Geschichten:Natzungen im Frühjahr - 2. Rondrastunde

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Baronie Natzungen, 13. Tsa 1030 BF


Auf der Reichsstraße ließ es sich leider nicht mehr so gut reiten, wie dies vielleicht früher einmal der Fall war, doch war ihr dies im Moment egal. Lässig trieb sie ihre Stute voran. Wenn sie sich eilte, wäre sie in einem halben Stundenglas daheim. Edelgunde freute sich schon darauf nach dem Ritt ein Bad auf Weisenfels zu nehmen.

„Tretet doch ein, Euer Hochgeboren!“ Leomar von Gerstungen schloss die Tür hinter sich. „Wollt Ihr etwas trinken?“ fragte er, während er sich hinter seinen Schreibtisch begab. Hadrumir war ungehalten. Jetzt war nicht die Zeit für großartiges Lamentieren. „Stadtvogt, die Zeit drängt, ich möchte Euch nur kurz informieren, was geschehen ist!“ Leomar wirkte betreten. „Nun gut! Ihr solltet Euch trotzdem die Zeit nehmen, mich anzuhören! Es ist durchaus wichtig, was ich Euch mitzuteilen habe!“ Mit einer Handbewegung ließ Hadrumir ihn fortfahren, während er sich setzte.

Zwei Stadtwachen öffneten ihr die beiden Türflügel zum Saal, um sie eintreten zu lassen. Kurz überflog Taniras Blick die Anwesenden. Ein Platz war leer – der, auf welchem sonst die Kammerherrin saß. Während sich die Ratsleute respektvoll erhoben, schritt die Baronin zu ihrem Stuhl, um sich dort zu setzen. Erst als sie saß, ließen sich auch die Ratsleute wieder auf ihre Sitze sinken. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Sie räusperte sich kurz und begann zu sprechen: „Ich habe sie heute zusammenrufen lassen, da es in der Nacht zu einem Zwischenfall auf den Mauern der Stadt gekommen ist, bei welchem eine Soldatin der Orbetreuer Schwingen zu Tode kam.“ Gemurmel, ja, laute Rufe wurden laut. Die Anwesenden verlangten mehr zu erfahren. Einzig Melcher Krambusch blickte weiter im Raum umher und fragte sich, wo der Stadtvogt war. Warum war er nicht bei dieser Ratssitzung zugegen?

„Raul! Wie siehst du denn aus? Was ist geschehen?“ fragte Elgor verwundert. „Unwichtig!“ gab Raul Zornbold zurück. „Wo ist Hadrumir?“ „Er ist im Hause der Kammerherrin. Es hat dort weitere Morde gegeben!“ Rauls Blick war missmutig. „Und wo ist die Baronin?“ Elgor zuckte mit den Schultern. „Ich nehme an auf der Burg.“ Raul schüttelte den Kopf. „Nein, sie wollte zur Sitzung. Wir müssen sofort da hin!“ Elgor schaute ihn fragend an. „Und was ist mit dem Heerführer?“ „Seine Befehle lauteten, dass sie um jeden Preis zu schützen ist. Ich habe die Vermutung, dass ein Anschlag auf sie verübt wird.“ Elgor überlegte nicht lange. „Dann los!“

Edelgundes Pferd war in einen schnellen Galopp gefallen. Sie selbst war zuversichtlich und glücklich. Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Ihr Pferd wieherte laut auf und bockte. Aufgeschreckt versuchte sie das Pferd wieder unter Kontrolle zu bringen, doch schien dieses so durcheinander, dass es ihr nicht gelingen wollte. Rücklings wurde sie abgeworfen und stürzte schwer auf die Straße.

„In dieser Nacht haben mehrere Morde stattgefunden. Eine der Toten ist die Kammerherrin der Stadt – Roana Schlunder!“ Hadrumir nickte, ob der Worte seines Gegenübers. „Es ist noch unklar, wer und aus welchem Motiv heraus, die Taten begangen hat.“ Wieder nickte Hadrumir. „Aus genau diesem Grund hat Eure Gemahlin den Rat einberufen lassen.“ Hadrumir nickte erneut. Leomar lächelte leicht. „In diesem Moment wird die Sitzung eröffnet und während sich Eure Gemahlin mit dem Rat herumschlägt, wird eine Kutsche vor diesem Gebäude halten.“ Hadrumir war ungehalten. „Was ist mit der Kutsche?“ Das Lächeln des Stadtvogtes wirkte beinahe belustigt. „Aus der Kutsche wird eine Person aussteigen, die für Ordnung in Natzungen sorgen wird.“

Tanira hob beschwichtigend die Hände. „Bitte meine Damen und Herren. Dieser Tumult führt zu nichts. Ich kann ihnen momentan noch nicht mehr sagen. Ich kann sie nur bitten sich noch etwas zu gedulden, bis mein Gatte hier eintrifft, um uns allen seinen Bericht zu erstatten. Vielleicht könnten sie kurz reflektieren, ob ihnen am heutigen Tag Ungewöhnliches aufgefallen ist.“ Sie blickte in die Runde und Meister Krambusch erhob sich, als sich niemand anders bemerkbar gemacht hatte. „Verzeiht, eurer Hochgeboren, doch darf ich fragen, wo der Stadtvogt ist? Sollte er nicht bei uns sein, wenn Eurer Gatte berichtet?“ Tanira runzelte die Stirn. „Leomar von Gerstungen ist nicht in der Stadt. Er weilt auf den Gütern seiner Familie, um dort nach dem Rechten zu sehen“, antwortete sie dem Ratsherren, welcher nun seinerseits nachdenklich aussah.

Eine Kutsche mit verhüllten Fenstern und dem Wappen der Familie Gerstungen hielt vor dem Amtsgebäude der Stadt. Einer der livrierten Diener öffnete den Kutschschlag und hielt seine Hand stützend einer verhüllten Gestalt zur Hilfe, die aus der Kutsche kletterte. Respektvoll öffneten die Stadtgardisten, die am Haupttor Wache standen, die Türen und senkten das Haupt. Die Gestalt wandte sich in den Gang, welcher zum kleinen Saal führte und ging ihn mit kurzen, fast gezierten Schritten entlang. Im Gang schlossen einige Stadtwachen zu ihr auf und folgten ihr wie ein Ehrengeleit.

Edelgunde schlug die Augen auf. Um sie herum konnte sie vier Gestalten ausmachen, welche sie nur verschwommen wahrnahm. Sie war noch zu benommen. „Hat ganz schön was abgekriegt.“ „Egal!“ „Der Sturz war ja auch nicht ohne!“ „Ist auch egal! Fesselt sie und dann schaffen wir sie hier weg!“ Edelgunde wollte sich aufraffen, um sich zur Wehr zu setzen, doch verweigerte ihr Körper ihr den Gehorsam und sie fiel erneut in einen Dämmerschlaf.

Hadrumir sprang auf und trat ans Fenster. Vor dem Gebäude konnte er eine Kutsche sehen. An der Seite prangte das Wappen der Familie Gerstungen. Eine zierliche Person war aus der Kutsche ausgestiegen und begab sich in das Ratsgebäude. „Wer ist das?“ fragte er den Stadtvogt. „Was habt Ihr getan?“

Mühsam striegelte Ludegar das Pferd seiner Herrin. Nach dem er sich von dem Schock im Hause Schlunder erholt hatte, brauchte er Ruhe. Ruhe, welche er hier im Stall fand. Zwar waren hier die Pferde der Schwingen und einige Stallknechte, aber verglichen mit dem Wespennest, in welches sich die Stadt verwandelt hatte, war es hier ruhig. Vorsichtig tätschelte er die Stute und überlegte, ob er den Sattel holen sollte. Die Herrin konnte ja schließlich im Moment in ihrem Zustand nicht so oft ausreiten und ein solch edles Pferd brauchte doch Bewegung?

Tanira hörte sich lange die Mutmaßungen der Ratsleute an, warum eine der Orbetreuer Schwingen getötet worden war. Musste sich sogar einen Vorwurf gefallen lassen, sie habe dieses Soldvolk in die Stadt gebracht – und es wäre doch nur verständlich, dass sich das Volk irgendwann gegen Zudringlichkeiten wehren würde. Tanira war aufgebracht. „Ich verbiete mir den Vergleich der Orbetreuer Schwingen mit einem Soldhaufen. Es sind alles disziplinierte Männer und Frauen, die mit harter Hand geführt werden und sich jederzeit respektvoll verhalten. Meines Wissens nach kommt es zu keinerlei Requirierungen und sollte dies doch so sein – verlange ich sofort darüber zu erfahren, um dies abzustellen!“ Immer unbehaglicher wartete Tanira auf das Erscheinen von Hadrumir und blickte auf, als plötzlich die Türen des Saals rüde aufgestoßen wurden.

„Ich habe gar nichts getan! Ihr wart es der Natzungen in diese unsägliche Fehde geführt habt! Ihr und dieses Weibsstück Tanira!“ Hadrumir war außer sich. „Wagt es nicht, so von Eurer Baronin zu sprechen, Elender!“ Leomar lächelte süffisant. Hadrumir schüttelte ungläubig den Kopf, als er bemerkte, wie sich die Tür öffnete – ein Bewaffneter betrat den Raum. Ruhig entgegnete der Stadtvogt: „Wenn sich dieses Weibsstück wie eine Hure aufführt, hat sie nichts anderes verdient.“ „Es reicht! Wache, nehmt den Stadtvogt in Gewahrsam!“ Die Wache schüttelte den Kopf.

Egilmar schaute sich im Lager um. Von den Abmarschvorbereitungen seiner Leute hatte keiner etwas bemerkt. Seine Tochter trat zu ihm. „Wir sind soweit!“ Egilmar schnaufte kurz durch. „Die Windischgrütz hätten sich niemals als zuverlässiger Partner erwiesen!“ „Es ist deine Entscheidung, Vater.“ „Ich weiss!“ „Hoffen wir, dass sich der Gerstunger als zuverlässiger erweist.“ Egilmar nickte.

Die Gestalt im dunklen Mantel, dessen Kapuze auch ihre Gesichtszüge verhüllte, blickte durch die sich öffnenden Türflügel in den Saal, der vor ihr lag. Unwillig über die unangekündigte Störung fuhr gerade Taniras Kopf herum, um zu sehen, wer Eintritt verlangte. „Ach sieh da, die kleine Ursupatorin hält Hof!“ fuhr eine Stimme durch den Raum. Einige der Ratsleute erstarrten – hatten sie doch gedacht, diese Stimme nie wieder zu vernehmen. Befriedigt beobachtete die Gestalt die Reaktionen im Raum. Tanira, welche sie nur noch als junges Mädchen im Alter von elf Götterläufen in Erinnerung hatte, wurde rot vor Zorn und erhob sich von ihrem Platz. Deutlich sah sie die Wölbung ihres Bauches, was ihren wütenden Gefühlen noch einen weiteren Stich des Zorns hinzufügte. „Ja, erheb dich von dem Platz, welcher dir gar nicht zusteht!“ Sie schritt weiter zielstrebig voran, während hinter ihr die Stadtwachen sich aufteilten, um Aufstellung an den Wänden des Saals zu nehmen. „Was soll das?“ hallte die Stimme der Verräterin durch den Raum. Die Gestalt hielt an und griff langsam mit beiden Händen an den Kapuzensaum, um nach einem dramatischen Verharren dann schnell den Kapuze nach hinten zu schlagen. Ein Raunen rann durch die Ratsleute, während Tanira weiß wurde und sich kurz schwankend am Tisch festhalten musste.

Elli mühte sich ab, um ein Ei ins Stroh des kleinen Stalles zu legen, während Ugo sich aufmachte dem Gong des Praiostempels, welcher gerade die Efferdstund schlug lauthals zu verkünden, was er von dieser erneuten Störung hielt.