Geschichten:Jäger wider Wille - Teil IV

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Verehrter Lehrer und Freund, teurer Manegold,
 
 
 
 
wie sehr wünschte ich, Ihr säßet jetzt hier bei mir auf Morgenfels, um meine Hand zu halten, mir Trost zuzusprechen und mein zerschmettertes Herz wieder zusammenzusetzen. Ich fürchte auf einmal so vieles, ich fürchte! Wann hätte ich Furcht empfunden außer Ehrfurcht? Ich fürchte vor allem, dass ich mein Leben vergeudet und meine Seele beschmutzt habe, weil ich beides sein wollte – Priester und Politiker – und darum keines von beidem gewesen bin. Gewesen bin? Ja, ich fühle, dass das Ende nahe ist. Es kommt – auch weil Halva es mir gesagt hat. Sie ist hier und ist es doch nicht. Ständig ist sie in Wahrträumen und Gesichten gefangen, halb in dieser, halb in jener Welt. Sie schaut die Zukunft. Und diese Zukunft ist düster und voller Feuer und Brand, Zerfall und Tod. Ich will bei ihr bleiben, meinem Weib (stellt Euch vor, wie haben einander geheiratet vor gut zwei Wochen!), doch muss ich wieder in die Stadt. Die Nachrichten drängen, der Staatsrat muss in der Hauptstadt sein, wenn diese bedroht wird. Auch dies zerreißt mich – Staatsrat zu sein und Vater. Ja, Vater! Halva hat es in ihren Visionen mitgeteilt: Sie ist schwanger mit meinem Sohn. Sie sagt, er werde meinen Namen tragen.

Teurer Manegold, dieses sind meine letzten Zeilen hier auf Morgenfels. Ein letzter Bote wird sie die sichere Südstrecke um die Brache herum nach Luring bringen, wohin Ihr es hoffentlich geschafft habt, nachdem wir uns Anfang des Mondes getrennt haben. Denn Ist müsst lesen, was Halva in ihrer Vision gesprochen hat: Er, der die Sternenleere mit Grauen erfüllt, hat seine Finger nach Garetien ausgestreckt, um das Land zu zerspalten und zu zerspanen. Er hat sich hierfür ausgerechnet Reichsforst erkoren, dieses so sichere Stück Dere unter der gütigen Hand meines Vetters Danos. Denn der Dreizehnte weiß, dass wir schwachen Menschen dort nachlässig werden, wo Ruhe herrscht, und dort schwach werden, wo andere stark sind.

Halva hat gesehen, dass der mächtige Stamm des Luringer Baumes an seinem stärksten Ast verdorrt. Drei Triebe hat er gehabt, doch einer trieb zwei Früchte, die der Hirsch fraß. Einer trieb drei Früchte im Schatten, von denen zwei vertrockneten und eine in Travias Garten fiel. Und der dritte Trieb hatte eine Frucht, doch die ward abgebrochen. Der stärkste Ast des Luringer Stamms hat keine Zukunft. Halvas sieht, dass ein Kind mit dem Namen des großherzigen Grafen das Land erretten kann. Doch nur – hier schrie sie, Manegold! -, wenn dieses Kind nach seinem fünften Lebensjahr die Grafschaft nicht mehr verlässt. Merket auf: Der Erbe der Lurings darf die Erde, der er bestimmt ist, nicht verlassen, als bis er gekrönt wurde zum Grafen des Landes! Sonst droht jener, der auf fremden Altären opfert, zu obsiegen.

Auch meinem Vetter Danos geben die Visionen Einblick in die Zukunft. Halva Selissa mahnt, dass er sich niemals „jenseits der Trolle“ zum Zweikampf stellen darf – es wäre sein Verderben!

Die Dämmerung zieht herauf. Es scheint hier schon Ache zu regnen. Ich muss los und lasse die Mutter meines ungeborenen Kindes in der Obhut Werdomars zurück, ohne sie noch einmal gesprochen zu haben. Sie will nicht aus ihrem tiefen Taumel erwachen. Wer weiß, wessen sie sich erinnern wird? Und Werdomar darf ich diese Zeilen nicht anvertrauen – er ist zu weich.

Behütet Halva und meinen Sohn, teurer Manegold, und sei ihnen Weiser und Mahner wie Ihr es mir gewesen. Ich hoffe und bete zu allen Lichtwesen, dass wir einander wiedersehen werden, wenn diese Gefahren gebannt sein werden, und dass Ihr meinem Sohn Euren Segen werdet geben können.
 
 
 
 
Praiodan von Luring m.p.

28. Peraine 1027 BF


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Autor: BB