Geschichten:Rückweg nach Gareth

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"Ihr seht bekümmert aus, Herrin."

"Ich hatte eigentlich noch einen Brief von Lassan erwartet."

"Müssten der junge Herr nicht schon mit ihrer Edelwohlgeboren Rhodena und Magister Hohenfelden auf der Rückreise sein?"

"Ja. Trotzdem..."

Die Räder der Kutsche ratterten über die Steine der Reichsstraße und ließen das Wasser der Pfützen, die der feine Nieselregen in den letzten Stunden in den wenigen Unregelmäßigkeiten des Bodens hinterlassen hatte, in schmierigen Fontänen aufspritzen.

Der jüngste Sohn Burggraf Oldebors von Weyringhaus, seine Edelwohlgeboren Lassan von Weyringhaus-Rabenmund j.H., saß in Fahrtrichtung an der Tür.

Trotz des schlechten Wetters hatte er die Fensterluke nicht verschlossen. Es bestand die Gefahr, dass eindringender Regen die Polster beschädigte, doch der Jüngling starrte mit so verbissenem und abweisendem Gesicht nach draußen, dass bisher niemand den Versuch unternommen hatte, ihn darauf aufmerksam zu machen.

Rhodena, die ihm schräg gegenüber saß, musterte ihn besorgt. Es kam häufig vor, dass Lassan lange schwieg, gewiss (ebenso wie er, väterlichen Erbteils wegen, lange reden konnte), doch dies zumeist eher, wenn er sich zu unsicher fühlte. Es entprach ihm gewissermaßen nicht, in der Öffentlichkeit nachzudenken. Und die Miene, die er zur Schau trug, ließ auch keinen Zweifel daran, dass es keine fröhlichen Gedanken waren.

Sie warf einen besorgten Blick zu Magister Hohenfelden. Dem Magier musste klar sein, woran sie dachte, auch er hatte das Gesicht des jungen Herren gesehen. Doch er schüttelte sacht den Kopf. Er kannte dieses Verhalten von jungen Menschen. Er hatte es in Tobrien oft genug gesehen. Es gab Dinge, die brauchten ihre Zeit. Und auch er selbst war nicht in der Stimmung, lange Gespräche zu führen. 'Vom Himmel wird Blut regnen,' dachte er.

Einige Zeit später griff Lassan nach der Laute. Noch immer hatte sich sein Gesicht nicht aufgeheitert und er handelte, als wäre er allein im Innenraum der Kutsche, doch er stimmte sie und probierte einige Griffe. Rhodena war fast ein wenig erleichtert. Er spielte immerhin, das hieß, er hatte sich nicht aufgegeben.

Die Akkorde war melancholisch, wenn auch nicht unbedingt traurig. Lassan räusperte sich und begann leise zu singen.

Das Nachspiel verklang allmählich. In Lassans Augenwinkel stand eine Träne, doch noch immer wirkten seine Züge verbissen. Er legte die Laute zur Seite.

Rhodena suchte gerade nach lobenden Worten, da sprang er unvermittelt auf und riss die Luke, die hinaus auf den Kutschbock führte, auf.

"Anhalten," rief er.

Die Kutscherin zog, seines dringlichen Tones wegen, augenblicklich die Zügel an. Die Pferde schnaubten irritiert, ihre Hufe drohten auf den glatten Steinen abzugleiten, als sie das Gewicht der Bewegung auffingen, doch die Kutsche stand.

Lassan sprang zum Schlag und hatte mit einer Bewegung die Verriegelung entfernt und die Tür geöffnet. Hastig stolperte er ins Freie, bevor seine Schwägerin oder der Magister, die nun ebenfalls aufgesprungen waren, ihn aufhalten konnten.

Die Kutscherin lehnte sich neugierig vom Bock, sah aber nur den Garetier, der gegen das Gefährt trat und dabei jene Flüche gebrauchte, die er über die Jahre in den Tavernen aufgeschnappt hatte. Unvermittelt wandte er sich ab und lief davon, in Richtung des Straßenrandes.

Schulterzuckend überließ Hohenfelden Rhodena den Vortritt. Die Edle zu Senntal lehnte sich aus dem Schlag.

"Lassan?" fragte sie vorsichtig. "Was ist mit Euch?"

Der blonde Jüngling wandte sich um. Regen rann ihm in den Kragen und stummes Weinen schüttelte ihn.

"Ich kann kein Rad mehr hören!" schrie er. "Ich kann kein Rad mehr hören."

Es gelang Rhodena, mit der Burggräfin zu sprechen, bevor sie ihren Sohn begrüßte. So drang sie nicht zu sehr in ihn, sondern ließ ihn schnell seiner Wege gehen. Wie gewohnt lagen auf seinem Sekretär die Briefe, die er selbst in den ersten Tagen der Reise geschrieben hatte: Es waren nicht viele, denn er war ja nicht allzu lang unterwegs gewesen. Mit knappen Bewegungen breitete er die Blätter vor sich aus. Dann griff er zu Feder und Tintenfass und begann, sie umzuarbeiten.

Er arbeitete zwei Nächte und zwei Tage. Abgesehen von leichtem, stundenweisem Schlummer, aus den ihn meist wirre Träume rissen, arbeitete er durch, aß nur wenig und trank ungeheure Mengen Wassers. Als er fertig war, legte er die Feder aus der Hand, warf sich in Kleidern aufs Bett und schlief eine weitere Nacht und einen Tag.

Dann stand er wieder auf. Diesmal würde kein Reisebericht gedruckt werden. Er nahm die Schrift, die das Ergebnis seiner Arbeit war, fertigte eine einzige Kopie an und rollte das Original in einen Umschlag.

Mit ruhiger Hand adressierte er ihn an einen Gefährten des letzten Jahres, den Baron zur Finsterrode, Genzmer von Radulfshausen. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und begann wieder, nachzudenken.

Es dauerte einige Tage, bis jedem in der Villa Geldana die Veränderungen aufgefallen waren, doch übersehbar waren sie nicht.

Was befreundete Barone in rondrianischem Sinn Oldebor jahrelang angeboten hatten, was die älteren Geschwister nicht hätten glauben wollen, seine Frau befürchtet und er selbst erwartet hatte, war geschehen.

Als das Samenkorn weggeworfen wurde und nicht eingepflanzt, da war dies ein Zeichen dafür gewesen, dass eine andere Saat bereits aufgegangen war.

Der Junge war zum Mann geworden.



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8. Per 1027 BF zur mittäglichen Traviastunde
Rückweg von Rashia'Hal nach Gareth
Rückkehr nach Erlenstamm


Kapitel 14

Brief an Perainefried
Autor: Lassan