Geschichten:Drei Krähen und ein Räblein – Vorahnung

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Ritterherrschaft Praiosborn, 13. Boron 1042

„Ich muss nachdenken“, Ailsa starrte auf die Brache hinaus - ödes Land, verkrüppelte Bäume, dürre Halme und dennoch war da etwas, was ihren Blick auf sich zog. Etwas, das sie nicht benennen hätte können. Etwas Unheimliches. Etwas Bedrohliches. Etwas Furchterregendes. Als würde dort draußen etwas herumschleichen. Da, irgendwo in der Ferne. Da, irgendwo in der Dämmerung.

„Es ist wegen dem Boten, nicht wahr?“, hob Nella zaghaft an, während ihre Schafe leise blökten und Beithir sich am grünen Gras gütlich tat. Vor geraumer Zeit hatte sie sich ungefragt neben Ailsa gesetzt und bis jetzt geschwiegen.

„Hat er denn keine guten Nachrichten von Schloss Sonnentor gebracht?“

Da schnaubte die Ritterin verächtlich. Das Streitross schaute kurz zu seiner Reiterin hinüber, wandte sich dann aber wieder seiner Mahlzeit zu. „So könnte man es sagen. Eine halbgute Nachricht ist halt immer auch eine halbschlechte. Aber... wie kommst du darauf?“

„In Praiosborn bleibt nichts Geheim“, Nella zuckte mit den Schultern, „Sagt meine Mutter.“

„Deine Mutter scheint eine kluge Frau zu sein“, erwiderte Ailsa ruhig, „Da frage ich mich nur, warum alles vor mir geheim bleibt...“

Dazu schwieg Nella und schaute etwas betreten drein, während die Reichsritterin erneut in die Brache hinaus starrte. Die Dämmerung schritt eilig voran.

„Was werdet Ihr jetzt tun, Frau Reichsritterin? Werdet Ihr bleiben?“

„Klar!“, erwiderte diese, „Den Triumph gönne ich euch nicht. Eher gehe ich elendig zugrunde.“

„Das ist gut...“, hob das Mädchen an, erkannte aber sogleich, dass ihre Worte falsch verstanden werden hätten können, „... also, dass Ihr nicht wieder gehen wollt. Ich finde es nämlich schön, dass Ihr da seid. Das ist gut.“

„Da scheinst du allerdings die Einzige zu sein...“

Nun starrten beide in die Brache hinaus. Die Schafe blökten leise.

„Weißt Du, was mich am meisten kränkt?“, platzte es da plötzlich aus Ailsa heraus. Beithir drehte die Ohren und lauschte einen Augenblick. „Es ist nicht etwa die Tatsache, dass sie mir nur die Hälfte der finanziellen Mittel zugestehen, die ich angefragt habe. Es ist die Tatsache, dass die da auf Schloss Sonnentor noch nicht einmal in der Lage sind sich meinen Namen zu merken!“ Sie holte Atem. „Die haben mich Alisa genannt! Alisa! Dabei heiße ich Ailsa! Ailsa! AILSA! Das ist doch wirklich nicht so schwer!“

„Albernische Namen sind aber auch schw...“

„Unsinn!“, schnitt Ailsa ihr das Wort ab, „Verfluchter Unsinn! Es reichte den hohen Herren wohl nicht mir ihre Herablassung alleine dadurch zu zeigen, dass sie mir nur die Hälfte der finanziellen Mittel zur Verfügung stellen! Nein, es musste noch ein bisschen mehr sein! Und was könnte es Schlimmeres geben, als...“

In einiger Entfernung stand im schummerigen Licht der Dämmerung der Hütehund und bellte wie verrückt die Brache an. Ailsa lief ein kalter Schauer den Rücken hinab. Bereits den ganzen Tag über hatte ihr linker kleiner Finger gejuckt oder viel mehr juckte das, was noch davon übrig war, denn seit dem Heerzug gegen Haffax fehlte ihr das letzte Fingerglied - ein Makel, den sie stets mit einem Handschuh verbarg - und an seine statt war ein untrüglicher Sinn für Gefahr getreten.

„Alrik!“, rief Nella energisch, „Alrik! Hör auf damit! Sei still!“

Ailsa stand auf, nahm ihre Orknase in die Hände und wies die junge Schäferin an: „Du bleibst hinter mir, hast du das verstanden? Da draußen ist etwas...“

Da verstummte der Hund urplötzlich. Es war still. Totenstill. Auch die Schafe waren still. Es war so still, dass Ailsa ihren eigenen Atem, ihren eigenen Herzschlag hören konnte. Ihre Kehle wurde trocken. Schweiß trat auf ihre Stirn. Jede Faser ihres Körpers spannte sich schmerzhaft an. Sie fühlte das Gewicht ihrer Orknase in ihren Händen.

Der Hund ging eingeschüchtert einige Schritte rückwärts. Presste sich auf den Boden. Ganz dicht auf dem Boden. Als wolle er darin versinken. Und er zitterte. Zitterte so sehr, dass selbst Ailsa es sehen konnte. Und ihr Atem ging schneller. Sie wartete. Und wartete. Und wartete. Doch es passierte nichts. Es wurde nur immer dunkler, sie wurde immer unruhiger und das Jucken in ihrem Finger wurde immer schlimmer.

Da brach etwas aus der Finsternis der Brache heraus. Etwas Großes. Etwas Dunkles. Etwas Knurrendes. Etwas Mächtiges. Es sprang auf den Hund zu, packte ihn und warf ihn herum. Schmerzerfüllt jaulte dieser, schlug mit einem dumpfen Knall auf den Boden auf und blieb liegen, während sein Angreifer weiter in das Lehen der Reichsritterin hinein lief. Und die Reichsritterin hinterher.