Geschichten:Lagebeobachtungen - Urlaub auf dem Gerbaldsberg - Dartan

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Urlaub auf dem Gerbaldsberg

Anfang Boron 1036 BF

Das Fest der Toten wurde auf dem Gerbaldsberg ziemlich unheimlich gefeiert: Für jeden Pfalzgrafen der kaiserlichen Festung, der in der Vergangenheit gestorben war, wurde ein Kürbis ausgehölt, auf einen Stecken gespießt und von Knechten rund um die Pfalz getragen. Die Kürbisse, die für frevelhafte oder außerhalb des Stands der Gnade gestorbene Hausherren standen, waren daran zu erkennen, dass in ihnen keine Kerze brannte. In den anderen Kürbissen flackerten hingegen Kerzen, gut sichtbar durch in die Kürbiswand geschnitzte Muster. Diese Muster waren die Aufgabe der Jugend auf dem Gerbaldsberg – ungeachtet welcher Aufgabe die Knaben und Mädchen nachgingen -, und die jungen Schnitzer versuchten sich, in ihren Mustern zu übertreffen. Manche schnitzten sogar Fratzen und Gesichter in den Kürbis. Die Verteilung der Kürbisse auf die Pfalzgrafen der Vergangenheit erfolgte zufällig, dieses Jahr zeigte der Kürbis für Arngrimm Golgodan von Kieselburg eine große Sonnenblume – die allerdings nicht erhellt wurde, weil Kieselburg ja ermordet worden war.

Auch Dartan Serpolet musste einen Kürbis in der Prozession um den Gerbaldsberg tragen, begleitet von zwei Wachen und den gruseligen Chorälen, die Eslamsgrund üblich sind. Glabers Schule – eine triste Musik.

Anschließend werden Dartan Schreibzeug und Bücher weggenommen und er in eine Zelle im Keller der Burg verbracht. Er wird aller Privilegien beraubt, die er in den letzten Wochen hatte genießen können, auch die Verpflegung wird deutlich schlechter. Er wird keinesfalls mehr behandelt wie ein Geweihter, sondern eher – wie ein Verbrecher.

Am 11. Boron änderte sich etwas auf der Pfalz: Nachdem Fanfaren geblasen worden waren, ergoss sich eine erkleckliche Zahl an Reitern und einige Kutschen in den weitläufigen Wirtschafsthof der Pflaz. Gardisten und Reisige in der Königin Rock nahmen Quartier in den Mannschaftsunterkünften, es gab Besprechungen mit der Gerbaldsgarde und den Bewaffneten des Pfalzgrafen, bei denen es um die gewaltsame Niederschlagung diverser Folgeunruhen ging. Neben den Soldaten waren auch Schreiber und Amtleute aus Gareth angereist. Der Kundige konnte darunter den Schreiber des Zedernkabinetts entdecken, Ludemar von Schroeckh.

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Am nächsten Morgen

Dartan Serpolet wurde in ein einfaches, aber großes Zimmer gebracht, in dem auf der Längsseite auf einem Podest ein langer Tisch stand. Seine dem Raum zugewandte Seite war mit kunstvoll verzierten Blenden verschlossen, so dass der Tisch aussah wie eine Theke – oder wie eine Richterbank. Und genau das war er auch. An der anderen Längsseite gaben hohe Fenster durch Bleiglasfenster Licht, an der einen Stirnseite befand sich das hohe Portal, auf der anderen Seite ein ähnlich wie der Türsturz gestalteter Kamin, der zu sagen schien: Der du hier vor Gericht stehst, du wanderst entweder hinaus ins Freie oder ins Feuer.

Hinter dem Richtertisch saß ein schmaler Mann in winterlicher Kleidung, an seiner Seite ein Geweihter des Götterfürsten. Neben Schroeckh war noch ein weiterer Schreiber im Novizenkleid der Praioskirche anwesend. Darüber hinaus säumten Bewaffnete den Saal. Auch Pfalzgraf Giselbert hatte als Hausherr auf der hohen Bank Platz genommen, auf der anderen Seite ein Rittersmann.

»Dartan Serpolet, Geweihter des Nandus, Bürger des Horasreichs, tretet vor und nehmt an dem Pult in der Mitte Euren Platz ein. Ich bin des Königreiches Cantzler Horulf von Luring, dies ist seine Hochwohlgeboren Giselbert von Streitzig, Euer Gastgeber, und dies Seine Hochwürden Kunrath Praiowin Schlattner, Ordentlicher Inquisitionsrat im Orden der Göttlichen Kraft. Schließlich Ritter Angrist von Rond, dem das Verdienst zukommt, besonders tatkräftig gegen die Versuche eingeschritten zu sein, an den Grundfesten der Ordnung zu hämmern.«

»Der göttlichen Ordnung«, unterbrach Schlattner den Cantzler.

»Der zwölfgöttlichen Ordnung«, präzisierte Luring. » Wir wollen die Ereignisse des 30. Efferd mit Euch durchgehen, die Prüfungsfestunruhen. Es steht außer Frage, dass Ihr die Wahrheit sprechen werdet und Euer ganzes Handeln in den Dienst der Aufklärung der Revolte stellen werdet.«

»Ist dies ein Prozess?«, fragte Serpolet skeptisch nach.

»Nein, es ist eine Untersuchung, die ich in meiner Eigenschaft als Cantzler des Königreichs durchführe. Seine Hochwürden Schlattner ist zur Beobachtung dabei. Beginnen wir«, sagte Luring bestimmt. Er war in seinem Element, immerhin hatte er das Amt des Reichsforster Landrichters lange ausgeübt.

»Warum ward Ihr am 30. Efferd in Eslamsgrund und warum im Druckhaus Andermann Nachf.?«

"Weil mich ein Brief dorthin geführt hat. Ich wurde von Marwan Alfessir gebeten zu kommen“, antwortete Dartan.

»Wer ist Marwan Nandrash Alfessir

"Ein Nandus-Geweihter. Und eine hohe Persönlichkeit will ich meinen."

»Wer ist Roban Nando Elmenbarth und in welchem Verhältnis steht Ihr zu ihm?«

„Soweit ich weiß, war er einer der Begleiter Marwans. Und daß er aus Dornensee stammt.“

»Besitzt Ihr noch ein Original des Einladungsschreibens des ›Einhorns‹? Könnt Ihr uns dieses erläutern, insbesondere die Passagen, die sich mit der gerechten Herrschaft befassen«

"Aber ja doch", antwortete Dartan. "Aber das hat mir mein Gastgeber bereits abgenommen. Ich bin mir aber sicher, daß er sie wohlbehalten für mich aufbewahrt hat."

»Welche Schriften besitzt Ihr, die im Zusammenhang mit Alfessir, Yesatan oder dem Dornenseer Nandus-Tempel stehen?«

„Sonst besitze ich keine Schreiben diesbezüglich – bedaure.“

»Habt Ihr jemandem von den Eslamsgrunder Ereignissen durch Boten oder Briefe Kenntnis gegeben? Habt Ihr in diesen zum Aufstand aufgerufen oder die Herrschaft in Zweifel gezogen?«

"Ich rufe zu keinem Aufstand auf", sagte Dartan verärgert. "Das Politische ist nicht mein Metier. Zum Aufstand haben andere aufgerufen und ich will meinen, daß auch Meister Marwan Alfessir in diese Sache unwissentlich hineingezogen wurde. Ich hatte nicht den Eindruck, daß er solch eine Reaktion erwartete. Vielmehr vermute ich, daß eine dritte Partei Marwan lediglich benutzt hatte.“

„Und wer soll diese angebliche dritte Partei sein?“, fragte der Cantzler.

„Das weiß ich leider nicht“, gestand Dartan.

»Was wisst Ihr über Hesindian Quandt

„Das ist ein Hesinde-Geweihter, der schon seit vielen Jahren verschollen ist. Er war sehr an den Legenden und Märchen dieses Landstriches interessiert.“

»Wie und von wem erhieltet Ihr die Berufung in den Stab des Großgeratischen Heerbanns? Für wen wolltet Ihr spionieren?«

"Ich spioniere für niemanden! Ich wurde vom Abt des Klosters St. Ancilla vorgeschlagen, als Wohlgeboren Keres einen Geweihten für seinen Aufklärungsstab suchte und habe sein Angebot angenommen, da ich der festen Überzeugung bin, daß in jedem Heer der göttliche Beistand des Nandus unschätzbare Vorteile für eben jene Streitmacht bringt."

»Was bedeuten die 12 Grade der Erleuchtung?

„Jeder Geweihter des Nandus versucht die göttliche Erleuchtung zu erreichen. Das beschreiben wir mit den 12 Graden der Erleuchtung; denn der 12. Grad ist die Vollkommenheit, ein Grad das nur der göttliche Nandus selbst inne hat. Jedes mal wenn wir eine tiefere Einsicht zum Verständnis der Welt erreichen, steigen wir einen Grad auf. Allerdings erreichen die wenigsten den 9. Grad. Rohal selbst soll sogar den 11. Grad erreicht haben?“

„Rohal war ein Magier, kein Nandus-Geweihter“, stellte der Cantzler fest.

„Nein, er war kein Geweihter, aber der Sohn des Nandus‘“, sagte Dartan.

„Welchen Grad besitzt Marwan Nandrash Alfessir?“

„Den siebten.“

„Welchen Grad besitzt Ihr?“

„Den zweiten.“

Wer ist Euer in Anführer in Garetien?«

„Anführer? Wir haben hier keinen Anführer. Wir folgen keiner einzelnen Person. Wir werden eher daran angehalten, dass wir alleine entscheiden können, wie wir zur Erkenntnis gelangen.“

»Warum verwendet Ihr eine Geheimschrift?«

"Geheimschrift kann man es wohl kaum noch nennen: fast jeder Zweite im Horasreich beherrscht es. Ihr müsst wissen, dass unsere Kirche den Menschen damit viel eher auffordern will, Rätsel zu lösen um der göttlichen Erkenntnis einen Schritt näher zu kommen."

»Wart Ihr 1029 BF im Lieblichen Feld, namentlich in der Stadt Sibur? Habt Ihr noch immer Kontakte ins Horasreich und ist die Agentur Nanduria dabei?«

"Nein. Zu jener Zeit war ich militärischer Berater eines Heerführers der damaligen Königin Aldare. Gelegentlich habe ich noch Kontakte zu meinem Heimattempel in Kuslik. Und nein, ich kenne keinen aus der Agentur Nanduria."

»Kennt Ihr den Begriff der ›Nandussöhne‹? Könnt Ihr ihn erläutern?«

„Aber ja. Das sind Rohal und Borbarad. Sie sind die Söhne des Nandus. Allerdings wurde Borbarad dieser Status auf dem Magierkonvent 1020 in Punin aberkannt.“ Dartan bezweifelte allerdings, ob die sterblichen Menschen solch eine Entscheidung treffen können, denn Borbarad war Nandus‘ Sohn, aber diese Bemerkung behielt er lieber für sich.

»Habt Ihr Marwan Nandrash Alfessir zur Flucht verholfen oder kennt Ihr jemanden, der es getan hat oder getan haben könnte?«

Dartan war überrascht. „Er ist geflohen? Das wusste ich nicht. Wer ihn geholfen haben könnte? Bedaure – ich kenne mich in Garetien noch nicht so gut aus, als das ich hier Vermutungen äußern könnte.“

Nach der Befragung schwieg Horulf von Luring eine sehr lange Zeit. Selbst dem Pfalzgrafen und dem Ritter wurde es ungemütlich lang, während der Inquisitor starr wie eine Echse auf den Kamin blickte. Endlich erhob sich der Cantzler und schlug mit einem lauten Knall seine Mappe zu, um sie anschließend unter den Arm zu klemmen.

»Höret, Dartan Serpolet. Wir nehmen Euch mit nach Gareth und werden dort das weitere regeln. Vorerst ist – und bleibt es, Hochwürden -, ein Fall für die weltliche Gerichtsbarkeit. Mit uns die Götter.«