Geschichten:Faust des Ostens Teil 8 - Oberste Gedanken

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Perricum, Anfang Boron 1033 BF

Mit nachdenklicher Miene verließ Wallbrord von Löwenhaupt-Berg das Zimmer der markgräflichen Regentin Rimiona Paligan. In der Hand hielt er seine gerade erhaltene Bestallungsurkunde zum neuen Oberst des markgräflichen Garderegiments "Trollpforte", die er zuweilen unschlüssig betrachtete. Beim Verlassen der gräflichen Residenz rekapitulierte er noch einmal die Ereignisse der letzten Wochen, die ihn hierher gebracht hatten.

Damals, nach dem Versagen seines Vorgängers Viburn von Tälerort auf dessen Kriegszug gegen die Trollzacker, war er, für sich wie auch für die übrigen Teilnehmer jenes Zuges, überraschend zum neuen Befehliger der kleinen Streitmacht ernannt worden und hatte diese leidlich erfolgreich und ohne größere Verluste wieder zurückgeführt. Kurz darauf erhielt er eine dringende Depesche aus Perricum, in der der Baron zu Vellberg aufgefordert wurde, sich umgehend bei der Regentin zu melden. Auf dem Weg zu ihr hatte er einen ausführlichen Bericht über den Kriegszug verfaßt, den er ihr übergeben und dann alsbald wieder zurück nach Vellberg reisen wollte; die Stadt Perricum behagte ihm immer noch nicht. In der Residenz angekommen, wurde er nach kurzer Wartezeit zu Rimiona Paligan vorgelassen, die ihn sehr freundlich, für seinen Geschmack fast zu freundlich, begrüßte. Nach einigen scheinbar belanglosen Floskeln sowie etwas Tee und Gebäck kam die Großmutter des Markgrafen zur Sache, ohne daß der Vellberger hätte sagen können, wo die freundliche Unterhaltung endete und das eigentliche Gespräch begann, da Rimiona ihren Plauderton während der gesamten Zusammenkunft beibehielt. Schließlich ergriff er die Initiative, um seinen Bericht abgeben und sich dann möglichst rasch verabschieden zu können. Diese Frau war ihm alles andere als geheuer und schien es geradezu darauf anzulegen, alle Vorurteile über die Raffinesse und Durchtriebenheit der Al´Anfaner Granden zu bestätigen. "Was nun meinen Rapport angeht, so-". "Das hat Zeit, Herr Wallbrord, über die wesentlichen Dinge bin ich ohnehin bereits im Bilde." Wie beiläufig schob sie ein paar Akten an die Seite des Tisches, sodaß an der Stelle nur noch ein einzelnes, allerdings recht umfangreiches, Konvolut zu sehen war, auf dessen Umschlag er, wenngleich auf den Kopf stehend, den Titel 'Angelegenheit Trollzacken/Viburn/Wallbrord' lesen konnte. Entweder die Frau bluffte, oder, was weitaus wahrscheinlicher war, hatte sich bereits von Zuträgern unter den Offizieren des Kriegszuges einen Bericht schicken lassen! Der Baron wurde etwas nervös, da er sich nicht vorstellen konnte, was diese Frau dann von ihm wollte, wenn nicht seinen Rapport. Da ihm Intrigen und verbale Spiegelfechtereien ohnehin nicht lagen, entschloß er sich, die Sache auf den Punkt zu bringen, egal, ob dies im Sinne der für ihn nur schwer durchschaubaren Regentin war oder nicht. "Wenn es nicht um meinen Bericht geht, wie kann ich euch stattdessen zu Diensten sein?" Das Lächeln der Angesprochenen wurde etwas breiter: "Ah, ihr kommt in der Tat schnell auf den Punkt, genau wie es mir zugetragen wurde, sehr schön. Nun, das Regiment 'Trollpforte' hat keinen Kommandeur mehr, denn Oberst Viburn wird seinen Dienst nicht wieder aufnehmen. Die genauen Hintergründe sind hier nicht von Belang, aber ich beabsichtige, Euch als seinen Nachfolger zu bestallen."

Wallbrord hätte sich bei den letzten Worten fast an seinem Tee verschluckt. Diese Entwicklung hatte er nicht erwartet! Er sehnte sich in diesem Augenblick geradezu zurück aufs Schlachtfeld, das ihm so viel mehr lag als das spiegelglatte Parkett der Politik und Intrige.

Mit leicht belegter Stimme entgegnete er: "Verzeiht, Hochwohlgeboren, aber ich hatte vor fünf Götterläufen nicht ohne Grund die Reichsarmee verlassen. Zum ersten bin ich der vielen Kriege und Schlachten überdrüssig geworden und zum zweiten habe ich mich um das mir von Kaiserin Rohaja verliehene Lehen zu kümmern."

"Zum dritten langweilt Ihr euch in Vellberg, das Euch keinerlei Herausforderungen bietet und zum Vierten kann die Verwaltung der nun nicht gerade dicht besiedelten Baronie auch jemand anderes für euch übernehmen", ergänzte Rimiona ansatzlos. "Ich möchte euch diesen Posten aus zweierlei Gründen übertragen: Zum einen, das mag Euch nun schmeicheln, seid ihr ein durchaus fähiger Offizier, auch wenn eure Zeit in Weiden am besten mit dem Wort 'interessant' zu bezeichnen ist", wobei die Regentin wie beiläufig über die besagte Akte strich, zum anderen erscheint es mir politisch klug, dieses Kommando jemandem aus dem Nordteil der Provinz anzuvertrauen, damit beide Landesteile gleichermaßen in der markgräflichen Administration vertreten sind, wodurch sich die Zahl der Kandidaten für diese Position deutlich verringerte. Daß ihr an euren Ansichten über die vielfältige Kultur Perricums noch arbeiten müßt, ist ein Umstand, den ich gewillt bin, in Kauf zu nehmen. Vorerst."

"Und was ist mit Herrn Aldron von Firunslicht? Das ist ein ebenso fähiger und verdienter Offizier, der diese Stellung gleichermaßen ausfüllen könnte.", ergänzte der Baron, dabei bewußt die letzte Bemerkung der Regentin übergehend.

"Wenn ihr bei der Vergabe von Erhöhungen stets auf andere verweist, werdet ihr es nie weit bringen. Aber Ehrgeiz hat man, soweit ich weiß, dem Haus Löwenhaupt auch noch nie unterstellen können." Ohne Wallbrord Gelegenheit zu einer Erwiderung zu geben, fuhr sie fort: "Und was Landvogt Aldron angeht, so muß er Euch nicht bekümmern; für ihn bestehen ebenfalls bereits Pläne. Wie auch immer: Ihr habt eine erste Bewährungsprobe bestanden und ich bin bereit, das Wagnis einzugehen." Wallbrord behagten dieser letzte Satz und die damit verbundenen Implikationen gar nicht, beschränkte sich wohlweislich aber auf ein knappes Kopfnicken als Erwiderung.

Die Regentin öffnete eine Schublade des Tisches, entnahm daraus eine Ledermappe und legte diese direkt vor des Vellbergers Nase. "In der Mappe befindet sich eure Bestallungsurkunde, unterzeichnet und gesiegelt. Ihr habt jetzt genau zwei Möglichkeiten: Entweder ihr nehmt diese Mappe und zeigt, daß ihr weiterhin bereit seid, Verantwortung zu übernehmen oder aber ihr laßt sie liegen und kümmert euch ausschließlich um die nicht weniger ehrenvolle Verwaltung eurer 800-Seelen-Baronie. Ihr müßt euch nicht sofort entscheiden; trinkt doch erst in Ruhe euren Tee aus!"

Wallbrord kam sich mehr und mehr wie eine Fliege vor, die gerade einer Spinne ins Netz gegangen war und nun von ihr eingesponnen wurde. Kein Wunder, daß man ihre Schwester Alara als Schwarze Witwe bezeichnete! Ein wahrer Alptraum! Mit ihrer letzten, wenn auch recht süffisanten, Bemerkung hatte Rimiona allerdings ins Schwarze getroffen. Auch wenn er immer noch eigentlich nur seine Ruhe wollte und keinen großen Elan verspürte, wieder in den Heeresdienst zu treten: Die Vorstellung, sich bis an sein Lebensende nur der Verwaltung seiner in keiner Hinsicht wirklich bedeutenden Baronie zu widmen, behagte ihm nicht wirklich. Außerdem wollte er sich nicht vorstellen, wie diese Frau ein 'Nein' auffassen mochte. So ließ er sich mit dem Leeren der Tasse recht lange Zeit, überlegte intensiv hin und her, bevor er die Mappe letztlich an sich nahm. Rimiona lächelte noch immer: "Ich wußte, daß ihr das Richtige tun würdet. Und natürlich werde ich Euren weiteren Werdegang ebenso aufmerksam verfolgen, wie bisher." Dem frischgebackenen Oberst waren die letzten Worte und die damit verbundene indirekte Drohung völlig klar, was seine ohnehin schon geringe Freude über seine Ernennung noch weiter dämpfte.

Die Regentin erhob sich: "Wie doch die Zeit vergeht! Da haben wir nun so ausgiebig und nett geplaudert, daß ich darüber glatt die Zeit vergessen habe. Sicher habt ihr noch Einiges zu erledigen und ich will Euch nicht länger aufhalten." Der Baron verstand die dahinterstehende Aufforderung durchaus richtig, erhob sich ebenfalls, verbeugte sich kurz und antwortete fast schon mechanisch: "Ich danke euch für diese große Ehre und will versuchen, euren Erwartungen und denen eures erlauchten Enkels gerecht zu werden."

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und in grüblerischer Stimmung wenig später auch die Residenz.