Geschichten:Drei Krähen und ein Räblein – Zarte Bande

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Ritterherrschaft Praiosborn, 30. Rondra 1042

„Den Zwölfen zum Gruße, Frau Reichsritterin“, grüßte das Mädchen mit ihrer lieblichen Kinderstimme von Weitem und winkte Ailsa eifrig zu.

Die Ritterin war arg verdutzt, ließ aber Sadhbh langsamer werden. Bisher war sie immer diejenige gewesen, die ihre Untertanen ansprechen musste, weil sie sonst überhaupt nichts sagten. Sie waren ihr gegenüber wenig redselig, ließen sich alles aus der Nase ziehen und waren ohnehin ihr und ihren Schwestern gegenüber sehr feindselig gesinnt.

Das Mädchen kam einige Schritte näher, hielt aber Distanz zu Ailsa. Hinter ihr folgten einige blökende Schafe.

„Die Zwölfe auch mit dir“, erwiderte Ailsa mit lauter Stimme, „Gehören die Schafe zu dir?“

„Ja, sie gehören zu mir“, erwiderte das Mädchen nickend, „Kann ich sie hier lassen?“

Verdutzt blickt die Ritterin auf das Mädchen, dann auf die Schafe, dann auf das in Sichtweite befindliche Zeltlager nahe der Ruine Praiosborn, dann wieder auf das Mädchen, auf die Schafe und...

„Ach“, das Mädchen schlug sich mit der Hand gegen die Stirn, „Der Hund passt natürlich solange auf sie auf, bis ich wieder da... ähm... also... hm... ist ihro Gnaden Nurinai da?“

„Ihro Gnaden Nurinai...“, Ailsa musste obgleich der Anrede schmunzeln, „Dann bist du also Nella Rosna, die junge Schäferin, nicht wahr?“

„Dann hat Eure Schwester Euch von mir erzählt?“, wollte das Mädchen aufgeregt wissen.

Die Ritterin nickte langsam: „Wie geht es dem Schaf?“

„Hervorragend!“, erwiderte das Mädchen eifrig nickend und ihre tiefbraunen Augen begannen merkwürdig zu glänzen, „Aber wäre Eure Schwester nicht gewesen, wäre es verblutet, alleine hätte ich sie nicht verbinden und festhalten können. So ein ausgewachsenes Schaf wiegt ja bestimmt... hmm... zehnmal so viel wie ich!“

Ailsa guckte ein bisschen ungläubig auf die Schafe. Die Schätzung erschien ihr ein wenig unrealistisch.

„Und da hinten...“, Nella zeigte irgendwo in die Schafherde hinein, „Da hinten ist es und es geht ihr so gut, als wäre nie etwas gewesen. Seht Ihr es? Es ist das mit dem verkrusteten Blut am Maul.“

„Ähm...“, machte die Ritterin auf ihrem Pferd, weil für sie die Schafe irgendwie alle gleich aussahen, eines wie das andere, „Nicht... hm... direkt.“

Nun war es Nella die ein bisschen verwirrt guckte.

„Kann ich sie hier lassen, Frau Reichsritterin?“, fragte das Mädchen erneut, „Sie mögen das Gras hier lieber, es ist saftig und grün. Je näher man der Brache kommt, desto struppiger wird es. Da steht nur noch so dürres Zeug, das mögen sie gar nicht gerne.“ Und sie setzte erneut erklärend hinzu: „Der Hund passt auch auf sie auf.“

„Wenn sie nicht das ganze Gras für unsere Pferde wegfressen“, lachte Ailsa.

„Seid unbesorgt!“, winkte das Mädchen da ab, „Die werden noch genug für Beißi und Mors übrig lassen.“

Ailsa wollte etwas erwidern, machte den Mund auch auf, aber irgendwie kam nichts heraus, weswegen sie ihn einfach wieder zuklappte.

„Ist das Beißi?“, wollte das Mädchen neugierig wissen und setzte seufzend hinzu: „Sie sieht wirklich toll aus! So einen Grauschimmel hätte ich auch gerne...“

„Das ist Sadhbh“, erwiderte Ailsa da.

„SAIF?“, versuchte Nella den Namen zu wiederholen, „SAIF. SAI... was soll das denn überhaupt für ein Name sein?“

Erneut schmunzelte die Ritterin: „Das ist ein albernischer Name. Er bedeutet lieblich oder auch schön.“

„Na, dann passt der Name ja“, lachte das Mädchen, „Schön ist sie nämlich. Sehr schön sogar. Ich hab noch nie so ein schönes Pferd gesehen. Und was ist mit Beißi?“

„Der ist da drüben bei den anderen Pferden“, Ailsa deutet auf das Zeltlager nahe der Ruine Praiosborn.

„Ja, wie viele Pferde habt Ihr denn eigentlich?“, wollte Nella pikiert wissen.

„Sieben.“

„Sieben Pferde?“, das Mädchen schüttelte ungläubig ihren Kopf, „Sieben? Warum denn so viele? Fressen die Euch nicht die Haare vom Kopf? Ich meine, wir haben zwei und der Donnerhof ist der größte Hof hier und bei uns ziehen sie die Kutsche oder pflügen die Felder... Ahhhhh, für jeden Wochentag eines, richtig?“

„So... hm... ähnlich“, redete sich Ailsa heraus, „Möchtest du nun zu meiner Schwester? Ihro Gnaden Nurinai?“

Nella guckte etwas bedröppelt drein: „Ähm... ja?“

„Na, dann komm mit!“, forderte Ailsa sie auf und gab ihrer Stute das Zeichen zum Aufbruch. Im Schritt näherte sich die Reiterin dem Zeltlager.

Das Mädchen pfiff, schaute dem Hund dabei zu, wie er um die Schafe lief, dann eilte sie der Ritterin hinterher: „Ich hab allen gesagt, dass Eure Schwester mir geholfen hat. Ich hab ihnen gesagt, wer so eine nette Schwester hat, der kann kein schlechter Mensch sein. Aber sie haben mir nicht zugehört...“

„Die großen Leute, Nella“, erwiderte sie da und klang dabei so sehr nach ihrer Schwester Scanlail, dass sie sich selbst wunderte, “Die hören einem nie zu.“

„Aber Ihr, Ihr habt mir zugehört!“, widersprach die junge Schäferin.

„Ich bin ja auch eine freie Albernierin.“