Geschichten:Drei Krähen und ein Räblein – Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Ritterherrschaft Praiosborn, Ruine Praiosborn, 10. Boron 1042, Mitten in der Nacht

Ailsa hatte bisher vergeblich versucht Schlaf zu finden. Sie hatte sich von der einen auf die andere Seite gewälzt, hatte mit sich gerungen, hatte sich verflucht, hatte sich eine Närrin gescholten. Hatte sie wirklich geglaubt, dass das hier gut ausgehen würde? So dumm, sie war doch so unendlich dumm. Wie dumm konnte man eigentlich sein?

Dann schlich sie sich hinaus, wohlwissend das auch ihre Schwestern keinen Schlaf finden würden, dass sie sie hören würden. Doch Ailsa konnte nicht mehr länger liegen bleiben. Sie konnte nicht länger untätig in ihrem Bett liegen und warten. Warten auf den Tag. Warten auf ein Wunder. Warten auf... Immerzu nur warten. Warten. Warten. Warten.

Sie ging in den Wald. Ganz allein. Das Madamal stand in einer schmalen Sichel am Himmel. Tauchte alles in ein weiches, aber kaltes Licht. Friedlich lag die Welt da. So friedlich. Und in Ailsa kochte die Wut, brandete der Zorn und sie brüllte: „Warum ihr Götter? Warum tut ihr mir das nur an? Warum? Habt ihr denn kein Erbarmen mit mir? Müsst ihr mich denn immerzu und bei jeder Gelegenheit prüfen?“

Dann nahm sie die Axt und hieb gegen den nächsten Baum, dabei brüllte sie und schrie. Entledigte sich ihrer Wut. Die Wut auf die in Gareth. Die Wut auf ihre Untertanen. Die Wut auf die Götter. Die Wut auf alles und jeden. Und erst als die mächtige Eiche mit einem lauten knacken zu Boden fiel, gab sie sich geschlagen. Sank nassgeschwitzt und atemlos zu Boden und schluchzte und weinte und...

„Du könntest Nale um Hilfe bitten?“, hörte sie da plötzlich die Stimme ihrer jüngeren Schwester hinter sich.

„Kann ich nicht!“, spie Ailsa noch immer zornig hervor, „Wie könnte ich? Sie muss ihren Pass sichern. Dort selber eine Burg errichten und dabei hat ihre Baronie nur wenig mehr als 1.000 Untertanen! Wie könnte ich sie also um Geld bitten? Außerdem ist sie schon wieder schwanger...“

„Und was genau wirfst Du der Amsel denn nun vor?“, wollte die Skaldin wissen und setzte sich auf die umgestürzte Eiche, „Dass sie selbst eine Burg bauen muss oder doch eher, dass sie erneut schwanger ist?“

Das versetzte Ailsa einen kleinen Stich ins Herz. Einen Augenblick verharrte sie regelrecht regungslos und dachte über die Worte ihrer Schwester nach. Doch da schmerzte es nur noch mehr in ihrer Brust. Sie erhob sich und erwiderte erstaunlich ruhig, ja geradezu resignierend: „Nichts werfe ich ihr vor. Es ist nur...“

„Was ist nur?“

„Wie können die uns nur mit... mit den Eichsteinern oder den Vairningenern vergleichen!”, brach es wütend aus ihr heraus, „Wie können die uns einfach alle über einen... über einen einzigen Kamm scheren! Das Haus Eichstein und das Haus Vairningen sind Hochadelsgeschlechter. Hochadelige! Die halten Baronien mit sicherlich je 3.000 Untertanen. 3.000 Untertanen!“

Sie holte einen Moment Atem.

„Klar, die können zu ihren hochgeborenen Verwandten gehen und sich einfach so mal annähernd 10.000 Dukaten leihen oder... schenken lassen, aber was ist mit mir? Mit uns?“, sie lachte kehlig, „Wir Rians haben es nur zu popeligen albernischen Junkern gebracht und das Junkergut unserer lieben Base hat eben auch nur 150 Untertanen...“

„Ich weiß“, erwiderte Scanlail sanftmütig.

„Und warum - bei allen Zwölfen - bleibst Du dann so ruhig?“, fuhr sie ihre Schwester an, „Wie kannst Du da... da so ruhig bleiben? Erst spucken die da oben größe Töne und dann lässt man uns im Regen stehen! Wir sollen die Brache bewachen, die Menschen schützen, aber... aber... am Besten wäre es denen da oben wohl noch, wenn wir dafür zahlen würden uns hier unseren Hintern von irgendwelchen Dämonen aufreißen zu lassen!“

Die Skaldin schmunzelte: „Och, irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass die so ein Angebot ablehnen würden...“

„Was glauben die denn eigentlich?“, echauf­fie­rte die Reichsritterin sich da weiter und schien die Worte ihrer Schwester gar nicht wahrgenommen zu haben, „Dass man mit unglaublichen 70 Untertanen eine Burg bauen und deren Unterhalt, sowie ausreichend Kämpfer bezahlen kann? Wie, bei allen zwölf Göttern, stellen die da oben sich das eigentlich vor? Und wenn was passiert, wem glaubst Du, reißen die dann den Hintern auf?“

„Dir natürlich!“, erwidere Scanlail da, „Nach oben schleimen und nach unten treten - kennst Du doch, ist überall dasselbe.“

„Ich weiß einfach nicht, woher ich das Geld bekommen soll...“, Ailsa schien aufrichtig verzweifelt zu sein, „Ich weiß es einfach nicht! So sehr ich mich auch mühe, ich finde keine Lösung...“

„Aber wenn ich den Rhodensteiner recht verstanden habe, brauchst Du ja nicht alles auf einmal und schon gar nicht sofort.”

„Ja, das schon, aber... aber... aber drei viertel... drei viertel der Summe brauche ich auf jeden Fall und ja, ich brauche es nicht sofort, aber... aber... irgendwann wollen wir ja auch irgendwo wohnen und... und...“

„Und wenn... wenn Du Dir den Rest einfach leihst?“

„Von wem denn?“, die Ritterin schüttelte verständnislos ihren Kopf, „Und was sollte ich als Sicherheit bieten? Dieses popelige Lehen hier etwa? Wenn ich nicht mehr da bin, fällt es zurück, taugt also nicht als Sicherheit. Abgesehen davon, dass ich die knappen 10.000 Dukaten niemals zurückzahlen können würde, nicht in meinem ganzen Leben.“

Die Skaldin nickte verständnisvoll: „Aber... aber jetzt aufgeben ist doch nun wirklich keine Option, weiße Lilie! Das Haus Rian hat noch nie aufgegeben. Und ist es nicht genau das, was uns von allen anderen unterscheidet? Wir werden doch wohl eine Lösung finden. Es geht hier doch nur um Geld.“

„Nur“, schnaubte Ailsa verächtlich, „Nur“

„Und was ist, wenn du ihn bittest?“

Ihn?“, wiederholte die Reichsritterin da und glaubte kaum ihren Ohren zu trauen, “Hast Du das gerade wirklich vorgeschlagen? Hab ich da gerade richtig gehört? Du schlägst vor, dass ich ihn fragen soll? IHN?“ Sie lachte. „Ihr wisst doch wirklich nicht was ihr wollt. Die ganze Zeit warnt ihr mich vor ihm, die ganze Zeit. Er benutzte mich nur, er täte mir nicht gut, früher oder später käme das ohnehin alles raus und... und jetzt soll ich ihn fragen?“

Sie drehte sich zu ihrer Schwester und schaute sie direkte an.

„Das letzte mal, als wir über ihn gesprochen haben, da habt ihr noch so getan, als würde er sich an MIR vergehen!“

„Das haben wir“, räumte Scanlail ohne umschweife ein, „Und für uns, weiße Lilie, tut er das auch. Er vergeht sich an Dir. Jedes einzelne mal. Und das immer wieder.“

Da konnte Ailsa nur verächtlich schnauben: „Ihr seid doch echt das le...“

„Ich meine: Was erhoffst Du Dir von ihm?“

„Nichts!“, erwiderte die Ritterin da harsch, „Ich erhoffe mir nichts, ich erträume mir nichts, es ist einfach was es ist und es ist gut so. Wir haben keinerlei Verpflichtungen einander gegenüber, wir schulden uns nichts, wir sind in diesem Augenblick einfach nur, wir leben, wir atmen, wir fühlen, wir schmecken, wir riechen, wir... verstehst Du das denn nicht?“

Scanlail schaute sie einfach nur an.

„Und ich habe es einfach satt, dass ihr ständig so schlecht über ihn redet...“

„Aber Du hast doch nichts davon!“

„Doch!“, stellte Ailsa da klar, „Ich hab Spaß! Und er im Übrigen auch!“

Die Skaldin holte Atem: „Aber diese Beziehung führt doch zu nichts.“

„Wie oft denn noch: Es ist keine Beziehung! Wenn wir uns treffen und sich die Gelegenheit ergibt, dann schlafen wir miteinander, na und? Was ist schon dabei?“

„Ich denke, dass Du sehr wohl weißt, wo das Problem liegt, aber...“, sie zuckte mit den Schultern, „Ich würde dir ja auch zustimmen. Normalerweise. Doch das Machtgefälle zwischen euch ist einfach zu groß. So etwas kann auf Dauer nicht gut gehen. Ich will einfach nur nicht, dass Du Deinen Kopf verlierst...“

„Bei meinem dicken Hals?“, spottete Ailsa da, deren Hals nicht dicker war, als der ihrer Schwestern, also genau genommen ganz normal, sogar eher schmal, „Keine Sorge. Mein Kopf kommt mir nicht so schnell abhanden.“

Das entlockte Scanlail ein Lächeln, ehe sie wissen wollte: „Was hält Dich also davon ab, ihn um Hilfe zu bitten? Mehr als Nein sagen, kann er doch auch nicht. Was hast Du zu verlieren?“

Nun war es die Ritterin, die lachte: „Und wie stellst Du Dir das genau vor, thorwalsche Rose? Soll ich ihm einen Brief schreiben? Am Besten mit Verweis auf unsere gemeinsamen Liebesabenteuer und ihn einfach genauso unterzeichnen, wie ich es bei jedem anderen Brief auch tue?“

Vorwurfsvoll blickte die Skaldin ihre Schwester nun an: „Natürlich nicht. Denk doch mal nach!“

„Denk Du doch mal nach! Und denk mal weiter!“, griff diese da auf, „Erstens weiß ich nicht einmal, wo er gerade ist. Zweitens habe ich keine Ahnung, wie ich ihn kontaktieren soll, ohne dass das Fragen aufwirft. Drittens müsste er gewillt sein mir zu helfen, also mir etwas zu leihen, was ich ihm niemals werde in vollem Umfang zurück geben können und für das ich ihm auch keine Gegenleistung anbieten kann. Viertens müsste er diese Ausgabe dann für eine andere ausgeben, weil es sonst allzu offensichtlich wäre. Und fünftens...“

„... bist Du zu stolz, um ihn um etwas zu bitten“, schloss Scanlail schwermütig, „Und was willst Du dann tun? Auf ein Wunder warten?“

„Vielleicht kann ich ja den Klosterforst für 10.000 Dukaten an das Kloster verschachern, was meinst Du?“, zeiget Ailsa Humor.

„Hm“, machte die Skaldin da allerdings nur, „Mal ehrlich, Ailsa. Es ist für mich ein Leichtes ihn ausfindig zu machen und so zu kontaktieren, dass es keinerlei Aufsehen erregt. Ist nicht das ersten Mal, dass ich so etwas tue. Ganz abgesehen davon, dass ich sehr wohl glaube, dass es genug Anreiz für ihn sein dürfte, sich hier im Winter keinen kalten Hinter beim nächsten Stelldichein mit dir zu holen...“

Die Ritterin setzte sich resigniert neben ihre Schwester: „Wie sieht das denn aus, wenn ich meine Schwester vorschicke?“

„Klug!“, erwiderte diese, „Äußerst klug! Stellt sich nur noch die Frage, ob Du das auch willst, weiße Lilie?“

Ailsa schluckte.