Geschichten:Verborgene Macht - Wurm und Kauz

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Im Feidewald, unweit Ruine Morflenn, Frühjahr 1037 BF

Das Wachfeuer glomm nur noch schwach und Wurm zog die Decke enger um die Schultern. Kalter Dunst waberte zwischen den Bäumen unten im Tal und weiter oben an der Talkante begrüßte eine Nachtigall den grauenden Morgen. Immer hatte er Pech. Beim Würfeln hatte er nicht nur seinen Beuteanteil an Rotfell verloren. Bei seinem letzten Versuch, alles zurückzugewinnen, hatte Wurm die Übernahme der bei allen unbeliebten Nachtwachen angeboten. Doch wieder hatte ihn der Herr Phex im Stich gelassen und die anderen hatten nur gefeixt. Und so saß Wurm jetzt da, starrte in die Dunkelheit und lauschte lustlos dem Ruf eines Kauzes. Doch dann horchte Wurm auf. War das wirklich ein Vogelruf? Als das „Kuwitt“ wiederum ertönte, ergriff er den Speer, den Blick zwischen den sich schemenhaft abzeichnenden Bäumen schweifen lassend. Er war sich sicher: Ein Kauz war das nicht! Er lauschte angestrengt auf den nächsten Ruf, doch der kam nicht. Stattdessen meinte der Wächter, das Schnauben eines Pferdes und das dumpfe Klopfen von Hufen auf dem Waldboden zu vernehmen. Langsam stand er auf. Die Geräusche kamen aus Richtung der alten Wälle. Unter den Räubern des Feidewaldes machte so manche Geistermär die Runde über die verfallenen Erdwerke, die sich halb im Sumpf versunken über ein beträchtliches Areal erstreckten. Und nur wenige trauten sich selbst bei Tag dorthin, trotz des Gemunkels von versteckten Schätzen. Schon allein die Morfus in den verfallenen Kellern und Drachenlibellennester machten Erkundungstouren nicht ungefährlich.

Wurm war keiner der Mutigen. Überhaupt war es nicht seine Aufgabe den Helden zu geben, sondern Wache zu halten und gegebenenfalls Alarm zu schlagen. Andererseits wusste er, dass ein falscher Alarm Prügel zur Folge haben konnte. Da war es doch besser nicht gleich alle gegen sich aufzubringen. Also huschte er hinüber zu der Hütte, wo ihr Anführer schlief und raunte durch die Tür: „Abdulmar! Chef!“

Sofort stoppte das leise Schnarchen: „Was is’?“, tönte es stattdessen leise.

„Da is jemand mit Pferden unten bei den alten Wällen.“

Hasde gesehen, wer?“, erkundigte sich die Stimme.

Nee, kein Schimmer. War auch noch zu dunkel.“

„Weck die anderen un haltet euch bereit, aber macht kein Lärm! Ich schau mir das mal näher an.“ Der Mann trat aus der Hütte an Wurm vorbei und verschwand kurz darauf in der Düsternis, geräuschlos wie ein Schatten. Der Wächter tat, wie ihm geheißen, auch wenn er sich das unflätige Murren seiner Raubgenossen anhören musste. Die anderen bezogen ihre Posten und dann warteten sie, starrten in das lichter werdende Grau und lauschten dem vom einsetzenden Gesang der Vögel begleiteten Tag entgegen, ohne dass ihr Anführer zurückkehrte.

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„Verdammich, Wurm. Wo bleibt der Chef so lange?“, meldete sich die kleine Camilla zu Wort, der wird doch nicht etwa von einem Morfu erwischt worden sein?“

„Unsinn!“, raunte Darescha zurück, „Wenn jemand heil durch die Ruinen kommt, dann isses Abdulmar.“

„Mag sein, aber da sin jetz nich nur diese wilden Viecher“, wandte Wurm ein.

„Un du bist dir sicher, dass du Gäule gehört hast?“, zweifelte Goldesel.

„Natürlich, ich bin doch nicht so eine taube Nuss wie Fidubert!“

„Das habe ich gehört!“, brummte der solcherart Geschmähte.

„Klappe halten!“, Rotfell unterbrach den aufkeimenden Streit, „Wenn es so is, wie Wurm sagt, dann stimmt hier was ganz und gar nicht. Vielleicht sollten ein paar von uns nachsehen.“

Wurm schüttelte abwehrend die Hände: „Tut mir leid. Was Abdulmar macht is seine Sache. Wenn er’s verbockt hat – Pech für ihn und schade für die Hauptfrau, aber da muss ich mich nich auch mit reinziehn lassen. Und überhaupt habe ich keine Lust als Frühstück für ein Morfu oder Schlimmeres zu enden. Mein Vetter hat mir mal erzählt, dass er an der Trollpforte dämonische Kreaturen mit Eulenköpfen, Bärenpranken und Pferdefüßen gesehen hat. Wer sagt uns, dass es nicht solches Gezücht hierher verschlagen hat?“

„Dann bleib eben hier, du Schisser. Aber wer von euch is dabei?“, übernahm Rotfell das Kommando. Camilla und Fidubert meldeten sich.

„Gut. Und jetzt hört zu: Wenn wir bis Sonnenaufgang nicht zurück sind, seht zu, dass ihr anderen hier wegkommt und verständigt Eisenmuth. Wer oder was auch immer da unten is, hat vielleicht schon rausgefunden, dass wir hier sin. Es is also nich mehr sicher.“

„Un warum hauen wir dann nich gleich jetz alle gemeinsam ab?“

„Weil wir mehr wissen müssen, bevor wir Rapidora mit deinen Schauergeschichten belästigen“, Rotfall winkte Fidubert und Camilla zu und die drei verließen den Lagerplatz in dieselbe Richtung wie ihr Anführer.

Bald darauf gellte ein einzelner langgezogener Schrei durch das Tal und verstummte abrupt.

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Die Nervosität der Zurückgebliebenen war umso größer geworden, je heller es wurde und weder ihr Anführer noch Rotfells Trupp irgendein weiteres Lebenszeichen von sich gaben. Wurm hatte mittlerweile ein ganz schlechtes Gefühl in der Magengegend, ob wegen des aufkommenden Hungers oder wegen der Gewissheit, dass irgendetwas Übles im Verborgenen vor sich ging. Außerdem war er schon die ganze Nacht wach geblieben und es fiel ihm immer schwerer, die Augen offen zu halten. Plötzlich vermeinte er, ein leises Pfeifen zu vernehmen. Es kam aus dem Tal und wurde von Hufeschlagen begleitet. Zu seiner Überraschung erkannte Wurm die Melodie: ein lustiges Schelmenlied aus längst vergangenen Tagen. Schließlich schälte sich ein gemütlich dahintrottendes Pferd aus der Morgendämmerung, dessen Reiter vor sich hin pfiff, während er seelenruhig den Pfad hinauf zum Lager nahm. Auch die anderen waren auf den Näherkommenden aufmerksam geworden und Darescha flüsterte: „Der Eichenblatt!“

Am liebsten wäre Wurm seinem eigenen Namen gemäß im Erdboden verschwunden, als der so Bezeichnete immer näher kam. Die ‚Geißel Hartsteens’ und ihre Truppe war selbst unter ihresgleichen, den Räubern und Banditen des Feidewalds, gleichermaßen gefürchtet und geachtet.

Kaum zehn Schritt von Wurm entfernt zügelte der Raubritter sein Pferd und grüßte spöttisch in seine Richtung: „Einen guten Morgen wünsche ich!“, rief er laut, „Ein schönes Fleckchen Erde habt ihr hier“, dann ließ er den Blick schweifen und nickte wie anerkennend. „Alle Achtung! Euer Hauptmann hat nicht gelogen, bei unserer kleinen Unterhaltung vorhin; ihr werdet es sicher gehört haben. Er hat es mir zu einem günstigen Preis überlassen, doch ich wollte mich zuerst selbst überzeugen, bevor ich zustimme. Zu eurem Glück sieht es so aus, als würde ich sein Angebot annehmen. Ich lasse euch vielleicht eine halbe Sanduhr Vorsprung, um euch zu verpissen, bevor meine Leute die Verfolgung aufnehmen.“

„Vielleicht 'ne halbe Sanduhr? Was solln das heißen?“, hörte Wurm Darescha laut sagen, während Goldesel flüsterte: "Wir sin immerhin zu zehnt. Un mit einem einzelnen Graubart nehm wir es allemal auf", sprach's und warf mit einer blitzschnellen Bewegung seinen Dolch in Eichenblatts Richtung. Doch auch der war schnell und der Wurf ging fehl.

"Sch...!"

Eichenblatt hob eine Augenbraue, grinste, und stieß einen Laut aus, der wie das ‚Kuwitt’ eines Kauzes klang: "Das soll es heißen."

Als Antwort brach an mehreren Stellen rings um den Lagerplatz wildes Gebrüll los und etliche Gestalten sprangen hinter Büschen und Bäumen hervor. Die Mutigeren aus Abdulmars Bande griffen ihre Waffen fester und erwarteten mit grimmiger Entschlossenheit den Ansturm.

Wurm war keiner der Mutigen. Er drehte sich um und rannte los.



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5. Per 1037 BF zur nächtlichen Traviastunde
Wurm und Kauz
Erkaltete Spur


Kapitel 4

Autor: Steinfelde