Geschichten:Schmerzen und Glück - Morgendämmerung

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

„Bringen wir den wohlgeborenen jungen Herr doch erst einmal ins Haupthaus...“ unterbrach der Perainepriester Lorderin Halburg die entsetzliche Stille, die sich im Stall ausgebreitet hatte. Er griff mit seinen zwar alten, doch starken Armen unter die des Zauberers.

Sofort ging ihm der Pferdeknecht zur Hand und die beiden stützten Tirus. Er war noch schwach auf den Beinen, doch hielt er sich mit dem den Gorsingens eisernen Willen aufrecht. Ailgrimm bot Lorderin sofort an, Tirus zu stützen, sodass diese Bürde von dem Priester genommen war. Gemeinsam brachten die Herrschaften den geschwächten Zauberer in das Haupthaus. Einige Schritt hinter Ailgrimm und dem Knecht Darek, die Tirus unter die Arme griffen, gingen Aidaloê, Greifmar, der Priester Lorderin und die junge Dorleen. Tirus hatte mit bedeutsamen Neuigkeiten aufgewartet und die Neuigkeiten, die nun direkt die Bewohner von Ferinstein betreffen würden, griff der Verwalter nun auf.

„Aidaloê, Dame Untergras, Vater Lorderin...“ meinte der Edle von Weißhammer abrupt. „... wir müssen uns auf mögliche Flüchtlingszüge vorbereiten. Vater Lorderin, wäret Ihr so gütig, mit mit nach Maarblick zu reiten und die Schultheißen sowie die Tempelmagistralen zu informieren und sie zu bitten, uns bei diesen Vorbereitungen zu helfen?“

Der alte Priester nickte nur bestätigend, sodass Greifmar fortfuhr: „Aidaloê, Ihr kümmert Euch mit Ritter Ailgrimm um die Vorbereitung einiger Flüchtlingslager. Wir brauchen Nahrung, nehmt sie aus den Speichern. Gleichzeitig stellt Ritter Ailgrimm einige Landgendarme auf, die für Ruhe und Ordnung sorgen. Wir müssen dieser Züge Herr werden.“

Nun war es an der Halbelfe zu nicken. Sie verstand die Anweisungen des Edlen von Weißhammer, dem die Ruhe und die Sicherheit dieses Landstriches sehr am Herzen lagen. Und sie ahnte auch, dass nun unruhige Zeiten auf die Edlen und Barone Garetien zukommen würden. Möglicherweise waren schon versprengte Heere der dunklen Schergen auf dem Weg hierher nach Syrrenholt.

Nervös strich sich Aidaloê durch das seidige Haar und zum ersten Mal seit den Orkkriegen wünschte sie sich, in den verborgen Wäldern zu sein – dort wo ihre geheimnisvolle Mutter sich wohl aufhielt, bei den Elfen. Sie schüttelte rasch diesen Gedanken ab und klammerte sich wieder an ihr Vertrauen in die Götter. SIE würden die Gläubigen hier auf Aventurien beschützen vor den Boten der Niederhöllen, darauf vertraute Aidaloê.

„Gut, kümmert Euch darum, so schnell wie möglich.“ lautete die letzte Anweisung Greifmars, bevor er und Vater Lorderin sich umwandten und zurück zu den Ställen gingen. Aidaloê folgte dem Knecht Darek und Ritter Ailgrimm, die mit Tirus schon ins Haus gegangen waren.


[ Auf dem Weg nach Maarblick ]


Er mochte zwar alt sein mit seinen 70 Sommern, doch auf seinem treuen Warunker Blättchen mit seinen weichen Gängen vermochte der alte Priester immer noch zu reiten. Im eleganten Trab ritt Lorderin Halburg hinter dem Edlen von Weißhammer auf seinem feurigem Yaquirtaler Cherub al'Hafta eiligst den kurzen Weg nach Maarblick. Es war nicht weit, nicht einmal eine Meile vom Gorsinger Haus nach Maarblick und vor ihnen erhob sich die Steinmauer um die Ortschaft herum. Eine Stadt war Maarblick trotz seiner beinahe 700 Einwohner nicht, obwohl es manch wohlhabendem Bürger gefallen hätte. Nicht einmal Baronsresidenz war das stolze Örtchen mit seiner eigenen Geschichte, sondern gehörte zum Land der Junker Gorsingen von Ferinstein, seit den Tagen Angarads von Gorsingen. Das einzige Zugeständnis der Junker an die wachsende Ortschaft war, dass der Schultheiß aus den Reihen der Kaufleute bestimmt wurde.

Und diesen Schultheißen – Alrik Gutgold – wollten Greifmar von Rothammer-Hardenried und Vater Lorderin Halburg aufsuchen. Es musste die Wehr ausgehoben werden, ebenso wie die Oberen der Tempel sich auf die Aufnahme von Flüchtlingen vorbereiten sollten. Vater Lorderin Halburg genoss unter den Geweihten der Götter großes Ansehen und so würde er versuchen den Kapellmeister der Travia wie auch den Ritter der Rondra zu überzeugen, die Tore zu schließen und die Wehr auszuheben.

Klappernd durchritten die Pferde das wagenbreite Tor zur Ortschaft Maarblick. Nur ein Landgendarm stand hier mit einer schlichten Hellebarde, um unlichteres Gesindel nötigenfalls gleich am Tor aufzuhalten. Doch der Wachmann kannte sohl den Priester als auch den Gutsverwalter und so verbeugte er sich vor den hohen Herrschaften nur kurz und ließ sie anstandslos passieren. Lorderin sah sich um.

Noch war keine Unruhe zu bemerken – offensichtlich war noch keine Kunde von den schrecklichen Geschehnissen nach Maarblick gedrungen, keine Flüchtlinge angekommen. Der Priester atmete aus. Es würde die Sache erleichtern, einer Panik vorbeugen.

Nach nur kurzer Zeit erreichten die beiden Reiter das Haus des Schultheißen. Alrik Gotgold war gerade in dem kleinen Grünstreifen vor seinem Fachwerkhäuschen und schnitt einige Rosen. Sie blühten wunderschön diesen Götterlauf und seit jeher war der Kaufherr stolz auf seine kleine Rosenzucht im heimischen Vorgarten. Da er nun in diesem Vorgarten damit beschäftigt war, seine Blüten zu pflegen, bemerkte er sofort die Ankunft des Geweihten und des Edlen. Neugierig aber auch ebenso überrascht hob er den Kopf.

„Die Götter zum Gruße...“ warf er ihnen leicht fragend entgegen und wischte sich die runden Hände an der ledernen Schürze ab, die sich über sein wohlbeleibtes Bäuchlein spannte.

Dann rief er nach seinem Knecht Jorge, welcher – ein großer kräftiger braunhaariger Mann – sofort um die Ecke bog und sich um die Pferde des Edlen und des Geweihten kümmerte.

„Euer Wohlgeboren, Edler von Weißhammer, Vater Halburg, was führt Euch zu mir?“ fragte Alrik dann mit einem offenen Lächeln, für das er bekannt war und hinter dem sich durchaus ein scharfer, winkelzügiger Verstand verbarg.

„Herr Gutgold...“ Greifmar schritt ohne Umschweife zum Kaufherren. „... wir müssen etwas mit Euch besprechen. Es ist dringend.“


Erschrocken seufzte der Schultheiß und griff nervös nach einem Tüchlein, um sich die kahle Stirn zu wischen. Seine Hand zitterte, es war nicht zu übersehen.

„Ihr würdet nie wagen, über so etwas zu scherzen, Euer Wohlgeboren“, war die bislang einzige Entgegnung des Schulzen mit matter zittriger Stimme. Er griff nach einem Krug mit Wein und goss sich mit zitternder Hand etwas von dem Nass in seinen Kelch. Ein paar Tropfen fielen daneben und lagen wie Blut auf dem schweren Eichenholztisch. Ein wenig entsetzt starrte der Schultheiß auf die Flecken.

Augenblicke später hob er den Blick. „Ihr... Ihr habt recht, Wohlgeboren. Wir müssen vorbereitet sein. Aber, was sollen wir tun?“ Gutgold schien wirklich fassungslos. Noch nie hatte er solch eine Situation erlebt. Doch! Einmal, als einstens die Orken den Wall der weidener Wehr durchbrachen und gen Gareth marschiert waren. Doch da hatte Junker Reto Hagenius das Heft in die Hand genommen und die Landwehr aufgestellt. Er war den ferinsteiner Schützen vorangeritten und hatte den Schwarzpelzen, die das Kloster Marano gebrandschatzt hatten, einen empfindlichen Schlag versetzt.

„Wir tun das gleiche, was Junker Reto von Gorsingen zu Zeiten des Ork- und Answinkrieges schon einmal getan hatte“, griff Greifmar den unausgesprochenen Gedanken des Schultheißen auf. „Wir heben die Landwehr aus, bemannen die Wehrmauer und verschanzen uns, bereit jeden Gegner zurückzuweisen.“

Nachdem auch der Edle von Weißhammer zuerst entsetzt gewesen war, als die erste Kunde vom Fall Gareths das Gut erreicht hatte, hatte nun eine grimmige Entschlossenheit ihn ergriffen. Maarblick und Rohden würden nicht in die Klauen der dämonischen Schergen fallen! Nicht jetzt und auch nicht später. Mit der rechten Hand spielte er mit dem Stiel des silbernen Kelches, in dem nur noch ein Rest geminztes Wasser schwenkte, während der Edle dem Schultheißen das weitere Vorgehen erläuterte. Greifmar wusste, es war nicht viel, was die Ferinsteiner tun konnten und tun würden, doch es war nötig. Sein Plan war simpel: Der Ritter der Göttin Helmbrecht Tarandél von Baliho sollte als Priester der Rondra gemeinsam mit Greifmar sowie den Rittern Trautmann von Haderstein und Ailgrimm von Fuchsstein die Landwehrbanner ausheben. In kriegerischen Zeiten konnten zwei Lanzen Fußkämpfer, zwei Lanzen Bogenschützen und dazu noch die eigentliche Landwehr das Blatt zugunsten der Verteidigen wenden. Und seit den Tagen, da die Orks nicht nur Marano geplündert, sondern auch Maarblick belagert und Rohden verwüstet hatten, waren die Ferinsteiner zu regelmäßigen Übungen an Speer, Schwert und Bogen angehalten worden. Und jeder, der sich der Gefahr durch die gottlosen Orken erinnerte, befürtwortete diese Wehrübungen.

Des Edlen Kehle wurde heiser, während er in aller Deutlichkeit das weitere Vorgehen erläuterte und Gutgold die Aufgabe der maarblicker Bürgerwehr nahelegte.


'[ Im Gorsinger Haus ]


„Ich möchte meinen letzten Sohn sehen, vielleicht mein letztes Kind!“ schallte der verzweifelte schrille Schrei einer verzweifelten Mutter durch das Haus.

Entsetzt hielten die Mägde und Knechte in ihrer Arbeit inne, als dieser Schrei nach Hoffnung durch den Himmel zuckte und schlugen das Boronsrad zum Schutze der Toten und der Hinterbliebenen.

Traviadane krallte sich in Aidaloês Kragen und starrte die größere Halbelfe mit entsetztem Gesichtsausdruck an. Tränen rannen ihr über das Gesicht, dessen Haut so blass war wie ein Laken. Tränen einer Mutter, die alles verloren hatte: Ihren Mann, ihre Söhne, Ihre Tochter. Nur noch ein Sohn war ihr geblieben, ein letzter Anker, der sie in diesem Leben hielt. Und diesen Anker wollte die Edle von Syrrenmaar sehen, wollte zu ihm gehen. Aidaloês Augen wurden feucht als sie die Trauer und die Verzweiflung ihrer Herrin in deren Gesicht lesen konnte.

„Kommt Herrin, kommt.“ krächzte sie auch, ihre Stimme erstickt durch einen Kloß in ihrem Hals. Sie konnte die Trauer der Edlen nur zu einem Teil nachempfinden.

Aidaloê hatte niemals eine Familie gehabt. Ihre Mutter war eine Elfe gewesen, ihr Vater irgendein unbekannter Mensch und entweder der Vater oder die Mutter hatten sie auf der Schwelle zum Gorsinger Haus als kleinen Säugling ausgesetzt.

Sie hatte niemals eine Familie gehabt. Auch wenn sich Junker Reto Hagenius stets liebevoll um das kleine Elfchen gekümmert hatte. Und Traviadane hatte eine liebende Familie gehabt und nun war von ihrer Familie nur noch ein Sohn übrig.

Aidaloê öffnete die Tür zum Schlafgemach, in dem Tirus Dracomar – dieser letzte verbliebene Sohn des Hauses Gorsingen – einen unruhigen Schlaf schlummerte. Er fand auch in Borons Traumreich nicht den Frieden, den er suchte. Dunkle Bilder verfolgten ihn auch in die Träume hinein und ließen ihn unruhig werden. Traviadane stürzte sofort auf Tirus und umarmte ihn heftig.

Sie war vor kurzer Zeit selbst aus ihrem Schlaf der Erschöpfung erwacht und hatte die seltsame Anspannung bemerkt, die die Gesichter Aidaloês, Ailgrimms und Dorleens zierte. Es war ihr nicht entgangen, dass die anderen etwas vor ihr verbargen und hatte verlangt, es zu erfahren. So hatte hatte sie nun vom Tod ihrer beiden Söhne erfahren.

Tirus erwachte ruckartig, schoss in die Höhe. „FULMIN...!“ Traviadane sprang zurück, doch im selben Moment wurde Tirus gewahr wo er sich befand und die Zauberformel blieb ihm im Halse stecken.

„Mutter?“

Sofort drückte er sich an seine Mutter und der erfahrene Zauberer begann zu heulen wie ein kleines Kind, das aus einem Albtraum erwacht war. Auch Traviadane rannen wieder Tränen über das faltige Gesicht und drückte sich an das letzte ihr verbliebene Kind.

Aidaloê betrachtete diese Szene und schlug die Hände vor das eigene Gesicht. Es war ergreifend, welche Verzweiflung die beiden letzten Gorsingens durchmachten. Auch ihr standen Tränen in den Augen und die Secretaria wusste nicht, was sie in diesem Moment tun sollte. Also tat sie das naheliegendste und ließ ihre beiden Herren allein. Leise zog sie sich zurück und leise schloss die Halbelfe auch die Tür zu Tirus' Schlafgemach. Mit einem fast geräuschlosen Klacken fiel die hölzerne Tür in die Angel und ließ Traviadane mit ihrem wohl einzigem Kind allein. Ruhig drehte sich Aidaloê um und erschrak, unterdrückte gerade noch einen spitzen Schrei. Vor ihr stand Dorleen, die junge Edeldame aus Untergras. Damit hatte Aidaloê nun wirklich nicht gerechnet. Dorleen hatte ein silbernes Tablett auf dem eine Tasse warmer Milch und eine mit heißem Tee stand.

„Ich habe...“ setzte sie an, doch unterbrach die Secretaria sie freundschaftlich: „Lass die Herrin mit ihrem Sohn einen Moment allein, Dorleen. Sie brauchen einander“, erklärte Aidaloê ihrer Freundin.

Die beiden so ähnlichen Damen hatten im Laufe der letzten Götterläufe Freundschaft geschlossen, trotz des eigentlich herrschenden Standesunterschiedes – war doch Aidaloê eine Schreiberin und dazu noch eine Waise und Dorleen die Tochter des Junkers von Untergras.

"Komm, wir helfen nun Ritter Ailgrimm bei den Vorbereitungen für den Empfang der Flüchtlinge“, setzte sie lächelnd hinzu. „Es müssen Lagerstätten bereitet und Brot und Suppe gekocht werden.“

Dorleen nickte und die beiden Frauen verschwanden in Richtungd er Gutsküche, wo der Koch Alrik Feinspeis schon mit zwei Knechten Hefezöpfe und Suppe vorbereitete.

Vor der Küche wurden die Jungfer von Untergras und Aidaloê von Ritter Ailgrimm abgefangen, der in seiner zwar schlicht geschnittenen, aber aus teuren Stoffen genähten Kleidung das Bild eines garetischen Edlen machte. Ganz und gar nicht zu diesem Bild eines wackeren Ritters in höfischer Minne passte der Haufen Leinendecken in seinen starken Armen. Hinter den Decken kam ein gedämpftes Grummeln hervor, das zu klaren Worten mutierte, als der Ritter die Deckensäume aus seinem Mund bekam.

„Dame Untergras, Dame Aidaloê, endlich!“ Er schien erleichtert. „Ich brauche Euer beider Hilfe, denn ein Kundschafter meldete, die Flüchtlinge sind schon bald am Hain der Holden Maid. Wir müssen unbedingt die Lagerstätten vorbereiten. Ich habe die Alte Scheuer vom Grumbaldshof freisetzen lassen.“

Er schüttelte den Kopf, als wieder ein widerspenstiger Saum versuchte, in den Rachen des Ritters zu gelangen. Aidaloê unterdrückte ein Kichern und nickte stattdessen.

„Ja, Ritter Fuchsstein. Die Dame Untergras und ich werden uns sofort um die Bereitstellung der Lager kümmern. Wir werden Decken herbeischaffen und uns um Feuergruben kümmern. Die Knechte werden sie ausheben“, erwiderte sie ernst, ergriff dann Dorleens Hand und verschwand mit ihr im Flur.

Es harrte noch viel Arbeit den Bewohnern des Gorsinger Hauses, wenn die Flüchtlinge aus Gareth ankämen. Sie wussten nicht, dass hinter der verschlossenen Tür zum Gemach Tirus Dracomars Gespräche stattfanden, die für die Zukunft einer Person des Gorsinger Hauses mehr als nur Arbeit verhießen.