Geschichten:Sechs Beine und vier Pfoten - Tag 1

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Dämonenbrache 25.BOR 1042BF

Hane war mit Oleana, Carl und Bellrik II. in Richtung der Brache aufgebrochen. Die einzelnen Jagdgesellschaften hatten ihre Positionen entlang der Baumgrenze bezogen, in einem Abstand von etwa 100 Schritt. Nur wenige Herzschläge hatte es gedauert und die Brache hatte sie allesamt verschluckt. Kein Laut der anderen Gruppen mehr. Kein Sichtkontakt. Auch nicht zum Land jenseits der Brache. Einzig das Praiosgestirn war noch zu sehen und ließ Hane erkennen, dass sie sich in Richtung Westen bewegten. Tiefer in die Brache hinein. So hatte er es geplant. Er hatte gebetet, dass die anderen Wildnisführer sich in der Brache zurecht finden mögen. Hane selbst war im Briskengrund aufgewachsen, es war nicht sein erster Gang in die Brache und würde hoffentlich nicht sein letzter sein. Er wusste, es gab nur weniges auf das er sich würde verlassen können. Die Brache war in stetem Wandel. Nichts war von Dauer. Nichts war wie es schien. Doch mochte auch der über allem liegende leichte Nebel, der sich über der Brache zu unnatürlichen Wolken verdichtete, das Praiosgestirn weitgehend verdecken, war es einem erfahrenen Jäger wie Hane doch möglich die grobe Orientierung zu behalten. Er ermahnte sich nun nicht mehr an die anderen zu denken. Sie waren auf sich allein gestellt. Jede einzelne Jagdgruppe. So hatte es der Reichsjunker gewollt. Eine bescheuerte Idee. Noch nie hatte Hane von einer Hatz gehört, die von drei Menschen und einem Jagdhund veranstaltet wurde. Selbst ein einzelner Eber würde sich lachend noch eine extra Runde im Schlamm suhlen bevor er vor einer solchen Hatz floh…Sich im Angesicht einer solchen Gefahr wie der Brache aufzuteilen…Es zeigte, dass der Mersinger offenbar keine Ahnung von der Brache hatte und, dass es mit Gemeinschaftssinn im neu gegründeten Schutzbund noch nicht weit her war… Die Adelswelt hielt offenbar zunächst Machtkämpfe für den Bund bereit – und die Schwachen würden auf der Strecke bleiben… Aber hier im Wald, sei es auch der lebensfeindliche Suhl der Dämonenbrache, hier wusste Hane sich zu bewegen. Lieber passte er auf nicht über Wurzeln zu stolpern, als über Fallstricke der höfischen Etikette, oder gar Strippen intriganter Machtkämpfe… Die Dämonenbrache verhieß einen offen geführten Kampf um das Überleben. Wenn es schon ein Überlebenskampf sein musste, dann doch einer in der Wildnis.

Anfangs waren sie durch zunehmend dichter werdendes Buschwerk gelaufen. Hier und da verirrten sich einige hinterlistige Dornensträucher darin. Schlammige Gebiete, kleinere Moore oder tiefschwarze, stinkende Sümpfe versuchte Hane gezielt und weiträumig zu umgehen. Eine Mission die sich zunehmend schwieriger gestaltete. Der Wald wurde schnell deutlich dichter und bald waren die Haumesser im steten Einsatz um der kleinen Jagdgesellschaft den Weg zu bahnen. Hane war froh einige extra Taler in den guten Stahl investiert zu haben. Billiges Werkzeug wäre schon nach wenigen Stunden stumpf gewesen. Auch auf festes Schuhwerk hatte er besonderen Wert gelegt. Der Wald der Brache war wild und verwuchert, vorsichtig bewegten sie sich Schritt für Schritt voran, stiegen über umgestürzte Bäume und unübersichtliches Astwerk am Boden. Immer wieder hatte Hane das Gefühl die Äste streckten sich im letzten Moment noch einen Halbfinger nach oben, um doch noch nach den Füßen der Eindringlinge zu greifen. Carl war schon ein ums andere mal ins Straucheln gekommen, doch gestürzt war er zum Glück nicht. Die Dornen, Äste, spitzen Steine oder messerscharfen Blätter zogen, zerrten und rissen an ihrer Kleidung. Doch darauf war Hane vorbereitet. Darauf hatte er Oleana und Carl vorbereitet. Dafür hatte er die Ausrüstung zusammengestellt. Er kannte die Brache, wusste worauf sie sich einließen. Die Brache würde ihnen keinen Schritt schenken. Alles musste man sich in diesem lebensfeindlichen Suhl erkämpfen. Alles.

Die Tier- und Pflanzenwelt war vielfältig und fremd. Hane beanspruchte für sich ein Kenner der lokalen Flora und Fauna zu sein, doch was sich hier tummelte, war unbekannt und bisweilen widernatürlich. Die Pflanzen waren entweder schwarz bis grau, kaum erkennbar in den dunklen Schatten der modrigen Bäume, oder von einer Farbenpracht die immense Überwindung abverlangte, wollte man die Augen von ihr abwenden. Der modrige Geruch des zwölfmal verfluchten Seuchenpfuhls wurde ab und an von würzigen bis betörenden Düften überdeckt, was die vorsichtige und misstrauische kleine Jagdgemeinschaft besonders aufmerksam werden ließ. Hier und da traf Hane auf Spuren von Kleinwild und auch von dem einen oder anderen Paarhufer. Die erste Spur hatte er noch ignoriert, doch der zweiten folgte er schließlich. Hasenpfoten, etwas größer als gewöhnlich, doch die Tiefe der Eindrücke und die Abstände wiesen auf einen einigermaßen gewöhnlichen Bau des Tieres hin. Warum nicht klein starten, dachte sich Hane. Immer wieder kniete er nieder, zermahlte Erde und Moos zwischen den Fingern und gab Bellrik II. eine Geruchsprobe. Das Tier war ihnen einige Zeit voraus, glaubte Hane. Womöglich würde es am heutigen Tag nicht zum Zusammentreffen der Jagdgruppe mit der ersten Beute kommen.

Als Hane erneut eine Spur untersuchte und seine beiden Begleiter dann weiter winkte, fragte Carl genervt nach. „Wohin führst Du uns, Junge? Sind wir nicht zum Jagen von diesen Bestien hier?“

„Du wirst schon noch dazu kommen deine Ronja auf einen Bestienschädel zu schlagen, Carl. Doch unterschätze bitte nicht das Wesen der Brache. Viele der Gefahren hinterlassen gar keine Spuren. Blindlinks der ersten Fährte zu folgen, könnte uns schon am ersten Tag den Hals kosten. Und nicht nur unser Leben ist hier in Gefahr. Auch unsere unsterbliche Seele könnte in die Klauen der Brache fallen, wenn wir nicht aufpassen...“ erwiderte Hane geduldig und eindringlich.

„Na das sind ja rosige Aussichten…“ Oleana schaute sich missmutig um, jederzeit bereit einem Busch dabei zuzusehen wie er zu Staub zerfiel und sich anschließend in Morast verwandelte.

„Und, wie steht es um unser Kaninchen?“, wollte Carl flapsig wissen.

„Nun, es nimmt so langsam Unform an. Oder es hat merkwürdige Begleiter. Ich habe vorhin an der Spur eine Feder gefunden, die wohl am ehesten einer Ente zuzuordnen wäre. Ich persönlich würde also auf ein Mischwesen aus Hase und Ente tippen.“ Hane kramte die Feder aus seiner Ledertasche und hielt sie Carl gut sichtbar hin. Bellrik II. schnüffelte aufgeregt auf dem Boden herum.

„Oder vielleicht war hier auch vor kurzem noch ein wunderschöner Bergsee und die Entenfeder ist alles was davon übrig blieb…“ Oleana war drauf und dran dem nächsten Baum, der sich in einem plötzlich aufkommenden Wind wiegte, ihr Schwert in den Stamm zu schlagen.

„Oleana, ja ich sagte der Wald ist lebendig. Doch das Land ist grundlegend dasselbe. Die Bresche die wir heute mit den Haumessern schlagen, kann morgen wieder geschlossen sein. Die gesund aussehende Eiche dort drüben kann morgen ein schwarz gefärbtes knorriges Ungetüm eines Baumes sein. Doch ein Sumpf bleibt zunächst einmal ein Sumpf und wird nicht über Nacht zu einer Blumenwiese.“ Auch Hane ließ seinen Blick schweifen, blickte dann jedoch besorgt zu Oleana zurück. „…und Oleana. Bitte lass uns gleich gemeinsam ein paar Gebete aufsagen! Ich habe den Eindruck, die Brache lässt dir bereits jetzt den Kragen platzen. Wir haben noch sechs weitere Tage. Lass noch ein bisschen Spielraum nach oben.“ Die Besorgnis wich einem Schmunzeln und er wandte sich erneut dem Wald zu. Oleana gönnte ihm keine Erwiderung, sondern grummelte irgendetwas vor sich hin.

Als sie einige Zeit später begannen ihr Nachtlager vorzubereiten, fragte Carl „Und was meinst Du? Wie weit sind wir vorwärts gekommen am ersten Tag dieser heroischen Hatz, die wir für den Herrn von und zu Eberschreck, der sich ein Banner Soldaten, Ritter und Geweihte einbestellt um ein Dutzend Schweine zu jagen, veranstalten?“

Hane lachte laut und gab sich keine Mühe diplomatische Korrektheit einzuklagen. „Ich denke wir haben auf unserem heldenhaften Zick-Zack-Kurs etwa eine halbe Meile westwärts geschafft. Die Hohen Herrschaften hoch zu Ross können sich wahrscheinlich mit groben zwei Spann mehr rühmen.“ Hane sah zufrieden aus.

„Eine halbe Meile? Du bindest mir doch nen Bären auf! Da wäre der Versehrtenzug der Kaiserlichen Armee ja schneller gewesen, wenn die Einbeinigen Veteranen die Wagen gezogen hätten…“ Carl war offensichtlich nicht zufrieden mit dem Tagesergebnis.

„Sprich nicht zu laut von Bären, Carl… Ich würde gern erstmal mit dieser Hasenente anfangen bevor wir uns mit einem Bären herumschlagen müssen.“ Oleana konnte eine gewisse Sorge auf ihrer Miene nicht ganz verbergen.

„Carl, den Karren mit dem Feuerholz kannst Du bitte dort hinstellen. Wir werden das Feuer auf diesem großen Stein machen. Du kannst solange schon das Moos runterkratzen. Ich werde in der Zwischenzeit die Bärenfallen und noch einige kleinere Fallen aufstellen und dann gucken wir mal was wir damit so einsammeln. Und vergesst nicht Eure Kleider wieder auf Hochglanz zu bringen! Die Hasenente wird uns morgen zum Tanz bitten.“ Hane kraulte dabei den Kopf seines Jagdhundes, der sich genüsslich der Hand entgegenstreckte. Von Carl kam nur ein lautes Gröhlen als er zu unhörbarer Musik einige Tanzschritte zum Besten gab. Auch Oleana konnte ihre Mundwinkel von einer unwillkürlichen Aufwärtstendenz nicht abhalten.

Die Dämmerung zog auf, das Praiosgestirn senkte sich hinter die Baumwipfel und hinterließ immer länger werdende Schatten. Doch wo für Gewöhnlich die Geschäftigkeit langsam zum Erliegen kommt, so erwachte die Brache erst zu ihrem unheiligen Leben. Überall knackte, schmatzte, kratzte, säuselte und stöhnte es. Der gesamte Wald schien schwerer Arbeit nachzugehen und sich dabei nicht um die zahllosen Eindringlinge aus dem Osten zu scheren. Noch einmal dachte Hane kurz an seine Bundsbrüder und –Schwestern die nun ebenfalls die erste Nacht der Hatz in der Brache zu überstehen hatten. Er betete kurz für ihrer aller Seelen und widmete dann wieder seine volle Aufmerksamkeit auf die Bereitung ihres Nachtlagers. Von hier aus wollte er in den nächsten Tagen den zahlreichen Spuren nachgehen und die Biester der Brache jagen. Darum waren sie heute nicht so weit in die Brache vorgedrungen. Die drei Kameraden bemühten sich das Lager ein wenig zu befestigen um für die Gefahren der Nacht gewappnet zu sein. Wer weiß was die Brache ihnen entgegenwerfen würde…