Geschichten:Greifendämmerung - Wo keine Sonne scheint

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Stadt Luring, im Zwinger, in der Nacht vom 13. auf den 14. Rahja 1034 BF

Nachdem das Gelächter sich gelegt hatte, begann die Vorstellungsrunde erneut - nicht alle waren allen bekannt. Ungolf wusste bereits von den Blessuren Rudon Langenlobs, weil sich beide gestern im ›Knupplers‹ getroffen hatten, und gemeinsam stieß man darauf an, dass Nimmgalf sich auf dem nächsten Turnier den Hals brechen möge - oder wenigstens beide Stinkefinger. Brobert von Hornbach erntete großes Gelächter, als er mit seinen klobigen Fingern an einem Holzscheit demonstrieren wollte, wie das aussähe - und sich dabei einen Mittelfinger erheblich verstauchte.

Langenlob musste noch einmal ausführlich berichten, wie ihm das Gesicht und der Rücken zerschunden worden waren, und er sparte nicht mit derben Worten bei jeder Nennung von Nimmgalf und seiner Waffenknechte Romin Westfall und Landoran Groter.

»Ich habe gar nicht gewusst, dass Nimmgalf so unbeliebt ist?«, wunderte sich Stordan von Gerbachsroth in ein Abebben des Gelächters hinein und sorgte für Stille bei allen Anwesenden. Ehe es gar zu unangenehm werden konnte, meinte Langenlob: »Er ist auch nur bei uns so unbeliebt - und bei Graf Drego und einigen anderen oben auf der Burg. Witzigerweise ist in diesem Fall der lange Odo - mögen sein Leib schon bald die Würmer erquicken - mit uns einer Meinung!«

»Ah! Das Stichwort!«, rief Gastgeber Ungolf von Luring-Prestelberg begeistert.

»Odo?«, fragte Moribert von Goyern.

»Würmer?«, fragte Gerbachsroth.

»Erquickung?«, fragte Franwin von Luring-Franfeld.

»Nein - nichts von dem alledem. Oder am ehesten: Würmer. Ich habe was Tolles entdeckt - Rudon kennt es schon. Kommt mit. Lasst alles hier, Jorunde passt schon auf, nicht wahr? – Ja, Du mich auch. – Also kommt. Rudon, nimm den Leuchter da mit, Rondger, Ihr nehmt den da. Wohin wir jetzt gehen, scheint keine Sonne!« Den letzten Teil hatte Ungolf mit hohler Stimme gesprochen, dann eilte er geschwind voran, dass die Lichtträger Mühe hatten, ihre Flammen nicht erlöschen zu lassen.

Hinab ging es, zunächst die Holztreppen des Anbaus, dann die gemauerten Treppen des Turms, schließlich aus dem Felsen gehauene Stufen in den Kellern unter dem ›Zwinger«. Tür für Tür passierte die staunende Gruppe, neugierig, was Ungolf wohl zu zeigen vorhatte, Längst waren die Wände und Decken schwarze Felswände, gealtert durch den Staub der Jahrhunderte, selten betreten in den vergangenen Zeiten. Doch wurden die Gänge und Gewölbe nicht kleine rund schmaler, sondern viel mehr größer und breiter.

Die Wände glitzerten im Schein der Kerzen und mittlerweile entzündeten Kerzen vor Salzkristallen und Erzen, die sich in wilden Mustern durch das Gestein zoegn, durch das hindurch wiederum die Gänge geschlagen waren.

»Alt, Freunde, uralt!«, rief hallend Ungolf, immer noch voran und hinab eilend. Manche einer der Meute bedauerte, seine Waffe nicht mitgenommen zu haben, jeder von ihnen war aber wieder längst ernüchtert von dem hastigen Schritt in die Tiefe und von der kalten, salzigen Luft, die hier stand. Stand schon seit Jahrhunderten wohl. Stand hier schon zum Atmen bereit, als noch Greifen über den Felsen Luringens kreisten oder andere Kreaturen der Vorzeiten die Weiten des Reichsforstes oder des Silva Garetiensis bevölkerten.

»So unvorstellbar alt!«, rief wieder Ungolf, der als Einziger die Orientierung noch nicht verloren hatte nach all den Absätzen, Stufen, Abzweigen. Kavernen, Räumen und Gängen.

Plötzlich blieb er stehen, wandte sich im flackernden Schein der Flammen um, fast fiebernden Blickes: »Hier ist es. Habe ich erst vor wenigen Tagen entdeckt - und ich habe Jahre hier unten verbracht! Das wollte ich Euch zeigen.«

Und er gab den Blick frei auf eine Öffnung in der Gangwand, die gerade und konturstrake Kanten hatte und in die eine Tür aus Stein passgenau zu schwenken war, die nun offen stand in das Innere des Gewölbes dahinter.

»Eine Geheimtür«, flüsterte Erlenfall andächtig, als er die Schwelle ins Innere übertrat. Der Gang war hier gut dreieinhalb Schritt hoch und zwei Schritt breit. Die Öffnung befand sich auf einem Absatz, der zunächst wie ein Ende des Weges erschien, doch schmaler in einem Winkel weiterging. Von diesem Absatz stiegen nun die Männer nacheinander durch die Tür - auch sie zweieinhalb Schritt hoch - in das Gewölbe, das nun gelb erleuchtet wurde vom flackernden Schein. Auch dieses Gewölbe hatte sechs Ecken - war es etwa ein Kellergeschoss zum Zwinger? Wie tief waren die Männer in den Felsen der Stadt hinab gestiegen?

Dieses Gewölbe hier unten hatte aber keinen Kreuzrippenabschluss, sondern war rund aus dem Felsen gehöhlt worden. Eine verwaschene Ornamentik war die einzige Verzierung, unter den herrschenden Lichtverhältnissen keinesfalls zu entziffern. Zumal die Ornamente in luftigen fünf Schritt Höhle angebracht waren. Der Boden des Raums, der vielleicht zehn Schritt Durchmessen besaß, war halbwegs eben, doch sah man die Meißelspuren im Felsen, die auch die Jahrhunderte nicht hatten glatt treten können. In der Mitte befand sich ein steinerner Podest, der fast wie eine Siegertreppe aussah, nur dass die Stufen eineinhalb Schritt breit und vier Schritt tief waren. Es waren die Sarkophage, von denen die Deckel jedoch fehlten. Sie sahen aus wie drei große Badebecken, nur gähnten die Höhlungen leer. Wasser war nicht darinnen. Aber was dann? Die zersprungenen Deckel lagen hinter dem Podest, ein Stapel gesprungener Granitquader.

Die Meute war andächtig und still. Hier standen sie, die Tagediebe von heute, vor einem Monument, das so viele Generationen vor ihnen erschaffen worden war, dass selbst der gedankenloseste Rüpel unter ihnen sein Maul vor Staunen nicht schließen konnte.

Ungolf genoss die beeindruckten Mienen seiner Gäste eine ganze Weile. Endlich durchbrach er, noch immer voller Begeisterung die Stille: »Ist das irre, Freunde? Ein Grabmal unter dem ›Zwinger‹! Und die Bagage hat keine Ahnung! Guckt mal hier!«

Mit diesen Worten zog er aus dem rechten Sarkophag einen riesigen Knüppel - nein einen Knochen, lang wie ein Bein und offensichtlich schwer.

»Huarrgha!«, rief er übermütig und schwang den Knochen. Doch vom Gewicht gezogen sanken ihm die Arme, das lange Ding schlug dumpf auf dem Boden auf.

»Was ist das denn!«, rief Franwin, angesteckt von Ungolfs Begeisterung. »Das ist ein Trollknochen! Seht mal, was für ein Riesending!« Mit diesen Worten sprang er in den Sarkophag und zog einen großen Schädel daraus hervor, dessen dunkle Augenhöhlen die übrigen tadelnd anzustarren schienen.

»Hier sind sogar Reste einer Rüstung!«, rief nun Rondger von Scheupelburg, der sich ebenfalls in den Sarkophag gebeugt hatte.

»Nun mal ruhig, Jungs!«, mahnte Erlenfall, der zweierlei bemerkt hatte, als er an den Podest herangetreten war. »Das hier ist eine Grabstätte, keine Kinderkrippe.«

»Na und?«, gab Franwin zurück.

»Und?«, bellte Erlenfall. »Mal einen Blick in den oberen Sarkophag geworfen, hm? Das ist eine menschliche Leiche. Und das hier vorne ist dein Wappen Franwin. Deins! Ein Greif auf einem Mittelbalken. Wisst Ihr, wer das ist, Ungolf?«

Der Angesprochene hatte noch immer das breite Grinsen des Besitzerstolzes im Gesicht. »Nein, ich weiß es nicht, Aber ich habe eine Ahnung. Hier, die beiden Runen. ›RR‹.«

»Er, er?«, fragte Gerbachsroth, der von allen am kleinlautesten wirkte und sich im Hintergrund hielt.

»Ja, RR. Roana Regina. Glaube ich zumindest. Eine von den legendären Luring-Königinnen aus den Dunklen Zeiten.«

»Ehrlich?« Franwin ließ den Trollschädel fallen. »Das ist so eine Art Großtante, was?«

»Ja«, antwortete Ungolf. »Und irgendetwas hatte sie mit Trollen zu schaffen. Vielleicht stammen die ganzen Gänge hier aus der Zeit? Ich habe schon vor langer Zeit angefangen, ein paar Legenden zu sammeln. Außerdem habe ich einen Gelehrten hinzugezogen, der sich mit Legenden und alten Rechtstexten auskennt. Ich zeige ihn Euch später.«

»Hej, und was ist das hier?«, rief Moribert von Goyern aufgeregt. Er war an den hinteren Sarkophag herangetreten und zog nun einen geknebelten und gefesselten Mann ins Licht der Fackeln. »Wer ist das denn und wie kommt der denn hier her?«

»Ach ja, das ist ein Geschenk für Rudon. Hm, Rudon, erkennst Du ihn?« Ungolf schaute erwartungsvoll zu Rudon Langenlob, dessen Augen sich zu engen Schlitzen verengten.

»Landoran Groter«, flüsterte er zischend. »Das ist eine schöne Überraschung. Danke, Ungolf. Kaum einen Tag ist es her, da habe ich Dir alles erzählt. Und schon liegt das Geschenk hier.«

Groters Gesicht hatte das Grau der tödlichen Vorahnung angenommen. Hilfe suchend blickte er gehetzt von einem zum anderen. Ausgerechnet an Stordan von Gerbachsroths entsetztem Gesicht blieb er hängen. »Was soll ich denn tun?«, stammelte Gerbachsroth, der dem Waffenknecht schon gern geholfen hätte, aber sich hier keinesfalls getrauen würde.

»Ich sage dir, was du jetzt tust«, befahl Rudon Langenlob, dessen Stimme jeden Widerspruch abtötete. Und diese Stimme gab Kommandos; sicher, bestimmt, tödlich.

Als der Morgen graute, hatte Jorunde die Wämser der Kumpane gewaschen und zum Trocknen in den Hof gehängt. Es waren sieben Wämser, aus denen das Blut weitestgehend herausgeschrubbt war, so dass die Farben ganz verblichen wirkten: Moriberts, Rudons, Ungolfs, Franwins, Emmerans, Broberts und Rondgers.

Die Sachen von Gerbachsroth und Groter lagen dort, wo sie niemals ausbleichen würden.




Wappen Grafschaft Reichsforst.svg
Ereignis:
Entdeckung von Königin Roanas Grab sowie von Trollstätten unter dem Luringer Zwinger; Ermordung von Stordan von Gerbachsroth
Datum:
13. Rah 1035 BF