Geschichten:Dornentriebe - Ein nicht perfektes Verbrechen

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Teilnahmslos, fast schon gelangweilt betrachtete der ältliche Weibel Hiram Bilgard von der Stadtwache die vor ihm liegende Leiche, welche übel zugerichtet worden war. Eine im Nachbaranwesen arbeitende Dienstmagd hatte im Morgengrauen auf dem Weg zum Markt den toten Körper Alfir Bakensteins direkt vor dem Eingang zu seinem Haus entdeckt und durch ihr hysterisches Geschrei erst die Nachbarn und dann die Garde alarmiert. "Warum musste es unbedingt einer dieser Pfeffersäcke sein, der uns gleich am frühen Morgen den Tag verdirbt?", fragte sichtlich verärgert eine der Wachen ihren Vorgesetzten. "Jetzt werden wir die nächsten Tage vom Rat ordentlich Feuer unterm Hintern bekommen, denn die hohen Herrschaften mögen es bekanntlich gar nicht, wenn einer der ihren abgemurkst wird. Der oder die Mörder hätten ja zumindest warten können, bis er in seinem Haus verschwunden gewesen wäre; dann hätten wir wenigstens ein paar Stunden mehr Ruhe gehabt. Und wie immer hat niemand was gesehen."
"Hör auf zu jammern, Elgor", antwortete Hiram lakonisch, der Herr Praios mag eben keine Faulpelze und Langschläfer wie Dich."
Ein verächtliches Schnauben war die einzige Entgegnung des Angesprochenen.
Dennoch blieben dessen Worte nicht ohne Wirkung auf den Weibel, hatte Elgor ihn doch unbeabsichtigt auf einen wichtigen Umstand hingewiesen, der Hiram ins Grübeln brachte. Wer begeht einen Mord direkt auf der Hausschwelle seines Opfers, wo die Gefahr, gesehen zu werden sehr groß ist, anstatt dieses erst in dessen Wohnung hereinzudrängen um dort dann erheblich risikoloser zur Tat zu schreiten? Und das gute Dutzend Stichwunden in Bakensteins Rücken deutete ebenfalls nicht auf einen erfahrenen Meuchler hin. Um Gold oder andere Wertsachen ging es dem Täter offenbar ebenfalls nicht, denn die Haustür war beim Eintreffen der Wache verschlossen und den Schlüssel trug der Tote immer noch in seiner Tasche. Eine Begehung des Anwesens brachte auch keine weiteren Erkenntnisse, da offenbar nichts zu fehlen und alles noch an seinem Platz zu sein schien.
Hiram zuckte götterergeben mit den Schultern. Offenbar ging es bei diesem Mord um etwas Persönliches, eine verschmähte Geliebte, ein gehörnter Ehemann oder weiß der Namenlose was.
"Elgor, lass die Leiche wegschaffen, hier werden wir nichts mehr finden. Ich werde schon mal der Hauptfrau berichten. Auch wenn es ihr nicht passen wird, aber der Fall wird wohl ebenfalls ungelöst bleiben. Gehen wir nachher noch was essen?"

Zwei Wochen später.
Weibel Hiram brütete über die Dienstpläne für die kommende Woche, als Gardist Elgor freudestrahlend vor ihm trat.
"Was grinst Du so wie ein darpatischer Ochse, Elgor? Hast Du einen Sack voll Gold gefunden oder endlich Deine Frau zum Namenlosen gejagt?"
"Immer zum Scherzen aufgelegt, unser Weibel", erwiderte der Angesprochene leicht angesäuert. "Ich habe bei meiner Patrouille heute Morgen eine halbwüchsige Diebin auf frischer Tat ertappt und dingfest gemacht." Hiram wollte gerade mit sichtlich gelangweilter Miene zu einer Entgegnung ansetzen, doch kam ihm sein Untergebener zuvor, indem er rasch fortfuhr:
"Nein, ich möchte mich nicht mit dieser glorreichen Tat brüsten, Hiram, aber das Gör hat, als ich sie ins Loch warf, nicht nur die übliche Nummer von wegen "ich habe keine Eltern und so großen Hunger, nur deshalb stehle ich" abgezogen, sondern auch behauptet, den Mord an diesem Fettsack, Brackenstein, ach nee, Bakenstein, beobachtet zu haben."
"Na und? Dieses Pack behauptet und sagt doch alles, wenn es dadurch glaubt, Hand und Hals retten zu können."
"Das weiß ich auch, Hiram, bin ja nicht erst seit gestern bei der Wache. Aber das Mädel konnte nicht nur den Tathergang genau beschreiben sondern ebenso die Mörderin. Und als Beweis für die Richtigkeit ihrer Aussage hat sie uns gesagt, wo wir die Tatwaffe finden können, welche die Täterin auf ihrer überstürzten Flucht vom Ort der Bluttat in einer Seitengasse weggeworfen haben soll. Auch wenn ich da zunächst sehr skeptisch war, so habe ich mich trotzdem an der genannten Stelle umgeschaut und hinter einem Busch einen blutverschmierten Dolch gefunden. Das Balg sagt also die Wahrheit und sich selbst wird sie ja wohl kaum des Mordes bezichtigen", schloss Elgor mit einem triumphierenden Grinsen.
Der Weibel war mit einem Schlag hellwach. " Schaff´ das Mädel umgehend her, vielleicht weiß sie wirklich etwas und wäre bereit, für ein gutes Wort von mir beim Stadtgericht alles zu erzählen was sie weiß. Elgor, wenn wir den Fall tatsächlich noch aufklären sollten, werde ich Dir nicht nur einen ausgeben sondern Dich zudem zur Beförderung vorschlagen. Und vor dem Rat stünden wir auch gut da."