Geschichten:Flammende Furcht - Alrik Herdans Gespür für Asche

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Dramatis Personae


Ende Praios 1033 BF, im Junkertum Tannengrund, Baronie Tannwirk, Grafschaft Waldstein. Straße.


Alrik Herdan trieb seine Stute an. Wie ein rotleuchtender Blitz donnerte Palinai über die Straße. Das Praiosauge brannte mit unbarmherziger Härte vom strahlend blauen Himmel und die Bosperanien, die in regelmäßigen Abständen den Weg säumten, erschufen ein irisierendes Muster auf den Steinen. Linkerhand wogten goldgelbe Felder im sanften Beleman, immer wieder durchbrochen von Praiosblumen, die gerade in voller Blüte standen. Einige Bauern schauten bewundern von ihren Feldern auf. Den Blick zur rechten Seite, zum Düstertann hin vermied Alrik Herdan.

„Wartet junger Herr, nicht so schnell!", gepresst und atemlos erklang die Stimme seines Gutsverwalters. Gerding von Gesselingen war einfach nicht von den Göttern fürs Reiten vorgesehen: seine Beine erinnerten stark an ein großes X, weswegen er schon große Mühe hatte, sich auch nur in den Sattel zu bewegen. Auch war ein sein Kopf, verglichen mit dem, zugegebenermaßen recht kleinen Körper, überproportional groß. Selbst im Stehen wirkte er ständig so, als würde er vornüber kippen, doch beim Reiten schlingerte sein Kopf und dadurch sein ganzer Oberkörper hin und her, wie ein Schilfrohr im Sturm. Nichtsdestotrotz war er einer der fähigsten Staatsmänner und klügsten Köpfe, die Alrik Herdan kannte.

Er verlangsamte seinen Ritt und gemächlicher setzten die beiden die Reise fort. „Irgendwo dort vorne müsste es sein, wenn es stimmt, was dieser verängstige Bauer mir erzählt hat!", meinte Gerding, der jetzt versuchte eine einigermaßen würdevolle Position auf dem Rücken seinen braunen Gauls einzunehmen. Tatsächlich, nachdem sie die Ringstraße verlassen und für einige Zeit auf einem kleineren Feldweg dem Reichsforst entgegengeritten waren, ereichten sie ihr Ziel. Etwas, das wohl einst ein Feld gewesen war, direkt am Rand des gewaltigen Waldes. Doch von den Ähren und Halmen war nichts mehr übrig. Asche, überall Asche, gleich einem grauen Leichentuch. An manchen stellen schien die Erde selbst verbrannt worden zu sein. Mit einer Mischung aus Neugier und Abscheu im Gesicht sprang der Junker vom Pferd. Die Stiefel knirschten und jeder Schritt wirbelte kleinere, graue Wölkchen auf, als er vorsichtig durch das verbrannte Gebiet schritt, den Boden untersuchend. „Was bei allen Heiligen ...?", murmelte er. Ungefähr in der Mitte der blieb er stehen: „Gesselingen, schaut her, hier ist der Boden regelrecht aufgerissen, wie von einem gewaltigen Pflug. Seltsam." „Eine missglückte Brandrodung vielleicht? Oder ein Blitzschlag?", entgegnete der Verwalter, sichtlich beunruhigt.

„Hm, möglich. Aber nicht sehr überzeugend...", gedankenverloren schritt der junge Mann den Boden ab, so sehr vornübergeneigt, dass seine Nasenspitze rußig-schwarz wurde.

Nach einer Weile richtete er sich auf: „Hier überall ist das Getreide auf dem Feld zu Asche zerfallen, nicht direkt verbrannt, wohlgemerkt. Aber hier", er schritt ein ungefähr dreieckiges Areal ab, „hier ist alles verbrannt. Selbst der Erdboden!" „Zwei unterschiedliche Ursachen?", fragte Gerding zweifelnd. „Durchaus nicht. Zwei unterschiedliche Folgen, aber dieselbe Ursache, vermute ich." Fragend blickte der Verwalter ihn an: „Ihr meint doch nicht ...?" Sein Atem stockte aus Angst vor seiner eigenen Schlussfolgerung.

„Ich bin mir nicht sicher. Wir müssen um jeden Preis verhindern, dass Furcht um sich greift wie ein schleichendes Gift. Dieses Ereignis war vielleicht nur ein kleiner Stein in einem großen See. Wenn wir die Wellen aufhalten, mag es sein, dass es keine Konsequenzen nach sich zieht. Dennoch sollten wir Maßnahmen ergreifen." Alrik Herdans Stimme nahm geschäftigen Ton an. „Primum: Lasst von vertauenswürdigen Leuten die Asche durchsuchen. Dort hinten müssten sich eigentlich verkohlte Knochen befinden. Ich glaube im Dorf Tannengrund sind gerade eine handvoll Schwarzpfeile, sie scheinen die beste Wahl zu sein. Secundum: Befragt persönlich die Bauern der umliegenden Gehöfte, ob sie sonst noch etwas merkwürdiges gesehen haben. Ich vermute, dass irgendjemand seinen Nachbarn oder Ehemann vermisst. Falls dem so sein sollte, notiert alle Aussagen möglichst wortgetreu und lasst mir die Notizen zukommen. Und beschwichtigt die Dörfler. Macht ihnen klar, dass alles in bester Ordnung ist. Tertium: Schickt nach Marek, es könnte gut sein, dass wir seiner Hilfe bedürfen. Ich werde nach Grodanshof reiten, ich muss mich noch um eine andere Sache kümmern. Nandus mit euch!" Mit diesen Worten bestieg er wieder sein Pferd und trieb es zu einem schnellen Trab.

Gerding von Gesselingen seufzte schwer, quälte sich auf den Pferderücken und tat, wie ihm geheißen worden war.


Später, auf Gut Grodanshof

Die Spätnachmittagssonne fiel durch die halbgeöffneten Vorhänge und die geputzten Butzenglasscheiben und in ihren Strahlen tanzen Staubkörner . Doch weder für diese, noch für die wogenden Roggenfelder hinter dem Fenster hatte Alrik Herdan einen Blick übrig. Das Kratzen einer Feder auf Pergament erfüllte den Raum und hochkonzentriert führte der Junker jeden Federstrich. Hätte man ihm über die Schulter gesehen, so hätte sich der Beobachter wohl sehr gewundert. Denn zum einen war das Pergament schon großzügig beschrieben, wohingegen der Federstrich des Mannes, den er wohlweislich im Zwischenraum der Zeilen führte, keinerlei Farbe auf dem Schriftstück hinterließ. Auf dem Schreibtisch standen zwei Tintenfässchen, das eine schwarzbefüllt, das andere jedoch fast randvoll mit einer farblosen Flüssigkeit, in die der junge Mann jetzt seine Feder tauchte. Als er nach einigen Minuten seine hochkonzentrierte Arbeit beendet hatte, betrachtete er zufrieden sein Werk, faltete und siegelte es. Nach einem kurzen Glockenläuten erschien ein Mann in der Tracht der Beilunker Reiter, begleitet von einem Dienstboten, der dem Junker einen Tonkrug voll klaren Wassers brachte. Nach einem dankbaren Nicken zum Diener, wendete er sich dem Boten zu:

„Hier, dieser Brief muss alsbald nach Gareth gebracht werden. Der Empfänger ist Marcipanus von Prailind-Storath, der Chocolatier und Zuckerbäcker. Seine Confiserie ist in Alt-Gareth. Wartet auf seine Antwort und kehrt sobald als möglich zurück!" „Sehr gerne, Wohlgeboren!"

Als der Botenreiter den Raum verlassen hatte, stahl sich ein feines Lächeln auf die Gesichtszüge des Junkers. Der erste Schritt war getan, jetzt hieß es abwarten und die Götter um Beistand und Vergebung zu erflehen. Bald, schon bald ...

Aber zunächst sollte er sich wohl noch einmal diesem merkwürdigen Ereignis vom Morgen zuwenden. Eigentlich blieb nur eine Schlussfolgerung übrig, doch, war es wirklich möglich? Hier, im Herzen des Reichs? Und wo, bei allen Zwölfen, blieb eigentlich Gerding??