Geschichten:Ein zwiefaches Tsatagsfest zu Rohalsweil

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Rohalsweil, im Rahjamonde

Solch reges Treiben hat das so ruhig gelegene Landschloß Rohalsweil seit langen Jahren nicht mehr gesehen. Oldebor von Weyringhaus, Burggraf der Raulsmark, feierte am zweiten Tag des Rahjamondes die vierfach zwölfte Wiederkehr seines Tsatages. Zu diesem Anlaß fand sich so mancher Adlige Garetiens und Greifenfurts im Anschluß an den Konvent zu Cumrat zum fröhlichen Fest im Norden der Kaiserstadt ein.

Schon am Vorabend der Feier war sich ein kleiner Kreis von Gästen eingetroffen, die dem hauptstädtischen Trubel am Fest der Freuden entgehen wollten. Der Hausherr saß bis spät in die Nacht mit Baron Durin Arodon von Weidenau und Malepartus von Helburg, Baron von Höllenwall, beim Boltanspiel. Im Musikzimmer unterhielt derweil Oldebors Gattin Merisa die anderen Gäste. Munter plauderten Rhodena von Ruchin-Weyringhaus, die Schwiegertochter des Burggrafen, und die gleichfalls von Tsa gesegnete Baronin Gunilde von Dergelstein über künftige Mutterfreuden; Magnata von Helburg, Malepartus’ Schwester, und Gunildes Gemahl Wulfhardt von Hartsteen saßen ebenso dabei wie Yendor Falkwin Limburg, Baron zu Gallstein, mit seiner Gattin und dem Leibmagus.

Der nächste Morgen brachte wahres Praioswetter. Im strahlenden Sonnenschein reisten die Gäste an, die noch in Gareth das Rahjafest gefeiert hatten. Des Burggrafen Tochter Ulinai, erschien in Begleitung ihres Verlobten Duridan von Sighelms Halm, Baronin Thalia von Schnayttach mit ihrem Gatten Ritter Elrigh von Bernstein. Die beiden erfreuten sich besonders an dem Anblick, den das Landschloß ihnen bot. Nicht viel später ritten dann auch Baronin Duridanya von Greifenberg-Rabenmund und Vögtin Giselda von Ochs auf der Mardershöh heran.

Andere hatten wichtige Geschäfte bis zum Tag der Feier in Gareth festgehalten. Baron Erlan von Zankenblatt war mit Baronin Elea von Ruchin, der ehemaligen Reichsrätin für Handel und Wandel, in ein intensives Gespräch über den möglichen Weiterbau des Kaiser-Hal-Kanals vertieft, das sie nicht einmal beim Aussteigen aus der Kutsche unterbrachen. Um praiosgefällige Themen drehte sich das Gespräch zwischen Efferdane von Ehrenstein und Celesto Custodias, dem Inquisitor zu Hartsteen. Viel Stoff für Konversation muß es auch in der Kutsche gegeben haben, in der der garetische Kanzler Praiodan von Luring gemeinsam mit des Burggrafen ältesten Sohn Sigman, Ritter Gerion Sturmfels vom neugegründeten Orden von Rondras Heiligem Zorn und eine junge nordmärkische Junkerin namens Alrike von Herzogenfurth-Schweinsfold gen Rohalsweil fuhren.

Auch die übrigen Kinder des Burggrafen und seiner geliebten Gattin hatten sich inzwischen eingefunden: das Zwillingspaar Ondinai und Orlan ebenso wie der Jüngste, Lassan. Nur der Zweitgeborene Roban hatte lediglich eine Depesche aus Darpatien gesandt; vielleicht wollte er seinem Vater wegen der leidigen Wechsel mit seiner Unterschrift nicht unter die Augen treten.

Am frühen Nachmittag konnte das Fest dann endlich beginnen. Oh, das war ein prächtiges Bild: das Schloß zur Feier des Tages frisch herausgeputzt; es strahlte in den Wappenfarben der Raulsmark mit den hellgelb glasierten Ziegeln und den blauen Fensterrahmen unter dem leuchtendroten Ziegeldach. Davor prangte die saftig grüne Wiese, auf der fleißige Diener die lange Tafel aufgebaut hatten.

Zur Begrüßung trat der Gastgeber vor die Adelsleute. Er wolle nicht viele Worte machen, sagte er zum Auftakt, doch dann sprudelte es doch aus ihm heraus - der Dank an die Götter und von ganzem Herzen auch der Familie. Besonders freute es ihn, daß er zugleich mit seinem Tsafeste gleich zwei Verlobungen auf einmal feiern durfte, denn nicht nur war die Hochzeit zwischen Töchterlein Ulinai und dem Kanzler des Kosch geplant. Vielmehr wurde auf dem Konvent zu Cumrat auch die Verlobung von Macha ni Grainne, Enkelin des Barons zu Weidenau, mit Lassan von Weyringhaus beschlossen. Der junge Mann quittierte die Hochrufe der Gäste mit ein wenig unsicherem Lächeln.

Die Speisen auf dem reichhaltigen Büffet mögen für manchen der Feiernden eine gelinde Überraschung dargestellt haben. Exotische Spezereien suchte man fast vergeblich. Seine Hochgeboren liebt auf seinem Landschloß das rustikale Leben, und so wurden beinahe ausschließlich Speisen aufgetischt, wie sie in der Vierfach Goldenen Au zuhause sind. Langweilig wird dies keinesfalls gewesen sein, denn vom Weizenbrot mit Kürbiskernen über das bezaubernd süße Quittengelee bis zu den erfrischend säuerlichen Rahjanisbeerenküchlein war jede Speise eine exquisite Delikatesse. Blickfang auf der Tafel war die Torte aus kostbarstem Punipan, die das raulsmärkische Wappen zeigte, ein Geschenk des Puniner Landvogtes Ansvin von Al’Muktur, des Vetters des Burggrafen.


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Ob dem Inquisitor Celesto diese profane Darstellung nicht gefiel (denn immerhin soll das Wappen einst Ucuri gezeigt haben, nicht nur einen einfachen Falken), während sich Frau Efferdane einfach die köstliche Torte munden ließ? Leise stritten die beiden miteinander, bis die Dame den Priester stehenließ und ihm für den ganzen Rest der Feier die kalte Schulter zeigte. Der Burggraf bemerkte es nicht, denn er selbst war ins Gespräch mit der Vögtin von Mardershöh vertieft - und auch dort ging man ohne Lächeln auseinander. Als der Gastgeber dann mit seinem Magus sprach, befürchtete so mancher schon, daß eine magische Vorführung zur Belustigung der Gäste geplant sei; das hätten wohl weder Celesto Custodias noch Praiodan von Luring gutgeheißen. Doch die Gefahr bestand nicht, denn der junge Tarlion von Donnerbach ist der magischen Heilkunst zugewandt und nicht der eitlen Präsentation.

Die Gäste hatten den ersten Hunger gestillt, nun war es an der Zeit, die Geschenke zu überreichen. Der Herr von Helburg verehrte dem Burggrafen vier Fässer bester Höllenwaller Eslamsrebe, eines Rotweins aus dem Jahre der Gotterhebung Kaiser Hals. Groß war die Freude, als der Beschenkte das erste Faß gleich zu öffnen hieß - an welchem Tag hätte man solch einen edlen Tropfen auch eher trinken mögen? Auch das Rotbier des Barons von Uslenried war eine willkommene Ergänzung der Tafel, während sein nivesisches Jagdmesser künftig den Rauchsalon zieren wird. Gern hätte Oldebor offensichtlich das Geschenk Baronin Gunildes sofort genutzt; allein, eine Partie „Schlacht von Jergan“ auf dem aus Dergelsteiner Hölzern gedrechselten Spielbrett hätte ihn wohl allzulange den anderen Gästen geraubt. Bei dem kostbaren Greifenberger Blautuch von Baronin Duridanya würde immerhin genug Zeit bleiben, sich über die zukünftige Verwendung Gedanken zu machen. Unter den zahlreichen anderen Gaben soll hier nur noch das rührende Geschenk erwähnt werden, das eine kleine Gruppe tobrischer Flüchtlinge überbrachte. Als Dank für ihre großzügige Aufnahme in der Raulsmark beschenkten sie den Burggrafen mit Tüchlein und Decken, allerfeinst nach Eslamsbrücker Art geklöppelt. Malepartus von Helburg hatte nicht nur dem Gastgeber ein Geschenk mitgebracht. Ein wenig abseits des Trubels überreichte er Ondinai von Weyringhaus-Rabenmund eine kostbare Pretiose: eine mondsilberne Kette, daran eine Jadegemme in Form eines aufrechtgehenden Fuchses. Die ältere Tochter des Burggrafen ließ sich das prachtvolle Schmuckstück sogleich von ihrem Galan anlegen und führte es stolz ihrer jüngeren Schwester vor. Auch der Blick des Vaters ruhte wohlwollend auf seiner Tochter und dem Höllenwaller. Ob er es schon geahnt hatte? Immerhin hatten die beiden Herren sowohl auf Grünwarte als auch zu Cumrat ausgiebig miteinander geplaudert.

Zeit für die Musikanten! Die besten Spielleute der Goldenen Au waren geladen worden, um das Publikum mit fröhlichen Liedern und Tänzen zu unterhalten. Kaum hatte das burggräfliche Paar den blumengeschmückten Tanzboden eröffnet, folgte auch so manch anderer Gast. Magus Tarlion führte eine beeindruckende Schönheit aus dem Gefolge der Vögtin von Mardershöh auf die Tanzfläche, ihre Hofmalerin Lythande. Besonders der Waffenmeister der Baronin zu Schnayttach, Gernot von Rothenborn, erwies sich als begabter Tänzer, der fast jede anwesende Dame wenigstens einmal zum Reigen führte. Selbst die Junkerin Alrike von Herzogenfurth-Schweinsfold ließ sich einmal von dem charmanten Jüngling entführen, obwohl sie wohl die angeregte Konversation mit dem Inquisitor Custodias sichtlich weitaus ersprießlicher fand.

Dem Burggrafen ist zuviel Tanz jedoch zu anstrengend, denn sein rechtes Bein will ihn seit seiner Verletzung in der Ogerschlacht nicht mehr stets zuverlässig tragen. So scherzte er mit Praiodan von Luring und Duridanya von Greifenberg-Rabenmund, wie sie zu Grünwarte eine üble Verschwörung durch ein entspannendes Mahl im Garten der Burg aufzudecken halfen. Gunilde von Dergelstein, die wegen ihres tsagefälligen Zustandes dem Tanz entsagte, lauschte nur mit halbem Lächeln; wohl immer noch trug sie dem tumben Wilderer seine unbedachten Vergleiche nach. Auch der Baron von Gallstein und Melcher Dragendot waren noch nicht soweit, über die bösen Ränke zu schmunzeln, in deren Zentrum auch sie gestanden hatten.

Darum fuhren sie vermutlich auch als erste auf, als vom Tanzboden her ein leiser Schrei - ein Stöhnen eher - und ein dumpfes Poltern ertönten. Mitten im Reigen mit Ritter Gerion war Jungfer Lythande ohnmächtig zusammengesackt, der Herr Sturmfels beugte sich erschrocken zu ihr hinunter. Rasch waren auch der Burggraf, sein Leibmagus und seine Hofmedica Thesia Winsheymer an Ort und Stelle. Mühsam versuchte die junge Lythande sich wieder aufzurappeln; doch als sie noch versicherte, daß ihr nichts fehle, versagten ihr erneut die Beine ihren Dienst. Auf einer mit wenigen Befehlen herbeigeschafften Trage wurde die junge Dame ins Haus hineingebracht. Eine Viertelstunde war die Stimmung auf dem Feste doch eher gedrückt, bis Heilerin und Magus gemeinsam wieder hervortraten und verkündeten, es sei nur eine kleine Unpäßlichkeit und nichts Ernsteres.

Schnell war die gute Laune wieder zurückgekehrt. Besonders gelacht wurde darüber, wie der Burggraf wortreich jegliche weiteren Ambitionen von sich wies. Immerhin hatte so mancher der Anwesenden seinerzeit auf Burg Grünwarte die Versprecher des garetischen Staatsrates gehört, der zunächst Oldebor zum Burggrafen von Kaiserlich Alriksmark ernennen wollte - doch da regiert weise die gute Ginaya von Luring-Gareth - und ihm danach noch den Posten des Ersten Königlichen Rates anzutragen versuchte - das Amt also, das Praiodan von Luring selbst so hervorragend versieht. Nun, Oldebor versicherte der werten Freundin und dem teuren Freunde zum wiederholten Male augenzwinkernd, daß er weder ihr das Lehen noch ihm das Amt abspenstig machen wolle. Viel Gelächter ernteten auch die Erzählungen über die kindlichen Streiche des neuen Burggrafen zur Sighelmsmark während seiner frühen Besuche im Zedernkabinett.

Zunehmend lauter war derweil das Gespräch zwischen Celesto Custodias und Jungfer Alrike geworden. Mit grimmigem Nicken bestärkte die Nordmärkerin, die selbst überaus praiosgläubig ist, den Inquisitor in seinen Ansichten. Bald übertönten seine Worte den Rest der Versammlung: „Es ist an der Zeit, daß Garetien mit einem stählernen Besen ausgekehrt werde! Halbheit und Inkonsequenz ist der Weg ins Verderben, wir haben es doch alle sehen können! Nur einen Pfad gibt es, dem wir folgen dürfen -“, und mit jedem weiteren Zuhörer wurde seine Stimme lauter, gerieten die Sätze mehr und mehr zu einer Predigt.

Burggraf Oldebor hatte schon jene unglückliche Miene aufgesetzt, die er immer dann zur Schau trägt, wenn man in seiner Gegenwart lautstark auf die eigene Ansicht pocht. Auch wenn er selbst ein im höchsten Maße praiosgefälliger Mann ist, so sind ihm Streit und Unfriede doch herzlich zuwider, und darum stimmen ihn auch solche Äußerungen unfroh, von denen er weiß, daß sie nicht jeder in der Runde teilt.

Doch seine Qual fand ein rasches Ende. Gerade hatte der Inquisitor zu seiner grandiosen Schlußwendung angesetzt: „Und welche Orte haben die Invasion des Sphärenschänders unbeschadet überstanden? Ich will es Euch sagen: jene, die den Götterfürsten am höchsten preisen - Beilunk und Jilaskan!“ - Da wisperte eine spöttische Stimme „...und Thorwal!“ Mancher der Umstehenden mußte sich darauf auf die Lippen beißen, die beiden Magier machten sich keine Mühe, ihr Grinsen zu verbergen. Andere schauten eher entsetzt drein. Junkerin Alrike warf Rhodena von Ruchin-Weyringhaus einen finsteren Blick zu, wohl hielt sie diese für die Urheberin des frechen Scherzes. Aber auch deren Mutter Elea von Ruchin schaute mit betonter Unschuldsmiene in die Luft.

Zum Glück, muß man wohl sagen, hatte der Inquisitor den auf ihn gemünzten Witz selbst nicht gehört. Doch hielt er sein Werk für diesen Tag wohl für getan. Mit knappen, doch höflichen Worten verabschiedete er sich vom Gastgeber und machte sich auf den Weg nach Waldfang; zeitig genug, um noch etwas das Tageslicht zu nutzen.


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So ungern man es niederschreibt, mit seiner Abreise zog wieder Frieden in die Versammlung ein, dem anbrechenden lauschigen Frühsommerabend angemessen. Noch immer war die Luft so mild, daß es keinen Grund gab, die Feier in das Schloß hineinzuverlegen. Statt dessen wurden Fackeln in den Boden gesteckt, Windlichter aufgestellt und bunte Lampions an den girlandengeschmückten Stecken um die Tafel herum aufgehängt. Seit geraumer Zeit schon drehte sich ein ganzer Ochse am Spieß. Den Gästen lief wieder das Wasser im Munde zusammen, und so ließen sie sich wieder zu Tische rufen. Der feine Braten mundete den edlen Herrschaften sehr, und sie spülten die Bissen mit süffigem Bier herunter, mit Quittenschnaps und Brombeerlikör. Doch noch einmal wurde die friedliche Stimmung jäh zerrissen.

Mit einem schrillen Schmerzensschrei krümmte sich urplötzlich Baronin Gunilde von Dergelstein zusammen. Sie preßte die Hände an den Bauch; ihr Gemahl saß mit schreckensbleichem Gesicht dabei - ohne Zweifel dachte er an das vergiftete Mahl, das seine geliebte Gattin jüngst in Darpatien verzehrt hatte. Doch die Heilerin Thesia, die sogleich zur Stelle war, erfaßte die Lage mit einem Blick: „Peraine hilf!“, rief sie, „Das Kind - es kommt!“

Schon wurde wieder nach der Trage gerufen, und eilfertige Diener rannten zum Haus. Aber die erfahrene Medica hatte schon bemerkt, daß sie zu spät kommen würden. „So rasch, so rasch“, murmelte sie sorgenvoll, „da stimmt etwas nicht...“

Nun, wenn man die werdende Mutter nicht mehr rechtzeitig in ein Gemach bringen konnte, dann hieß es, ein Gemach um sie zu schaffen. Sanft wurde die Baronin auf den weichen Rasen gebettet, ein Kissen mit tobrischen Klöppelwerk unter dem Kopf, und um sie herum spannten Mägde eine aranische Wand aus dem Greifenberger Blautuch. Draußen standen die Gäste, zu Peraine betend, wie die Medica ihnen aufgetragen hatte. Unter ihnen Wulfhart von Hartsteen, geradezu krank vor Sorge und Angst. Wie Stunden muß es der Festgesellschaft vorgekommen sein, bis endlich das erlösende Geräusch erklang: ein Schrei einer hellen Kinderstimme. Erschöpft und schweißdurchtränkt lugte Frau Winsheymer durch den Spalt zwischen den Stoffbahnen, doch glücklich tat sie kund: „Es ist ein Mädchen! Und Mutter und Kind sind wohlauf.“ Deutlich leiser jedoch bat sie den frischgebackenen Vater in das Separee hinein, denn eine Walpurgasbotschaft hatte sie doch zu überbringen. Wulfhart sah es selbst, als er seiner Tochter zum ersten Mal in die Augen schaute: sogar im Fackelschein war zu erkennen, daß sich Schlieren wie purpurner Nebel durch die Augäpfel zogen - die Kleine war blind geboren. Wulfhart unterdrückte einen Fluch, doch mit leiser Stimme verwünschte er jenen travialästerlichen Darpatier, der damals das Mahl vergiftet hatte. Schon seitdem hatte seine Frau gefürchtet, daß das ungeborene Kind im Mutterleibe Schäden davongetragen haben könnte - und nun zeigte sich, daß ihre Ängste Wirklichkeit geworden waren. Die Medica sagte mit rauher Stimme: „Grämt Euch nicht zu sehr. Es lebt, und das ist mehr, als mancher anderen Mutter geschenkt wird.“ Und tatsächlich schienen diese Worte den Vater etwas zu trösten.

Für die jungen Eltern war schon längst das beste Gästezimmer des Schlosses hergerichtet worden, und sie zogen sich auch bald dorthin zurück, von der Medica begleitet.

Die übrigen Gäste feierten fröhlich weiter - sie wußten ja nichts von jener tragischen Wendung! - bis die Mitternacht lange verstrichen war. Besonders der Gastgeber freute sich sehr über den zwiefachen Tsatag, der aus seinem Fest unverhofft noch geworden war - geradezu großelterlichen Stolz empfanden er und seine Frau Merisa. Als erstes hieß Oldebor seine Gärtner am nächsten Morgen, an der bewußten Stelle auf dem Rasen ein frisches Blumenbeet anzulegen und es mit Blüten in allen Farben des Regenbogens zu bepflanzen, als Dank an Tsa, die ihr Geschenk an so ungewöhnlicher Stelle gewährt hatte.

Doch wie bestürzt war er, als er auch von den traurigen Umständen der Geburt erfuhr! Seine Beileidsbekundungen fanden kaum ein Ende. Zuletzt war es die junge Mutter selbst, die dem Burggrafen dankte und ihn bat, nicht weiter davon zu sprechen. Das, obwohl sie selbst stetig zwischen Mutterglück, Erleichterung und unbändiger Wut zu schwanken schien. Fast wäre in dem ganzen Trubel die arme Lythande vergessen worden. Unglücklicherweise stellte sich heraus, daß es mitnichten eine einfache Erschöpfung war. Vielmehr litt die Künstlerin an einem lange verschleppten Fieber, so daß der Heilmagier eine strikte Ruhe verordnete, bis sie sich wieder genügend erholt habe. Die Vögtin von Mardershöh fügte sich dem Urteil des Heilers und reiste am folgenden Tage ohne Lythande heim.

Selbstverständlich soll die junge Mutter sich zu Rohalsweil erholen, bis sie wieder völlig genesen ist. Neben der Familie des Gastgebers leisten ihr noch die Baronin und der Baron von Schnayttach Gesellschaft, denn auch sie haben gerne das Angebot des Burggrafen angenommen, sich von den Ereignissen der letzten Monde zu erholen. Auch Baron Malepartus blieb noch bis zum Ende der Woche, und es wurde gar ein baldiger Gegenbesuch vereinbart.

Noch ein weiteres merkwürdiges Ereignis rankte sich um die Geburt; ein Gerücht, das in der Dienerschaft rasend schnell die Runde machte und bald auch die Ohren des Burggrafen erreichte. Die Medica hatte die ganze Nacht am Kindsbett gewacht und kein Auge zugetan. Drum kann sich niemand erklären, woher das Armband kam, das am nächsten Morgen das linke Handgelenk des Kindes zierte: ein Band aus nebelgrauer Wolle, durchwirkt mit Silberfäden, die ein Muster aus Fuchsköpfen bilden. Wollen wir hoffen, daß die kleine Jaslina Rohanja von Dergelstein-Hartsteen, künftige Baronin zu Dergelstein, tatsächlich unter Phexens Schutz steht.

Friedwart Wiesenbach, Erster Schreiber des Burggrafen