Geschichten:Grauen am Darpat - Die Spur wird heißer

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Dramatis Personae


Im Hafen von Gnitzenkuhl - Ingerimm 1032

Ohne Erklärungen gab er Alexis’ Wunsch an den überrumpelten Fischer weiter. „Auf, mach das Boot klar. Wir beide fahren zurück in die Stadt. Ihro Gnaden wünscht vorerst hier zu bleiben.“ Noch immer hielt der Edelknappe einen Bogen bereit. Er würde ihn erst wieder ablegen, wenn sie hinter den Stadtmauern sicher waren. Als sie später endlich im Hafen Gnitzenkuhls eintrafen, herrschte noch immer eine rege Geschäftigkeit. Es sah so aus, als wolle man zwei weitere Boote klar machen. Offensichtlich hatte sich in der Zwischenzeit etwas ergeben worauf man hier reagieren wollte. Unswin wies den Fischer an direkt auf den Bootssteg zuzuhalten, auf dem er Leomara im Gespräch mit Marnion und zwei weiteren Männern erspäht hatte, welche wohl die nebachotischen Jäger waren von denen der Junker gesprochen hatte. Schnell verließ der Edelknappe das Fischerboot sobald sie am Steg angelandet hatten und ging zu der Gruppe hinüber. „Edle Dame, Euer Wohlgeboren.“ Nach einer leichten Verbeugung trat er auf Leomara zu. „Edle Dame, ich komme mit Befehlen von Seiner Gnaden Colon. Wir haben ein paar Meilen flussabwärts eine potentielle frische Spur des Untiers entdeckt der er nachzugehen wünscht.“

„Eine frische Spur?“ Leomara versuchte in Unswins Miene genaueres zu erkennen. „Dann sollten wir uns das unbedingt erst einmal näher ansehen.“ Sie schaute Kor’win fragend an, der bei der kurzen Ausführung des Edelknappen hellhörig geworden war und daher bekräftigend nickte. „Gut, dann werden wir beide mit euch fahren und ihr folgt uns.“ Sie bedeutete dem Junker von Kelsenstein, ihr und dem Edelknappen ins Boot zu folgen, derweil die Nebachoten in das etwas geräumigere Boot stiegen, dass für ihre nächtliche Aktion gerade bereit gemacht worden war.

Allerlei Gerätschaften hatten die beiden Jäger aufs Boot laden lassen. Unmengen von Seilen, einigen Speeren, mehreren Netzen und Decken. Der Kelsensteiner nahm eine Windenarmbrust, ein Seil mit Kletterkralle, ein Kurzschwert und ein Kleiderbündel mit an Bord. „Sind eigentlich ihre Wohlgeboren von Vellberg und der Hafenmeister schon zurückgekehrt? Es wäre interessant zu wissen, ob sie vielleicht auch etwas entdeckt haben.“ Unswin bemühte sich angestrengt den Nebachoten neben sich im Boot zu ignorieren und konzentrierte sich während der Fahrt ganz auf Leomara oder ließ seinen Blick über das Schilf schweifen wenn er das Gefühl bekam, dass seine Augen unschicklich lange auf ihr geruht hatten. Auch die Rittfrau konzentrierte sich ganz darauf die Umgebung im Auge zu behalten, während sie die Frage des Edelknappen beantwortete. „Das Boot lag schon wieder vertäut am Anleger. Also gehe ich davon aus, dass sie einen kleinen Happen essen. Vielleicht ist die Baroness auch schon vor auf die Burg, schließlich sollten wir alle ausgeruht die Nachtwachen antreten.“

„Wir sind am anderen Ufer auf einen Jungen getroffen, nachdem wir auf Gnitzenkuhler Seite unsere Falle aufgebaut hatten“, begann Unswin zu erzählen. „Er hat hier Schafe gehütet und sagte uns, dass sein Leitschaf in der Nacht gerissen wurde. Wir haben dann die Überreste gefunden, zusammen mit einigen merkwürdigen Spuren die zum Teil mit den bisher gefundenen übereinstimmen. Die breite Schneise im Schilf und gar zerdrückte Steine. Andere Indizien lassen allerdings neue Fragen aufkommen. So hat die Tiere wohl keine Panik befallen und einige der Wunden am Kadaver scheinen eher von einem Messer zu stammen als von Zähnen und Klauen. Vielleicht finden unsere nebachotischen Jäger ja mehr heraus.“ Er warf einen abschätzenden Blick zurück auf Kor’win und Kain im Boot hinter ihnen, war jedoch nicht davon überzeugt, dass sie eine große Hilfe sein würden. „Ach ja, Ihro Gnaden wünscht in dieser Gegend weiter zu suchen, deswegen begehrt er zu wissen wem das Lehen auf der Gnitzdenkuhl gegenüberliegenden Seite des Darpat gehört, sprich wen wir darüber informieren müssen.“

Marnion antwortete auf die Frage des Knappen. „Auf der anderen Seite des Flusses liegt die Baronie Bergthann. Dort herrscht ihre Hochgeboren Efferdane von Eberstamm-Ehrenstein, eine achtbare Streiterin des Götterfürsten. Ob sie uns Schwierigkeiten bereiten wird, kann ich nicht sagen.”

„Sagt Marnion, ich habe den Eindruck, ihr seid mit der Vorgehensweise von Kor’win und Kain nicht einverstanden. Nur damit ich weiß, wie ich in Zukunft eure Kritik einstufen soll: Gibt es da etwas was sich wissen sollte?“ Sie sprach nun merklich leiser, wollte sie den Junker mit der ohnehin schon sehr direkten Frage nicht auch noch in die Verlegenheit bringen, dass jeder hörte, was geredet wurde. „Meine Bekanntschaft mit dem alten Jäger liegt einige Götterläufe zurück, da war ich nicht mehr als ein junges Mädchen voller Flausen im Kopf.“ Irritiert sah sich Leomara in dem Moment um und hieb mit der Hand auf die Umrandung des Bootes. „Hat er es wieder geschafft. Thorondir, bei Efferd ich werde dir in diesem Sommer noch das Schwimmen beibringen, und wenn es das letzte ich was ich tue.“ Sie warf dem am Ufer stehenden Knappen unheilvolle Blicke zu. Doch so wie die schlechte Stimmung aufgezogen war, verflog sie auch wieder. „Wo waren wir stehen geblieben? Ähm…ja. Eure Landsmänner!“ Sie schien nur noch ihn anzusehen. Man hatte den Eindruck sie wollte ganz genau wissen, was vor den Toren der Stadt ungesagt geblieben war, aber für sie doch sehr deutlich spürbar. Normalerweise hätte kein Nebachote ihre Gegenwart der eines Junkers desselben Volkes vorgezogen. Außerdem hatte Kor`win so merkwürdig nachgefragt, wie sie in die Gesellschaft eines Kelsensteiners gekommen war- so als ob das eine Krankheit sei…

Marnion beugte sich etwas vor um Leomara besser zu verstehen. Augenblicklich wurde er von ihrer Präsenz und ihrem Geruch umfangen. Blut schoss ihm in den Kopf und rötete seine Wangen. Er atmete tief durch und lachte als sie ihren wasserscheuen Knappen schalt, bevor er ihr ebenso leise . „Meine Brüder sind tapfer und leben für die Jagd. Sie wissen welche Risiken sie eingehen, doch ist es etwas anderes Risiken für sich oder für andere einzugehen. Ich selbst habe zu viele Freunde in den Tod geschickt, ich will dass für jeden erkennbar ist in welche Gefahr wir uns begeben.” Einen Moment hielt Marnion inne, dann fuhr er fort. „Mir scheint, dass ihr wissen möchtet, was meine Brüder von mir halten. Um ehrlich zu sein, der Ruf der Sippe Kel’zen Tell ist nicht der Beste in meinem Volk. Man sagt unser Blut sei nicht rein, da wir Ferkinas in unsere Sippe aufgenommen haben. Auch sind unsere Sitten und Ansichten in vielem verschieden von unseren Brüdern im Tal.” Während er dies sagte erwiderte Marnion ihre forschenden Blicke und achtete genau darauf wie sie das Gesagte aufnahm.

Sie musterte ihn verwirrt. Ferkinas also. Das war es was die Nebachoten die Nase rümpfen ließ? Nur kurz brauchte sie um darüber nachzudenken, was er ihr anvertraut hatte. „Ich versuche immer auch nach dem zu urteilen was ein Mensch tatsächlich tut, und nicht danach, was seine Vorfahren taten. Doch diese Sichtweise ist selten.“

Ein nachdenklicher Blick huschte dabei auch über den Edelknappen. „Ich werde euch also im Auge behalten, und mir ein Bild von euch machen. Schließlich wird irgendwann das Ende der Jagd gekommen sein, und wir werden unseren Zweikampf angehen können.“

„So werde ich es auch halten. Euere Sichtweise spricht für Euch.” Damit löste sich Marnion langsam aus der ihn verwirrenden Nähe zu Leomara, versuchte die in ihm aufgestiegene Hitze zu beruhigen indem er sich auf die vor ihnen liegende Aufgabe konzentrierte.

Es dauerte nicht lange, und sie erreichten die Stelle an der Uferböschung, wo Tjalf schon zuvor angelandet war. Leomara hatte wohl bemerkt, dass der sonst so in sich ruhende Fischer alles andere als erfreut war, sie dorthin bringen zu müssen. Unmittelbar nach ihnen legte nun das Boot mit Kain und Kor’win an. Der ältere der beiden Nebachoten nahm sich einen Speer zur Hand, während der jüngere sich einen Köcher an den Gürtel band und einen von den kleinen, nebachotischen Reiterbögen spannte. Der Kelsensteiner kurbelte an der Armbrust und legte einen Pfeil ein.

Von der Landungsstelle aus waren die Fußspuren die Tjalf, Unswin und auch der Geweihte im feuchten Uferboden hinterlassen hatten deutlich zu erkennen. Unswin hatte schnell seinen Bogen wieder zur Hand und hatte stets einen wachsamen Blick auf das Schilf. Während die Fischer bei den Booten blieben, führte der Edelknappe Leomara, die ihre Waffe gezogen hatte, und die Nebachoten einige Dutzend Schritte weiter am Schilfgürtel entlang, bis schließlich Alexis’ hohe Gestalt vor ihnen auftauchte und ihnen verriet, dass sie sich dem vermutlichen Fressplatz der Bestie näherten.

Etwas eingeschüchtert wich der Hirtenjunge zurück und ließ die hohen Herrschaften vorbei. Nach einigen Blicken auf die Stelle sicherte Marnion die Untersuchungen der anderen mit der Armbrust, die beim Rondrageweihten nicht wirklich Begeisterung hervorrief. Besonders Kor’win drängte sich nach vorne gefolgt von Kain. Beide Nebachoten schienen die Zornesritter nicht weiter zu beachten, sondern fingen sofort an, die Stellen – zunächst – um die Funde herum, später dann auch direkt an den Funden. Dabei teilten sie sich auf. Kor’win zog seine Kreise immer enger um den Kadaver herum, während Kains Kreise sich immer weiter entfernten. Sie gingen sehr gewissenhaft und für manchen eventuell völlig befremdlich vor. Immer wieder ging Kor’win in die Hocke, scharrte ein wenig Erde zusammen und roch an dieser. Schließlich schienen sie ihre Untersuchungen abgeschlossen zu haben und kamen auf die anderen zu.

Alexis hatte derweilen noch mal kurz und knapp zusammengefasst, was der Junge ihnen erzähl hatte. Nun wartete er auch gespannt ab, ob die beiden Fremden, die Leomara mitgebracht hatten, weiteres in den Spuren hatten lesen können. Der Ältere schien erneut das Sprechen dem Jüngeren der beiden zu überlassen, ging auf den Jungen zu und unterhielt sich stattdessen mit ihm. Derweilen zog Kain die Aufmerksamkeit der Gruppe auf sich.


Das Wesen des Ungeheuers

„Äs stammt von dem Wesen“, bekräftige Kain, so als wäre dies die Aussage auf die alle gewartet hatten. „Wir hattäen schon änliche Spuren um Därgelmund herum gefunden, wo das Wäsen ebenfalls gewesen sain soll. Allerdings…“ Wie um die Spannung zu erhöhen, machte Kain eine kurze Pause. „Allerdings war äs entweder nicht alleine odär jemand anderes war vor uns da.“

Der junge Nebachote genoss die fragenden und verwirrten Blicke der Anderen für einige Augenblicke, bevor er einen Pfeil aus seinem Köcher nahm und – nahe am Ufer – etwas in den feuchten Boden zeichnete. „So wie äs aussieht, schleift där Laib des Wesens auf däm Boden. Doch be’wägt es sich dabei nicht wie aine Schlangä vorwärts, da wir ansonsten sollchä Spuren finden misten.“ Kain zog mit der Spitze des Pfeils einige geschlängelte Linien in die Erde. „Unsäre Spuren jedoch sind gerade und zielsträbig. Allerdings auch nicht so wie z.B. bei einär Raupä, da diesä sich zusammenzieht und wiedär auseinandergäht. Auch das habän wir nicht.“ Wieder zeichnete er etwas in den Boden. „Anderärseits lässt die Breitä där Spur auf einä gewisse Grese des Wesens hin deutän und damit auf ein gewissäs Gä’wicht. Duoch fir so ein Gewicht sind die Spuren wiedärum zu flach, bessär gesagt nicht tief genug.“ Ernst blickte der junge Jäger die Gruppe an. Das ansonsten so überlegene und selbstsichere Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, als er fortfuhr. „Also muss äs sain Gewicht irgendwie abstitzen, durch Fißä odär Armä zum Baispiel. Allärdings missten wir dafir Spuren finden, duoch gibt es auch diesä nicht. Am Busch dagägen“, Kain deutete auf in Richtung eines der Büsche, an denen die Schafe weideten und fuhr unbeirrt fort, „da wurdä vor kurzäm ain Ast abgeschnitten und wir haben Anzeichen gefunden, die zaigen, dass Spuren verwischt wurden.“

Diese Aussage hatte die Isenbrunnerin unwirsch aufstöhnen lassen und ihre Augenbrauen hatten sich bedrohlich über den sonst freundlich funkelnden Augen zusammen gezogen. Ein mürrischer Ausdruck hatte sich auf ihrem Gesicht breitgemacht. „Also doch irgendwelche Aufwiegler und Scharlatane?“ Ihrem Ton war die erboste Stimmung deutlich anzumerken.

Kor’win rief Kain in diesem Augenblick etwas auf nebachotisch zu, dass dieser wiederum für die anderen übersetzte. „Där Jungä sagt, nebän uns war ansonstän hier noch niemand gewäsen.“

Der Kelsensteiner wunderte sich über das Gesagte, da passte wirklich etwas nicht zusammen. Er brachte eine Vermutung vor. ,,Ich weiß das klingt etwas verrückt, aber vielleicht hat das Wesen Flügel, die es zwar nicht tragen, aber zu Wasser und zu Land seine Fortbewegung erleichtern, das könnte auch die verwischten Spuren erklären.” Die Gesandte Gnitzenkuhl schüttelte erst langsam, dann jedoch bestimmter das Haupt. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Was soll das für eine merkwürdige Kreatur sein, die schwimmt und Flügel hat, die es aber zum fliegen nicht benutzen kann?“

„Einä mit messärscharfen Klauen, das nachts den Darpat hinauf schwimmdt und Fischär frässen will?“

„Ihr habt Recht Euer Wohlgeboren“, wandte sich Unswin an den Kelsensteiner. „Eure Idee klingt wirklich etwas verrückt.“ Bevor Marnion noch etwas erwidern konnte, drehte sich der Edelknappe schon wieder zu den Jägern um. „Dennoch seid ihr anscheinend genauso wenig wie ich zu einer plausiblen Erklärung für diese wunderlichen Spuren gekommen. Oder könnt ihr euch erklären was dies alles zu bedeuten hat?“

„Das bedeutät“, folgerte Kain, „das bedeutät, dass das Vieh ändwedär über eine gewisse Intelligenz und Gewandthait besitzt, odär dass äs äs Hälfer hat die ihm ändwedär dienän oder die ihr Maister sind.“

Der Geweihte Colon überlegte, doch konnte er sich nicht erinnern, je eine Wesenheit dieser Beschreibung gesehen zu haben. Zudem muss diese intelligent sein, das sie Spuren verwischt. Eine andere Möglichkeit wären Komplizen. Oder aber… „Kain, wäre es möglich, dass es sich um einen Schild oder ein Brett handelt, in der Breite der Spur, das man hinter sich her zieht und damit gleichzeitig seine Fußspuren unkenntlich macht?“

„So könnten, wie ihr es auch schon sagtet, Helfer die sichtbaren Spuren mit Ästen verwischen.“

Marnion versuchte die Dinge zusammen zu bringen. „Das wäre eine einfache, logische Erklärung und würde für einen Betrug sprechen. Doch warum sollte sich jemand so viel Mühe machen hier ein Monster womöglich zu erfinden, das kaum Schaden anrichtet, aber die Händler und die Fischer erschreckt?”

Das Schnauben an seiner Seite konnte Marnion kaum entgangen sein, als er sich laut darüber wunderte, wer solchen Unsinn anstellen könnte. „An Helfer kann ich kaum glauben, wenn sie sich nicht selbst im Wasser bewegen würden, hätten sie es schwer dem Wesen zu folgen ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Zudem gäbe es kaum einen sinnvollen Grund, warum jemand das natürliche Jagdverhalten eines Tieres tarnen sollte.” „Vielleicht will man etwas verbergen. Aus diesem Grund macht man einen solchen Aufwand. Des Weiteren können sich die Menschen, die sich hier auskennen, entsprechend unauffällig verhalten, da sie die Eigenheiten und Verstecke dieser Landschaft kennen.“

„Ist das Verhalten diesäs Tieräs denn natirlich?“ fragte Kain kurz. „Das wissen wir nicht.“

Wieder mischte sich Unswin in das Gespräch ein. „Wir haben keine Ahnung um welche Sorte Tier es sich handelt, geschweige denn das wir wüssten ob es sich um eine natürliche oder eine widernatürliche Kreatur handelt. Somit können wir auch nicht mit Sicherheit sagen, ob das Verhalten des Tieres für seine Art natürlich ist.“

In diesem Augenblick erhob sich der ältere Nebachote, zerstrubbelte dem Jungen noch mal dessen Haar und kam zu den anderen rüber. Abschätzig musterte er den Rondrageweihten und dessen Ordensbruder. Alexis wusste, dass die Nebachoten im Allgemeinen der Ansicht waren, dass Männer niemals Rondra, oder besser gesagt, der Mutter Kor wie sie sie nannten, gerecht werden und ihr daher auch nicht wirklich dienen konnten.

„Där Jungä sagt“, warf er jetzt in die Runde, „etwas Fluss aufwärts sai ein Wachtum, dän die Marbena (Baronin) noch bewachän lässt. Ich schlagä dahär vor, dass wir dort einmal nachfragän, ob sie etwas gehert hatten.“ Kor’win gab Kain ein Zeichen. Seiner Ansicht nach sollte er – Kor’win – gemeinsam mit Marnion die Strecke zum Turm hin zu Fuß absuchen, während die anderen – auf gleicher Höhe – den Weg über den Fluss nehmen sollten.

Leomara zögerte erst, war sie doch nach ihrem Dafürhalten eigentlich diejenige, die das Sagen inne haben sollte, doch dann stimmte sie ihm zu. Mit der Jagd verstand er es einfach besser, und schließlich waren sie ja auch nicht mehr auf Gnitzenkuhler Territorium. Schnellen Schrittes beeilte sie sich wieder gemeinsam mit Unswin das Boot zu besteigen, damit sie weder Kor`win noch Marnion aus den Augen verlieren würden. Doch Kain hielt sie ein wenig zurück. „Ich kann ändwedär rudärn, oder jagän. Was soll ich tun?“ Damit deutete er in Richtung Boot. In diesem Augenblick fiel es Leomara ein, dass die beiden Nebachoten zu zweit rüber kamen und – so Alexis nicht rudern würde – Kain selbst rudern müsste. In diesem Falle könnte er die Umgebung aber nicht so gut nach Spuren absuchen. „Ihr werdet von Tjalf gerudert. Folgt ihro Gnaden Alexis Colon. In seinem Boot könnt ihr das Ufer ausreichend im Auge behalten. Wir werden das kleinere Boot von euch nehmen. Unswin wird rudern, derweil ich nach Spuren oder dem Wesen selbst Ausschau halte.“

Kain nickte und warf – mit einem fast spöttisch wirkenden Lächeln - Leomara einen kurzen Stoßspeer zu. „Falls wir das Ding aufscheuchän, ist das viellaicht bässer.“

"Ach ihr braucht Waffen dazu? Ich dachte ihr macht das mit bloßen Händen." Sie schüttelte leicht ihren Kopf als sie die Waffe spielerisch auffing. Dieser Kain sah ja ganz hübsch aus, aber ihr Instinkt sagte ihr, dass er wohl auch zu diesen Süßholzrasplern gehörte.

"Wie wäre es- wir beide können ja mal schauen, wie gut wir sind?" Verschwörerisch warf sie ihm einen Blick zu. "Drei Würfe vom Pferderücken aus auf eine Zielscheibe, dabei?"

„Sichär“, gab der Nebachote zu Antwort, „wenn är“, dabei deutete er auf Unswin, „die Scheibä hält.“

"Oh, das ist ja ganz was Neues. Ein Nebachote, dem ein Bursche zur Hand gehen soll." Sie war sich der Zweideutigkeit ihrer Antwort durchaus bewusst, und grinste Kain, der selbst lächelte, unverhohlen an. "Aber da muss ich dich enttäuschen, entweder wir schießen auf aufgebockte Ziele, oder gar nicht. Aber wenn du nicht willst...ich verüble es dir nicht."

Kain blies übertrieben seine Luft aus den Lungen raus. „Ja, abär das kann doch jädes Kind. Wuo ist das där Nervänkitzel?“ Der Nebachote lächelte bei diesen Worten auch Unswin an, der einfach nur in der Nähe stand und daher Ziel seines Scherzes gewesen war, aber nicht persönlich gemeint gewesen war.

„Danach darf är dann und wir halten.“

Da war sie wieder, diese unverschämte Impertinenz der Nebachoten. Noch dazu von einem einfachen Jäger mit unaussprechlichem Namen. Mühsam nahm der Edelknappe sich zusammen um den Vorgaben seiner Ordenbrüder genüge zu tun. Trotzdem sah man eine Ader an seinem Hals wild pochen.

„So du dich Firun zum Gefallen mit dem Bogen messen willst, so kann ich dir wenn das hier vorbei ist gerne eine Lektion erteilen. Ich sehe jedoch nicht ein für jemanden die Zielscheibe zu halten, bei dem ich nicht sicher sein kann, ob der Pfeil oder Speer diese überhaupt trifft. Auf solche Art leichtsinnig den Tod zu suchen ehrt bestenfalls Phex aber niemals Rondra.“ Seine Stimme war ruhig und beherrscht, aber der Blick den Unswin dem jungen Jäger zuwarf konnte fast als feindselig bezeichnet werden. Vielleicht verursachten auch nur die tiefen Narben diesen Eindruck. Der Edelknappe meinte es auch nicht persönlich, Kain war nur einfach ein Nebachote und der Nebachote lachte auf herzlichste.

Überrascht über die Heftigkeit der Reaktion des Edelknappen, musste Leomara schmunzeln. "Ja Kain, pass lieber auf, sonst ergeht es dir wie Marnion. Mit uns Raulschen ist nicht zu spaßen, wir neigen dazu euch erst einmal ernst zu nehmen bevor wir merken, dass das nur heiße Luft ist..."

Sie stieß Unswin den Ellbogen leicht in die Seite und flüsterte ihm zu. "Wie war das mit der Selbstbeherrschung und dem kennen lernen gewisser Kulturen?"

Der Rondrageweihte sah sich das Spektakel eine Zeit lang an, waren die Sorgen doch eher andere als ein Kräftemessen dieser Art.

„Natürlich, Ihr habt wohl Recht werte Leomara.“ Einen Moment ließ Unswin den Kopf hängen um sicher zu gehen, dass nur die Ritterin ihn verstand bevor er sich straffte und Kain erneut anblickte. Nach einem Seitenblick auf die wenig glückliche Miene des Geweihten sah er sich dann doch genötigt seine Worte zu entschärfen.

„Was ich sagen wollte war, es wird mir eine Ehre sein mich mit dir zu messen. Nur über die Art und Weise sollten wir uns zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal genauer verständigen.“ Damit drehte er sich wieder dem Boot zu, in der Hoffnung, dass der Nebachote Ruhe geben würde. Unswin wusste nicht woran es lag, aber die Art der Einheimischen verursachte bei ihm dauerhafte Bauchschmerzen. Ihre Gnaden Alexis hatte ihm zwar aufgetragen genau dieses zu untersuchen und verstehen zu lernen, aber der Edelknappe hatte nicht vor einfach klein bei zu geben wenn er provoziert wurde.

Wieder war es da, dieses Lachen des jungen Nebachoten, das aus dessen Innersten zu kommen schien. Schließlich drehte sich Unswin erneut um, als Kain ihn auf die Schulter klopfte und dann ebenfalls einen Speer in die Hand drückte. Immer noch leuchteten seine Augen vor lauter Lachen, doch nickte er dem Edelknappen zustimmend zu. Anscheinend war der Verlauf dieses kleinen Kräftemessens genau nach seinem Geschmack gewesen.

Unswin wurde einfach nicht schlau aus diesem Menschen und irritiert blickte er auf den Speer der ihm in die Hand gedrückt wurde. Was erwartete er von ihm? Dass er mit diesem Stock auf das Untier losging? Das war die Aufgabe der Treiber und Jagdgehilfen und nicht die seine. Solch Unverfrorenheit von einem Bauern ihm gegenüber hatte er einfach noch nicht erlebt. Sicherlich kam es auch in Greifenfurt vor, dass der Ritter sich zu seinen Leibeigenen in den Wald oder aufs Feld begab wenn Mangel an zupackenden Händen bestand. Aber immer wusste man Praios’ Gesetze zu achten und jeder kannte seinen Platz. Das schien hier im Süden anders zu sein. Es würde ihm schwer fallen sich daran zu gewöhnen, aber da die Herrin Rondra dies von ihm verlangte würde er sich trotzdem bemühen ihre Aufgabe zu erfüllen.

Die Boote waren schnell bemannt und man eilte sich den Jägern zu folgen. Die Schwierigkeit dabei war, die Geschwindigkeit auf dem Fluss der des Fußtrupps anzupassen. Kurz sah man, wie sich Unswin vergeblich mit den Rudern abmühte. Was auch immer er bei den Zornesrittern gelernt haben mochte, nichts hatte ihn je darauf vorbereitet ein wackliges Fischerboot zu steuern. Kraftvoll zog er die Ruder durch das Wasser, aber letztlich schaffte er es kaum ein Abtreiben zu verhindern, geschweige denn, dass er das Boot einen Schritt voran brachte, weil es sich mehr im Kreis drehte als alles andere.

Schließlich erbarmte sich Leomara und hieß ihn die Plätze zu tauschen. Es sah recht merkwürdig aus, wie sie beide aufstanden und sich so nah wie es eben ging aneinander vorbei quetschten. Nur mit Mühe verhinderten sie ein Kentern oder dass die Ruder über Bord gingen. Als er sich setzte und in Fahrtrichtung blickte erkannte der Edelknappe, dass ihnen das andere Boot und somit wohl auch die beiden Nebachoten an Land um gute hundert Schritt voraus waren. Langsam nahmen sie unter Leomaras gleichmäßigen Ruderschlägen wieder Fahrt auf und holten die anderen langsam aber stetig ein. Der Geweihte Colon hielt derweilen Wache und damit auch das Ufer im Blick. Helfen konnte er beim Rudern nicht, dies war eine der Sachen mit denen er sich überhaupt nicht auskannte.

Da sich seine Gnaden mit Kain darüber geeinigt hatte, den Abstand der beiden Boote nicht zu groß werden zu lassen, bemerkte er nach einiger Zeit, dass Tjalf auf das zweite Boot zu warten schien, da dieses langsam aber beständig aufholte. Da der Fischer mit dem Rücken in Fahrtrichtung saß, behielt er so das zweite, folgende Boot gut im Auge. Der Fußtrupp kam nicht allzu schnell voran, während Kor`win aufmerksam nach Spuren suchte, hielt sich Marnion immer etwas hinter ihm um dem Jäger nicht noch eine Spur zu zertrampeln. Der Kelsensteiner lief dabei am Rand des Schilfgürtels zum offenen Gelände. So konnte er am besten darauf achten ob es wirklich irgendwelche Helfer gegeben hatte, denn dann würden sie hier im weichen Boden am ehesten auch für ihn erkennbare Fußabdrücke hinterlassen. Zudem konnte er Kor’win so auch im Notfall gutes Deckungsfeuer geben. Da sich kein Monstrum blicken ließ, auf das er die Armbrust abfeuern könnte, hatte der Nebachote Zeit die anderen auf dem Fluss zu beobachten und erkannte, dass sich Leomara und Unswin nach ihrem kleinen Manöver angeregt zu unterhalten schienen. Was die Beiden sich zu sagen hatten ließ sich nicht beurteilen. Wie gerne würde er Leomara so näher kennen lernen, aber für ihn sollte es noch die Gelegenheit geben sie auf seine Weise kennen zu lernen, im Kampf. Der Anblick des Wachturms in der Ferne riss den Kelsensteiner aus seinen Gedanken und lies ihn sich wieder aufmerksam nach Spuren umsehen.

So bemerkte der Kelsensteiner, wie Kor’win bereits mehrere Spuren auf dem Boden hin untersuchte und ihn bat, die Boote daraufhin anzurufen. Marnion wusste nicht genau, wie lange sie schon marschiert waren, doch vermutete er anhand des Standes von Praios Antlitz, dass die Mittagsstunde schon vorbei war. Die Spuren deuteten auf einen Wagen hin, der anscheinend leicht oder kaum beladen vom Landesinneren gekommen war und einige Stunden später - deutlich schwerer beladen – den gleichen Weg zurückgenommen hatte. „Das muß heutä Nacht gewäsen sein“, erklärte Kor’win Marnion und folgte der Spur zum Wasser hin.

Am Wasser hatte Kain bereits anlegen lassen und untersuchte ebenfalls einige deutliche Spuren am Ufer. Dabei hatte er sich hingekniet und stützte sich auf seinen Speer ab. Als die beiden anderen Nebachoten näher kamen erhob er sich gerade und rief ihnen zu. „Ain Boot wurdä hier ain wenig an Land ge’zogen. Äs kann noch nicht so langä her sain, ich schätze, dass äs heute Nach war.“ Während des Marsches war der ältere Nebachote wieder in seine schweigsame Art verfallen, doch hatte er dabei auch den Kelsensteiner im Auge behalten. So wusste er nun, dass Marnion kein Frischling mehr war und bei allen Sonderlichkeiten der Bergbewohner zumindest die Umgebung im Auge behielt. Von daher kümmerte sich Kor’win darum nicht weiter und bestätigte die Ansicht des jüngeren Nebachoten nur mit einem Nicken und fing an die Platz um die Landestelle herum abzusuchen.

In der Ferne konnte man bereits den besagten Wachturm erkennen. Dieser lag anscheinend nahe des Ufers an einer Felserhöhung, so dass man von dort aus gut die Umgebung und den Fluss im Auge haben musste. "Die Wachleute im Turm müssen das gesehen haben, wenn ihr die Spuren recht gedeutet habt. Soweit ich weiß zog der Nebel erst gegen morgen auf. Fackeln müssen sie gesehen haben. Der Mond war weitestgehend verdeckt, sie brauchten Beleuchtung."

Schließlich hatten die beiden Jäger ihre Untersuchungen abgeschlossen und berieten sich kurz, bevor Kain das Wort an die Gruppe richtete. „So wie äs aussieht, hat heutä Nacht hier ain Boot angelägt. Ware, wir vermutän Fässer und Kistän“, dabei deutete Kain auf eine Stelle wo das üppige Gras recht flachgedrückt war, „wurdän hier vom Boot auf einen Wagän umgeladen. Zwei Mann vom Land här waren dabei, drai vom Boot und so wie äs aussieht hat ainer dort hintän“, jetzt deutete er an eine andere Stelle, wo ein einzelner Baum in die Landschaft ragte. „Dort hintän am Baum stand einer Wachä. Där Wagen ist dann wiedär ins Landäsinnere und das Boot wiedär in den Fluss.“

„Wenn das so ist, dann ist hier etwas vorgegangen, das nicht vor Praios Auge bestehen kann. Hier ist keine Anlegestelle, die ein ehrlicher Händler zum Umschlagen von Waren nutzen würde, und die Besatzung des Wachturms hängt da wahrscheinlich mit drin. Ich gebe Euch recht Leomara, ohne Licht konnte hier nicht abgeladen werden und wenn sie nicht auf die Besatzung der Wehranlage zählen könnten würden sie eine Flussbiegung weiter hinten außer Sichtweite ihr Geschäft verrichtet haben. Noch näher am Turm wäre es zu auffällig sollte doch jemand vorbei kommen. Wir sollten nicht mit einem freundlichen Empfang am Turm rechnen, wenn wir Fragen stellen“, vermutete der Nebachote aus dem Wall. Zustimmend nickte Kor’win kurz.

„Wir werden sehen, wie ‚freundlich’ wir empfangen werden. Auf jeden Fall sollten wir sie und die Umgebung während der Befragung nicht aus den Augen lassen“, fügte Alexis hinzu. „Übrigens bekommen wir gleich Verstärkung von der Baronesse, gerade zur rechten Zeit. Sie folgt uns schon geraume Zeit, wie ich beim Laufen bemerkte, aber Ihr Ruderer war wohl zu erschöpft um uns einzuholen”, ergänzte Marnion.



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Texte der Hauptreihe:
30. Ing 1032 BF zur abendlichen Boronstunde
Die Spur wird heißer
Wenn die Gnitzen tanzen


Kapitel 25

Wiedervereint durch die Nacht
Autor: Alex N.,Eslam, Hermann K.,Nicole R., Marcus F., Robert O.