Geschichten:Verräter und Getreue - Wieder zu Hause

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Garetien:Traviakloster zu Hutt, 8. PER 1033 BF

Unter Trommelschlag und Pfeifenklang, mit erhobener Wehr und wehendem Banner rückte die almadanische Söldnerschar gegen das Kloster vor. Als sie bis auf Steinwurfweite an die Mauern heran waren, gab Anselm von Quintian-Quandt den Befehl zum Halten und rief, an die ängstlichen Gesichter, die hinter den Zinnen hervor lugten, gewandt: „Heda! Öffnet das Tor für den Baron von Hutt, dann wird niemandem etwas geschehen!“

Eigentlich war es verrückt, was er hier trieb. Als Anselm gehört hatte, dass Geismar die Almadaner nach Hutt in Bewegung gesetzt hatte, hatte er ihnen hinterher eilen wollen. Immerhin war er Baron von Hutt, und alles, was die entfesselte Soldateska veranstaltete, würde man letztendlich ihm, Anselm, zur Last legen. Doch plötzlich hatte ihn der Graf mit Pflichten geradezu überschüttet, was ihn eine Weile von der Durchführung dieses Planes abgehalten hatte. Schließlich war Anselm der Verdacht gekommen, dass sein Vetter ihn absichtlich zurückhielt und hatte sich, Werdomars Bedenken zum Trotz, unter einem fadenscheinigen Vorwand vom Grafenhof entfernt und nach Hutt aufgemacht.

In Hirschenrode war er dann überraschend auf Lechdan gestoßen, und diese Begegnung war höchst sonderbar verlaufen. Urplötzlich war dieser im Wirtshaus aufgetaucht, hatte ihn eindringlich beschworen, das Traviakloster in Hutt so schnell wie möglich unter seine Kontrolle zu bekommen, und war schon wenig später eilig davon geritten. Die einzige Erklärung, die er bei seiner Frage nach dem Warum aus ihm herausbekommen hatte, war: „Es geht um Leben oder Tod – und die Wahrheit.“ Aber welche Wahrheit gedachte Lechdan hier zu finden?

Die Spur der Almadaner war nicht schwer zu finden gewesen und in dem Dörfchen Karras hatte er sie schließlich eingeholt, als sie ihr Nachtlager aufschlugen. Der Ort allerdings war bereits geplündert worden. Anselms Ankunft war seitens der Offiziere mit sichtlichem Unwillen aufgenommen worden und es hatte ihn einiges an Überredungskunst gekostet, die beiden Hauptleute dazu zu bewegen, seinen Anweisungen zu folgen. Selbst dem Argument, dass er der von Graf Geismar eingesetzte Baron von Hutt sei, das Land kenne und darum den Erfolg der Truppe am ehesten sicherstellen könne, hatte sich besonders der jüngere der beiden nur widerwillig gebeugt. Immerhin schien ihnen das Kloster dann doch zunächst als lohnenderes Ziel als umherstreifende Schwingenfelser Kriegsscharen.

Die Klosterpforte öffnete sich knarrend und eine einzelne gebeugt gehende Gestalt trat heraus. Anselm stellte zu seiner Verwunderung fest, dass es sich bei der Person nicht um die Äbtissin Firine von Luring handelte. Dennoch stieg er von seinem Pferd, um ihr entgegen zu gehen.

„Was habt Ihr vor, Dom Anselm?“, fragte der Hauptmann neben ihm.

„Mir scheint, man möchte verhandeln.“

„Verhandeln?“, der andere rümpfte die Nase. „Dazu müssten die aber etwas anzubieten haben. Wie ich die Sache einschätze, gehört das da drüben in spätestens einer Stunde sowieso alles uns.“

„Gut. Dann werdet Ihr die paar Augenblicke wohl noch warten können, Hauptmann“, gab Anselm barsch zurück und trat ein paar Schritte vor, bis er dem Greis gegenüber stand.

Mit einer leichten Verbeugung sagte er: „Zum Gruße, Euer Gnaden. Es ist schön, wieder hier zu sein. Gleichwohl wundere ich mich, warum ich nicht von Hochwürden Firine von Luring begrüßt werde. Wer seid Ihr?“

Der Alte nickte Anselm zu: „Mein Name ist Bruder Gansmuth. Ihre Hochwürden befindet sich auf Reisen, so dass ich nun das zweifelhafte Vergnügen habe, mit Euch zu sprechen. Angesichts der Umstände kann ich Eure Freude nämlich mitnichten teilen. Wollt Ihr das Kloster – einen heiligen Ort – wirklich stürmen lassen?“

„Um ehrlich zu sein, die Leute hinter mir interessieren sich tatsächlich weniger für dessen Heiligkeit, sondern eher für das, was in seinen Kellern und Speichern eingelagert und in seinen Truhen und Schränken verwahrt ist. Und ja, dafür würden sie die Klostermauern stürmen und alles mit stählernen Grüßen bedenken, was sich ihnen in den Weg stellt.“

„Und Ihr? Was wollt Ihr?“, erkundigte sich der Klostermann vorsichtig.

„Nun…Ich ersuche Euch, meine vorläufige Residenz als Baron von Hutt wiederum in diesen Mauern aufschlagen zu dürfen, erinnere ich mich doch – bis auf meinen Abschied – gerne an die von Euch gewährte langjährige Gastfreundschaft.“

„Über die Freiwilligkeit derselben kann man sehr geteilter Meinung sein“, stellte der Alte frostig fest.

„Nun, ich würde Euch sicher nicht mehr zur Last fallen als beim letzten Mal“, wandte Anselm ein, „Es stellt sich nur die eine Frage: wie viele Menschenleben wäre Euch eine abschlägige Antwort auf mein Ersuchen wert?“

Bruder Gansmuth sah den Baron von Hutt prüfend an, bevor er schließlich einlenkte: „Aber keine Plünderungen. Weder die Klosterleute noch ihre Bediensteten werden von den Eurigen belästigt oder in ihrem Tagwerk gehindert. Ihr gewährleistet die Ungestörtheit unserer Andacht.“

Anselm nickte: „Gut. Meine Leute erhalten Zugang zu allen für die Verteidigung wichtigen Bereichen des Areals. Ihr werdet sie in ausreichender Menge und Qualität versorgen. Ein finanzieller Ausgleich wird gegebenenfalls gewährt. Jeder und alles, was diesen Ort verlässt oder hineinkommt, darf von mir und meinen Leuten widerstandslos kontrolliert und gegebenenfalls konfisziert werden – das schließt auch insbesondere Briefe mit ein.“

„So soll es sein“, sagte der Geweihte schließlich und schlurfte zurück zur Klosterpforte. „Wir erwarten Euch in einer halben Stunde, Hochgeboren.“

Das war doch relativ einfach gewesen, denn zum Glück hatte sich der Alte einsichtig gezeigt. Anselm atmete erleichtert, als er sich zu seiner Truppe zurück begab.

„Was nun, Dom Anselm?“, erkundigte sich der Hauptmann.

„Sie werden uns in ihren Mauern empfangen“, Anselm fasste das Ergebnis seiner Unterredung mit dem Stellvertreter der Äbtissin zusammen, „Für alle Fälle empfehle ich dennoch, auszuschwärmen und das Gelände zu umstellen. Könnte ja sein, dass die noch jemanden mit einem Hilferuf losschicken wollen.“

Alsbald öffnete sich das Tor erneut und die Almadaner zogen in das Kloster der Frau Travia zu Hutt ein. „Wieder zu Hause“, dachte Anselm, als er wenige später über die Schwelle des Refektoriums trat. Doch unweigerlich stellte sich auch die unangenehme Erinnerung daran ein, wie er, halb betäubt und betrunken, mit einem Sack über dem Kopf, in der Gewalt der Hartsteener das Gemäuer vor eineinhalb Jahren verlassen hatte. Die Keller würde er alsbald einer gründlichen Untersuchung nach geheimen Zugängen unterziehen lassen, um dergleichen böse Überraschungen künftig zu vermeiden.