Geschichten:Pulether Fehde - Teil 21: Der Unterhändler

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Burg Orbetreu, 10. Ingerimm 1029 BF


An einem frischen Ingerimm-Morgen erschien der erwartete Unterhändler vor Burg Orbetreu. Hadrumir hatte sich früh erhoben, ungeduldig wie seit Tagen, wer zuerst erschiene: das Heer Luidors oder der Unterhändler. Nächtelang hatte Hadrumir sich mit den Fragen gequält, die in seinem Kopf zu spielen begannen, wenn er die Augen schloss: Wie ging es Eleona? Da er bisher nichts gehört hatte, konnte er davon ausgehen, dass der Grützer seine Drohung wahr gemacht hatte. Und das machte ihn umso mehr rasend! Wie konnte es dieser Bastard Kelnian wagen? Und wie würde Graf Geismar die ganze Angelegenheit beurteilen? Hatten seine Vögelchen ihm zugezwitschert, was Hadrumir viel zu laut auf dem Burgkopf herausposaunt hatte? Wie lange würden die Götter seinen, Hadrumirs, Hasardeursstückchen noch wohlwollend zusehen? Oder schlimmer: Wie lange würden die Menschen es zulassen? Würde Luidor Burg Orbetreu wirklich belagern lassen? Immerhin konnte er sich kaum leisten, seine Truppen zu einem solchen Unterfangen so lange im Feindesland auf einem Flecken zu konzentrieren. Andererseits: Frau und Tochter musste er befreien, wenn er nicht sein Gesicht vor der Welt verlieren wollte. Wie Hadrumir es wendete: Er hatte Luidor in eine Situation gebracht, über die er anfänglich gar nicht nachgedacht hatte: Wenn Luidor seine Frau freikaufen würde, einem Austausch mit Eleona zustimmen, dann würden seine Vasallen ihn schwach schimpfen, einen, der nach der Pfeife sogar der kleinen Schwingenfelser tanzte. Würde er hingegen weiterhin seine Politik betreiben – einer Politik, die er geerbt hatte aus der Tradition vieler Generationen – und seine Frau und seine Tochter dem Anspruch auf die Grafenkrone unterordnen, dann hätte er vor den Göttern und vielen anderen seiner Gefolgsleute das Gesicht verloren und würde als hartherziger Machtmensch gelten. Eigentlich, dachte Hadrumir, kann Luidor gar nichts machen. Außer – seine Frau befreien. Nur wie? Orbetreu war groß und sicher. An diesem Punkt endeten Hadrumirs Gedanken stets, und mit einem miesen Gefühl erhob er sich zumeist, schritt über die Wehrgänge Orbetreus, war schlaflos, schlecht gelaunt, ungenießbar – und todmüde. Er verbrachte fiel Zeit damit, seine Burg auf eine Belagerung vorzubereiten – bei Tag und bei Nacht. Und dies nur, um sich abzulenken. Sogar wenn er nur wegen Belanglosigkeiten von seinen Soldaten angesprochen wurde, reagierte er ungehalten. Erst wenn der Unterhändler käme, mit dem Hadrumir fest rechnete, erst dann könnte er weiterdenken, fort aus dieser verfluchten Sackgasse.

Und dann erschien der Unterhändler an jenem frischen Ingerimm-Morgen, als Hadrumir wieder nach fast gänzlich durchwachter Nacht auf den Zinnen Orbetreus stand. Sie mussten im Wald unweit der Burg genächtigt haben, denn der Morgennebel hatte sich noch gar nicht von den Wiesen erhoben, als sie mit Wimpeln, Wappen und Wehren vor der Burg auftauchten: Vorneweg ein Knappe mit der tsabunten Parlamentärsflagge, dahinter zehn Ritter, ein Tross von fünfzig Mann. „Phexverflucht“, entfuhr es Hadrumir, als er erkannte, wen Ludior ausgewählt hatte zu verhandeln. Und bei sich dachte er: ’Jetzt werden die Sonnenstrahlen über die Wipfel kommen und das bunte Treiben ins helle Licht tauchen. Dann wird der Unterhändler wie auf Wolken durch den Sonnenglanz die Burg erreichen. Das wirkt! Das ist gut inszeniert. Verdammt!’ Das Bild wollte Hadrumir nicht abwarten, weshalb er flugs in den Palas eilte, um sich anzukleiden.

Auf dem Hof begegnete er Ludorand. Bisher hatte er sich in seine Räume zurückgezogen. Jetzt schaute er Hadrumir herausfordernd an. Hadrumir hatte jetzt andere Gedanken, als sich mit ihm zu streiten. Daher hub er direkt an. „Wenn da draußen irgendwas schief geht, dann hast Du das Kommando!“

Ludorand und Hadrumirs Soldaten schauten ihn ungläubig an. „Wenn Du von mir einen Rat willst, dann würde ich mich mit den Soldaten sofort nach Feidewald durchschlagen und die Geiseln Geismar übergeben.“

„Glaubst Du, dass etwas schief gehen kann?“ fragte Ludorand missmutig.

„Hast Du die Wimpel gesehen? Dann solltest du die Frage doch wohl selbst beantworten können. Die sind nicht nur zu einem Plausch gekommen.“ Damit wandte er sich zum Tor.