Geschichten:Saat und Ernte - Ein Versprechen

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Markt Rubreth, Praios 1020 BF, in der Marktstube der Zunftmeisterin

»Vetter, danke, dass Du mir Zeit gewährst!« Der Geweihte war aufgesprungen und dem Ankömmling entgegen geschritten. Im Halbdunkel der Marktstube von Rubreth glitzerten die Sphärenkugeln an seinem rotgoldenen Ornat. Sein spitzer Bart war schwarz, die Stirn hoch, die Augen sehr lebendig, der Auftritt agil: Kraftvoll die Bewegungen, schmissig der Schwung - ein Mann im Aufbruch, ganz klar.

»Natürlich, Praiodan, Rubreth liegt ja auch günstig. Und dir zu gefallen, mag ja auch heißen, dem Weg der Götter wieder näher zu kommen.« Graf Danos umarmte seinen Vetter, zog dann die Reithandschuhe aus, legte den Umhang über die Bank. »Alwene von Mohnfeld, lasst und allein. Und sagt der Zunftmeisterin, wir wollen kaltes Wasser, ein wenig Käse und Brot. Und für mich darf auch Butter kommen, mein Vetter wird es karger mögen«, scherzte der Graf du setzte sich.

»Ich nehme auch Butter, Vetter. Das trockene Brot ist nur für die Heiligen.« Praiodan nahm ebenfalls Platz und seinen Vetter ins Visier. »Warum ich gebeten habe … ah, Wasser und Brot.« Nachdem die Zunftmeisterin gegangen war und die beiden Männer schweigend Brot gebrochen und den Käse geteilt hatten, hub Praiodan erneut an: »Vetter, es werden neue Zeiten auf uns zukommen.«

»Zweifelsohne, Praiodan. Ich war dabei, als wir Answin verjagt haben. Wir werden auch die neuen Answinisten verjagen, die Rulater.«

»Genau: Der Usurpator ist verjagt, doch was von Rulat kommt, mag schlimmer werden, und seine Anhänger leben noch unter uns. Der garetische Adel ist gespalten - gespalten wie die Stände keiner anderen Provinz! Dieser Riss ist schmerzhaft und muss langsam verheilen. Und solche Dinge heilen nur langsam in Garetien, wie Ihr wisst. Denkt nur, wie zerrissen der Adel war in den Kaiserlosen Zeiten, als alt gegen neu kämpfte. Dasselbe dann, bevor Kaiser Reto die Zügel in die Hand nahm: Eine starke Allianz aus traditionsreichen Häusern stand in Opposition zur Kaiserkrone und zu den vielen absurden Neubelehnungen der Kaiser Perval, Bardo und Cella.«

»Ich weiß, Praiodan. Immerhin hat unser gemeinsamer Urgroßvater sogar eine schmerzhafte Fehde gegen den Kaiser geführt. Und mein Vater legte sich mit Kaiser Bardo an - und diesen Ministerinnen.« Er lachte trocken. »Ich weiß das alles. Ich hoffe, dass Answins Entzweiung uns nicht so lange bedrücken wird.«

»Vetter, das soll sie nicht. Wir werden dafür kämpfen müssen, dass Uneinigkeit uns nicht hemmt! Wir können es uns nicht leisten, denn die Aufgaben der Zukunft sind zu groß!« Der Geweihte glühte geradezu vor Eifer, so dass Graf Danos fast fürchtete, der Schluck Wasser, den Praiodan nun trank, würde sogleich verdampfen. Er runzelte die Stirn:

»Du bist Geweihter des Praios, Praiodan. Du hast Deinen Geburtsnamen abgelegt und Dich ganz seinem Dienst verschrieben. Du leitest den Tempel unserer Heimatstadt, worauf ich stolz bin. Aber was Du nun sagst, verwirrt mich: Was hat das mit Dir und der Kirche zu tun?«

Praiodan lächelte listig: »Du bist ein kluger Mann, Vetter. Du hast Recht, es hat mit der Kirche nichts zu tun. Ich möchte Doch bitten, mir zwei Versprechen zu geben …«

»Gern, Vetter«, unterbrach ihn Danos sogleich.

»Ohne vorher zu wissen, was Du versprechen sollst?«

»Natürlich, Praiodan. Wir sind Vettern. Ich bin Ritter und du Geweihter. Es gibt nichts, was wir uns nicht versprechen könnten!«

›Vielleicht bist du doch nicht so klug‹, dachte Praiodan. doch er sagte: »Wer weiß? Doch sind die Versprechen, die ich von dir fordere, vielleicht zu groß. Lehne sie dann bitte einfach ab. Also, erstens: Ich weiß mehr über die Veränderungen, die uns in Garetien erwarten, als die meisten, dich eingeschlossen. Denn ich werde mein Amt als Lichthüter des Sankt-Quelban-Tempels in Luring aufgeben.«

»Aber wieso …?«, Danos war erschrocken. »Du bist …«

»Ich strebe ein anderes Amt an, Vetter, und nicht in der Kirche. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren häufig im Tross des Prinzen verweilt, unseres Königs, wie du weißt.« Danos nickte. »König Brin hat Vertrauen zu mir gefasst und mir die Ehre zuteil werden lassen, mich in den Orden vom Auge zu berufen.« Graf Danos‘ Erschrecken wich nun Staunen. Fast hätte er seinen Mund nicht mehr geschlossen: »Du bist eine Weisheit vom Auge? Famos! Ich gratuliere! Welches Versprechen soll ich Dir nun geben, sag schon, Exzellenz!«

»An diese Anrede könnte man sich gewöhnen …« Praiodan entwand seine Hand wieder den Händen des Grafen. »Überlass mir Schloss Morgenfels

»Schloss Morgenfels! Was willst du denn damit?«

»Ich weiß, dass du dort zu wohnen pflegst, wenn du an den Kaiserhof gerufen wirst, aber ich … bräuchte es. Ich will es nicht als Lehen oder als Geschenk; ich will dort nur wohnen. Solange, wie ich es muss.«

»Ich begreife nicht, was du damit willst. Aber bitte: Ich überlasse dir Morgenfels. Unter der Bedingung, dass ich immer noch da wohnen kann, wenn ich in Gareth bin!«

»Das kann ich nicht immer zusagen.«

»Bitte? Vetter, nun rück schon raus mit der Sprache. Wieso das denn nicht?«

»Vetter Danos, im Vertrauen auf dein Schweigen bauend: König Brin wird die Staatsrätin Alwene ablösen. Sie ist zu sehr in die Answinkrise verstrickt, als dass sie bleiben und einigend wirken könnte. Stattdessen wird König Brin mich zum Ersten königlichen Rat ernennen. Ja, mich, Vetter. Ich glühe vor Bereitschaft, diesem Mann, dem das Schicksal so große Prüfungen auferlegt hat, zu dienen und sein Königreich Garetien göttergerecht und einig zu führen! Der König und ich sind uns in allen politischen Dingen ganz einig. Ich habe außerdem viel gelernt - nicht nur von Dir oder Vater Manegold, sondern auch beispielsweise von König Cuano oder dem nordmärkischen Prinzen. Ja, ich komme zum Punkt: Ich werde Staatsrat, zugleich aber bin ich zur Geheimen Weisheit vom Auge berufen. Vetter, nicht nur in den Orden vom Auge. Und die Kaiserkrone überträgt mir die Ehre und Bürde, das Geheime Reichssigel zu bewahren.«

»Alle Wetter! Das nenne ich einen steilen Aufstieg, Praiodan: vom Provinzpfaffen zum Geheimsiegelbewahrer!«

»Das muss unter uns bleiben, Danos. Jedenfalls soll Morgenfels auch Treffpunkt für den Orden vom Auge sein. Dann kann ich niemanden dort willkommen heißen - selbst dich nicht.«

»Gut. Ich verstehe. Also: Versprochen: Ich überlasse, dir, Exzellenz, Schloss Morgenfels, solange du willst.«