Geschichten:Gut Werkzeug - halbe Arbeit - Wohlschmecken

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»Seine Hochgeboren lässt Euch ausrichten, dass er derzeit auf der Festung Helburg weilt, um sich über den Fortgang der Angelegenheiten, deretwegen Ihr hier seid, persönlich zu orientieren. Er bietet Euch bis zu seiner Rückkunft Gastung auf Nymphenhall.«

»Nein, das wird nicht nötig sein«, antwortete die junge Dame bestimmt, während sie mit der Schlaufe an ihrem Gürtel spielte, die bis zum Eintritt in das Schloss Nymphenhall noch den Dolch befestigt hatte. Sie hatte die Waffe abgeben müssen – zumindest diese eine ... »Sagt, Wohlgeboren Magnata, wisst Ihr, warum der Baron es für nötig befand, selbstselbsten nach der Helburg zu gehen?«

»Nein, verehrte Wilimai, das kann ich Euch nicht sagen«, gab die Vögtin von Nymphenhall zurück, die sich innerlich darüber ärgerte, dass sie es wirklich nicht wusste, weil ihr Bruder, der Baron es ihr nicht zu sagen geruht hatte. »Ich erneuere aber noch einmal das Angebot der Gastfreundschaft.«

»Habt Dank, Wohlgeboren, aber ich möchte des Barons berühmte Langmut und Großzügigkeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Darüber hinaus habe ich in der Grafschaft noch weitere Geschäfte, weshalb ich in vier oder fünf Tagen erneut vorsprechen werde.« Die Frau verabschiedete sich. ›Wilimai‹ - wie hatte sie sich nur einen derartig provinziellen Decknamen ausdenken können! Ralbert und Helmwik würden sich totlachen. Nein, Helmwik würde nicht mehr lachen, sondern nur tot sein, wenn Ralbert seine Arbeit gut machte. Und wenn nicht, dann würde es Ralbert sein, der nicht mehr lachen würde. Hin oder her – über den Namen würde vorerst nur sie lachen können.

An der hohen Pforte ließ sich Wilimai ihren Dolch aushändigen, dann schritt sie wacker und scheinbar gedankenverloren den Pfad hinab in den Ort. Sie grübelte wirklich, aber nur mit einem Teil ihres Bewusstseins, das andere war wach und horchte in die Umgebung. ›Soso, der Baron geht selbst nach Helburg. Das kann nur bedeuten, dass etwas Ungewöhnliches geschehen ist, und das kann nur sein, dass der Herold sich nicht umgebracht hat, denn seinen Tod hatten wir ja erwartet. Was aber bedeutet es, wenn der Herold sich nicht umbringt? Und – verdammt, der verfolgt mich schon wieder!‹

Die junge Frau hatte wahrgenommen, dass vor dem Schloss jemand auf sie gewartet hatte; mindestens einer. In den ›Steigbügel‹ durfte sie also nicht wieder gehen, dort war man mittlerweile bestimmt vorbereitet. Sie wandte sich also direkt auf den Pfad aus dem Ort heraus. Wachsam schritt sie aus, nicht zu schnell, aber auch gewiss nicht so langsam, dass es diesen Tölpeln leicht fiele, ihr zu folgen. Es waren nämlich mindestens zwei, wie ihre geschulten Sinne festgestellt hatten. ›Ha! Wenn der alte Leuhold Salderkeim mich jetzt sehen könnte!‹, dachte die junge Frau. ›Die Jahre der Ausbildung bei ihm waren eben doch nicht vergebens. Schade, dass es ihn und fast alle anderen aus der Agentur gekostet hat ... Oha – doch drei. Mit denen werde ich dennoch fertig.‹

Der Weg führte die Frau und ihre Verfolger aus dem winzigen Ort vor Nymphenhall heraus in die hügelige Landschaft Höllenwalls. Nach einer guten Viertelstunde – seit einiger Zeit schon liefen sie im Wald und die Verfolger hatten sich näher an ihr Ziel herangewagt – bog Wilimai vom Pfad ab in den Wald.

»He, Relgo, was nu?«, wisperte einer der Jäger dem anderen zu. Relgo zuckte mit den Schultern. Dann schob er das Stirnband zurecht, mit dem seine langen braunen Haare gebändigt wurden: »Grelli, schleich Du hinterher, Du bist leiser als Halgan und ich.« Die angeflüsterte Jägerin, die sich zu ihren Kameraden gehockt hatte, nickte eifrig und schlich dann nahezu lautlos zwischen den Stämmen hindurch in den Wald. Vierzig Schritt, fünfzig. Da! Das hört sich doch nach einem Pferd an! Leise ging die Jägerin auf alle Viere, schlich an die kleine Lichtung heran. In der Tat: Dort stand ein Pferd, ein Lagerfeuer war längst ausgeglüht, die Sachen gepackt. Das Pferd war sogar schon gesattelt. Nur: Wo war die Frau?

Eine Hand legte sich von hinten auf den Mund der Jägerin, presste kräftig zu. Gleichzeitig zog eine andere Hand eine scharfe Klinge durch die weiche Haut von Grellis Hals. Sauber ging der Schnitt durch den Kehlkopf – kein Laut mehr würde die Jägerin von sich geben, deren Leben aus der klaffenden Halswunde pulsierte. Wilimai hielt die Jägerin noch eine Weile fest, ehe sie sicher sein konnte, dass diese nicht mehr zappeln würde, dann ließ sie den leblosen Körper auf den Waldboden gleiten. Wilimai achtete darauf, sich nicht mit dem Blut zu besudeln. Dann legte sie leise die Satteltaschen auf, schwang sich auf das Pferd und preschte, so schnell der Wald es zuließ, zwischen den Baumstämmen hindurch. Erst einmal parallel zum Weg, dann zurück auf denselben.

Relgo und Halgan hörten die Reiterin durch den Wald brechen. »Geh du nach Grelli sehen, ich folge der Reiterin!«, bestimmt Relgo und machte sich auf den Weg.

›Hartnäckig sind die‹, dachte Wilimai bei sich, als sie sich entschlossen hatte, der sechsstündigen Verfolgung nun doch ein Ende zu setzen. Sie mussten schon fast im Schlundgau sein, irgendwo bei der Pfalz, aber noch immer hingen die beiden Verfolger an ihr wie Meilersgrunder Kinder am Krüppel. Und Krüppel: Das war sie nicht. Der häufig genutzte Lagerplatz links des Weges war ideal: Das Pferd konnte sie als Köder an einen der die Lichtung umstehenden Bäume binden, die Satteltaschen ein wenig ausbreiten und auf der anderen Seite warten, bis die beiden herankamen. War schon leicht dämmerig – umso besser. Wilimai drapierte alles so, als würde sie hier lagern wollen. Mehrfach allerdings hob sie wachsam den Kopf. ›Irgendetwas ...‹ Egal, die beiden Jäger mussten gleich dran sein, Zeit sich zu verstecken.

Da hörte sie auf einmal Geschrei und Gebrüll vom Pfad her. Ein Grollen wie aus einer tiefen Kehle, das schrille Schreien eines Menschen in Todesnot. Wilimai standen die Haare zu Berge: unheimlich. Sie schlich den Pfad entlang, in Richtung des Geschreis. ›Abhauen solltest du‹, dachte sie, ›einfach abhauen.‹ Doch sie schlich vorwärts. Wildnis – das war nicht so richtig ihre Spielwiese, aber schleichen konnte sie trotzdem fast so leise wie ein Kätzchen. Im hügeligen Wald des nördlichen Höllenwalls konnte man nicht weit sehen. Deshalb war Wilimai für ihren Geschmack viel zu nah dran – nur vielleicht fünf Schritt –, als sie endlich einen Blick auf das Geschehen werfen konnte: Eine Sippe grauhäutiger, warzenübersäter und hässlicher Wesen saß da auf dem Pfad und stritt sich um das Essen. ›Himmel! Das sind Oger!‹, durchzuckte es die junge Frau. ›Und was sie da essen ...‹ Ihr wurde übel. Dennoch konnte sie den Blick nicht abwenden – zu schaurig war der Anblick, wie die Ogerfratzen das Menschenfleisch verschlangen.

Da schmatzte es plötzlich hinter ihr. Wilimai klumpte sich der Magen zusammen, als sie sich langsam umdrehte. ›Scheiße, wer soll jetzt Bugenhog berichten‹, war ihr letzter pflichtbewusster Gedanke.