Geschichten:Flammende Furcht - Schokoladenduft und Lederkluft

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Dramatis Personae

Praios 1033 BF, Gareth

Der Beilunker Bote hatte Alt-Gareth erreicht. Die Straßen waren sauber und ein sanfter Wind trug den Gestank der hochsommerlichen Stadt hinaus, fort in die Goldene Au. Er musste nicht lange suchen um die Confiserie zu finden. Ein recht schmales, hohes Bürgerhaus, die Fassade mit Steinmetzarbeiten verschönert, neben der schokoladenbrauen Eingangstür ein großes Fenster aus Butzenglasscheiben, hinter denen verführerische Köstlichkeiten lagen. Die Unruhen der letzten Jahre schienen dem Gebäude keinen Schaden zugefügt zu haben. Fröhlich grinsten pausbäckige Knabengesichter von ihrem steinernen Aussichtspunkt auf ihn herunter, manche direkt aus der Wand, andere von gedrungen Koboldkörpern mit zerzausten Schwanenflügeln. Hatte ihm gerade der eine besonders hässliche Kinderkopf die Zunge ein Stückchen herausgestreckt? Der Botenreiter schüttelte sich kurz, klopfte sich notdürftig den Staub von den Schultern (versuchte dabei, das Gefühl beobachtet zu werden zu ignorieren) und wollte gerade eintreten, als die Tür mit einem hellen Klingen kleiner Silberglöckchen aufschwang. Erschrocken sprang der Bote aus dem Weg, senkte den Kopf und lugte dennoch verstohlen der kleinen, eifrig diskutierenden Gruppe hinterher, die gerade den Laden verlassen hatte. War das da wirklich Storko von Gareth, der ‚samtene' Prinz?

Nein, er musste sich getäuscht haben. Schließlich fasste er sich ein Herz und trat ein. Ihm stockte der Atem. Im polierten Pakettboden spiegelte sich das hundertfache Licht des Kristallleuchters, der von der sicherlich fünf Schritt hohen Decke hing. Die Wände holzvertäfelt mit wunderschönen Schnitzerein und von Gobelins und goldgerahmten Landschaftsbildern geschmückt. Um einige runde Stehtische hatten sich Männer und Frauen der Garether Oberschicht in teuren Gewändern gruppiert. Links und rechts des Eingangs wandten sich zierliche hölzerne Wendeltreppen nach oben zu einer offenen Galerie, von der leises Lachen und Klirren herunterhallte und mit dem wogenden Klangteppich aus halblautem Gemurmel verschmolz. Einige Livrierte in dunkelrot, braun und weiß huschten geschäftig umher, nahmen Bestellungen auf oder servierten dampfende Tschokolat in Unauer Porzellantassen. Plötzlich stand ein hochgewachsener Livrierter vor ihm. Ihn hochnäsig musternd fragte der Diener: „Ihr wünscht, Bote?"

„Eine Nachricht für deinen Herrn, Marcipanus von Prailind-Storath. Von Alrik Herdan von Prailind zu Tannengrund, wenn's beliebt. Ich soll auch gleich die Antwort mitnehmen."

„Nun, dieser Eingang ist den Kunden vorbehalten, der Dienstboteneingang befindet sich an der Rückseite des Hauses, für die Zukunft. Dann folgen Sie mir bitte, hier entlang." Schnellen Schrittes durchquerte der Bedienstete den Raum und schlug den Vorhang zur Seite, durch den die Bediensteten immer mit vollbeladenen Silbertabletts kamen. Dahinter offenbarte sich ein kurzer Flur. Zur Linken erkannte der Beilunker Bote hinter einem offenen Durchgang die Küche. Dort herrschte eifrige Geschäftigkeit. Töpfe klirrten, Feuer fauchten und Anweisungen wurden gegeben. „Dort hinten, durch diese Tür. Dahinter befindet sich der edle Marcipanus von Prailind-Storath." Der Livrierte deutete auf einen schlichte, schwere Holztür am Ende des Flures.

Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und fremdartige Gerüche, die er nicht einordnen konnte, kitzelten seine Nase. Der Raum war in matte Dunkelheit gehüllt, lediglich einige Sonnenstrahlen blinzelten verschreckt zwischen zugezogenen Samtvorhängen durch die Scheiben und eine einzelne Bienenwachskerzen schuf eine honiggelbe Insel. In der hinteren Ecke gloste es tiefrot. Schemenhaft konnte er an den hohen Wänden Regale erkennen, gefüllt mit fertigen und halbfertigen Meisterwerken, Gewürztiegelchen und schmalen Glasphiolen. Eine Gänsehaut lief seinen Rücken herab. War es draußen sommerlich warm, ja fast schon drückend heiß, so herrschten hier fast unangenehm kühle Temperaturen vor. Er bezweifelte, dass diese allein von den Steinwänden herrührten. Magie? Im Licht der Kerze konnte er eine Gestalt in weißer Schürze mit langen seidigblonden Haaren ausmachen.

„Ich suche Marcipanus von Prailind-Storath?"

Der Confiseur warf einen kurzen Blick über die Schulter: „Den habt ihr gefunden. Entschuldigt die Dunkelheit, aber die Strahlen des Praiosauge, so wichtig sie auch für alles Leben und Gedeihen sind, so gefährlich sind sie für meine Gewürze und Grundstoffe. Sie rauben den Geschmack. Ich weiß auch nicht warum. Vielleicht ist Praios neidisch auf meine Köstlichkeiten und hat den Sonnenstrahlen befohlen, meine Aromen zu rauben. Wie dem auch sei, wie kann ich euch helfen?"

Doch bevor der Bote antworten konnte, unterbrach ihn Marcipanus: „Moment, probiert zuerst dieses Stück hier!" Er hielt dem überraschten Mann eine walnussgroße, dunkelbraune Kugel hin. Verstohlen wischte sich dieser zuerst die Hand an der Hose notdürftig sauber, dann nahm er die Kugel und steckte sie in den Mund: „Mhh, das schmeckt ja himm... krrchh!" Noch bevor er seinen Satz beenden konnte explodierte in seinem Mund die Kugel mit brutaler Schärfe,sodass er nur noch keuchen konnte.

Versonnen nickte der Koch: „Jaja, ein traumhaft schöner Anfang und ein sehr unangenehmes Erwachen. Die Schärfe kommt von Khunchomer Pfefferkörnern, die ich drei Monate vor ihrer vollen Reife ernten ließ. Fein zerstoßen sorgen sie für dieses einzigartige Prickeln während der ersten Herzschläge. Leider ist es mir bisher noch nicht gelungen die, nun, pikante Note am Ende zu glätten."

„Krrchhh!!!"

„Vielleicht könnte ich sie ja auch so verkaufen, unter dem Namen, lasst mich überlegen, ... Maraskenkuss! Keine schlechte Idee, gar keine schlechte Idee."

„...!"

„Oh! Verzeiht, ich vergaß! Hier nehmt einen Schluck Milch, das lindert die Schärfe."

Gierig wie ein Verdurstender in der Khom trank der Bote das Kristallglas auf ein Zug aus.

„Nun, Bote, wo ist denn jetzt der Brief?", fragte Marcipanus, eine leichte Nuance Ungeduld in der Stimme.

„Hh... Hier, edler Herr. Von Alrik Herdan von Prailind zu Tannengrund. Man wies mich an, auf die Antwort zu warten.", entgegnete der Kurier.

„Gut, dann wartet im Flur. Versucht, keinem meiner Angestellten im Weg zu stehen! Sobald ich meinen Brief aufgesetzt habe, könnt ihr zurück reiten."

Nachdem der Bote das Arbeitszimmer verlassen hatte, sprintete der Koch zur einen Wand, riss einen schweren Vorhang beiseite und öffnete eine schmale Tür. Mit ungeduldig schnellen Schritten sprang er die enge Treppe hinauf, bis er schließlich sein Schreibzimmer erreicht hatte. Der Raum stellte einen scharfen Kontrast zum Arbeitszimmer dar. Herrschte unten wispernde Dunkelheit vor, so war dieses Zimmer lichtdurchflutet. Durch große Fenster mit Butzenglasscheiben strahlte die Sonne mit aller sommerlichen Kraft in das Zimmer. Jeder freie Platz an den Wänden wurde von hohen Bücherregalen und Aktenschränken eingenommen. Die Schritte wurden von einem dicken, flauschigen Tulamidenteppich gedämpft, dessen türkise und gelbe Musterungen einen angenehmen Kontrast zum dunklen Parkettboden darstellten. Dominiert wurde das ganze Zimmer jedoch durch einen wuchtigen Steineichenschreibtisch, kunstvoll mit Tierhauptschnitzerein verziert. Mit einen Seufzen ließ sich Marcipanus in den abgewetzten und uralt aussehenden Ledersessel sinken, der hinter dem Schreibtisch stand. Er erbrach das Siegel und überflog den Brief. Und las den Brief erneut, die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt. Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht und er entzündete eine Kerze. Vorsichtig hielt er das Pergament an die tanzende Flamme. Das Blatt wellte sich und schließlich, als die Ecken schon rußig-schwarz wurden, schälten sich feine, dunkle Linien aus dem hellen Zwischenraum zwischen den Zeilen. Der Edle las den Text mehrmals konzentriert und runzelte die Stirn: „Alrik, Alrik. Ein riskanter Garadanzug. Wenn das schief geht, kostet es dich den Kopf. Mindestens. Vielleicht sogar dein Seelenheil. Aber, warum eigentlich nicht? Ich schulde dir noch einiges und außerdem: Fortes Fortuna adiuvat." Er hielt er das Pergament mitten ins Feuer. Liebevoll liebkosten Flammenzungen das Schriftstück, tanzten ihren zerstörerischen Reigen mit den Buchstaben bis diese schließlich schwarzverkohltem Vergessen anheim fielen. Als von dem Brief nur noch graue Ascheflocken auf einem Messingteller übrig waren, nickte Marcipanus zufrieden. Aus einer Schublade holte er Pergament, Feder und Tinte hervor und begann schwungvoll eine Antwort aufzusetzen:

„Geschätzter Alrik Herdan von Prailind zu Tannengrund,
Die Pralinés, die du bestelltest, sind, sogar für mich, gar schwierig herzustellen. Doch sei versichert, dass ich mein Menschenmöglichstes tun werde, um sie alsbald vollendet zu haben. Übe dich daher die nächsten Monde in Geduld und ergetze dich bis dato an diesen Köstlichkeiten, die ich mitsende.
Ergebenste Grüße, Marcipanus von Prailind-Storath"

Zufrieden überflog der Confiseur das Schreiben noch einmal, dann runzelte er gedankenversunken die Stirn. Welche Praline passte dazu? Plötzlich stahl sich ein beinahe dämonisches Grinsen in seine Gesichtszüge und halblaut murmelte er: „Maraskenkuss!"


Rondra 1033 BF, Irgendwo in den Tiefen des Reichsforst

Der Reichsforst wisperte erwartungsvoll, als ein leichter Lufthauch die hochsommerlichen Blätter zum Tanzen brachte. Der Wald war von einem diffusen, unwirklich fahlgrünem Dämmerlicht erhellt, der kümmerliche Rest der mittäglichen Sonnenstrahlen, denen der Weg durch die gewaltigen Kronen der Eichen gelungen war. In gut hundert Schritt Entfernung glitzerte ein kleiner Waldsee. Marek Tannhauser gestattete sich ein kurzes Lächeln. Vor mittlerweile einer Woche hatte er in einem einsamen Walddorf davon gehört und seitdem jagte er ihn. Den ‚Silbernen Prinzen’, ein Waldlöwe mit silbrig-weißem Fell, der, wenn er auch nur halb so groß wäre, wie die Dörfler ihm berichtet hatten, immer noch eine großartige Beute wäre. Doch der ‚Prinz’ war geschickt. Tagelang hatte Marek ihm nachgestellt, war seiner Fährte gefolgt, hatte Fallen gestellt und alles nur erdenkliche unternommen, der Bestie habhaft zu werden. Doch immer wenn er ihn fast erreicht hatte, immer kurz bevor er in die Falle gelaufen war, hatte sich die Kreatur ihm entzogen. Endlich, nach sieben anstrengenden Tagen, hatte er ihn aufgespürt. Eine Bogenschussweite entfernt, dort bei dem Waldsee.

Er kniff die Augen zusammen und spannte seinen ganzen Körper an, als er Skrýmnir nahm und einen Schwarzpfeil auf die Sehne legte. Der Kriegsbogen war gänzlich aus dunklem, seltsam ineinander verdrehtem Holz gefertigt, wie es nur in den tiefsten Tiefen des Düstertanns vorkommt. Die Waffe strahlte eine fast körperlich wahrnehmbare Bosheit aus, wobei jedoch eine Kette von sechs Bernsteinen, in die das Zeichen Praios geschnitten war und die sich um das obere Ende rankte, entgegengesetzt beruhigend wirkte. Als er Skrýmnir spannte, staunte er wie beim ersten Mal über den gewaltigen Widerstand, den das Holz ihm entgegenstemmte. Nicht viele Männer würden diesen Bogen überhaupt benutzen können, aber er gehörte dazu. Als er die ächzende Sehne zurückzog (er würde sie bald wieder wechseln müssen), musste er die Zähne aufeinanderbeißen. Winzig kleine Dornen bohrten sich durch den lederumwickelten Griff und stachen seine blanke Hand blutig. Dies war der Preis, den die Waffe forderte, und er zahlte ihn, wie jedes mal zuvor auch schon.

Bogen und Mensch waren beide aufs Äußerste gespannt. Er liebte diesen Moment, die unbändige Kraft der Waffe zu spüren, ihren Drang, Tod und Verderben zu bringen, sein eigener Körper bis an die Belastungsgrenze getrieben. Er verharrte. Die Zeit schien zähflüssig wie Teer. Warmes Blut lief über seine linke Hand. Er atmete aus, der leichte Lufthauch ließ die Befiederung des Pfeils erwartungsvoll zittern. Dann, ehe seine Kraft erlahmte, und als gerade ein Blutstropfen seine Hand verließ, gestattete er dasselbe auch dem Pfeil. Der Bluttropfen fiel. Der Pfeil sirrte durch die Luft. Der Blutstropfen zerplatzte auf einem Stein. Der Pfeil bohrte sich durch das linke Auge des ‚Silbernen Prinzen’ und drang tief in den Schädel der Kreatur ein. Wie vom Blitz getroffen brach sie zusammen. Marek wendete sich den ihn begleitenden Schwarzpfeilen zu: „Bringt mir das Fell dieser Bestie. Sofort.“

„Sehr wohl, Herr Hauptmann! Aber, Herr Hauptmann, wir haben eben Nachricht von Prailind erhalten, er würde Eure Anwesenheit in Junkertum Tannengrund begrüßen.“

„Dann wollen wir unseren Retter nicht zu lange warten lassen! Beeilt euch mit dem verfluchten Pelz! Der wird ein hübsches Mitbringsel für den Junker. Und gnaden Euch die Zwölfe, wenn ihr in ruiniert!“