Geschichten:Eichen fallen - Eichen fällen

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Schloss Ulmenrain, Praios 1037 BF

Waltrude von Borstenfeld betrachtete die Statue aufmerksam von allen Seiten. Ein Jüngling mit Pfeil und Bogen, eine Hirtenkappe auf dem Kopf – fein herausgearbeitet aus weißem Schlunder Marmor, dezent bemalt von kundiger Hand. Das Gesicht von der vorgehaltenen Hand halb verdeckt, die Augen aufgerissen, als hätten sie das Jagdwild gerade gesehen, doch könnte der Jüngling sein Glück nicht fassen. Die lebensgroße Statue stand auf einem Sockel aus rötlichem Marmor und war als Vorbote ihres Vetters am Morgen geliefert worden.

»Schöne Arbeit, Haldor, findest Du nicht?«, fragte die Junkerin ihren Gatten, der sich auf einen gepolsterten Schemel gefläzt hatte. Er hielt sich selten genug in diesem Raum auf – im Arbeitszimmer seiner Gemahlin standen einfach zu viele Bücher, was seinen Geschmack betraf. Er zog lautstark die Nase hoch, versagte sich das Spucken im letzten Augenblick, kratzte sich am stoppeligen Kinn. »Ja. Sehr schön. Wirklich sehr schön. Wozu ist das gut?«

»Ach, Haldor. Das ist echte Kunst, damit können wir das Südvestibül verschönern. Oder den Garten. Das muss eine elfische Arbeit sein, so fein, wie sie geraten ist!« 

»Mitnichten, werte Base!«, erscholl des Pfalzgrafen fröhliche Stimme von der Tür. »Ich freue mich, dass Dir mein Geschenk gefällt!« Parinor von Borstenfeld eilte zu Junkerin Waltrude und umarmte sie halbherzig, ehe er ihrem sich schwerfällig erhebenden Gatten beiläufig die Hand gab.

»Oh ja, es ist zauberhaft, Parinor. Nicht elfisch? Dann zwergisch?« Junkerin Waltrude ließ ihr Hand sanft über den glatten Stein gleiten. »Ein wenig frivol vielleicht: Er trägt ja nichts als seine Kappe!«

»Doch mehr noch, Bäslein. Ich finde immer: Ein Mann ist gut gekleidet, wenn er eine Waffe trägt. Sieh da: Pfeil und Bogen. Die Arbeit ist menschlich, gar zu menschlich. Der Künstler ist ein Meister seines Faches.« Parinor setzte sein wölfisches Grinsen auf. Waltrude wurde sofort misstrauisch.

»Kenne ich den Künstler?«

»Wohl kaum, Trudchen. Er heißt Exkarendel. Meister Exkarendel aus Eslamsgrund. Dieser Jüngling hier ist eine … Auftragsarbeit.« Parinor entließ seinem Mund ein keckerndes Geräusch.

»Mir kommt er irgendwie bekannt vor«, schaltete sich Haldor von Borstenfeld ein, der in Sachen Kunst ein unbeschriebenes Blatt war.

»So?« Parinor blickte erwartungsvoll. »An wen erinnert er dich denn, Haldor?«

»An den Mittleren von Malevinde. An diesen kaiserlichen Knappen. Irgendwie. oder?« Haldor blickte dem Jüngling nun direkt in sein Gesicht. »Würd ich schon sagen. Sieht ihm sogar gruselig ähnlich.«

»Sehr gut, Haldor. Er ist’s!« Parinor brach in lautes Gelächter aus. Waltrude stemmte entrüstet die Arme in die Seite.

»Ich will doch keinen Vierok in meinem Haus, Vetter! Soll sich doch Malevinde eine Statue ihres Sohnes in den Flur stellen! Ich werde das nicht tun. Nimm sie wieder mit!« Mit diesen Worten verließ die Junkerin das Zimmer – ihr Vetter schaffte es stets, ihr Unbehagen einzuflößen.

»Tja - dann nehme ich sie mit. Passt auch gut in meinen neuen Bergfried.« Er wendete sich dem verdutzten Haldor zu. »Gut, Haldor. Jetzt sind wir allein, ich hatte eh vor, mit dir ein Wort zu wechseln. Es geht darum, dass deine Frau so unvorsichtig gewesen ist, dem fetten Sack in Vierok zu stecken, dass wir gedenken, seiner Brut die Baronie abzunehmen, sobald er endlich gestorben ist.«

»Was gibt’s?«, fragte Haldor aufmerksam. Er hatte Parinor schon vor Jahren als wahres Familienoberhaupt anerkannt und so manches Gaunerstück mit ihm gedreht.

»Wie geht’s Rothger? Hat er sich von seinem Sturz erholt?«

»Vollständig. Er hat den ganzen Sommer Holz gehackt, um wieder zu Kräften zu kommen. Wie ein Berserker hat er die Bäume zerheckselt!«

»Na, das trifft sich doch! Um’s Bäume fällen geht es doch«, grinste Parinor, »Eichen, um genau zu sein.«