Geschichten:Die dunkle Seite - Audentis Fortuna iuvat

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Duridanya von Tälerort betrachtete aus ihrer Stube heraus mit nachdenklicher Miene ihren Bruder draußen bei der Arbeit.
Viburn versorgte gerade die Pferde auf Gut Niederlahr, welches seiner Schwester gehörte und wo er seit seiner Entlassung als Befehliger des Bombardenregiments "Trollpforte" hauptsächlich lebte. Wenn er sich nicht gerade auf dem Anwesen nützlich machte, verbrachte der ehemalige Offizier die Tage damit, sich in Selbstmitleid zu ergehen, jedem, der es nicht hören wollte, sein erlittenes Unrecht zu klagen sowie dem Trunke über jedes Maß hinaus zuzusprechen. In seinen lichten Momenten widerte ihn sein Verhalten selbst an, wie Duridanya wusste, doch dieses Gefühl legte sich rasch nach ein oder zwei Krügen Wein.
Die Gutsherrin hätte Viburn - Bruder hin oder her - wohl schon längst vom Hof gejagt, wenn der einstige Oberst nicht durch seine außerordentliche Begabung bei der Pferdeaufzucht und beim Zureiten erheblich zum wirtschaftlichen Überleben des Gutes beitrüge. Trotzdem, früher oder später müsste sie Viburn entweder den Kopf kräftig zurechtrücken oder, wenn nichts anderes mehr hülfe, ihn bitten, zu gehen. Auch in diesem Moment kreisten ihre Überlegungen, wie so oft, um ihren Bruder.
Beim eher beiläufigen Blick aus dem Fenster gewahrte Duridanya einen Reiter, der auf das Anwesen zuhielt und sie dabei aus ihren Gedanken riss. Ein Besucher? Was mochte er wohl von ihr wollen? Noch bevor man der Ritterin den Neuankömmling melden konnte, begab sie sich nach draußen, um ihn dort in Empfang zu nehmen.
"Die Zwölfe zum Gruße, hohe Dame! Ich habe eine Nachricht für Viburn von Tälerort. Er soll sich hier auf eurem Gut aufhalten."
"Die Götter auch mit euch. Ja, mein Bruder lebt hier. Übergebt mir die Depesche und ich lasse sie ihm umgehend zukommen."
"Verzeiht, aber ich habe Auftrag, die Nachricht nur ihrem Empfänger persönlich auszuhändigen."
Duridanya zuckte nur kurz mit den Schultern. Sie hatte schlecht geschlafen und darob wenig Lust, sich mit einem impertinenten Kurier herumzuärgern. "Mein Bruder ist dahinten bei den Ställen. Und nun entschuldigt mich, ich habe meine Zeit auch nicht gestohlen." Sprach´s und ging wieder in das Gutshaus zurück.

Was immer auch in der Nachricht gestanden haben mochte, ging es der Ritterin durch den Kopf, musste für Viburn von großer Wichtigkeit und sehr positiv gewesen sein. Den ganzen restlichen Tag über war er frohgestimmt, ja fast schon euphorisch und, was noch bemerkenswerter war, sprach nicht einmal dem Wein zu. Auf den Inhalt der Nachricht angesprochen, erwiderte der Oberst jedoch nur, dass er endlich die Gelegenheit für seine Rehabilitierung und womöglich gar ein neues Kommando erhalte.
Als sich Viburn am nächsten Vormittag gen Perricum verabschiedete, erkannte Duridanya ihn kaum wieder: Rasiert, mit sauberer Kleidung und Schwert angetan sowie seinen Auszeichnungen an der Brust wirkte er mindestens zehn Götterläufe jünger und wie der schneidige Offizier, der er dereinst tatsächlich einmal gewesen war.
"Ich bin wahrscheinlich in einer Woche zurück, Schwester. Und dann wird alles anders werden!"

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Im Zimmer eines Gasthofes in Perricum, in dem der einstige Obrist für die Nacht eingekehrt war. Viburn saß einem in einfacher Junkertracht gewandeten und ihm offensichtlich wohlbekannten Besucher gegenüber. "Als ich eure Depesche und die damit verbundene Bitte um ein Treffen erhalten hatte, war ich doch ein wenig überrascht, wie ich zugeben muss. Ich hatte eigentlich schon jede Hoffnung auf Gerechtigkeit aufgegeben. Umso dankbarer bin ich euch, dass ihr mir nun ein neues Kommando anbieten wollt."
"Nun, gute und erfahrene Offiziere eures Schlages sind rar gesät, mein Lieber. Und da die finale Auseinandersetzung zwischen dem Reich und dem einstigen Reichserzmarschall-" "Ihr lasst ihm zuviel Ehre angedeihen. 'Reichserzverräter' trifft es weit besser."
Sein Gegenüber stutzte ob dieses Einwurfs für einen kurzen Moment und sah ihn nachdenklich an, als er fortfuhr.
"Urteilt ihr da nicht zu hart? Er hat vor seinem Überlaufen schließlich eine Menge für das Reich geleistet und könnte auch jetzt noch-"
"Ach was, der Kerl ist ein götterverlassener Dämonenkriecher und verräterisches Arschloch, punkt. Und für jeden, der ihm folgt, gilt das gleiche. Aber genug von dem Kerl. Deswegen sind wird schließlich nicht hier."
Der Gastgeber setzte trotz des unerfreulichen Beginns alles auf eine Karte und ging gewissermaßen zum Angriff über. "In gewisser Weise schon. Das Reich braucht eine starke Führung und jemanden an der Spitze, der dafür sorgt, dass Posten nur noch nach Kompetenz und Qualifikation besetzt werden und nicht von den Launen irgendwelcher Provinzherrscher abhängen. Erinnert euch, wie schmählich ihr damals euer Kommando verloren habt. Das-"
"Genug! Auch wenn ich Rimiona nicht vergessen kann und werde, was sie mir damals antat, so heißt das noch lange nicht, dass ich nun diesem Dreckskerl zu dienen bereit bin. Ich bin wahrlich kein Muster an Ritterlichkeit aber soviel Ehre und Götterfurcht habe ich dann doch noch in mir. Nie hätte ich gedacht, dass ausgerechnet ihr-"

Klirr!
Mit einer fließenden Bewegung hatte Viburns Konterpart den neben ihn auf den Tisch stehenden Wasserkrug ergriffen und gegen von Tälerorts Schädel geschlagen, woraufhin der ehemalige Oberst ohne einen Schmerzenslaut zu Boden ging.

Für einen Moment erstarrte der Mann in der Bewegung als er realisierte, was er getan und wie kapital falsch er zuvor den Verlauf des Gesprächs eingeschätzt hatte. Einige endlos wirkende Sekunden später hatte er sich wieder im Griff und begann die Situation und seine Möglichkeiten zu analysieren sowie das weitere Vorgehen zu planen. Zunächst versicherte er sich, dass das Scheppern des Kruges und das Zusammensacken Viburns unbemerkt geblieben waren. Da aber auch nach zwei Minuten keinerlei Reaktion hierauf erfolgt war, schien das Glück dem Angreifer zumindest in dieser Sache hold gewesen zu sein.
Doch was nun? Ewig würde von Tälerort nicht bewusstlos bleiben und ihn einfach zu töten brachte sein Angreifer nicht über sich, zumal ihm klar war, dass die Wirtsleute - und damit auch die Stadtwache - ihn als Mörder verdächtigen würden.
Ein wenig ungeschickt zerrte er sein Opfer auf das Bett, damit ein unerwarteter Besucher den Bewusstlosen zumindest nicht sofort entdeckte. Dabei zerriss Viburns Wams und der dadurch freigewordene Blick auf dessen Brust ließ den anderen Mann für einen Moment erstarren: Der ach so ehrenhafte und götterfürchtige Viburn von Tälerort war ein Anhänger des verfluchten Borbarad! Was sonst mochte dieses kirschgroße Mal in Form der Dämonenkrone über seinem Herzen bedeuten? Nachdem sich die Überraschung gelegt hatte, erkannte dessen Gegenüber die unerwartete Gelegenheit, die sich ihm nun bot. Wenn er jetzt entschlossen handelte, konnte er doch noch heil aus dieser Sache herauskommen, ja, sogar mehr als das!
Rasch durchsuchte er Viburns Sachen und fand dabei die an diesen gerichtete Nachricht, mit der um dieses Treffen gebeten worden war. Der Besucher steckte das Pergament ein, welches er bei nächster Gelegenheit verbrennen würde und wechselte, wenn auch mit einiger Mühe, die Oberbekleidung seines Opfers.

Stöhnen und erste ungelenke Bewegungen zeigten an, dass von Tälerort im Begriff war, wieder aufzuwachen.
"Jetzt noch nicht, mein Freund", flüsterte sein Angreifer, bevor dieser ihn mit einen kräftigen Faustschlag erneut in Borons Reich der Träume schickte.
Der Mann erhob sich wieder, zerzauste sich die Haare und derangierte seine Kleidung. Dann atmete er einmal tief durch. Nun galt es!
Er riss die Zimmertür auf, lief nach unten zum Wirt und bat diesen mit gespielter Erschöpfung umgehend nach der Stadtwache schicken zu lassen. Unter seinem Dach sei ein Anhänger des finsteren Borbarad untergekommen, der ihn angegriffen habe und nun bewusstlos oben in seinem Zimmer liege.

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Zwei Wochen später im Palast des Markgrafen.
Regentin Rimiona Paligan hatte einen nicht unbedeutenden Besucher zu einer Privataudienz empfangen, welche sich nun ihrem Ende zuneigte.
"Seid also noch einmal, auch im Namen meines erlauchten Enkels, für euer entschlossenes Handeln bedankt."
"Ihr beschämt mich, Euer Hochwohlgeboren. Jeder andere aufrechte Diener der Götter und des Reiches hätte wohl genauso gehandelt."
"Hoffen wir das zumindest. Aber nicht jeder hätte die schweren Anschuldigungen dieses Verderbten so ruhig hingenommen wie ihr. Der Konspiration mit dem einstigen Reichserzmarschall - sein Name muss hier nicht ausgesprochen werden - beschuldigt zu werden, ist ja nun wahrlich keine Kleinigkeit."
"Wohl wahr, Euer Hochwohlgeboren." Doch sprechen meine bisherigen Taten, denke ich, für sich selbst respektive meine Treue zum Reich und gaben nie auch nur den geringsten Anlass, daran zu zweifeln. Des weiteren dürfte spätestens mit der Entdeckung seines Dämonenmals auch den größten Zweiflern klargeworden sein, dass dieser Verräter nur darauf aus war, noch jemand anderes mit sich in den Abgrund zu reißen."
"Da habt ihr zweifelsohne Recht. Aber leider ist in dieser stürmischen Zeit nichts und niemand vor Verrat und Betrug gefeit, auch und gerade wenn sie von Personen ausgehen, die wir vermeintlich gut zu kennen glauben."
"Welch wahre Worte. Dennoch hat mich das Tun dieses Ketzers mehr als nur überrascht. Als er damals um das Treffen bat, dachte ich, er wolle mich lediglich als Fürsprecher gewinnen, um wieder in die Dienste Herrn Rondrigans treten zu können. Dass er mich stattdessen für diese unglaubliche-"
"Grämt euch nicht", schnitt ihm die Regentin das Wort ab, "es ist oftmals das Wesen des Verrats, dass er von unerwarteter Seite kommt und das Opfer daher doppelt trifft. Wie auch immer: Nach der gestrigen Hinrichtung des von Tälerort können wir diese unerfreuliche Sache nun endlich abschließen und uns dringenderen Angelegenheiten zuwenden."
Ihr Gast verstand den letzten Satz durchaus richtig als Zeichen dafür, dass das Gespräch beendet war. Er erhob sich, verabschiedete sich mit einer kurzen Verbeugung und wandte sich zum Gehen.

Als er den Palast verließ, wirkte er sehr erleichtert, so, als sei eine große Last von ihm abgefallen.