Geschichten:Drei Krähen und ein Räblein – Der Beißi und das Biest

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Ritterherrschaft Praiosborn, 13. Boron 1042

Der helle Schrei eines Kindes hallte durch die Finsternis. Ailsa blieb stehen. Schaute sich um. Die Praiosscheibe war gerade vollständig hinter dem Horizont verschwunden und das wenige, noch verbliebene Licht würde ihm auch bald folgen.

„Scheiße“, entfuhr es der Albernierin da, „Nella. Nella!“

Sie lief. Lief zurück. So schnell sie konnte. Folgte den Schreien. Nellas Schreien. Sie schmeckte Blut. Der metallische Geschmack lag auf ihrer Zunge. Wie sie ihn hasste!

Nella kauerte auf dem Boden. Schluchzend. Weinend. Schreiend. Mit blutverschmierten Händen strich sie ihrem Hund zaghaft über den Kopf. Immer wieder und wieder. Ihre Tränen tropften auf ihren Begleiter herab, mischten sich mit dessen Blut. Aus den braunen Augen des Tieres war jeglicher Glanz und jegliche Wärme gewichen. Starr und ausdruckslos waren sie. Kalt und tot. Ailsa schluckte und ließ ihren Blick weiter an dem Tier herunter wandern. Weiter an Alrik herab: In seiner rechten Seite klaffte ein riesiges Loch. Die Rippen fehlten. Einfach herausgebissen. Das Rückgrat teilweise freigelegt. Das Weiß des Knochens geradezu unschuldig schimmernd. Dazwischen Blut und zerrissene Gedärme.

Ailsa fuhr sich mit ihrer Zunge über ihre trockenen Lippen. Der metallische Geschmack wurde unerträglich. Ihr Blick glitt gerade zu Nella, da hörte sie das Knurren zum ersten Mal. Sie wandte sich um. Blickte in die Finsternis. Glaubte einen dunklen Schatten zu sehen. Ein paar rötlich glimmender Augen. Ein erneutes Knurren. Dann bewegte sich die Kreatur. Der Schatten wurde schneller und schneller. Hatte Ailsa fixiert. Sie riss ihre Orknase zur Verteidigung nach oben und lief dem Schatten entgegen. Sie lief und lief. Machte sich für den ersten Schlag bereit. Den entscheidenden Schlag. Holte aus und… da traf etwas großes Graues das Untier mit voller Wucht von der Seite und schleuderte es unter schmerzerfülltem Jaulen in die Finsternis.

Ailsa riss es beinahe von den Füßen. Das Graue war so nahe gewesen. Sie hatte den Luftzug auf ihrer Haut gespürt. Sie kam zum Stehen. Versuchte auszumachen, was da gerade eben geschehen war. Rang um Atem. Um Fassung. Ihr Oknase noch immer in ihren Händen. In der Ferne ein grauer Schimmer. In der Ferne das rötliche Paar Augen. Dann ein Wiehern.

Beithir?“, wisperte Ailsa ein wenig ungläubig in die Dunkelheit hinein, die immer dichter zu werden schien. Wieder war da ein Knurren. Das Streitross schnaubte. Dann prallten zwei Körper aufeinander.

Beithir!“, rief die Ritterin ihr Pferd und befahl: „Maraigh!“

Und die Finsternis um sie herum wurde zunehmend dunkler. Sie eilte an die Seite von Nella und hoffte, dass die brachiale Gewalt ihres treuen Begleiters, das Untier tötete oder doch zumindest in die Flucht schlug. Mittlerweile war es so dunkel, dass sie nicht einmal mehr ihre eigene Hand vor Augen sehen konnte. Aber sie konnte die beiden Kontrahenten einen erbitterten Kampf führen hören. Und sie konnte nur hoffen, dass Beithir sich durchsetzte. Sie sprach ein stummes Stoßgebet.

Dazwischen hörte sie immer wieder Nella. Wie sie schluchzte. Wie sie weinte. Wie sie trauerte. „Das... das war...“, ihre Stimme brach, „... ein Wolf. Es war... ein Wolf.“

„Ein Wolf?“, fragte die Ritterin da ungläubig, „Das war doch... kein Wolf!“

„Doch!“, erwiderte Nella tonlos, „Doch! Ich hab’s genau ge...“

Trenner Garetien.svg

Die restliche Nacht suchten die drei Schwester nach dem Untier, während Lorine Beithir zurück in das kleine Lager brachte und unter Lonáns Anleitung seine Wunden versorgte. Doch sie fanden es nicht. Fanden nur die Spuren, die es zurückgelassen hatte: Riesige Prankenabdrücke und seine Opfer. Mors fand sie alle. Mit ihrem geradezu unbeirrbaren Sinn für den Tod fand sie sie alle. Die gerissenen Schafe, denen das Biest die Bäuche aufgerissen hatte um an die Innereien und Organe zu gelangen und jene, die es wohl nur aus reinem Blutdurst angegriffen hatte.

Als die Praiosscheibe sich wieder zeigte, hatten sie alle 24 Tiere gefunden. Fünf waren da bereits tot gewesen, von manchen war nicht mehr als der Kopf und ein winziger Teil des Rückgrats übrig geblieben. Weitere sechs waren so schwer verletzt, dass es besser war, sie den anderen nachzuschicken. Um den Rest kümmert sich Nurinai so gut sie konnte, aber auch sie konnte keine Wunder vollbringen.

Die Bilanz erschreckte sie jedoch alle: Ausgerechnet dreizehn Tiere waren übrig geblieben...