Geschichten:Lagebeobachtungen - Zwischen Rosen und Dornen

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Burg Menzelshall, Ende Praios 1035 BF

Auf der Schanze der Burg Menzelshall verströmten die Rosen einen betörenden Duft. Wenn die Brise ihn nicht verteilt hätte, wäre er beinahe betäubend gewesen. Die Rosenbüsche waren adrett verteilt, so dass die Schanze weniger wie das Bollwerk einer Festung wirkte, was sie war, sondern wie ein vornehmer Rosengarten, was sie auch war. Durch den Garten schlenderten der Seneschall von Menzelshall, Hesindian von Brauel, der immer wieder Hand an einen der Büsche legte, wenn ihm ein Detail missfiel – der Garten war sein ganzer Stolz –, und Horulf von Luring, Garetiens Cantzler, der soeben erst aus Hartsteen gekommen war, wo Luidor zum Grafen gekrönt worden war. Hinter den beiden Männern, in gehörigem Abstand, folgten Bedienstete und Waffenträger.

»Ich verstehe, dass Ihr Euch sorgen macht, Exzellenz. Das Schriftstück ist starker Tobak.«

»Leider ist vieles nicht zu entziffern wegen der unseligen Brandflecken. Aber was man lesen kann, ist alarmierend. Ihr seid ein Kenner der Kirchen, Dom Hesindian. Immerhin habt Ihr in der Allgemeinen Kanzlei lange genug mit ihnen zu tun gehabt. Was meint Ihr?«

»Nun ja, ich hatte guten Kontakt vor allem zur Hesinde-Kirche und zu den Magierakademien. Das war aber alles zu einer Zeit, als die Dinge noch einfach waren. da gab es Schwarz, Weiß und Grau. Keine Schattierungen. Und vor allem nicht diese Schwarzen und solche Schwarzen, wenn Ihr versteht, was ich meine.«

»Mir geht es weniger um die Magier, Dom Hesindian, sondern darum, wer diesen Aufruf verfasst hat und wohin er seine Empfänger bestellt. Wer sind überhaupt diese Empfänger?«

»Von wem habt Ihr die Reste dieses Schriftstücks, Exzellenz?« Hesindian von Brauel knipste mit der Heckenschere, die er scheinbar niemals aus der Hand legte, ein totes Zweiglein von einem Rosenstrauch ab und steckte es in seine Tasche.

»Von Hilbert von Hartsteen, dem Sertiser Burggrafen.«

»Ist der ein Nandus-Freund?«

»Der? Keinesfalls. Der hat mit Nandus nichts zu tun, nicht mal mit Hesinde. Ich weiß gar nicht, ob er überhaupt lesen kann.« Der Witz war so lala, aber Brauel lachte pflichtschuldig. »Spaß beiseite. Der eigentliche Empfänger war der Nandus-Geweihte auf Sertis.«

»Ach, der Pfalzgraf unterhält einen Nandus-Geweihten? Passt das denn?«

»Er unterhält ihn nicht, er hat ihn inhaftiert.«

»Aber Nachrichten solchen Inhalts gelangen dennoch zu ihm? Schau an, so etwas hätte es früher nicht gegeben.« Brauel winkte einen der Diener heran, trank aus dem auf einem Tablett dargebotenen Pokal und schickte den Diener wieder weg. Cantzler Horulf hatte derweil nachdenklich in die Ferne geschaut.

»Ihr habt Recht, Dom Hesindian. Das ist seltsam. Ich werde nach dem Geweihten schicken, er soll nach Morgenfels überstellt werden. Er ist aber gewiss nicht der einzige Empfänger – wer bekommt diesen Aufruf? Nandus-Geweihte?«

»Davon haben wir ja nicht so viele in Garetien, Exzellenz. Zum Glück, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Die meisten reißen ihre Klappe ja soweit auf, dass sie rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen werden können.« Brauel kicherte.

»Diese Herrschaftssymbolik – hattet Ihr dergleichen in Eurer Zeit auch, Dom Hesindian?«

»Nein. Das ist hochgestochenes Geschwurbel. Klingt für mich wie olle Kamellen.«

»Olle Kamellen? Ich finde es klingt scharf, gefährlich und höchst aktuell. Das Prüfungsfest ist nicht mehr weit!«

»Ei, gewiss, Euer Exzellenz. Ich meine nur: Das ganze hat der unselige Yesatan von Eslamsgrund doch schon mal von sich gegeben. Nur nicht so theologisch, meine ich. Ich bin da kein Experte, wisst Ihr. Habe mich für diesen ganzen Kram nicht so interessiert – hatte mit den Kirchen genug zu tun.«

»Ja, das ist klar. Ich habe es mit ›Wider Fron und Lehen‹ verglichen, es gibt kaum Übereinstimmungen. Der Nandus-Brief ist deutlich theologischer und hebt auf diese ›richtige und kontingente Herrschaft‹ ab.«

»Ich habt ein Exemplar? Ich dachte es wäre auf dem Index?« Brauel suchte mit den Augen die Büsche ab, um etwaige Fehlerchen zu finden.

»Die Staatscantzley hat ein Exemplar – zu Studienzwecken. ›Erkenne deinen Feind‹ und so.«

»Verstehe. Ich habe das alles hinter mir. Ich kümmere mich nur noch um Rosen. Außer dem Eychgraser versteht keiner mehr davon als ich, wenn ich so unbescheiden sein darf. Seht diese Rose dort. Eine prächtige ›Triumph des Flankenentsatzes an der Trollpforte‹! Ich bekomme demnächst noch weitere Züchtungen aus Eychgras. Sende dafür ein paar von meinen – das wird die Zucht weiterbringen!«

Horulf guckte halbherzig hin. Er war in Gedanken ganz woanders. Er war in Eslamsgrund. »Meint Ihr, die ›verborgene Stadt‹ in dem Nandus-Brief ist Eslamsgrund?«

»Könnt schon sein, immerhin gibt es da ja sozusagen eine politische Vorbelastung. Autsch!« Hesindian von Brauel hatte sich an einem Dorn der Flankenentsatz-Rose gepiekst und saugte nun das Blut aus seinem Finger. »Seht Ihr?«, mümmelte Brauel, »so ist das mit den Rosen. So schön und lieblich. Und dennoch hat sie Rosen, wenn man sie nicht richtig anfasst. Hat die Natur pfiffig ausgedacht. Und was wäre eine Rose ohne Dornen?«

»Hm? Ja ja. Gut, Eslamsgrund; ich werde es einfach annehmen«, beschied der Cantzler und winkte dem Tross. Es näherte sich eine kesse Rothaarige mit vollen Lippen. Sie blickte ernst und pflichtbewusst.

»Turda, meine Drossel«, begann der Cantzler. »Begib dich nach Eslamsgrund, der Reichsstadt, und halte Deine Augen und Ohren offen. Ich brauche exakte Lageberichte von dir. Am 30. Efferd musst du unbedingt dort sein. Achte auf …« Die Drossel hörte gut zu und nickt wiederholt. Dann eilte sie von dannen. Von Brauel war längst in den Rabatten verschwunden. Der Cantzler aber blickte nach Süden und murmelte: »Das Gras wächst.«