Geschichten:Drei Krähen und ein Räblein – Das, was bleibt

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Ritterherrschaft Praiosborn, Ruine Praiosborn, 26. Rondra 1042

„Du hast sie auch wieder erkannt, nicht wahr?“, hörte sie Nurinais Stimme hinter sich.

Ailsa wandte sich nicht um, sondern blickte zum Horizont hinauf. In einer leuchtenden Sichel stand das Madamal da. „In meinem Traum...“, hob sie unerträglich langsam an, „...da war es voll und es lag... Schnee. Schnee auf den Mauern. Auf diesen Mauern.“

Nurinai nickte: „Ich hab es gleich erkannt, aber ich wollte nicht glauben...“

„Wie kann das sein?“, wisperte Ailsa da schaudernd, „Wie kann es sein, dass ich davon träume? Von dieser Ruine träume? Ich hab sie noch nie gesehen. Noch nie...“

„Er hat Dir einen Blick in die Zukunft gewährt, weiße Lilie. Du solltest Dich glücklich schätzen. Es sind Wenige, denen ER diese Gunst zuteil werden lässt...“, Neid schwang in ihrer Stimme mit.

„Doch welche Zukunft hat er mir gezeigt?“, nun wandte sie sich zu ihrer Schwester um, „Meine eigene?“

Die Geweihte hielt dem Blick ihrer Schwester stand. „Ja und nein. Die Ruine war eindeutig diese hier, aber das Kind dort in der Wiege...“, sie deutete irgendwo in die Dunkelheit hinein, „...war ohne Zweifel Aldiran.“

Ailsa schwieg.

„Und das Du von ihm träumst, ist wohl nur normal. Er ist ein Kind, noch dazu das Kind Deiner Freundin und Vertrauten und...“

„Sprich es nicht aus!“, schnitt ihr die Ritterin das Wort ab, „Ich will es nicht hören. Ich kann es nicht hören. Ich ertrage es einfach nicht. Wenn wir nicht darüber sprechen, dann können wir immer noch so tun, als wäre es nicht wahr, denn ich will nicht, dass es wahr ist...“

„Das kann aber keine Lösung sein...“

„Nur weil etwas nicht sein kann, darf es nicht sein, ja?“, würgte sie zornig hervor, „Außerdem war es nicht alles...“

„Was soll das heißen? Es war nicht alles?“

„Mein Traum ging weiter...“, fuhr Ailsa da mit zitternder Stimme fort und wandte sich wieder um, weil sie nicht wollte, dass ihre Schwester ihre Tränen sah, „Ich war wieder hier. Wieder stand dort die Wiege.“ Auch die deutete ins Halbdunkle hinüber. „Wieder lag ein Kind darin. Doch dieses mal... dieses mal, da... da war es nicht... nicht Aldiran, sondern... sondern...“ Sie begann leise zu weinen.

„Aber... aber... aber das ist doch gut!“, erwiderte Nurinai feinfühlig, „Das ist doch...“

„Nichts ist gut!“, brüllte die Ritterin da plötzlich, dämpfte ihre Stimme jedoch gleich wieder, „Das... das... das ist doch nur wieder... wieder so... ein Trick, damit man wieder hofft und hofft und hofft. Und dabei auf etwas hofft, was nie geschehen wird. Nie! Nie...“

„Weil etwas nicht sein darf, was nicht sein kann?“

„Nein, weil etwas nicht sein kann, was nicht sein kann...“

Doch die beiden wichtigsten Dinge hatte Ailsa ihrer Schwester verschwiegen: ER war auch da gewesen. Und die Wiege war leer!