen Pagen hinterher bevor er sich schließlich an seinen kleinen Besprechungstisch setzte um eine Landkarte zu studieren. Die Übung am Vortag war wieder einmal ein Desaster gewesen. Es war wie immer, wenn die Bauern etwas zum ersten Mal tun sollten. Nicht, dass sie sich den Befehlen widersetzt hätten. Sie verstanden einfach nicht wie sie diese umsetzen sollten. Das einfache Wenden, das Bilden einer Speerwand oder das gleichzeitige Schießen auf Kommando hatten sie glücklicherweise nach ein paar Wochen auf dem Exerzierplatz verstanden. Aber verlangte man dieselben Übungen im Gelände zwischen Hügeln und Bächen, dann war die Ordnung schnell dahin. Es würde wohl wie auf dem Platz nur mit andauernder Übung funktionieren.

Doch viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Bald war Erntezeit, da würden die meisten seiner Leute zurück auf ihre Höfe gehen und ihm erst Wochen später wieder zur Verfügung stehen. Wahrscheinlich hatten die meisten ihre Lektionen bis dahin längst wieder vergessen. Wenigstens auf seine Kressenburger Bogenschützen konnte er sich verlassen. Die Anordnung, sich an jedem Markttag mit dem Bogen zu üben, trug langsam Früchte. Trotzdem entband das den Baron nicht von seiner Sorge um den Gesamtzustand der Landwehr. Ein plötzlicher Schatten am Eingang des Zeltes machte Ardo auf seine eintretende Adjudantin aufmerksam.

„Herr Hauptmann! Ihr habt mich rufen lassen.“

„Frau Leutnant. Kommt rein Praiadne und setzt Euch. Ich denke es ist Euch gestern nicht entgangen, dass wir ein Problem mit der Truppe haben. Darüber müssen wir reden und schnellstens eine Lösung finden.“

Er konnte sehen, wie es hinter der Stirn der jungen Offizierin arbeitete. Ja, sie hatte den noch immer desolaten Zustand der Landwehr ebenfalls erkannt. Jeder der nicht schon taub war, hatte gestern bei dem kleinen Manöver ihren Unmut nicht überhören können. Auch Ardo war sehr laut geworden, doch war das etwas anderes, denn seine Kasernenstimme waren die Leute schon gewohnt. Die kleine gutaussehende Edle so dermaßen fluchen und schimpfen zu hören hatte ihn auf der einen Seite belustigt, aber gleichzeitig auch seinen Respekt vor ihr wachsen lassen. Er hatte inzwischen erkannt, dass sie stets genau wusste wovon sie sprach und dass sie darauf brannte, das an der Akademie erworbene Wissen umzusetzen. Nun wusste er zudem, dass sie die Fähigkeit hatte sich bei Unteroffizieren und Mannschaften durchzusetzen. Nicht nur wegen ihres Ranges und ihrer adligen Herkunft, sondern durch natürliche Autorität.

„Wenn Ihr erlaubt Hauptmann Ardo, ich habe mir ein paar Gedanken gemacht.“

„Nur zu. Ich will alles hören. Dazu habe ich Euch schließlich rufen lassen.“

„Gut.“

Praiadne sortierte noch einmal ihre Gedanken, bevor sie daran ging sie ihrem Vorgesetzten zu unterbreiten. Sie hatte an der Akademie gelernt, dass auch gute und kluge Ideen überzeugend dargebracht werden mussten, wenn sie Gehör finden wollte. Zwar hatte Ardo ihr bisher immer aufmerksam zugehört. Auch bei den Gesprächen zu den Abendessen, die sie beiden als einzige Adlige im Lager nur mit seiner Knappin und seinem Pagen zusammen einnahmen, führten sie häufig offene Diskussionen. Nicht nur über die Armee, auch über Kressenburg und Eslamsroden, die Lehen Ardos und ihres Bruders Greifwin. Nur das Thema der Familie hatte sie bisher erst einmal kurz angeschnitten als sie ihre Schwester, Ardos Verlobte, zur Sprache brachte. Doch Praiadne hatte schnell gemerkt, dass dies ein Punkt zu sein schien, den ihr zukünftiger Schwager nicht näher bereden wollte.

Abgesehen davon war Ardo immer bereit gewesen sich alles unvoreingenommen anzuhören. Nun jedoch ging es um seinen Zuständigkeitsbereich, die Führung der Truppe und Praiadne war sich nicht sicher wie er auf Kritik daran reagieren würde. Sie atmete tief durch und sah ihren Hauptmann dann fest in die Augen während sie sprach.

„Meiner Meinung nach ist die Befehlsstruktur zu grobmaschig.“

„Inwiefern?“

„Den Leuten fehlt in der Masse die Orientierung. Sie wissen oft nicht wo vorn und hinten ist und bevor wir ihnen das nicht wenigstens halbwegs beigebracht haben sind alle anderen Übungen sinnlos. Wir haben aber nicht die Zeit die Bauern so lange zu drillen bis sie es endlich kapiert haben. Sie sind nunmal keine Soldaten sondern nur Landwehr. Also müssen wir ihnen das Verstehen erleichtern.“

„Wie würdet Ihr das anstellen?“

„Gebt den Veteranen mehr Verantwortung. Es sind einige Ältere dabei die schon Schlachten gesehen und gegen Schwarzpelze gefochten haben. Die wissen wie es geht und wie sie ihre Pike zu halten haben. Gleichzeitig haben wir aber auch hauptsächlich junge Kerle und Mädel, die zum ersten Mal eine Waffe in der Hand haben und einen Reigen um den Ingerimmsbaum für eine geschlossene Reihe halten. In dieser Masse gehen die wenigen Erfahrenen unter. Wenn wir ihnen aber ein wenig Autorität zugestehen, könnten sie die jüngeren anleiten. Geben wir jedem Veteran ein paar Frischlinge an die Hand für die er verantwortlich ist.“

„Dann bekommen wir einen Haufen Korporäle. Was soll das bringen? Ganz zu schweigen, dass ich den Bauern hier keinen Unteroffizierssold zahlen kann und werde.“

„Das müsst Ihr ja auch gar nicht. Geht einfach hin und erhebt ein paar Ältere symbolisch zu Wortführeren. Auf den Dörfern funktioniert das auch. Im Zweifel hören sie doch immer auf ihre Ältesten. Die Jüngeren sollen sich bei den Übungen und im Manöver an ihren Anführer halten und die sind gegen uns wiederum dafür verantwortlich, dass ihre Leute die Pike richtig herum halten.“

„Gibt das nicht ein heilloses Durcheinander? Bauern die sich gegenseitig Befehle geben? Sie hören doch uns schon nicht richtig zu, weil sie mehr damit beschäftigt sind die Lanze auszurichten und sich nicht selbst zu verletzten.“

„Ihr hebt doch selbst immer wieder Einzelne für die anderen als Vorbilder und Beispiel für die Masse heraus. Mein Vorschlag wäre nur eine Fortsetzung dieses Prinzips. Sagt den Bauern auf wen neben sich sie im Zweifel schauen sollen. Korporal Hamfast oder wir stehen ja nicht mit in der Formation, an uns können sie sich nicht orientieren. Wenn sie aber im Getümmel den alten Tannrik ansehen würden, wie er die Pike aufstellt, dann wüssten sie sofort wie sie es richtig zu machen haben.“

„Nun gut, ich lasse mir das durch den Kopf gehen. Tannrik ist wirklich ein gutes Beispiel, der hat schon auf den Silkwiesen gekämpft und weiß wirklich was er machen muss. Lasst uns schauen ob wir noch ein paar von dem Schlag finden. Vielleicht lässt sich das ja umsetzen. Sonst noch Vorschläge?“

„Ja, Herr Hauptmann. Wir sollten die Leute ermuntern von selbst mehr zu leisten. Sie sind ja nicht freiwillig hier, sondern verpflichtet diesen Dienst zu tun. Viele haben zu Hause Hof und Familie und sehnen sich jeden Tag zurück um nach dem Rechten zu sehen. Sie sind mit den Gedanken nicht bei der Sache und das werden wir ihnen auch nicht mit Zwang einbleuen können. Aber wir könnten ihnen einen kleinen Anreiz geben. Wir haben Bauern aus fünf Baronien hier. Die meisten Übungen finden ja auch in diesen kleinen Einheiten statt und nur ganz selten lassen wir alle gemeinsam marschieren. Lasst uns einen kleinen Wettbewerb veranstalten. Jede Woche küren wir die beste Einheit und loben als Preis ein Extrafass Bier aus. Das ist nicht zu teuer, stärkt die Moral und gibt den Frauen und Männern einen Anreiz sich ganz besonders anzustrengen.“

„Ich halte ja eigentlich nicht viel davon Bauern zum Trinken zu ermutigen. Die müssen nachher wieder aufs Feld und ihre Arbeit tun, auch wenn keine Extraration auf sie wartet. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Aussicht auf ein oder zwei Humpen mehr die Lernbereitschaft erhöht. Meine Soldaten in Greifenfurt hätten für ein paar Freibier auch so einiges getan.“

Verschmitzt grinste Praiadne ihren Vorgesetzten an.

„Eben. Da sind die Kadetten der Kriegerakadmie auch nicht viel anders. Für ein paar Bier zu Lechdans Ehr’ schindet man sich gerne mal eine Stunde länger.“

„Sehr schön, dann wollen wir das mal versuchen. Das zusätzliche Bier lasse ich mit der nächsten Versorgungslieferung aus Eslamsroden kommen. Habt Ihr noch etwas?“

„Nein, abgesehen von diesem Maßnahmen bleibt uns nur die übliche Methode um den Leuten das Kriegshandwerk näher zu bringen. Üben, üben, üben.“

„Dann würde ich sagen“, begann Ardo während er einem Bierschlauch und zwei Becher hervorholte und eingoss, „habt Ihr Euch für Eure Ideen ebenfalls ein Freibier verdient.“

Ohne zu zögern griff Praiadne nach ihrem Becher und stieß mit dem Baron an.

„Und womit habt Ihr Euch diesen Umtrunk außer der Reihe verdient, Herr Hauptmann?“, fragte sie mit einem frechen Glitzern in den Augen.

Mit gespielter Würde strich Ardo sein Wams glatt und prostete Ihr noch einmal grinsend zu.

„Ich bin der Kommandant.“

Vor dem Zelt hoben Mechthild und Firnwulf verwundert die Köpfe von ihrer Arbeit an Ardos Kettenhemd als sie das einvernehmliche Lachen aus dem Zelt hörten, blickten sich an und schüttelten zugleich ratlos die Köpfe.

Unerwünschte Gefühle

Hesinde 1034 BF

Die Zeit der Ernte war längst vorbei und schon seit Wochen hatte Ardo die Landwehr wieder zu den Übungen beisammen. Inzwischen lag auch hier im Süden Greifenfurts der Schnee mehrere Finger hoch und hatte die Felder und Wiesen bedeckt. Durch das Zeltlager zogen sich viele kleine Trampelpfade, einige mehr, andere weniger deutlich. Am Besten erkannte man den Weg vom Kochzelt zu den Latrinen und den Pfad aus dem Lager heraus zum Exerzierplatz. Diesen wiederum erkannte man bereits aus größerer Entfernung, war er doch ein großes matschigbraunes Quadrat inmitten von Firuns weißer Pracht.

Mit einiger Mühe war es gelungen das Lager winterfest zu machen. Stroh für die Nachtlager der Mannschaften war in rauhen Mengen geliefert worden und zwischen den Zelten liefen schmale Schmelzwassergräben zum Bach hinunter. Inzwischen gab es sogar einen Palisadenwall, der das Lager umgab und die gröbsten Winde und Schneewehen fern hielt. Diese Idee Ardos war zuerst mit Murren aufgenommen worden, hatte es doch in den ersten Wochen einige Mehrarbeit gefordert, aber nachdem es nun in den Zelten deutlich weniger zog, waren es alle zufrieden.

Nun saß der Baron an seinen Listen. Es war an der Zeit für den nächsten Nachschubkarren aus Eslamsroden, doch wegen der schlechten Straßen würde er wohl später kommen. Das war noch nicht problematisch, die Vorräte würden noch mindestens eine Woche reichen. Trotzdem wäre es ihm lieber gewesen, wenn der Nachschub bereits da wäre. ‚Wozu über ungelegte Eier grübeln?’ Wieder einer dieser Sprüche seines Vogtes der ihm in den Sinn kam. Der Karren würde heute kommen oder morgen oder später, er konnte es nicht beeinflussen.

Also ließ er von den Listen ab und rückte mit dem Stuhl näher an die Feuerschale, die in der Mitte des Zeltes stand und Wärme verbreitete. Im Hintergrund saßen Mechthild und Firnwulf über einem Brettspiel und beachteten ihn gar nicht. ‚Eigentlich schlecht erzogen.’, dachte er bei sich. ‚Ich bin ihr Schwertvater, die sollten immer auf dem Sprung sein falls ich eine Aufgabe für sie habe.’ Seine Gedanken wurden von einem Schwall kalter Luft unterbrochen. Hinter ihm war Praiadne ins Zelt gekommen und schlug nun sorgfältig die Plane wieder vor, um keine weitere Wärme entfleuchen zu lassen.

„Frau Leutnant.“

„Herr Hauptmann.“

Grinsend sahen sie einander an. Längst waren sie dazu übergegangen sich zu dutzen wenn sie unter sich waren, doch machten sie sich trotzdem den Spaß sich mit ihren militärischen Rängen zu begrüßen. Praiadne nahm sich vom heißen Wein der neben der Feuerschale stand und trank ein paar Schlucke um sich aufzuwärmen.

„Wie schaut es aus? Alles in Ordnung draußen?.“

„Alles bestens. Die Wachen sind auf Posten und die Dunkelsfarner trinken ihr Extrabier. Nur der Wind ist noch immer eklig und friert einen bis auf die Knochen durch.“

„Dann komm ran hier und häng die Füße unter die Schale. Dann wird es dir auch wieder warm.“

Ardo rückte zur Seite und machte Platz für Praiadne die sich einen Stuhl schnappte und sich neben ihn setzte. Sie entledigte sich ihrer Stiefel und streckte die Füße dann mit einem wohligen Seufzen der Feuerschale entgegen. Ardo schenkte ihnen beiden warmen Wein nach und machte es sich gleichsam wieder gemütlich.

„Allein dafür hat es sich gelohnt Offizier zu werden.“

„Du sagst es Ardo. Im Winterbiwak habe ich unsere Ausbilder immer darum beneidet. Da waren wir froh, wenn wir bei den Pferden schlafen konnten, die haben einen noch ein wenig gewärmt.“

„Tja, hier hats leider nur wenig Pferde. Aber ich denke die Mannschaften wissen sich da auch anders zu helfen.“

Mit einem Zwinkern machte Ardo klar, dass er auf die Intimitäten unter den Leuten anspielte, die ihm zuletzt gemeldet worden waren. Er hatte die ‚Schuldigen’ jeweils mit getrennten Nachtwachen bestraft um der Disziplin genüge zu tun. Doch im Grunde war ihm klar, dass sich dergleichen bei so einer großen Menge vorwiegend junger Menschen fern der heimatlichen Scholle in den kalten Wintermonden nicht wirkungsvoll unterbinden ließ.

Praiadne schenkte ihm ein anzügliches Grinsen welches anzeigte, dass sie genau wusste was er meinte.

„Das wiederum ist der Nachteil daran im Biwak Offizier zu sein. Während sich die Mannschaften anderweitig Hitze verschaffen, muss sich unsereins mit einem heißen Stein unter dem Stroh begnügen wenn er es warm haben will.“

„Ich glaube das liegt weniger am Offiziersdasein an sich. Zu meiner Zeit in der Greifenfurter Garnision war das zumindest kein Hinderungsgrund.“

„Du meinst wir haben hier nur getrennte Betten und müssen frieren, weil du mit meiner Schwester verlobt bis?“

Im Hintergrund hatte Mechthild kurz aufgeblickt. Wann immer die Sprache auf seine Verlobte kam, pflegte ihr Schwertvater unleidlich zu werden. Sie wusste, dass es etwas mit der schwierigen Beziehung ihrer beiden Familien zu tun hatte, konnte es aber nicht ganz verstehen. Immerhin kam er mit Praiadne, der Schwester, wunderbar aus und auch mit dem Bruder, dem Baron von Eslamsroden, war er freundschaftlich verbunden. Die Knappin erwartete, dass ihr Baron das Thema wie immer mit einer unwirschen Bemerkung beenden würde. Doch diesmal brauste er merkwürdigerweise nicht sofort auf. Sie sah sein grüblerisch verzogenes Gesicht, bis eine leichte Berührung an der Hand sie aufschrecken ließ und daran erinenrte, dass Firnwulf auf ihren Zug wartete.

Ardo hielt den Blick starr auf das Feuer gerichtet. Praiadnes Bemerkung hatte ihm mehr zu denken gegeben als er erwartet hatte, obwohl oder vielleicht gerade weil sie in einem neckenden Tonfall gestellt worden war. Ohne Frage war seine voreheliche Enthaltsamkeit selbstgewählt. Nicht einmal seine traviafromme Mutter hätte ihm einen ernsthaften Vorwurf gemacht, wenn er sich in Erwartung einer freudlosen Ehe anders entschieden hätte. Gerade in solchen Momenten wie jetzt, wünschte er sich seinen Gefühlen einfach nachgeben zu können, ohne Rücksicht auf das Morgen.

Praiadnes Angebot war trotz der Schnoddrigkeit ihrer Worte deutlich genug gewesen. Auch ohne das hätte er gewusst, dass sie ihn nicht zurückgewiesen hätte. Er konnte nicht ermessen ob und wie sehr er diese verpasste Gelegenheit später bereuen würde. Doch er wusste, dass seine Gefühle für Praiadne inzwischen viel zu stark waren, als dass er sich auf ein Techtelmechtel einlassen konnte ohne innerlich zu zerreißen. Vor allem, dass sie ihrer älteren Schwester so ähnlich sah, machte ihm zu schaffen. Die Vorstellung, in Zukunft stets an Praiadne denken zu müssen wenn er bei der lieblosen Ifirnia lag, jagdte Ardo kalte Schauer über den Rücken.

„Ja, ich denke daran wird es liegen.“ Er beließ es bei dieser einsilbigen Antwort und kippte den warmen Wein in einem Zug hinunter.

Die junge Frau bemerkte den Stimmungswandel sofort und verzichtete darauf das Gespräch fortzusetzen. Stumm verwünschte sie sowohl Ardo, als auch ihre Schwester und sich selbst. Den Hauptmann, weil er sich so sehr an seine praiotische Moral klammerte und lieber in Depressionen versank, als seinen Fehler einzusehen und ihn zu ändern. Ihre Schwester, weil sie diesen guten Mann mit ihrer abweisenden Art unglücklich machte und ihn später in den Suff treiben würde. Und sich selbst, weil sie zu feige war dem jungen Baron klar und offen zu sagen wie sie für ihn empfand. Denn sie wusste, dass er die einmal getroffenen Vereinbarung mit ihrem Bruder nicht in Frage stellen würde, egal wie sehr er selbst darunter litt.

Schließlich beendeten der Page und die Knappin ihr Spiel. Mechthild schob auf einen Wink Ardos die heißen Steine für die Nacht unter die Decken und wenig später lagen alle vier auf den Nachtlagern. Jeder auf dem seinen.

Die tote Braut

Firun 1034 BF

Es war schon fast Abend, als der Bote im Eslamsrodener Wappenrock ins Landwehrlager bei Broien geritten kam. Ardo und Praiadne waren gerade noch dabei letzte Befehle für die anstehende Nachtwache zu geben. Der Baron schickte Mechthild hinüber um sich um das abgetriebene Pferd des Mannes zu kümmern und ihm zu sagen, dass er im Offizierszelt warten solle.

Wenig später kam Ardo selber nach, Praiadne an seiner Seite. Bereits beim Eintreten erkannte er an der Miene des Botenreiters, dass dieser keine erfreulichen Nachrichten bringen würde. Er hoffte inständig, dass seinem Vetter greifwin nichts zugestoßen war. Der Bursche grüßte artig und zog dann zwei Schreiben aus seiner Umhängetasche.

„Euer Hochgeboren, Eucher Wohlgeboren. Ich bringe Kunde von Baron Greifwin aus der Wildermark.“

Ardo atmete erleichtert auf. „Also...“

„So ist mein Bruder wohlauf?“ Der unruhige Blick der Adjudantin wanderte zwischen dem Gesicht des Boten und den beiden Pergamentrollen hin und her.

Das die ansonsten so disziplinierte Praiadne ihrem Hauptmann ins Wort fiel, zeigte Ardo, dass sie beim Anblick des Boten ebenso das Schlimmste befürchtet hatte. Er schwieg und blickte den jungen Mann fragend an.

„Ja, Euer Wohlgeboren. Baron Greifwin war wohlauf als er mich zu Euch sandte. Aber ich fürchte meine Nachricht wird Euch trotzdem nicht gefallen. Bitte, es steht mir nicht zu mehr Worte darüber zu verlieren.“

Geduldig hielt er den beiden Adligen die Botschaften entgegen. Praiadne riss ihm die ihre förmlich aus der Hand und auch Ardo erbrach hastig das Siegel und überflog die Zeilen, die in der Handschrift seines Vetters geschrieben waren. Es bestand kein Zweifel an der Echtheit der Botschaft. Erschüttert hob er den Blick und sah Praiadne an, die ihn ebenso fassungslos anstarrte.

„Ifirnia...meine Schwester,... sie ist tot? Aber wie kann das sein?“

Ardo nickte mechanisch. Er hatte Ifirnia als kämpferische Frau und starke Kriegerin kennengelernt. Aber die Gefahren der Wildermark konnten auch den besten Kämpfer in die Knie zwingen. Der Schmerz in Praiadnes Blick verschlug dem Baron die Sprache und er fühlte sich mit einem Mal hilflos wie ein Kind. Mehr noch als das aber fühlte er sich schuldig, weil ihn der Tod seiner Verlobten nicht annähernd so nahe ging wie er vielleicht sollte und wie er offensichtlich ihrer Schwester zu Herzen ging. Seine Verzweiflung wuchs eher mit der Trauer Praiadnes, die mit den Tränen kämpfte und sich krampfhaft an der Tischkante festhielt. Sie wirkte so verletzlich wie er seine Adjudantin noch nie zuvor gesehen hatte. Mit Mühe wand er den Blick ab, um die Befehle zu geben die von drei Paar Augen von ihm erwartet wurden. Zuerst sprach er den Boten an.

„Wie heißt du?“

„Junko Treufuss, Euer Hochgeboren..“

„Gut. Firnwulf, geh und bring Junko zu den Mannschaftsquartieren. Sag dem Koch er soll ihm eine kräftige Portion geben, er hat einen weiten und gefahrvollen Weg zurückgelegt um uns Nachricht zu bringen. Bleibe bei ihm bis er gespeist hat und zeige ihm dann seine Schlafstatt. Mechthild, du wirst noch einmal in den Stall gehen und dich überzeugen, dass es Junkos Pferd an nichts mangelt. Es hat einen ebenso anstrengenden Weg gehabt wie sein Herr und soll demenstprechend behandelt werden. Lass dir ruhg Zeit dabei. Junko, ich wünsche in meinem Lager weder Schauergeschichten über die Wildermark, noch dass zu diesem Zeitpunkt etwas über diese Botschaft zu den Mannschaften durchdringt. Schlaf dich aus und komme morgen zur zweiten Praiosstunde zu mir. Eventuell habe ich weitere Botschaften für dich.“

„Sehr wohl Euer Hochgeboren.“ Der Botenreiter verbeugte sich vor Ardo und Praiadne und verließ dann hinter dem Pagen und der Knappin das Zelt.

Kaum dass sie beide allein im Zelt waren, sank die junge Kriegerin schluchzend auf einen Hocker nieder, die Arme vor sich verschränkt und das Gesicht in der Armbeuge vergraben. Zögernd trat Ardo an sie heran und legte ihr behutsam die Hände auf die bebenden Schultern. Er wusste, dass in diesem Moment noch kein Wort des Trostes zu Praiadne durchdringen würde. Auch er hatte damals nach der Nachricht vom Tod seiner Mutter viele Stunden in seiner Knappenkammer auf der Kressenburg gelegen und allein vor sich hingeweint. Weder das gütige Zureden Phexians noch die verlockende Biersuppe Ugrimms hatte ihn damals von seinem Schmerz ablenken können. Erst als die ersten Tränen versiegt waren, hatte er begonnen das Geschehene zu begreifen und zu verarbeiten.

Praiadne spürte die kräftigen Hände des Barons. So sehr hatte sie sich in den letzten Monden nach einer solchen Berührung durch ihn gesehnt, doch immer hatte er trotz der beengten Verhältnisse im Lager völlig korrekt den Abstand gewahrt. Immer hatte Ifirnia zwischen ihnen gestanden, nie anwesend, unsichtbar und doch unüberwindlich. Nun war sie tot und auf einmal lagen seine Hände auf ihrem Rücken und streichelten sie sanft. Sie wusste, dass er nur versuchte sie zu trösten und zu beruhigen, doch das änderte nichts an dem Chaos das in diesem Moment über ihre Gefühlswelt hinneinbrach. Sie hatte ihre Schwester geliebt. Der Schmerz drohte ihr schier die Herz zu zerreißen. Aber wie konnte sie dann so kurz nach der Nachricht ihres Todes diese unbändige Freude über Ardos Nähe empfinden? Hatte die Eifersucht sie so sehr zerfressen? Verzweifelt drehte sie sich um, ließ sich in Ardos Arme fallen und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. Mochte es den Schmerz auch noch bitterer machen, so brauchte sie doch das Gefühl seiner Arme die sich besänftigend um ihre Schultern legten.

Noch über eine halbe Stunde standen die beiden so da. Ardo spürte wie Praiadne irgendwann ruhiger wurde und schließlich, von ihm gehalten, an seiner Brust einschlief. Ihr Kopf fieberte wie bei einer Kranken und außer den rotgeweinten Augenpartien wirkte das Gesicht im Schein der Kerze völlig blass. Behutsam hob er sie auf und trug sie zu ihrer Schlafstatt. Nachdem er sie gebettet und zugedeckt hatte, zog er sich einen Hocker heran, setzte sich zu ihr und hielt ihre Hand. Wenn sie aufwachte sollte sie wissen, dass sie trotz ihres Verlustens nicht alleine war.

Nach der Schlacht

Ingerimm 1034 BF

Erschöpft ließ Ardo sich gleich nach dem Eintreten auf einem der Stühle nieder die in der Mitte des Zeltes um eine Feuerschale aufgestellt waren. Sein Schildarm schmerzte noch immer von den vielen harten Schlägen der Schwarzpelze und auch im rechten Unterarm spürte er das Pochen des frisch verbunden Schnitts. Greifwin kam hinterdrein, hockte sich neben ihn und schien für einen Moment mit sich zu ringen, bevor er den Vetter fest ansah.

"Ardo? Es mag ein schlechter Zeitpunkt sein nach all dem Töten und Sterben dort draußen. Aber die Greifin ist wieder da und die Hoffnung mit ihr! Die Schwarzpelze sind ein weiteres Mal besiegt und zerschlagen. Auch wir sollten jetzt in die Zukunft schauen. Die geliebten Toten und die Vergangenheit ruhen lassen."

Der Kressenburger sah ihn vorsichtig an, konnte er doch mit den rätselhaften Worten seines Vetters nicht viel anfangen.

"Ich spreche von unserer Absprache, von der Verlobung. Ifirnia zu verlieren war... schmerzhaft. Aber es ist nun schon einige Monde her. Wir haben um sie getrauert und es muss nun irgendwann weitergehen. Es ist wahrlich die Zeit für einen Neuanfang."

"Und wie hast du dir das vorgestellt geschätzter Vetter?"

"So wie ich das sehe hatten wir einen Plan. Die Teile unsere Familie sollte wieder in Freundschaft miteinander verkehren. Bisher haben nur wir beide das uns gesteckte Ziel eingehalten, aber wir hatten auch eine Vereinbarung getroffen um die Freundschaft weiter zu festigen."

"Das weiß ich doch alles Greifwin. Aber Ifirnia ist tot! Diesen Teil unseres Plans haben die Ränke des Nebelsteiners uns verdorben."

Der Eslamsrodener Baron schluckte kurz als Ardo so heftig von seiner toten Schwester sprach. Aber er fuhr unbeirrt weiter fort.

"Wir hatten immer gesagt, dass du meine Schwester heiraten solltest. An dieser Vereinbarung möchte ich festhalten. Es ist wahr, Ifirnia wird den Travia-Kreis nie beschreiten, aber sie ist nicht meine einzige Schwester gewesen. Deswegen bin ich dafür, dass wir die Verlobung erneuern. Praiadne wird an ihrer Schwester statt mit dir den Traviabund eingehen."

Für einen langen Moment war Ardo komplett sprachlos. Mit offenem Mund starrte er seinen Vetter an als hätte dieser den Verstand verloren. Was konnte Greifwin schon wissen? Natürlich war er immer der Berechnendere gewesen, aber so einfach über das Schicksal seiner jüngsten Schwester zu befehlen, sah ihm nicht ähnlich. Ardo hatte noch deutlich vor Augen wie schwer er sich getan hatte die mittlere Schwester von diesem Punkt zu überzeugen und Ifirnia war nie glücklich mit dieser Übereinkunft gewesen.

"Hör zu Greifwin. Ich möchte unsere Familie nach wie vor geeint wissen. Heute mehr als je zuvor, denn wir hatten schwere Verluste. Aber Ifirnia hat mich gehasst, sag nichts, ich weiß es. Trotzdem haben wir sie dazu zwingen wollen und sie war die letzten Monde ihres Lebens unglücklich. Wahrscheinlich hat sie ihren Tod noch als Erlösung empfunden, weil sie damit der Verbindung mit mir entgehen konnte. Das werde ich Praiadne nicht auch antun!"

Ardo war bitter und voller Gram, das war aus seiner Stimme deutlich herauszuhören. Bei den letzten Worten hob Greifwin aufmerksam den Kopf und sah seinen Vetter forschend an. Dem Kressenburger entging dieser Blick nicht, doch fühlte er sich dadurch noch gereizter als zuvor und sprang während seiner Antwort wütend auf.

"Jetzt schau nicht so! Ja, ich liebe Praiadne. Ich habe es lange genug vor mir selbst geleugnet, doch will ich mich nicht länger selbst belügen. Ich liebe sie mehr als ich für Ifirnia trotz aller Bemühungen je empfunden habe. Aber genau deswegen werde ich sie niemals zwingen. Ich will Praiadne nicht gegen ihren Willen in den Traviakreis führen. Damit könnte ich nicht leben. Nenne es Dummheit oder Selbstmitleid wenn du magst."

Schwer atmend stand Ardo vor seinem Vetter und wartete auf eine Erwiderung. Doch Greifwin sah wie in Gedanken zum Zelteingang und zeigte keine Reaktion. Als der Eslamsrodener wieder sprach, redete er an Ardo vorbei.

"Was denkst du? Wie würdest du es nennen?"

Zu Ardos Überraschung erklang hinter ihm eine ihm wohl bekannte weibliche Stimme.

"Ich nenne es Ritterlichkeit."

Ruckartig drehte der Kressenburger sich um und erkannte erst jetzt, dass Praiadne während des Gesprächs hinter ihm ins Zelt getreten war und einen guten Teil mit angehört haben musste. In seiner Wut war das seiner Aufmerksamkeit entgangen. Jetzt schritt die Kriegerin langsam auf ihn zu ohne ihre Augen von den seinen zu lassen. Einen halben Schritt vor ihm blieb sie stehen und griff nach seinen Händen.

"Auch ich habe heute erkennen müssen, dass ich meine Gefühle nicht länger betrügen kann. Ich liebe dich... und um ein Haar wäre es mir nie vergönnt gewesen dir das zu sagen."

Beide dachten an jenen gefährlichen Augenblick in der Schlacht wo Rondra ihren Arm, schützend über sie gehalten hatte. Ardo betrachtete ihre Hände die vertrauensvoll in den seinen lagen. Als er wieder aufsah hatte er einen Entschluss gefasst.

"Praiadne Leuinherz Keilholtz! Wir haben von den Göttern diese Gelegenheit erhalten und wer bin ich dieses Geschenk sehenden Auges abzuweisen? Ich liebe dich und will dich nicht verlieren. Deswegen frage ich dich: Willst du meine Frau werden und mit mir den Travia-Kreis beschreiten?"

"Das will ich."

Einige Sekunden standen sich die zwei nach diesen Worten noch mit glänzenden Augen gegenüber, bevor sie sich vom Glück überwältigt um den Hals fielen. Mit einem Räuspern machte Greifwin wieder auf sich aufmerksam. Die Liebenden lösten sich widerwillig voneinander und sahen ihn an. Mit gespieltem Ernst trat er heran.

"Und wann hattet ihr vor mich um Erlaubnis zu fragen?"

Die entgeisterten Gesichter seines Vetters und seiner Schwester brachten ihn schließlich zum Schmunzeln und einen Augenblick später lagen sich alle drei Keilholtzer lachend in den Armen. Ganz Verwalter brach in Greifwin sofort der Drang zur Organisation durch.

"Für wann wollen wir die Hochzeit ansetzen?"

Fragend blickte Ardo zu seiner Braut und in ihren Augen erkannte er seine Gedanken wieder. Lächelnd wandte er sich an seinen zukünftigen Schwager.

"Wir hatten ja bereits einen Termin im kommenden Praios vorgesehen und ein Teil der Vorbereitungen war sowieso schon angelaufen. Unter den gegebenen Umständen bin ich dafür die Verlobungszeit zu verkürzen. So haben wir keine doppelten Vorbereitungskosten und Zeit sparen wir auch. Die zwei Monde bis dahin werden uns lang genug werden."

Mit der Götter Segen

Ingerimm 1034 BF

Bekanntmachung

Hochzeitsturnier zu Kressenburg

Einer jeden ehrbaren Dame und einem jeden ehrbaren Herren von Stand sei kundgetan, dass im Namen Seiner Hochgeboren Ardo von Keilholtz ä.H., Baron zu Kressenburg, anlässlich seiner Hochzeit mit Ihro Hochgeboren Praiadne Leuinherz Keilholtz j.H., am 16. Praios im Jahre eintausendfünfundreißig nach dem Fall des tausendtürmigen Bosparan, am Vortag derselben, ein ritterliches Turnier gegeben sei.

Der ehrbaren Siegerin oder dem ehrbaren Sieger dieser Tjost sei die Ehre zuteil, mit Braut oder Bräutigam den ersten Tanz zu führen.

Eine jede ehrbare Dame und ein jeder ehrbarer Herr von Stand, welche dem Hochzeitspaar an diesem Tage die Ehre geben möchten, sei geladen und ist gebeten seine Absicht per Depesche kundzutun.

Es sei zudem im Namen der Kirchen des Herrn Praios und der Herrin Rondra ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Bruch des Turnierfriedens auf das Strengste geahndet wird.