Geschichten:Verschollene Eber - Unterhalb der Greifenfurter Jagdordnung

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Da am ersten Tage keine weiteren Streiter mehr eingetroffen waren, hatte Urion sich am nächsten Tag in die Stadt begeben und einige nützliche Einkäufe getätigt. Diese steckten jetzt in den Satteltaschen seines Rapphengstes.

Im Anschluss hatte er noch kurz in der Markgräflichen Kämmerei die letzten finanziellen Einzelheiten bezüglich des Marstalls geklärt und war dann mit Reto von Schattenstein, seinem Mentor und Protegé, zusammengetroffen. Dort erreichte ihn dann auch der Bote des Prinzen mit dem Befehl, sich umgehend in der Residenz einzufinden.

Die Wachen der Residenz kannten ihn jetzt schon zu Genüge und ließen ihn ungeprüft passieren. Ein livrierter Diener, wohl einer der jüngeren Knappen, öffnete ihm die Tür zum kleinen Jagdsaal und meldete ihn an.

Es war ein mittelgroßer Raum von vielleicht 6 mal 8 Schritt. An der jenseitigen Wand der Tür gegenüber prasselte in einem großen Kamin ein munteres Feuer und verbreitete seine wohlige Wärme. Die Wände, allesamt mit Finsterkammeiche verschalt, hingen voller großer und kleiner Trophäen. Urion schmunzelte ob der Erinnerung an seine Furcht vor diesen Trophäen, als er als Kind das erste Mal seinen Vater auf dessen Reisen begleiten durfte, und hier in diesem Raum dem alten Markgrafen vorgestellt worden war. Neben dem großen Eichentisch stand eine kleine Tonne, gefüllt mit aufgerollten Kartenblättern, und eine große verschlossene Truhe.

An der abseitigen Wand hing das Original der Urkunde über die Greifenfurter Jagdordnung.

In einer Ecke saß an einem kleinen intarsiengeschmückten Tischen der Prinz. Seine Haltung verriet seine Anspannung. Urion konnte sich gut in den Prinzen hineinversetzen, schließlich hatte er monatelang auf ein Lebenszeichen seines Bruders gewartet, der vor Wehrheim verschollen war. Letztlich hatte man ihn für tot erklärt und damit Urion zum Nachfolger des Rittmeisters der Mark gemacht. Doch für solche trüben Gedanken war jetzt keine Zeit. Urion war hier, um seinem Prinzen in Zeiten der Not zur Seite zu stehen.

Urion trat ein und nahm militärische Haltung an. „Mein Prinz, melde mich wie befohlen zur Befehlsausgabe!“

Edelbrecht, der gerade eben den Junker von Hundsgrab willkommen geheißen und auf einen freien Platz seiner Wahl komplimentiert hatte, schmunzelte über den Kasernenton. Fröhlich sprang er auf und eilte dem jungen Mann entgegen. Noch während er mit der einen Hand die Finger seines Gegenübers quetschte und ihm mit freundlichem Elan und einer gehörigen Portion Körperkraft auf den Rücken hieb, entgegnete er lachend: „Nun, mein werter Herr Urion, dann lauten meine allerersten Befehle am heutigen Abend für Euch: Stze er sich und mache Er es sich bequem. Und ja, trinke Er. Trinke Er auf das Wohl meines Bruders und seiner Frau und trinke Er auf das Wohl dieser Fahrt.“ Urion, der dem Prinzen in die Augen sah, bemerkte den leicht fiebrigen Glanz, wie er den Menschen eigene ist, deren Wille gleich einem Pfeil auf einem gespannten Bogen ist.

Urion war erstaunt. So kannte er den Prinzen nicht. Er hatte vorsichtshalber einen recht förmlichen Ton angeschnitten, weil er sich seiner Position nur zu bewusst war. Er stand am unteren Ende der Lehenspyramide und war ein solches Verhalten gewohnt - insbesondere weil er auch auf der Akademie in Wehrheim stets von den Zöglingen höherer Geschlechter ob seiner guten Leistungen mit der entsprechenden Herablassung behandelt wurde. Aber das hier war neu und ungewohnt für ihn. Er entspannte sich sichtlich, massierte seine gequetschte Hand.

„Danke meine Prinz, ich muss mich wohl erst an die Umstände dieser Queste gewöhnen und will sehr gerne auf das Wohl Eures Bruders und seiner Frau trinken.“

Er nahm sich einen Becher Würzwein und trat auf den Junker von Hundsgrab zu: „Praios zum Gruße, Junker Anselm! Erfreut sehe ich Euch wohlauf! Ich hoffe, unser Adran, den ihr im letzten Rondra-Mond ersteigert habt, macht uns Ehre und dient Euch treu? Habt ihr Ihn für diese Queste mitgenommen; mein Antlitz würde sich sicher freuen, seinen Neffen wieder zu sehen.“

Erneut wurde die Tür geöffnet und der Diener meldete: „Answin von Boronshof.“

Der Edle war gerade dabei gewesen, seine Reisekleidung zu säubern, als ihn des Prinzen Aufruf zur Beratung ereilte. Und so waren die Stiefel erst notdürftig geputzt und auch die Hose wies noch den einen oder anderen Schlammspritzer auf, als der Junker leicht humpelnd den kleinen Jagdsaal betrat. Immerhin das Hemd war - wenn auch nicht mehr blütenweiß - so doch zumindest frisch angezogen. Auch der ehrerbietige Kniefall geriet ob des steif nach hinten rutschenden Beines des Edlen eher zur Parodie. Doch schnell hatte Answin den gebeugten Kopf wieder aufgerichtet und sprach, den Blick fest auf Edelbrecht gerichtet: "Ich bin eurem Ruf so schnell wie möglich gefolgt, mein Prinz!"

Prinz Edelbrecht nickte dem Edlen munter zu und gab einem der Diener ein Zeichen, dem Boronshofer Wein und ein wenig Gebäck zu reichen. Und während allenthalben die versammelten Edlen begannen, mit den ihnen bekannten Gesichtern Konversation zu betreiben, hakte der Prinz in Gedanken Namen von einer stattlichen Liste und überlegte kurz reumütig, wie es seiner Frau ginge. Doch Irmenella hatte klar gemacht, dass die Suche nach seinem Bruder absolute Priorität habe und er sich um sie nicht sorgen brauche.

Im letzten Mond war seine Frau seltsam scheu gewesen und hatte sich geweigert, mit ihm wie üblich durch den kleinen umfriedeten Garten von Rabenhorst zu gehen. Sie fühle sich nicht wohl, hatte sie gesagt, und um ihren Mund war eine tiefe Falte gewesen, als sorge sie sich über alle Maßen …