Geschichten:Schimpf und Schande - Teil 22

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Die Hunde erwachen


Baronie Gallstein, Firun 1033 BF


"Mehr nicht?" Der Atem blieb für einen Moment als kleine Wolke vor dem Mund des Mannes stehen, dann wurde diese, genau wie seine Worte vom eisigem Winde verweht.

Darian hatte den Winter nie zu schätzen gelernt. In Greifenfurt schien ihm der Winter immer länger zu dauern als in seiner wahren Heimat Garetien und nun war es dem jungen Manne gerade so, als wäre die Kälte ihm nach Garetien gefolgt um ihn an all die kurzen, kalten Tage und langen eisigen Nächte seiner Knappschaft zu erinnern. Er blickte den alten Mann an, welcher leicht vorgerückt zu seiner Position auf der rechten Seite stand und bewunderte dessen Haltung, denn trotz dessen Alters stand er aufrecht und trotzte stolz Wind und Kälte. Es schien so, als würde er sie einfach nicht wahrnehmen wollen und somit diesen Kräften des Herrn Firun durch reinen Willen zu widerstehen. Nun gut. Es lag auch sicher an dem guten Stoff und dem Bärenpelz, aber es war eben die Statur des alten Ritters von Welgfelis, welche den Eindruck erweckte, er könne auch ohne all diesen Schutz hier stehen.

Groß war er und trotz seines Alters zeugten die immer noch breiten Schultern von einem Leben, welches dem Kampfe gewidmet war, einem Kampf an allen Fronten, dem Feld der Ehre, wie dem glitschigen Parkett der Etikette und auch dem an den Nerven oftmals zehrenden Eheleben mit seinem Weibe Ismondea. Zehn Kinder hatte sie ihm geschenkt. Ganze acht Mädchen, die alle die Sturheit ihrer Mutter geerbt hatten. Von den zwei Jungen hatte nur einer überlebt und so war im Hause von Welgfelis die Herrschaft der Frauen immer ohne Gefahr geblieben. Nerven hatte es auch gekostet diese Frauen an den Mann zu bringen und obwohl sie nicht zu den Schönsten in Garetien zählen konnten, waren sie aufgrund ihrer Lebensfreude und der Fähigkeit diesem Leben auch in ernsten Situationen zäh und ausdauernd entgegen treten zu können, gut untergekommen. Leider jedoch noch nicht alle und dies bedeutete weiteren Kampf...

Ritter Beorngard von Welgfelis seufzte kurz, dann drehte er sein Gesicht wieder dem jungen Manne zu, der neben ihm stand. Irgendwie sah der Sohn des Gallsteiners nicht so aus, wie man es erwartet hatte. Er war eher ein wenig dünn und obwohl er das Schwert zu halten vermochte und auch damit umzugehen wusste, würde Ismondea den jungen Gallsteiner sofort in die Arme schließen, wenn sie ihn zu fassen bekäme um ihn dann ein Essen nach dem Anderen auf dem Tisch zu stellen, wobei er sicher erst dann aufstehen durfte, wenn alles gegessen war.

Nun musste Beorngard lächeln und strich sich dabei über seinen Bauch, der doch deutlich zugenommen hatte. Seine Rüstung hatte er schon mehr als einmal den körperlichen Veränderungen anpassen lassen müssen.

"Aber von Hirschfurten ist sein erklärter Feind. Hatte er nicht mehr sagen wollen zu den Ereignissen?"

Darian winkte ab und hüllte sich dann sofort wieder in seinen Umhang aus schwerer Wolle, da diese Bewegung zu viel Wärme gegen Kälte eingetauscht hatte. "Er erzählte etwas von der Jagd und das niemand seine Trophäe streitig machen dürfe. Und...Ach ja. Das von Schroeckh ein Narr sei."

"Nun ja, Dies entspricht ja eher der Wahrheit und bis heute verstehe ich nicht, wie solch ein Mensch Staatsrat werden konnte. Ich für meinen Teil glaube, dass man eine Puppe brauchte um einen Platz zu füllen, den man nicht mehr mit einem starken Mann wie dem alten Fuchs von Luring besetzt wissen wollte. Ich schweife aber vom eigentlichen Thema ab, dies ist wohl meinem Alter zuzusprechen. Euer Vater ist ein Mann, der seine Stärke immer an der Zahl und der Stärke seiner Feinde bemessen hatte. Eine unsinnige Idee, aber wahrscheinlich ist doch mehr von seinem Vater in ihm, als er es zugeben möchte.“

„Wie war mein Großvater? Mein Vater sprach nie über ihn.“

Beorngard strich mit seiner rechten Hand über den grauen Bart und wischte Feuchtigkeit und kleine Eispartikel ab. Wieder sah er den jungen Gallsteiner genau an, dabei gebrauchte er eigentlich nur sein linkes Auge, da doch sein rechtes Auge bedeckt war von einem Schleier, der wie eingefangener grauer Nebel wirkte. Er selbst konnte mit diesem Auge schon lange nichts mehr anfangen, als das es ihm gerade noch erlaubte Licht und Dunkelheit zu unterscheiden. Grauauge nannte man ihn auch gern, was einfach kürzer war als sein ganzer Name und ihn zugleich genau bezeichnete durch die Beschreibung eines kleinen, aber auffallenden Körperteiles von ihm.

„Euer Großvater war ein grausamer Mann, der es liebte Menschen zu quälen. Er liebte nur seine Tiere, dort vor allem die Falken. Menschen aber waren ihm wahrhaft verhasst. Euer Vater hat viel leiden müssen. Sehr viel. Ich selbst war zu feige damals. Es ist kein ruhmreiches Kapitel meines Lebens und ich würde es begrüßen, wenn wir es bei diesem kurzen Einblick belassen würden.“

Man konnte im Gesicht Darians erkennen, dass er diese Bitte nur schwer befolgen konnte, doch gab es im Moment Wichtigeres zu klären, als alte Familientragödien.

„Warum habt ihr mich hierher geführt, weit weg von Mor´Tres und auch noch weg von eurem Gut? Warum stehen wir in der Kälte und führen dieses Gespräch?“

„Ah. Ihr seid doch ein wenig wie Euer Vater. Gerade heraus, wenn man ein Ziel zu sehen glaubt. Warum stehen wir hier? Weil ich nicht will, dass man unser Gespräch belauscht. Hier, auf diesem Grund, dieser kleinen Anhöhe, kann sich niemand so einfach nähern und selbst Getier könnte man gut sehen, auf diesem kahlen Boden, denn manchmal sind Tiere und Menschen eben nicht das, was sie auf dem ersten Blick uns wahr machen wollen.“ Beorngard drehte sich um seine eigene Achse, einmal in alle Richtungen blickend, dann erst nickte er und wandte sich ganz Darian zu. „Ihr fragtet offen und ich will offen Antwort geben nun. Ich will Euch als Baron sehen. Euer Vater beginnt den Kontakt zum Land zu verlieren, beginnt zu schwinden. Er ist sprunghaft und oftmals reagiert er mit Grausamkeit, wo dies nicht von Nöten wäre.“

Der junge Gallsteiner lachte auf, wobei sein Lachen frei von Heiterkeit und voll der Bitterkeit war. „Ich muss Euch enttäuschen, mein alter Ratgeber. Mein Vater erfreut sich bester Gesundheit und er scheint nicht gewillt seinem Sohn so einfach die Macht übergeben zu wollen. Ihr müsst Euch also noch ein wenig gedulden.“

„Ich bin alt und habe oft einfach gewartet. Zu oft habe ich geschwiegen und bin auf mein Gut gekrochen um mich zu verbergen, wenn es in der Baronie eigentlich aufrechte Männer gebraucht hätte. Nie war ich zu feige um in den Krieg zu ziehen, in allen Kämpfen habe ich mich bewiesen, habe auch Auszeichnungen bekommen, manch Narbe zeugt von den vielen Treffern die ich einzustecken hatte. Ich überlebte sogar das Wundfieber und blieb, der Herrin Peraine sei Dank, vom Schlachtfeldfieber, diesem grausamen Jahresfieber verschont. Ja, den offenen Kampf habe ich gesucht und doch war ich im Herzen ein Feigling, denn die Waffe, die man Wort nennt, habe ich nicht so gut führen können. Treue nennt man so etwas gern, doch oftmals ist Treue nichts anderes als Feigheit für seine eigene Meinung einzutreten. Ich hatte Angst um das, was ich erreicht hatte. Es ist nicht viel und doch genug für einen einfachen Mann, wie ich es war und auch noch bin. Meine Kinder sollten nicht durch meine Dummheiten das einzige Erbe verlieren, was ich ihnen geben konnte. Von Ehre kann man sich aber nichts kaufen und erst Recht davon nicht leben. Mein Gut ist nicht viel wert, dies weiß ich selbst und auch dies habe ich meiner Feigheit zu verdanken. Ich bekam dies Gut unter dem Vater Eures Vaters. Er schätzte meine Kampfkraft, da ich gute Dienste an seiner Seite in den Schlachten abgeleistet hatte, aber schon bald sank ich in seiner Gunst, denn es fehlte mir an der Blutrünstigkeit die er so sehr an Kriegern und Söldnern schätzte. Wie ich es schon sagte, war er grausam und an Schmerz und Leid von Menschen auf abartige Art und Weise erfreut und sogar von diesen angezogen. Nun bin ich alt geworden und noch immer ein unbedeutender Ritter, dessen Name in Garetien nur sehr, sehr wenigen Menschen wohl bekannt sein dürfte. Meine Töchter habe ich an den Mann bringen können, auch wenn aus diesen Verbindungen wohl kaum mehr Macht und Grund heraus sich schlagen lassen, wie jener Grund und jene Stellung, die ich nun inne habe. Nein, ich will nicht von dieser Welt gehen und nur ein Stück Land mein Eigen nennen, welches kaum meine Familie ernähren kann. Mehr Bauer war ich, denn strahlender Ritter und mein Schwert, wie meine Rüstung gehören doch dem Händler und nicht mir. Was ist mein Heim noch wert? Nun heißt es nicht mehr Zaudern und Zögern, sondern aufrecht stehen und die Zeichen der Zeit begreifen und nutzen. Euer Vater wird schwankend reagieren. Jetzt, wo sein Feind der Würde des Lehens beraubt, mag er noch für ihn sprechen, doch schon bald wird sein alter Zorn, seine Rachsucht wieder die Oberhand gewinnen. Eine Fehde vielleicht, ein gedungener Mörder, oder nur hohle Worte? Hass ist ein schlechter Ratgeber, Grausamkeit ebenso und auch die oft und gern gezeigte Lust Eures Vaters an solchen Dingen scheint mit dem Alter nur mehr zu werden. Ihr hingegen seid jung und solltet solch Dinge noch nicht in Euer Herz gelassen haben. Diese Baronie trägt einen schlechten Namen, den sie den Taten Eures Vaters zu verdanken hat. Es ist an der Zeit dies zu ändern und gerade jetzt ist die beste Zeit für Veränderungen.“

Der junge Gallsteiner schaute nach vor, wie er es die gnaze Zeit getan hatte , da er diesen Worten lauschte. Schnee bedeckte die Lande. Ein harter Winter war es, der dieses Jahr vom Herrn Firun gesandt worden war. Unruhig trat Darian auf der Stelle um die Kälte aus den Knochen zu halten, denn bewegungslos und fast ungeschützt vor dem Wind hier zu stehen, war bei dieser Kälte eigentlich keine gute Idee, doch war die innere Kälte noch schlimmer zu ertragen. Der alte Welgfelis hatte Worte gefunden, die Darian schon lange in sich getragen hatte, sich diese aber nie eingestehen hatte wollen.

„Was schlagt Ihr vor?“

Beorngard lächelte nun. „So gefallt Ihr mir! Handeln, wenn die Zeit günstig ist. Der Winter wird lang dieses Jahr. Hirschfurten ist schwach und wird seine Stärke wieder haben wollen. Euer Vater wird, sicher durch den Bund der Pulethaner, dem ihr besser Euch nicht verschreiben solltet, angetrieben werden und Bestrebungen gegen Nimgalf ausführen. Dieser ausgetragene Zwist ist dann unsere Gelegenheit. Ihr seid in der Nähe Eures Vaters und es wird somit ein Leichtes sein, noch einen Begleiter an Eure Seite zu stellen, der dann im geeigneten Moment dafür Sorge tragen wird, die notwendigen Handlungen auszuführen, die Euch zum Titel Baron verhelfen werden.“

„Ich sprecht von Mord.“

„Nein, ich sprach von notwendigen Handlungen, dies ist ein Unterschied. Mord wäre es, wenn Ihr es planen und ausführen würdet, doch habt Ihr mit all diesen Dingen nichts zu tun. Ihr müsst mir nur versprechen Eure treuen Helfer nicht zu vergessen und mit bestimmten Gaben zu beschenken.“

„Die da wären?“

„Den Titel eines Junkers. Ein angemessenes Gut und für meinen Sohn die Stellung des Hauptmannes Eurer Garde.“

„Eine Stellung, die schon von Einem aus dem Hause derer von Silberblick geführt wird.“

„Für Euch als Baron sollte dies dann kein Problem sein.“

Darian schwieg einen Moment. War dies hier wirklich notwendig? Er dachte an all die kurzen Gespräche mit seinem Vater und dann reichte er dem alten Welgfeliser die Hand. „Führt aus, was getan werden muss und ich werde Euch geben, was Ihr verlangt.“

Schon ergriff Beorngard die dargereichte Hand und umschloss sie fest mit seinen beiden Händen.

„Abgemacht. Auf eine neue Zeit. Das Schwache wird vergehen. So wie es immer schon der Leitsatz Eures Vaters war. Das Gesetz der Jagd gilt auch für ihn nun.“