Geschichten:Eichen fallen - Bäumchen, wechsle dich

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Gut Abelmann, Firun 1037 BF

Die Gruppe Reiter erreichte das große Gut in der Senke am Meiderwald gegen Abend. Praios‘ Antlitz senkte sich auf die Spitzen des Raschtulswalls herab, die den Horizont in weiter Ferne einnahmen, als wollte sich das allsehende Gottesauge lieber nicht ansehen, was hier geschah: Dem Trupp voran ritt ein alter Ritter, der von seienr schweren Rüstung niedergedrückt und von der ungewohnten Wärme in dieser Gegend erschöpft wirkte. Unter dem Helm leuchtete sein Gesicht rot, die schweren Tränensäcke schienen kurz vor dem Platzen. Die Augen blickten böse über das Gut, das von einer sandfarbenen Mauer umgeben war. Dahinter erhoben sich turmartig die Gebäude der Hausherren, alle abgeschlossen mit flachen Dächern, die sich just mit Leben gefüllt hatten: Man beobachtete die Ankömmlinge. Rings um das wehrhafte Gut nisteten die Hütten und Höfe der Freibauern, der nebachotischen Fellachen und Hirten. Einige Gebäude waren im Stil nördlicher Bauten errichtet, das heißt, sie besaßen einen Giebel. Die meisten aber waren aranisch-tulamisch errichtet und ließen den Ankömmlingen den Ort wie eine fremde Welt erscheinen.

Es war eine fremde Welt.

Auch Rothger von Garm fühlte sich fremd hier. Er hatte die Gruppe sicher aus Eslamsgrund hierher geführt, dabei unterstützt von seinem Schwager Haldor, der die Nachhut führte. Zu der Gruppe gehörten neben zwei verschwiegenen Knechten und einer gewissenlosen Amme auch noch Hornbrechta von Karseitz und die Knappin Brindia von Stolzenfurt, beide von Pfalzgraf Parinors Hof. Und natürlich Malwart, das Großmaul, der den ganzen Weg über davon geschwärmt hatte, wie schön es erst werde, wenn er endlich Baron von Vierok sei. Rothger war Malwarts Geplapper überdrüssig. Er hörte es sein ganzes Leben, denn Malwart war sein eigener Sohn.

In einer Sänfte auf einem kräftigen Ross reiste hingegen das Gepäck, dessentwegen Rothger und die anderen die lange Reise zu den Perricumer Borstenfelds überhaupt unternommen hatten. Zwei Waisen, die eine neue Familie finden sollten.

Am Tor zu Gut Abelmann erschienen zwei Gerüstete in glitzernden Ringelpanzern, die zwei verdammt spitze Lanzen in Händen hielten. Zwischen diese trat eine riesige Frau, die ein Kettenhemd trug mit einer Leichtigkeit wie ein Seidenkleid. Sie musterte die Ankömmlinge misstrauisch: »Halt, Ihr Bandä! Was wollt Ihr?«

»Borstenfelds hier, Borstenfelds dort. Wir sind Familie!«, rief Rothger und deutete auf den Wappenrock, den sein Sohn trug. »Ihr müsst Base Veriya sein!«

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Herzlich war das Treffen gewiss nicht, dass die Familie hier zusammenführte, aber Junker Eslam erwies sich als passabler Gastgeber. Selbst von monströser Gestalt hatte er Verständnis dafür, dass seine Verwandtschaft aus der Kaisermark das hiesige Klima nicht gewöhnt war. In Vierok dürfte es zur selben Zeit schneien, während hier am Meiderwald der Winter mild war und sich eigentlich nu durch häufigeres regnen auszeichnete.

»Ich hoffe, Eure Reise verlief angenehm?«, fragte er seine Vettern Haldor und Rothger, obschon beide nur angeheiratet waren. Dennoch wirkten sie wie verwandt mit ihren wulstigen Nacken, den kleinen Augen und den feisten Wangen.

»Die Reise war angenehm, danke. Nur die beiden Blagen gingen mir gehörig auf die Nerven«, erwiderte Haldor und nippte an seinem Würzwein. »Aber was soll man machen: Das ist nun einmal der Wille des Erhabenen: Familienzuwachs auf die besondere Weise.«

Die Männer lachten dreckig, und die Knappin Brindia, die für ihre scharfe Zunge bekannt war, setzte noch drauf: »Gezüchtet wie eine neue Sorte Äpfel: Man pflanzt die Triebe einfach auf einen neuen Stamm!«

Erneut lachte die Schar, die aus den Reisenden und den Albelmänner Borstenfelds bestand. Nur Veriya war nicht anwesend, weil sie erstens die Unterbringung der Gäste arrangierte, zweitens die ›Fracht‹ wegsperrte und drittens den viel zu neugierigen Arnulf von Waltern mit sinnlosen Beschäftigungen ablenkte. Ihr Vorgänger als Vogt des Gutes war nicht eingeweiht in das Spiel.

Junker Eslam erhob sich, um über den Hof auf das gegenüberliegende Gebäude zu sehen, das halb hinter hohen Bäumen verborgen war, die im Sommer erquicklichen Schatten spendeten: die Kemenate.

»Da drüben sind die beiden jetzt. Wir werden sie Alvinya und Alyisha nennen, das klingt so ähnlich wie … egal. Sie werden das alles bald vergessen. Dafür wird meine Schwester schon sorgen. Sie freut sich, endlich Mutter zu sein.«

»Die beiden sind zäh«, erläuterte Malwart kaltblütig. »Sie haben schon am zweiten Tag nicht mehr nach ihren Eltern gerufen, auch wenn sie manchmal schrecklich plärren.«

»Wie lief es?«, fragte die alte Zelda, des Junkers Großmutter, die ihr Gewissen um viele Jahrzehnte überlebt hatte.

»Gut«, antwortete Malwart. »Onkel Rothger hat einen schönen Hinterhalt ausgetüftelt. Als Ritter Caradan mit seiner Familie von der Beerdigung der alten Lamella von Gareth zurückkamen, haben wir sie uns geschnappt. Sowohl Caradan als auch seine Frau haben wir so zurückgelassen, dass jeder denken muss, Ferkinas hätten sie getötet.«

»Und die beiden Mädchen mitgenommen«, ergänzte Hornbrechta von Karseitz. »Man weiß ja, dass die Ferkinas schlimme Dinge mit weißhäutigen Kindern anstellen.«

Wieder lachte die Gruppe.

Rothger von Garm setzt fort: »Na ja, und die Kinder konnten wir schließlich nicht auch umbringen. Fehden sind ein mieses Geschäft, und man macht sich die Finger mit ausreichend viel unschuldigem Blut schmutzig. Aber die Kleinen? Ich bin sehr froh, dass deine Schwester die beiden nimmt und als ihre Töchter groß zieht, Vetter Eslam.«

»Ha ha! Bäumchen, wechsle dich!«, rief Knappin Brinia und sprang auf, um wie wild im Zimmer herumzutanzen.