Geschichten:Familienzuwachs – Stolz und Vorurteile

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Burg Schwarzenfels, Peraine 1043

Schweigend blickten die beiden jungen Frauen aus dem Fenster in den Hof hinab. Der erste Blick offenbarte ihr annähernd gleiches Alter, der zweite eine unbestreitbare Ähnlichkeit. Unten im Hof machte sich gerade eine kleine Reisegruppe zu Pferd zum Aufbruch bereit. Unter ihnen auch der Junker, Travinyan von Perainsgarten.

„Noch könnt Ihr Euren Gatte begleiten“, hob die eine von den beiden an und bedachte die andere mit einem sorgenvollen Blick, „Soll ich hinuntereilen und Wohlgeboren bitten zu warten?“

„Schon gut, Sibéal“, winkte die Junkerin da ab, „Ich bleibe. Es ist meine Pflicht zu bleiben. Travinyan ist noch nicht lange genug Junker um Schwarzenfels ohne die seinen zurück lassen zu können. Abgesehen davon...“ Sie schluckte schwer. „... ist es da draußen einfach nicht mehr sicher.“

Der Zofe entfuhr ein kehliges Lachen: „Fürwahr. Wie recht Ihr doch habt.“

„Wenn es selbst die Ritter nach Blut dürstet, wer soll uns denn dann noch schützen?“, wollte sie wissen und blickte Sibéal dabei fragend an, „Wer soll die Menschen denn schützen, wenn selbst die Ritter ihre Tugenden – all ihre Tugenden – plötzlich vergessen zu haben scheinen? Wenn nicht mehr Recht und Gesetz gilt und die Ehre über allem steht, sondern es nur um Blut und noch mehr Blut geht?“

Darauf wusste die Zofe natürlich keine Antwort, zuckte lediglich mit den Schulter und meinte: „Die Schlunder stehen gar nicht schlecht da.“

„Was kümmern mich die Schlunder?“, zischte Isleen leise, „Der Reichsforst blutet aus! Meine... unsere... Heimat blutet aus! Unsere Familie!“

„Wohlgeboren, die Familie Perainsgarten ist nun Eure Familie und Schwarzenfels Eure Heimat.“

„Niemals!“, konnte die Junkerin nur lachen, „Für die Schlunder sind wir Reichsforsterinnen und Reichsforsterinnen werden wird bleiben. Wir werden nie dazugehören. Wir werden immer Fremde bleiben.“ Sie blickte ihre Gegenüber an. „Du bist ein winziges Stück Heimat für mich hier in der Fremde. Ich bin sehr dankbar, dass du mich hier her begleitet hast. Du bist meine einzige Vertraute.“

Nachdenklich nickte Sibéal: „Ihr werdet Euch an Schwarzenfels gewöhnen. Irgendwann werdet Ihr es als Eure Heimat betrachten.“

„Der Schlund wird nie meine Heimat sein“, wisperte Isleen kopfschüttelnd, „Für unsere Kinder wird Schwarzenfels ihre Heimat sein. Sie werden Schlunder sein, so wie auch mein Gatte. Mich macht das aber nicht zu einer. Ich werde Reichsforsterin bleiben. Ich werde immer Reichsforsterin bleiben. So wie auch du.“

„Die Geburt Eures ersten Kindes, des Erben von Schwarzenfels, wird Eure Position hier sichern“, versuchte die Zofe da beruhigend auf ihre Herrin einzuwirken.

„Wenn es denn geboren wird“, meinte die Rían da nur leidvoll und dachte an ihre zurückliegende, kurze Schwangerschaft während Travinyans Abwesenheit zurück.

„Ihr habt Eurem Gatten noch immer nichts gesagt, was damals passiert ist?“

„Er muss es nicht wissen“, unterbrach Isleen sie harsch, „Es genügt, wenn du es weißt. Es wird unser Geheimnis bleiben. Zum Schutze Travinyans. Ein Geheimnis unter zwei Schwestern.“

Sibéal rang sich ein Lächeln ab: „Wie Ihr wünscht, Wohlgeboren. Wie Ihr wünscht.“

Einen Moment war es still.

„Ihr fürchtet Euch, das verstehe ich gut, aber Euer Gatte wird sich stets schützend vor Euch stellen. Er liebt Euch. Ihr seid für ihn das Teuerste und Wichtigste, dass es geben kann. Vor allem jetzt, da sein Zwillingsbruder gefallen ist...“

Nun zuckte Isleen mit den Schultern: „Das mag sein, aber... aber wer ist Travinyan denn schon? Ein einfacher, gerade eben belehnter Junker, mehr nicht. Wie sollte er mich also schützen? Er konnte auch seinen Bruder nicht schützen.“ Betrübt schaute sie drein. „Selbst Graf Drego konnte seine Schwester Lechmin nicht schützen, wie sollte da Travinyan mich schützen können...“ Nachdenklich blickte sie aus dem Fenster hinaus. Die kleine Reisegruppe um ihren Gatten war bereits aufgebrochen. „Das Entsetzliche an der ganzen Sache ist, dass wir für unsere Familie, so wie auch für den restlichen Reichsforst, jetzt Schlunderinnen sind. Schlunderinnen.“ Sie lachte bitter. „Wenn man es genau betrachtet, dann sind wir nirgendwo mehr zugehörig. Vater hat mir das sehr deutlich gemacht. Für ihn sind wir jetzt Schlunderininnen. Für die Schlunder sind wir Reichsforsterinnen.“ Erneut lachte sie. Dieses Mal noch bitterer als zuvor.

„Noch liegt die Kaisermark zwischen uns und dem Reichsforst.“

„Noch“, meinte die Junkerin da, „Dass die Reichsforster gegen Hartsteen ziehen mussten, war den Kaisermärkern wohl bewusst und es scheint ihnen gar egal gewesen zu sein. Lechmins Schicksal scheint ihnen gar egal gewesen zu sein. Sie haben den Streit genutzt und sind hinterrücks eingefallen. Travinyan hat mir erzählt, wie so von uns reden und wie sie ihre Truppen, die unsere Heimat überfallen haben bezeichnen. Sie haben uns angegriffen! Aber weißt du, was sie sagen? Sie brächten Frieden. Frieden durch Krieg? Du kannst dir nicht vorstellen, wie sie von uns reden. Es sind durch und durch verderbte Menschen. Absolut verderbt. Und wie weit sind sie weg, die Kaisermärker?“ Nun blickte sie fragend ihre Zofe an.

„Nicht mal einen Tagesritt“, musste Sibéal eingestehen, „Aber mit dem Schlund haben sie keinen Hader und der Schlund mit ihnen nicht.“

Wieder lachte Isleen: „Ja. Scheint gar als haben Schlunder und Kaisermärker sich abgesprochen, nicht wahr? Als hätten sie Garetien untereinander aufgeteilt. Wir kriegen den Reichsforst und ihr Hartsteen. Göttergefällig, nicht wahr?“ Sie schüttelte ihren Kopf. „Wie perfide muss man sein um das durch diesen Hartsteener ausgelöste Elend für seine Zwecke auszunutzen? Vermutlich waren diese anbahnenden Fehdehandlungen zwischen Schlund und Kaisermark pure Inszenierung um Hartsteen und den Reichsforst in Sicherheit zu wiegen, um sie glauben zu machen, auch der Schlund und die Kaisermark würden demnächst in Fehde liegen.“

„Nun, dennoch glaube ich nicht, dass wir hier in Gefahr sind. Die Kaisermärker mögen gegen den Reichsforst ziehen, aber wir sind hier sicher. Wir sind im Schlund und nicht in der Kaisermark.“

„In Garetien ist niemand mehr sicher“, widersprach die Rían energisch, „Am wenigsten wir, denn wir sind Reichsforsterinnen und Reichsforsterinnen werden wir bleiben und was zählt schon das Leben von zwei Reichsforsterinnen?“