Geschichten:Sechs Beine und vier Pfoten - Tag 5

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Dämonenbrache 29.BOR 1042BF

Die Nacht war ereignislos geblieben. Keiner der drei Gefährten hatte seine Nachtwache verschlafen und alle gefährlich anmutenden Geräusche, aufblitzenden Lichter im Dunkel der Nacht und plötzlichen Witterungsumschwünge hatten sich als wenig bedrohlich erwiesen. Hane hatte bei seinem morgendlichen Rundgang um das Lager und der Suche nach neu hinzugekommenen Spuren gesehen, dass das Flussbett langsam aber sicher wieder feuchter wurde. Die schweren Fußspuren, die sie am Vortag gefunden hatten, waren schon zur Hälfte mit Wasser vollgelaufen. Rundherum zeigte sich das feuchte glänzen matschigen Bodens. Lange würden sie den Fährten nicht mehr folgen können, wenn der Fluss tatsächlich wieder Wasser aufnehmen würde… Hane mahnte zur Eile. Oleana und Carl brachen das Lager schnell ab, während Hane und Bellrik II. bereits begannen die übergroßen Menschenspuren zu verfolgen. Der Flusslauf führte sie weiter gen Südwesten. Als der Fluss eine Kehre schlug und nach Nordwesten abknickte, behielten die schweren Spuren ihre Richtung gen Süden bei und verließen das immer feuchter werdende Flussbett. Hane überlegte ob es wohl Fluch oder Segen war, dass er die Spur noch nicht an das steigende Wasser verloren hatte…

Die menschlich anmutenden Fußabdrücke führten die kleine Jagdgemeinschaft nach Süden. Hane passierte immer wieder Spuren kleinerer Waldbewohner mit mehr oder weniger merkwürdigen Ergänzungen, seien es zu viele Gliedmaßen, längere Krallen, Schleimspuren in grellgelber Farbe, die nach Eiter stank, oder Fußpaare die bei natürlichen Wesen nicht zueinander passten… Nur wenige Gedanken verschwendeten die Gefährten daran, welche Verunstaltungen diese Wesen hatten. Die Neugierde über jenes, das die Brache über viele Jahrhunderte aus den Lebewesen gemacht hatte, war nach den ersten Tagen und den gefährlichen Begegnungen mit den Brachenbewohnern mehr als gestillt. Nunmehr galt es die Fährte die sie seit einigen Stunden verfolgten beizubehalten. Der Untergrund wurde wieder schlechter gangbar. Hane vermutete, dass sie sich wieder jenem Sumpfgebiet näherten, das sie am dritten Tag ihrer Jagd versucht hatten weiträumig zu umgehen. Die Abdrücke des massigen Wesens waren jedoch tief genug, dass sie weiterhin gut zu verfolgen waren. Wer oder was auch immer Herr dieser Pranken war, gab sich keine Mühe seine Spuren zu verwischen. Die reichliche Hälfte des Tages mochte nunmehr vorbei sein als sich die Spur etwas vom Sumpf abwandte und einen Bogen gen Osten einschlug. Einige Zeit später, unmöglich die tatsächliche Dauer zu benennen, drangen erste Geräusche an die Ohren der kleinen Jagdgesellschaft.

„Hört ihr das? Was ist das für ein hässliches Gekreische?“ Carl rümpfte die Nase und kniff die Augen zusammen, um womöglich etwas durch das undurchdringliche Dickicht des Waldes erkennen zu können.

„Keine Ahnung was es ist, aber es klingt als wären es viele…“ Auch Oleana hatte alle Sinne angespannt um kein hilfreiches Detail zu verpassen.

„Das sind keine Tiere. Zumindest glaube ich das nicht… Vielleicht haben wir gefunden wohin unser Riesenmensch gehen wollte…“ Hane war angespannt, nun da die Verfolgung der Spuren zu einem Ende kam. Langsam tasteten sie sich vor und folgten den schrillen Rufen und dem unartikulierten Lärm.

Die Bäume wurden etwas lichter und die Gefährten konnten bereits einige kleine Felsen erkennen. Sie ragten wie die vier Finger einer gigantischen Hand aus dem Boden. Scharfkantige Zacken ragten hier und da hervor. Silbrig schimmernde Adern durchzogen die Felsen und komplettierten einen schauerlichen Eindruck. Wenn es auch deutlich als irgendwie geartetes Gestein zu erkennen war, so war den Felsfingern doch eine Lebendigkeit zu eigen, die es jedem der Gefährten kalt den Rücken hinunterlaufen ließ. Sie waren nunmehr so nahe gekommen, dass sie vereinzelte Trommelschläge unter dem wilden Geschrei heraushören konnten.

„Auf eine schräge Art wirkt der ganze Krach wie ein Gesang. Da ist dieses unterschwellige Dröhnen mitten drin… Ich kann mir nicht helfen, aber es klingt nach einem Gesang. Nicht gerade Vinsalter Theaterbühne, aber irgendwie halt doch…“ Hanes Gesichtsausdruck spiegelte dieselbe Verwirrung wider, wie seine Worte.

„Nun, wir hoffen, dass die Vorstellung dem Kulturanspruch des Reichsadels dennoch genügen wird.“ Oleana deutete einen Knicks an und legte ihre Rechte an den Griff ihres Schwerts, als sie zu Hane aufschloss und sich anschickte weiter auf die Lärmquelle zuzugehen.

„Mir bluten die Ohren! Lasst uns endlich gucken wo diese scheußliche… ich weiß nicht mal wie ichs nennen soll… wo der Lärm herkommt!“ Carls Geduld war am Ende und er schob einen Ast beiseite und setzte seinen Weg fort.

Nur wenige Schritt weiter mussten die Gefährten an die Felsfinger heran, bevor sie die Quelle des Lärms ausmachen konnten. Bisher von Bäumen, Sträuchern und Dickicht verdeckt, sahen sie nun das sinnlose Treiben zu Fuße der Felsen. Zahlreiche Menschen, zwei Dutzend mochten es wohl sein, wanden sich, in dreckige Lumpen gekleidet, zu der scheinbar unkoordinierten Melodie. Einige von ihnen zuckten krampfhaft am Boden hin und her, teils eng ineinander verschlungen. Andere bewegten sich aufrecht in einer Weise die wohl am ehesten dem Tanz im Drogenrausch nahe kommen mochte. Mitten in diesem orgiastischen Treiben stand eine hochgewachsene Gestalt in einer Kutte, deren Kapuze tief ins Gesicht gezogen war.

„Warum sieht man eigentlich nie das Gesicht von diesen verfluchten Kuttenträgern?“ fragte Oleana genervt und lockerte das Schwert in der Schwertscheide.

„Was interessiert dich das Gesicht von dem Typen? Guck doch wo er sich drüber gebeugt hat. Der kann von mir aus gesichtslos sein… Den Schädel werd ich ihm trotzdem einschlagen!“ Carl deutete mit dem Finger auf einen Findling, der vor dem Kuttenträger hervorragte. Der Felsblock war rot gefärbt vom Blut des Opfers, das leblos über ihn gebogen lag. Der Körper einer jungen Frau, deren Bauch man aufgeschlitzt hatte, sodass die Organe an ihr herabhingen.

„Was für ein abartiges Spiel wird hier gespielt?“ Hane sah blass aus, ihm schien die Szene auf den Magen zu schlagen. Tiere. Tiere und Pflanzen. Das war seine Welt. Menschen? Er verstand sich super mit den meisten Menschen, konnte wirklich schnell Bekanntschaften und Freundschaften knüpfen und war beinahe überall beliebt. Aber die Abgründe menschlicher Triebe… Die komplette Entfernung von allem was vernünftig und anständig ist… Das war ihm immer ein Rätsel geblieben. In Tobrien, wie auch hier in der Dämonenbrache.

Carl wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, doch sie alle zuckten plötzlich zusammen, als eine Frau, eine jener Gestalten die sich auf dem Boden unkontrollierten Zuckungen hingaben, mit einem markerschütternden Kreischen aufsprang. Sie breitete die Arme in einer flüssigen Bewegung aus, riss den Kopf in den Nacken und drehte sich im Halbkreis. Eine erneute heftige Zuckung erfasste sie und ließ sie beinahe steif wie ein Brett zu Boden stürzen. Ihr Kinn schlug hart und ungebremst auf den Boden auf und hinterließ einen roten Fleck, der eilig größer wurde. Als wäre nichts gewesen, setzte sie sich auf und schwang erneut unkontrolliert zum Unrhythmus des Liedes mit. Ungläubig schüttelte Carl den Kopf. „Was bei allen Göttern? Hane, wenn du nichts tust, werde ich es tun!“

„Macht euch einfach bereit! Wo auch immer diese Menschen gerade sind… Wenn sie aufwachen, schlagt sie bitte nur ohnmächtig oder so. Hier sollte heute erstmal nur einer sterben.“ Hanes Miene sprach von grimmiger Entschlossenheit, als er ohne seinen Blick vom Ziel zu lösen den Bogen vom Rücken nahm und einen Pfeil aus dem Köcher griff. Seine Sehne hatte er vor einigen Minuten schon aufgezogen.

Einatmen. Fester Stand. Spannung in den Beinen. Den Pfeil aufgelegt. Die Sehne gegriffen. Der linke Arm ausgestreckt. Die Schulter angespannt. Blinzeln. Rechter Arm zurück. Die Sehne knarzt. Noch etwas weiter zurück. Kein Wind zu spüren. Finger der rechten Hand lösen. Knall! Die Sehne schnellt zurück. Ausatmen.

Mit einem krachenden Schmatzen fuhr der Pfeil in den Menschenkörper hinein. Ein Laut, der selbst bei diesem brutalen, orgiastischen Treiben vollkommen fehl am Platze schien. Mit einem weiteren Krachen fiel der Körper mitten in der Bewegung von der Wucht des Geschosses mitgerissen zu Boden. Keiner der sich unkontrolliert windenden nahm davon Notiz. Einzig der Mann in der Kutte hob den Kopf und brach seinen Gesang ab. Schlagartig erstarb das chaotische Treiben, die Bewegungen der abgerissenen Gestalten wurden schwächer und die Körper schienen etwas in sich zusammenzusinken. Die Menschen guckten sich um und einige von ihnen nahmen nun auch den neben ihnen liegenden Körper ihres Mitmenschen wahr, der sich im absolut falschesten aller Momente nach links geworfen hatte. Mitten in die Bahn des Pfeils, der gar nicht für ihn bestimmt war. Auch Hane war in eine Starre verfallen, gebannt von den Geschehnissen auf dem Platz vor ihm.

„Hane! Noch einer!“ kreischte Oleana neben ihm wie besinnungslos und deutete auf den Kuttenträger, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. Hane fingerte nervös nach einem weiteren Pfeil. Doch wie durch einen bösen Zauber, rutschten die Pfeile immer wieder durch seine Finger. Er musste den Blick von dem Kuttenträger nehmen um gezielt einen der Pfeile greifen zu können. Er legte ihn auf und suchte sein Ziel. Die abgerissenen Gestalten waren mittlerweile in Bewegung gekommen, doch er fand die wehende Kutte am hinteren Ende des Platzes.

„Der Bastard versucht sich hinter diese Felsen zu flüchten!“ Carls donnernde Stimme übertönte gar das Brechen des Astes den er mit einem wütenden Hieb seiner Ronja aus dem Weg schaffte.

Hane zog die Bogensehne durch, setzte die Füße um und versuchte einen klaren Schuss auf den Kuttenträger zu bekommen. Doch es war nicht möglich. Der wehende Mantel verschwand hinter dem ersten der gigantischen Finger. Nun nahm Hane wahr, was mit den restlichen Gestalten passierte. Der Großteil war wohl dabei sich ebenfalls vor den unsichtbaren Angreifern in Sicherheit zu bringen und trat eine panische Flucht in die Brache an. Doch eine Handvoll dieser Wahnsinnigen stürmte wie von Sinnen auf die kleine Jagdgesellschaft zu. Hanes Verstand klärte sich so langsam. Er akzeptierte, dass er den Kuttenträger mit diesem Pfeil nicht würde stoppen können. Seine Arme begannen langsam zu zittern, also entließ er den Pfeil auf den ersten Heranstürmenden, der sich gerade anschickte mit bloßen Händen auf Carl loszugehen. Dieser schwang seinen mächtigen Kriegshammer und es sah nicht so aus, als wäre er darauf aus betäubende Schläge zu verteilen. Der Pfeil traf den in dreckige Lumpen gekleideten Mann in die Brust, der Kriegshammer hieb ihm in die Hüfte und zertrümmerte sein Bein. Nicht einmal ein Schmerzenslaut entfuhr dem Mann als er zu Boden stürzte und mit seinen letzten Atemzügen kriechend versuchte näher an Carl heranzukommen. Oleana war an der Seite des Hünen angekommen und hieb mit ihrem Schwert eine blutige Wunde in einen herannahenden Wahnsinnigen. Auch diesen schien die offensichtlich schmerzhafte Wunde nicht weiter aufzuhalten. Zwei schnelle Schläge, einer abwärts auf den ausgestreckten Arm, der nach Oleana greifen wollte und der andere aufwärts auf den Hals des Angreifers erstickten die Bemühungen des Mannes endgültig. Es waren noch zwei Frauen und ein Mann, die wie Irre mit bloßen Händen auf die beiden geübten Kämpfer eindrangen. Ein Kampf der ungleicher nicht hätte sein können, dessen Ausgang von vornherein klar war und der doch einen Schrecken für die beiden Kämpfer bereithielt, der kaum zu erahnen war.

Tief atmend stand Carl zwischen den fünf Erschlagenen. „Habt ihr sowas schonmal gesehen? Das waren keine Dämonen, oder Untote, oder paktierende Scheißkerle… Das waren einfache Männer und Frauen aus Fleisch und Blut. Die kommen auf uns zu als gäbe es kein Morgen und spüren nicht einen Funken Schmerz nachdem Ronja ihnen das Bein zertrümmert und die halbe Seite aufreißt… Was läuft hier?“

„… habt ihr die Augen von denen gesehen? Leere. Nichts als Leere und eine Flamme brodelnden Hasses!“ Oleana war kreidebleich und stützte sich schwer auf ihr Schwert.

„Von den Wahnsinnigen kriegen wir keinen Eingefangen. Wenn die alle so schmerzbefreit sind, kommen die deutlich schneller durch die Dornenbüsche als wir. Aber der Kuttenträger! Der ist hinter diese elenden Felsen verschwunden. Den sollten wir verfolgen. Viel Vorsprung kann er noch nicht haben!“ Hane setzte sich bereits wieder in Bewegung und setzte im Laufschritt über den Platz hinweg, dicht gefolgt von Bellrik II. Der Jagdhund nahm eine Geruchsfährte auf, wirkte einige Momente recht hin und her gerissen von den zahllosen unterschiedlichen Gerüchen, die sich durch das chaotische Treiben auf diesem Platz verbreitet hatten. Doch schließlich setzte er seinem Herrn in Richtung der gigantischen Felsenfinger nach.

Sie folgten der Fährte, doch schienen sie nicht wirklich näher zu kommen. Immer unwegsamer wurde der Untergrund, immer modriger die Luft und immer nebliger die Sicht. Sie näherten sich unaufhaltsam dem Sumpf.

Schließlich musste Hane kapitulieren. „Kein Zweifel! Der Kuttenträger kennt sich hier aus. Der wusste genau wie er uns abhängt und ist in den elenden Sumpf geflüchtet. Ich kann seine Spuren hier nur noch erahnen und wahrscheinlich wären wir in wenigen Minuten hoffnungslos verloren in diesem Sumpf, ohne eine Spur in greifbarer Nähe und erst recht ohne Chance jemals wieder trockenen Boden unter die Füße zu bekommen…“

„Und was machen wir jetzt?“ Oleana blickte argwöhnisch in den Nebel.

„Wir gehen zurück zu den Felsenfingern. Der Kuttenträger hat nicht diese riesigen Fußabdrücke hinterlassen. Er hatte Schuhe an und war weitaus weniger massig. Wir werden also wieder unsere ursprüngliche Fährte aufnehmen und gucken was den Riesenmenschen auf diesen Platz getrieben hat.“ Hane winkte Bellrik II. zurück, der verzweifelt nach Geruchsspuren suchte. Doch der allgegenwärtige Mief des Sumpfes überdeckte offenbar sogar für die geschulten Sinne des Jagdhundes alles, was irgendwie natürlich riechen mochte.

Sie kehrten zurück zu den Felsen, die noch immer wie die vier Finger einer gigantischen Hand in die Höhe ragten. Die Dunkelheit der Dämonenbrache schickte sich an langsam aber stetig an Kraft zu gewinnen. Der Tag ging zur Neige. Die Gefährten näherten sich erneut dem Platz an dem das orgiastische Treiben ausgebrochen war. Der leblose Körper der jungen Frau lag noch immer unnatürlich gebogen über den Felsbrocken im Zentrum des Platzes. Eine dünne Blutspur führte von dem Felsbrocken zu den Felsenfingern. Auch die schweren Spuren des Riesenmenschen entdeckte Hane nun wieder. Sie führten ebenfalls zu jenem Felsen, wenn sie auch nicht aus dem Zentrum des Platzes kamen, sondern eher vom Rand desselben. Ein glatter Felsen befand sich dort zu Fuße des vermeintlichen Ringfinger-Felsens. So glatt wie ihn kein Steinmetz schlagen könnte. So glatt, wie selbst Wind und Wetter einen Stein beinahe nicht würden formen können. Mit Kohle war ein Bild auf den Stein gemalt worden. Es zeigte eine Monstrosität deren Gestalt für die menschliche Wahrnehmung der drei Jagdgefährten nicht greifbar war. Kein Tier. Kein Mensch. Kein Wesen, das je auf Dere hätte wandeln sollen, war dort abgebildet. Unzählige Arme, oder waren es eher Tentakel, entsprangen aus den unmöglichsten Stellen in der denkbar unförmigsten Natur dem Körper des Ungetüms. Einige Beine ragten gebogen und abgeknickt zum unteren Rand des Bildes, wenngleich es sich hierbei auch hätte um Wurzeln handeln können. Gigantische Hörner krönten das Gebilde was womöglich einem Kopf am nächsten kam. Das Bild zeugte von keiner Kunstfertigkeit, doch der Detailreichtum war fesselnd und es kostete jeden der Betrachter einige Überwindung von diesem schrecklichen Bildnis, was sich wahrscheinlich für die Ewigkeit in ihre Köpfe gebrannt hatte, wegzusehen. Die Blicke wanderten nach oben, wo auf dem glatten Stein ein Bündel lag. Rötlich gefärbte Feuchtigkeit suppte aus dem groben Stoff. Ein röchelndes Etwas lag darin. Es trug menschliche Züge an sich, was die Erscheinung nur noch abscheulicher machte. Es war nicht auszumachen welche Kreatur sich in die Erschaffung dieser Abscheulichkeit eingemischt hatte.

„Wir hätten bei den Tierspuren bleiben sollen…“ Carl wandte sich angewidert ab.

„Was soll das für ein Vieh sein? Erst diese Zeichnung da unten und jetzt diese Kreatur… Sollten wir sie erschlagen?“ Oleana schien unsicher.

„Ich glaube nicht, dass wir es erschlagen müssen. Es liegt bereits im Sterben. Das Biest hat zu viel Mensch in sich um in der Dämonenbrache allein lebensfähig zu sein. Es bräuchte wahrscheinlich eine Mutter oder sowas…“ Hane beobachtete das röchelnde Ungetüm eindringlich, während die rechte Hand Sicherheit am Dolchgriff suchte.

„Was soll denn so ein Wesen für eine Mutter haben? Werden diese Viecher echt geboren?“ Carl spuckte das letzte Wort beinahe aus, so ekelerregend schien ihm der Gedanke.

„…es hat zum Teil menschliches an sich.“ Oleanas Blick wanderte zögerlich in Richtung Platzmitte.

„Du meinst? … Boah, ich glaube mir wird jetzt echt schlecht!“ Carls Blässe im Gesicht erreichte eine neue Intensität. Er ging in die Knie und kämpfte einen Würgereiz nieder, während er ebenfalls das Zentrum des Platzes ins Auge fasste.

„Sie müssen es der Frau auf dem Felsblock aus dem Leib geschnitten haben. Oh ihr Götter, warum habt ihr uns nicht mehr von diesen Frevlern töten lassen?“ Hane blickte hilfesuchend gen Himmel, wo dunkle Wolken aufgezogen waren und sich im Schatten der aufgehenden Nacht in grünlich-bläulichem Zwielicht tummelten. „Und seht mal hier. Die Spuren des Riesenmenschen verharren hier. Er muss einige Zeit hier verbracht haben. Ob er wohl die Frau hergebracht hat, damit sie von dem Kuttenträger zum Felsblock gebracht werden kann?“

„Vielleicht hat der Riesenmensch ja auch das groteske Bild da unten gemalt. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich ihn wirklich finden will, jetzt wo wir glauben, dass er mit der Geburt dieses blutigen Bündels da und womöglich auch mit der beunruhigend detaillierten Zeichnung zu tun hat.“ Oleana spuckte neben dem Felsen aus und wandte sich ab.

„Wie dem auch sei. Heute werden wir gar nichts mehr machen. Die Nacht ist beinahe hereingebrochen, wir sollten dringend ein Lager finden.“ Hane schaute seine Kameraden eindringlich an. Diese nickten zustimmend. Im vermeintlichen Mittelfinger der Felsenhand stießen sie auf grob in den Fels geschlagene Mulden, die einen Kletterpfad ergaben. Bei einem Blick nach oben konnte Hane eine womöglich natürliche Plattform im Felsen ausmachen, die hoffentlich groß genug wäre um die drei Menschen und den Jagdhund für die Nacht zu beherbergen. Er machte sich daran den Felsenfinger zu erklimmen. Oleana und Carl folgten, während letzterer Bellrik II. auf seine Schultern hievte und mit nach oben brachte. Einige abgebrannte Kerzenstümpfe standen hier oben herum. An den Wänden waren zahlreiche Kreidezeichnungen, viele davon bereits durch Mensch und Wetter verwischt. Was die Zeichnungen darstellten, konnte keiner der Gefährten entziffern, doch sie entschieden sich kurzerhand sie mit Hand, Sand und Wasser zu zerstören. Die Aussichtsplattform ließ einen guten Überblick über den Platz und den näheren Wald zu und war zudem gar einigermaßen windgeschützt. Wenn es auch unheimlich war auf einem womöglichen Ritualplatz über einem tatsächlichen Ritualplatz zu thronen, so war es doch die beste Möglichkeit zur Nachtruhe für die kleine Jagdgesellschaft. Sie machten ein Feuer und versuchten sich schlafen zu legen.

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Von lauten Rufen wurde Hane aus seinem unruhigen Schlaf geweckt. „Verdammte Biester! Weg! Weg!“ Carl sprang von einem Bein auf das andere und wedelte mit seiner riesigen Hand durch die Luft. Eine große Fliege die er mit seinem Hieb erwischte, taumelte kurz in der Luft. Sie fing sich und setzte erneut zum Flug auf den Hünen an. Hane nahm bereits ein bedrohlich lautes Summen wahr. Die hellen Flecken die vor seinen Augen tanzten, die ihm von seinem Blick mitten ins Feuer geblieben waren, zogen sich langsam zurück. Als er die Dunkelheit besser durchschauen konnte, sah er die Unmengen an Insekten, die sich fliegend, und zum Teil gar kriechend über die Plattform bewegten. Hane sprang aus seinem Schlafsack und versuchte sich bei Leibeskräften der Viecher zu erwehren. Er schlug mit der Hand aus, pustete eine Fliege weg, die seinem Gesicht zu nahe kam und zertrat mit dem Fuß Kriechgetier, das sich seinen Füßen annähern wollte. Mit einem lauten Zischen verging ein Fluginsekt, als er es mit einer Rückhandbewegung in die Flammen des Lagerfeuers stieß.

„Feuer!“ rief Hane seinen beiden Gefährten zu, die sich auf dieselbe unbeholfene Art der Insekten zu erwehren versuchten. Anfänglicher Verwirrung über den Ausbruch eines Feuers folgte schnell die Idee, dass Hane von einer Waffe gegen das Getier sprach. Oleana schaltete am schnellsten und sprang bereits in die Niesche in der sie den mittlerweile deutlich geschrumpften Inhalt des Karrens aufgetürmt hatten. Sie griff einige Fackeln und warf sowohl Carl als auch Hane jeweils eine zu. Mit lautem Zischen wurden die Fackeln entzündet und kurz darauf standen die drei Gefährten mit je einer brennenden Pechfackel bewaffnet im Kreis um das Lagerfeuer und bekämpften die aufgezogene Insektenplage. Ein möglicher Beobachter vom Platz zu Fuße der Felsenfinger mochte den Tanz für ein typisches Ritual auf der Aussichtsplattform halten. So tapfer und aufmerksam die drei auch kämpften, die Unzahl der fliegenden und krabbelnden Viecher war überwältigend und immer wieder schafften es einzelne der Biester den tödlichen Flammen und malmenden Stiefeln zu entkommen und ihren kleinen Blutzoll einzufahren. Mit der Zeit zogen sich die drei Gefährten rückwärtsgehend auf ihren Vorrätestapel zurück, vor dem schon Bellrik II. hockte und jämmerlich winselte. Der Jagdhund schnappte immer wieder nach den Biestern die auch ihn zu zerstechen versuchten und er tänzelte von einer Pfote auf die andere um den krabbelnden Schrecken dieser Nacht zu entgehen. Es mochten einige Minuten oder gar mehrere Stunden gewesen sein, bis der nimmer endende Ansturm der Insekten zur Neige ging. Die kleine Jagdgesellschaft war von oben bis unten zerstochen und konnte dennoch einen kleinen Sieg gegen die Biester der Brache für sich verbuchen. Schließlich waren sie noch am Leben und wurden nicht komplett von der Plage aufgefressen. Erschöpft fielen sie in einen unruhigen, alptraumgeplagten Schlaf, der keine Erholung für sie bereithalten sollte…



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Texte der Hauptreihe:
K2. Tag 1
K3. Tag 2
K4. Tag 3
K5. Tag 4
K6. Tag 5
K7. Tag 6
K8. Tag 7
Autor: Ostbrisken