Geschichten:Edmunds Vermächtnis - Das Kind im Brunnen

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Burg Oberhartsteen, 22. Peraine 1039 BF

Die schwarz-weiß bemalten Fensterläden waren weit aufgerissen worden, so dass gleißendes Licht den tanzenden Staub in der hereinflutenden Frühlingsluft zum Glühen brachte und die bunten Wandbehänge im Quartier des gräflich Hartsteener Truchsess ganz matt aussehen ließ. Von draußen drang der geschäftige Lärm des Wirtschaftshofes von Oberhartsteen in die Stube. Retodan von Hartwalden-Hartsteen lehnte sich zurück und griff nach der feinen Unauer Porzellankanne, die sein Hausdiener wie jeden Morgen auf dem Beistelltisch abgestellt hatte, und goss etwas von dem dampfend herben Getränk in die bereitstehende Tasse. Auch wenn seine Frau diese Angewohnheit nicht billigte, konnte er einfach nicht von dem südländischen Gesöff lassen. Retodan tröstete sich stets damit, dass andere Männer ihr Silber für Frauen, Besäufnisse oder Imanwetten ausgaben, und da fiel seine Leidenschaft für das Getränk aus den bitteren südländischen Bohnen doch kaum ins Gewicht.

Immerhin hatte er es so eingerichtet, dass Korgundis möglichst wenig davon mitbekam, wenn er, wie sie es zu nennen pflegte, seiner Schwäche nach- und sein Geld für derlei flüchtige Genüsse ausgab. Sobald seine Frau also morgens in die Stadt ging, war die richtige Zeit für den Trunk. Er konnte schwören, dass dieser ihm beim Denken half, die Arbeit ging dann immer leichter und schneller von der Hand. Solcherlei beschwingt blätterte der Hartsteener Truchsess durch die eingegangenen Papiere. Die üblichen Bittschriften, Rechnungen, die neueste Ausgabe des Garether Herolds, Listen über die Vorräte, ein Bericht über den Fortgang der Vorbereitungen zur Heerschau in Gallys... Es klopfte an der Tür und auf das energische Herein trat sein Hausdiener Bodar ein.

„Herr, Landvogt Lepel wünscht Euch dringend zu sprechen.“

Retodan stellte die Tasse ab und verzog das Gesicht: „Wie dringend?“

„Sehr dringend, Herr.“

„Na schön“, der Truchsess seufzte. Seit einem dreiviertel Jahr war der Lepel nun zum Missfallen Retodans Landvogt in der Baronie Hartsteen und hatte sich in der Tat als fähiger Verwalter erwiesen. Besonders, was die abgeschottete Baustelle am Natterufer betraf, war dies deutlich geworden. Während der Steinfelde sich kaum im notwendigen Maß für die Details interessierte, hatte Egbert von Lepel das Unternehmen energisch vorangetrieben; entsprechend waren die Arbeiten in diesem Frühjahr schon recht weit fortgeschritten. Viel zu weit für Retodans Geschmack, aber nicht wegen der Brücke an sich, sondern weil der Lepel damit festen Rückhalt am Hartsteener Grafenhof erlangte. Etwas, was der in solchen Dingen sehr sensible, da stets auf seine eigene Position bedachte Schlunder deutlich registrierte. Die Aufmerksamkeit des Grafen war angesichts von dessen Erkrankung ein rares Gut und der Lepel hatte es verstanden, diese Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Das Landvogtes Glatze glänzte im Licht, als dieser sich beim Eintreten in den Arbeitsraum des Truchsess kurz verbeugte. Sein reich mit Silberfäden besticktes grünes Wams war neu und von ausgesuchter Qualität, wie Retodan sofort bemerkte - und viel teurer als sein eigenes.

"Lepel.“

„Truchsess. Seid bedankt, dass Ihr Eure kostbare Zeit mir widmen wollt. Ich weiß, Ihr seid vielbeschäftigt“, säuselte der Hartsteener.

„Aber Ihr sicher nicht minder“, mit einem eingeübten Lächeln bedeutete Retodan seinem Gegenüber Platz zu nehmen.

„Freilich. Und gerade darum muss ich Euch mit folgender Angelegenheit belästigen. Ich komme gerade von der Baustelle in Haldensbrüel“, berichtete der Landvogt, während er sich niederließ, „Da teilt mir Desmerkuppe mit, dass trotz der getroffenen Vorsichtsmaßnahmen vorgestern zwei Bauleute getürmt sind und ich fürchte, dass sie in Wandleth vorstellig werden.“

Retodan hatte Mühe, sich ein triumphierendes Lächeln zu verkneifen. War dem Lepel endlich ein Fehler unterlaufen! Mit besorgter Miene sagte er: „Das ist natürlich bedauerlich. Aber damit musste man wohl früher oder später rechnen, nicht war?“, konnte sich der Truchsess einer Spitze nicht enthalten, „Warum kommt Ihr damit zu mir?“

„Nun, das Kind ist einmal im Brunnen. Gleichwohl: Graf Luidor, der Baron von Rabenbrück, die Reichsstadt Hartsteen und nicht zuletzt Desmerkuppe und Hartweil haben ein berechtigtes Interesse an der Brücke. Es wäre bedauerlich, wenn wir diese Hoffnungen enttäuschten, weil Dinge jetzt in Bewegung geraten, von denen wir keine Kenntnis haben und auf die wir keinen Einfluss ausüben können. Ihr habt Beziehungen an den Schlunder Grafenhof. Könntet Ihr nicht in Erfahrung bringen, was Graf Ingramm über die Brücke weiß, und ob oder was er in dieser Sache plant?“

Des Truchsessen Gedanken rasten. Natürlich hatte er ‚Beziehungen'. Aber wollte er die tatsächlich zugunsten dieses hintersinnigen Geldsacks bei einer solch ungewissen Angelegenheit in die Waagschale werfen? Wenn die Sache gut ausging und er es richtig anstellte, konnte er sich bei Graf Luidor wieder nachdrücklicher in Erinnerung rufen. Ging es aber schief, wäre er - und nicht der Lepel - der erste, den man des Versagens beschuldigen würde. Andererseits, ein Zögern könnte ihm noch schneller falsch ausgelegt werden. Das galt es also tunlichst zu vermeiden: „Ich werde sehen, was ich tun kann. Zum Besten für Hartsteen.“


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22. Per 1039 BF zur morgendlichen Perainestunde
Das Kind im Brunnen
Wie Frauen werfen


Kapitel 7

Zeichen Korgonds
Autor: Steinfelde