Geschichten:Grauen Am Darpat - Das Selbstverständnis der Nebachoten

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Dramatis Personae


Alexis kam nun auch in den Stall hinein, ihm entgegen kam Leomara. Er hatte noch nicht mitbekommen, wie es um seine Gefährten stand. Den Söldner hatte er über die Schulter gelegt, dessen Waffe immer noch im Holzbalken steckte.

„Ich werde ihn in eine Ecke packen, er wird noch etwas schlafen…Wollt ihr nach draußen? Lasst mich das machen, ich werde ihnen helfend zur Hand gehen.“

Wie gesagt, legte er den Söldner in die nächstbeste Ecke ab, die Hände hatte er ihm draußen schon ordentlich mit einem Lederband verknotet. Dann machte er sich auf den Weg nach draußen, wo weitere Aufgaben auf ihn warteten. Was er noch nicht wahrgenommen hatte war, dass der Anführer ihm gut zugesetzt hatte, wovon – neben vielen kleinen Verletzungen – die tiefe Schnittwunde am linken Arm und am Bauch Zeuge waren. Doch die Sorge um seine Gefährten war höher als die um seine eigenen Wunden – dafür war er Rondrageweihter.

„Danke der Nachfrage euer Gnaden, doch meine Wunde hat der Junker“, sie deutete dabei auf den zugedeckten Nebachoten, „bereits versorgt. Eine niederhöllische Waffe, die die Frau da in ihrem Rücken verborgen hatte. Eine Peitsche mit Widerhaken...!“

Leomara schüttelte angewidert den Kopf.

„Allerdings fürchte ich, dass Marnion von Kelsenstein...ein wenig erschüttert ist, oder es war der hohe Blutverlust. Vielleicht auch beides?“

Sie beäugte den Mann nachdenklich, der sich ins Stroh hatte fallen lassen.

„Er phantasierte, doch ich habe Tjalf schon angewiesen ein Auge auf ihn zu haben, und eine Mahlzeit für uns alle zuzubereiten. Arn geht es wohl schon besser.“

Dann schaute sie am Geweihten der Leuin vorbei zur Tür und meinte:

„Ich denke wir sollten lieber nach draußen gehen und sehen, ob wir einen der Verletzten Wegelagerer zum reden bringen können. Es wäre doch ein zu großer Zufall, wenn dieses Pack nicht was mit den Vorkommnissen hier zu tun hätte.“ Doch sie hielt noch einmal inne, als sie gerade an ihm vorbei ging. „Ihr seid auch verletzt...! Soll ich mir das einmal anschauen?“

Der Geweihte blickte an sich herab und fühlte dann auch den stechenden Schmerz in der Bauchgegend, die Wunde am Arm nahm er gar nicht wahr. Sein Blick war wieder auf Leomara gerichtet und er versuchte beruhigend zu lächeln, was ihm nicht ganz gelang.

„Das wird schon, verschieben wir auf später. Lasst uns erst nach unseren Gefährten schauen.“ Mit einem Nicken in Richtung Ausgang meinte er noch: „Lass uns nach ihnen schauen. Rondra wird solange über mich wachen.“

Erleichtert nahm Leomara jetzt wahr, dass Unswin wohlauf war. Nicht unverletzt, aber auf den Beinen. Er hatte scheinbar auch einen Gefangenen gemacht. Nicht schlecht! Der Flinke wie sich nach einem Blick aus den Augenwinkeln feststellen ließ.

„Und?“ fragte sie ihn leise. Müde und abgespannt wirkte er. Ihre Augen schauten den Edelknappen fragend an. Sie hatte ihm sacht die Hand auf einen Unterarm gelegt. Er erschien ihr so...aufgewühlt.

Es lag mehr in diesen Worten, als sie mit ihrer nächsten Frage wissen wollte.

„War der Kerl schon redselig, oder ist ihm einerlei, wie mit ihm verfahren wird?“ Unverwandt musterte sie den Mann, der mit störrischer Miene ihren Worten sicher gelauscht hatte.

Der Edelknappe legte seine Hand auf die ihre und drückte sie für einen Moment fest bevor er wieder losließ. In seinem Blick der über Leomaras Wunden glitt lagen die Sorge um sie und ein Schmerz der nicht von seinen Verletzungen zu stammen schien. Die Wunde an seinem Kopf schien er nicht einmal mehr wahrzunehmen obwohl sie noch immer leicht blutete.

„Der Kerl wird schon reden. Dieses Pack redet immer wenn es dadurch etwas gewinnen kann.“

Er machte eine kurze Pause und warf einen Seitenblick auf den zweiten Gefangenen den Alexis gemacht hatte.

„Und für den Fall, dass der hier störrisch sein sollte, hat ihro Gnaden dafür gesorgt, dass wir einen zweiten Versuch haben.“

Unswin sagte es gerade laut genug, dass nur sein Gefangener und Leomara seine Worte hörten. In seiner Stimme schwang ein unversöhnlicher Hass mit den die Ritterin nicht einordnen konnte und der selbst dem abgebrühten Söldner eine Nuance blasser werden ließ.

„Aber genug von diesem Abschaum.“ Sanft schob er sie ein paar Schritte beiseite.

„Wie geht es dir? Es tut mir Leid, dass sich ausgerechnet dieser Nebachote um dich kümmern musste, aber ich hatte noch alle Hände voll zu tun. Hat er sich wenigstens dieses eine Mal anständig benommen?“

„Ich denke, dass es keiner hätte besser tun können. Er hat auf dem Feld wohl entsprechende Erfahrungen gesammelt...“

Sie wickelte fröstelnd die Decke fester um sich.

„Allerdings scheint er viel Blut verloren zu haben, und er schläft jetzt im Stall.“

Dass er nackt war, ließ sie dabei unerwähnt. Auch die merkwürdigen Worte, die er noch an sie gerichtet hatte verschwieg sie Unswin. Noch mehr Durcheinander würde sie heute nicht mehr verkraften.

„Komm, lass uns erst nach Selinde und Kain schauen. Scheinbar ist einer schwerer verletzt. Den hier kannst du ja erst mal gefesselt bei Tjalf lassen, er macht uns etwas zu essen. Arn kommt langsam wieder auf die Beine.“

Der Geweihte hatte derweil die am Boden kniende Selinde nebst dem jüngeren Nebachoten ins Auge gefasst. Das sah nicht gut aus, was er da aus der Ferne sah. Humpelnden Schrittes und einem leichten Stechen in der Bauchgegend ging er auf die Beiden zu. Die Baroness machte ihm wortlos an der Seite des Schwerverletzten Platz, froh, dass nun endlich jemand kam, der Kain helfen konnte. Mit der Routine eines Mannes, der schon viele Wunden versorgt hatte, begutachtete er die Schwere der Verletzung Kains. Wenn er jetzt noch lebte hatte er Glück gehabt. Doch sollte es so bleiben musste man wirklich gute Arbeit bei der Versorgung der Wunden leisten. Ob einer von Ihnen dazu noch in der Lage war...? Er grübelte nur kurz, kniete sich dann aber nieder um sich für ein Gebet zu sammeln, dass der ganzen Sache zu einem guten Ende verhelfen sollte. Doch kaum war er auf dem staubigen Grund zum Stillstand gekommen, fühlte er starke Finger, die ihn an den Schultern wieder hoch zogen.

„Nain!“ Kor’win stand nur mit mühsam beherrschten, aber deutlich besorgten Zügen an seiner Seite und schob ihn von Kain weg.

„Fallt nicht in Ungnadä. Kain Angeheriger der Nebachoten bittät um die Hilfe der Mutter Kors. Wir sind ihrer nicht wirdig.“

Der Blick des alten Jägers machte deutlich, dass ihm bewusst war wie es um Kain stand, doch er machte auch deutlich, dass es im schlimmsten Falle der Wille der Götter sei. Mit ernstem, gefaßten Blick begutachtete er nun selbst die Wunden. Wütend stampfte Leomara heran.

„Sicher! Meine Güte Kor’win, er ist ein Diener Ebenjener! Wie kann man nur so verbohrt sein? Ich darf ihn aber verarzten...?“

Sie hatte gar nicht erst abgewartet, was er antworten würde, sondern hatte sich nur mühsam stöhnend auf die Knie gelassen. „Selinde, kannst du mir bitte aus dem Stall die Verbandssachen von Tjalf geben lassen?“

Kor’win war etwas zur Seite gewichen, um Leomara Platz zu bieten. Als er sah, dass sie wusste was sie tat, warf er einen fast bittenden Blick an Alexis, dass dieser seinen Wunsch respektieren und nachkommen solle. Die Angesprochene nickte Leomara als Antwort lediglich kurz zu und machte sich dann eilends auf den Weg zum Stall. Im Vorübergehen warf sie Kor´win einen finsteren Blick und ein Kopfschütteln zu. Wie konnte man sich nur so respektlos gegenüber einem geweihten Diener der Leuin verhalten und so vermessen sein, seinen eigenen Willen über den aller Übrigen – einschließlich den des schwerverletzten Kain - zu stellen! Selinde hoffte inständig, daß er wieder auf die Beine kam; irgendwie hatte sie ihn seit der letzten Nacht sehr zu schätzen gelernt.

Alexis nickte, stand wieder auf und blickte streng zu Kor’win.

„Er hat wohl gekämpft und wenn er ihrer nicht würdig wäre, so hätte die Göttin ihm nicht den Mut gegeben den Kampf zu streiten und ihn zu überstehen.“ Dann machte er Platz, „denkt daran, Kor`win“, und beschloss sich die Gefallenen näher anzuschauen. Vielleicht fand er den einen oder anderen Fingerzeig dafür, was sich hier abgespielt hatte. Auch konnten die Toten nicht so liegen bleiben, da sie so wilde Tiere anlockten.

„Hier“, sprach die Baronesse nach ihrer Rückkehr zu Leomara, „das Verbandszeug. Dazu habe ich noch meine Wasserflasche mitgebracht, um Kains Wunden säubern und ihm selbst etwas zu trinken einflößen zu können. Und ihr“, wandte sie sich wieder mit finsterem Blick an Kor´win, „anstatt hier Maulaffen feilzuhalten macht euch lieber mal nützlich. Es gibt einen Gefangenen zu verhören und die Toten nach für uns möglicherweise interessanten Hinweisen zu durchsuchen.“


Kor’win hatte derweilen einen kleinen Beutel aus seiner Gürteltasche geholt und schüttete ein paar Kräuter in ein halbwegs sauberes Tuch. Suchend blickte er sich um, ob das Feuer noch brannte und ob er die Kräuter zu einem kleinen Brei zerkochen konnte. Hielt dann jedoch inne, als ihm auffiel, dass sie keinen Behälter dabei hatten, um Wasser über dem Feuer zu erhitzen. Innerlich fluchend nahm er einen Teil der Kräuter in den Mund und zerkaute diese, bevor er den entstandenen Brei wieder auf dem Tuch sammelte. Diesen reichte er Leomara.

„Hier straicht dies auf saine Wundä, sobald sie saubär ist. Das wird helfen.“


Selinde und dessen Worte hatte der Jäger nicht beachtet. Mochte seine Entscheidung, die Hilfe des Geweihten abzulehnen auch hart sein, so machte sein Verhalten doch deutlich, dass er hier bei Kain bleiben würde, bis sicher war, was mit diesem geschehen würde.

Mit zweifelnden Blicken und gerunzelter Stirn blickte sie auf das Tuch in ihrer Hand. Eines war klar, diesen Brei würde sie sicher nicht auf die Wunde machen. Wer wusste schon, was da drin war! In aller Ruhe machte sie sich zunächst gewissenhaft daran die Wunde auszuwaschen. Das fiel ihr nicht sonderlich schwer, hatte sie doch Hilfe. Die große Wunde an Oberkörper und Rücken zu nähen war etwas ganz anderes. Schweiß stand ihr schon auf der Stirne als sie endlich damit fertig war. Hernach ging sie daran mit Selindes Hilfe so fest es ihnen möglich war den Verband anzulegen. Das Tuch, mit den Kräutern hatte sie von Kor’win unbemerkt Selinde zugesteckt. Sie hatte ihr daraufhin leise zugeraunt:

„Ich werde ihn doch nicht erst zusammenflicken, und dann mit diesen...diesen...Küchenkräutern vermischt mit Spucke zusehen wie sich die Wunde mit Eiter füllen wird."

Leomaras Worte hatte die Baronesse mit einem kurzen Nicken beantwortet. Mit leicht angewiderter Miene hatte sie das Tuch mit dem unappetitlichen Kräuterbrei unter ihren Wappenrock verschwinden lassen, auch wenn sie für einen kurzen Moment versucht war, das Ding vor Kor´wins Augen irgendwo in die Büsche zu werfen. Nachdem Kain soweit versorgt war, wandte sich Selinde erneut an Kor´win, diesmal mit einem betont schnippischen – der Mann begann langsam ihr den letzten Nerv zu rauben - Tonfall.

„Wenn ihr wider Erwarten doch geruhen solltet, euch um euren Gefährten zu sorgen und alles andere hier zu ignorieren, dann könntet ihr euch wenigstens dergestalt nützlich machen, indem ihr eine Trage für ihn zusammenbaut. Aus eigener Kraft wird er vorerst wohl nicht mehr gehen und wir wollen vermeiden – ein kurzer Seitenblick zu Leomara – dass Kains Wunden wieder aufbrechen.“


Kor’win warf einen kurzen Blick auf Kain, der zwar bewusstlos war, aber ruhig atmete und dann auf Leomara. Die Isenbrunnerin konnte in diesem Blick so viele Gefühle lesen. Schmerz, Trauer, Stolz, Würde, Beständigkeit, aber auch Milde, Nachgiebigkeit, Liebe (zu Kain hin nicht zu Leomara) und Zuneigung. Alle schienen sie in ihm und miteinander um die Vorherschaft zu streiten. Schließlich wand er sich ruckartig von der Ritterin ab und folgte der Idee Selindes. Mit zusammengeballten Fäusten eilte er zunächst zu ihren Sachen, die sie mit den Booten mitgebracht hatten. Dort nahm er ein längliches Haumesser oder Machete an sich und legte bereits erste Lederriemen bereit. Dann warf er einen letzten Blick in Richtung Kain und suchte sich dann passendes Gehölz, das für die Trage brauchbar sein sollte.


„Meine Mutter sagt ja immer, dass mindestens zwei Herzen in der Brust eines Nebachoten schlagen. Das eines Kriegers, und das des Liebenden. Daher seien sie oft so hitzköpfig. Zu viele Gefühle...!“

Nachdenklich schaute sie Kor’win hinterher.

„Sie muss es wissen, sie hatte viel mit den Nebachoten der Region zu tun bis sie...“ Abrupt brach Leomara ihre Rede ab und räusperte sich bevor sie weiter sprach. „Vermutlich muss man ihre Art zu denken einfach so hinnehmen. Es scheint ihm ja wenigstens nah zu gehen, doch ein wenig mehr Respekt stünde ihm dennoch gut zu Gesicht.“

„Ich denke, daß Deine Mutter durchaus recht hat“, antwortete Selinde nachdenklich, „anders kann ich mir derlei Sturheit und Temperament auch nicht erklären. Und ja, ich glaube auch, daß Kor´win viel an Kain liegt, aber dieses schroffe Verhalten geht mir einfach über die Hutschnur, kulturelle Unterschiede hin oder her. Wie soll man denn diese Nebachoten verstehen und mit ihnen auskommen, wenn es ihnen anscheinend völlig egal ist, wie ihr Verhalten auf andere wirkt oder diese gar vor den Kopf stößt, wie jetzt gerade geschehen? Kain ist immerhin bemüht, die Denkweise der ‚Raulschen‘, wie er sie nennt, zu verstehen, ganz im Gegensatz zu seinem Mentor. Aber ich denke, daß ist ein Thema, daß man später diskutieren sollte, hier und jetzt ist wohl nicht der rechte Ort dafür.“

Dann verfiel die Baronesse in Schweigen, während ihr offenbar viele Dinge noch durch den Kopf gingen.

Scheinbar war das alles, was Leomara zu dieser kleinen Entgleisung des erfahrenen Jägers zu sagen gedachte. Schließlich war sie diejenige, die für ihr hitziges Gemüt bekannt war, und daher kaum über ihn zu richten vermochte.



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Texte der Hauptreihe:
1. Rah 1032 BF zur mittäglichen Rahjastunde
Das Selbstverständnis der Nebachoten
Feldlazarett


Kapitel 38

Auf Efferds Wogen gen Kaltengrundt
Autor: Alex N., Eslam, Hermann K., Nicole R., Marcus F., Robert O.