Geschichten:Die Südinseln-Affaire - Landvogt Sherianus von Mendena verhaftet

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Auf dem Hof des ruhig gelegenen Hotels „Zwei Masken“ am Rande von Gareths innerer Stadt herrschte reges Treiben. Eben gerade war eine wichtige Reisegesellschaft angekommen, die den weiten Weg von Mendena in wenigen Tagen genommen hatte. Vier gräflich Mendener Gardisten begleiteten den Land-vogt der Grafschaft, Sherianus von Mendena, und die Mendener Adeligen Fiaga Baronin von Sardosk und Holtgrim von Plaue, Baron zu Keilerau. Eben eilte Ugdalf Darker aus dem Portal, der beleibte Wirt des Hotels, der auf die Ankunft der hohen Gäste bereits seit langem gewartet hatte. „Ah, die Getter zum Grruße, hohe Härrrschaften!“ rief er mit Weidener Akzent, „Ich bin hochgeehrrrt, Gäste der Rreichskanzlei in meinem Mauerrrn begrrrießen zu kennen! Kommt doch herein, Hochgeborrren, Eurrre Diener schickt wohl gleich ins Gesindehaus, Alrik, das Gepäck der Herrrschaften! Hierrr entlang, bittscheen!“ Die Zimmer waren geräumig, das Essen gut und der Wein erfrischend nach der Reise, und Sherianus von Mendena hatte sichtlich bessere Laune als noch bei der Ankunft. Doch auch jetzt noch zerfurchte eine tiefe Sorgenfalte seine Stirn; es war ihm offensichtlich nicht allzu wohl in seiner Haut. Baron Plaue hingegen hatte dem Braten so sehr zugesprochen, daß er noch im Sessel eingeschlafen war, die Hände vor dem mächtigen Bauch gefaltet. Baronin Fiaga, ebenfalls erschöpft, starrte abwesend in die ferne, während ein reicher Tuchhändler aus Perricum ihr kurzweilige Geschichten seiner Reiseerfahrung ins Ohr plapperte.

Da beugte sich ein livrierter Hausdiener zu Herrn Sherianus herab und meldete ihm den Gast, der für ihn in der Vorhalle wartete. Der Landvogt erhob sich, entschuldigte sich bei Baronin Fiaga und folgte dem Diener. In der Vorhalle wartete jemand, von dem Herr Sherianus bereits gefürchtet hatte, ihn alsbald wiederzusehen: Der Mann war groß und kräftig gebaut, hatte ein frisches rotwangiges Gesicht, das von einem schlohweißen, kurzen Bart eingerahmt wurde,. Auch das kurzgeschnittene Haar war von dieser Farbe, aber noch dicht und gesund. Er trug schwarze Kleidung und wurde von zwei kaiserlichen Gardisten begleitet. „Wie wunderbar, Euch schon wiederzusehen, als wir uns trennten, meintet Ihr, der Reichsrat könnte noch bis morgen warten, Baron Lares,“ begrüßte Herr Sherianus den anderen mit einem sarkastischen Unterton, den dieser entweder nicht bemerkte oder ignorierte. „Seine Edelhochgeboren geruht jetzt, Euch - allein - zu empfangen und bittet Euch, daß Ihr mir in der Kutsche der Kanzlei sogleich folgen wollt.“ Herr Sherianus nickte knapp und schritt an Baron Lares von Sensenhöh vorbei, der sich ein wenig verwirrt beeilte, noch die Führung zu übernehmen.

Die Kutsche der Kanzlei mit dem kaiserlichen Wappen am Schlag brachte die beiden schnell zur Reichskanzlei für Reichsangelegenheiten, einem hohen, zweistöckigem Gebäude mit schmalen und hohen Fenstern. Noch im Vorfahren öffnete Baron Sensenhöh den Schlag und sprang aus der Kutsche, sobald diese hielt. Herr Sherianus folgte langsamer, er zögerte. Er hatte sich bereits in Mendena Gedanken gemacht, weshalb er für diese nichtige Angelegenheit - er sollte die Fortschritte beim Bau der kaiserlichen Feste Rulat vortragen - nach Gareth zitiert worden war. Doch mußte er sich freilich dem Willen der Reichskanzlei beugen. Nun war er auch seiner Begleiter beraubt und mußte allein auf seinen Verstand und seine Zauberkraft, er war nämlich insgeheim ein Magier, gestützt bestehen, was da kommen mochte. Baron Sensenhöh stieg nun die Stufen des eindrucksvollen Portals hinan, durchquerte die Vorhalle, die durch zahlreiche bunte Butzenscheiben in ein buntes Dämmerlicht getaucht war und führte den Landvogt durch einen langen Gang, dann ein Treppe hinauf, einen weiteren Korridor bis zu ein er schmalen Stiege, die hinauf, in einen weiteren Gang und das so lange, bis Herr Sherianus sich beim besten Willen nicht mehr entsinnen konnte, wie er zurückgefunden hätte. Hier allein schon offenbart sich den Menschlein die Größe und Macht des Reiches, wenn seine Organe zu groß für jeglichen menschlichen Verstand sind. Vorbei an unzähligen Türen führte ihn Baron Sensenhöh, der die Anatomie des Gebäudes wohl über Jahre studiert hatte bis vor eine, an der ein Schild hing:

Korrodok von Koshmin
Kanzleirat für Bauwesen

Dort klopfte Baron Sensenhöh und auf ein heiseres „Herein“ betraten er und Herr Sherianus die Schreibstube des Kanzleirats für Bauwesen. Der Raum wurde beherrscht von einem Regal an der linken Seite des Raumes, in dem sich hunderte von Pergamentrollen stapelten. Gegenüber der Tür befand sich ein Fenster, durch das helle Licht der Nachmittagssonne hereinfiel, so daß der Schreibtisch und der an ihm Sitzende nur als schwarze Silhouette zu erkennen waren. Der Schatten des Sitzenden schmetterte dem Landvogt ein erfreutes „Praios zum Gruße!“ entgegen und sprang dann auf, um den Mendener persönlicher zu begrüßen. Als der Schatten näher kam, erkannte Herr Sherianus einen erstaunlich alten Mann mit kahlem Schädel und krummen Fingern, dessen faltiges Gesicht zu einem breiten Lächeln verzogen war. Eine Augenbraue des Landvogts hob sich skeptisch, doch der Alte redete wohlgemut weiter.„Es tut mir aufrichtig leid, daß P.E. wegen dieser Sache solches Aufhebens macht, ich kann mir das kaum erklären. Vermutlich sitzt ihm S.K.M. im Nacken, und er möchte Erfolge vorzeigen können; oder es hat etwas mit dieser Unterkanzleirätin aus Tobrien zu tun, über die er .. aber dieser unschöne Klatsch interessiert Euch gewißlich nicht. Nun denn setzt Euch ruhig." Mit diesen Worten wies er Herrn Sherianus einen Stuhl bei dem Schreibtisch, und als Sherianus sich setzte, spürte er die Finger des Alten auf seinen Schultern, die ihn väterlich berührten. Moment! Es läutete Alarm in Sherianus Kopf, doch es war zu spät, mit einem Rauschen in den Ohren hörte er förmlich, wie die Finger des Alten ihm die magische Kraft raubten, Sherianus versuchte sich, gegen diesen thaumaturgischen Vampirbiß zu wehrten und bäumte sich auf, doch die saugenden Finger des Alten waren stärker. Sherianus spürte, wie die schwindende Macht ein taubes, lahmes Gefühl in seinen Gliedern zurückließ. Doch nach wenigen Augenblicken war alles vorbei, und Sherianus der Magier war zu Sherianus dem Menschen geschrumpft. Der Alte krächzte ein kurzes Lachen, dann flogen die Türen - die Haupttür und eine Nebentüre zur rechten - auf und Armbrustschützen drängten ins Zimmer. Es waren ihrer sechse, denen schließlich ein sehr dicker, ungepflegter und schlecht rasierter Mann in einer völlig unmodischen Wollweste folgte, der sich zu dem Alten gesellte. Nach ihm betrat ein hochgewachsener Krieger den Raum, sein Schädel kahl, von einer feuerroten Narbe gespalten, ein eisgrauer Bart und die stahlgrauen Augen verliehen ihm etwas Verbissenes. Er stützte sich auf ein scharfes Schwert und ein schwarzer Umhang fiel ihm von den Schultern auf die Waden herab.

„Bei Praios, Kaiser, Reich und Recht! Sherianus von Darbonia, Landvogt von Mendena und Borwein, Ihr seid verhaftet! Ihr seid angeklagt des mehrfachen Landesverrats, der Kronverschwörung, des Hochverrats, der Kollaboration mit den Feinden und des unlauteren Agententums! Ferner der Bestechlichkeit und der lästerlichen Kriegstreiberei! Eure Anklage lautet auf Tod, doch werdet Ihr in den Kerkern des KGIA sitzen, bis das Reichsgericht über Euch und Euer Urteil befindet! Im Namen des Kaisers und Reichsbehüters!“ Mit diesen Worten legten dem Magier zwei Gardisten schwere eiserne Handfesseln an. Schließlich wurde dem Bestürzten auch noch die gefürchtete Praioskrause um den Hals geschlagen und mit Nieten befestigt: Zauber ausgeschlossen. Landvogt Sherianus gewann seine ganze Selbstbeherrschung in diesem Augenblick, nur aus der Genugtuung, daß seine diffusen Ahnungen berechtigt gewesen waren, ein zynischer Trost.

Der kahle Krieger fuhr fort, einen gewissen Triumph in der Stimme: „Doch Sherianus, sei er nicht betrübt, es war kein geringer, dem sich Euer Stolz und Euer Können beugte: Jener ehrwürdige Greis ist der hochachtbare Magister Chiranor Feyamun, Zweiter Hof-Zauberer Seiner Majestät.“ Der Alte deutete eine Verbeugung an und grinste spöttisch. Der Dicke neben ihm grinste umso bereiter und hub an: „Und ich bin Korrodok von Ko...“ „Schweige still!“ fuhr der kahle Krieger den sofort schweigenden an; dann winkte er seinen Gardisten, die dem Landvogt einen rauhen Sack über den Kopf zogen und ihn dann aus dem Zimmer stießen. Sherianus hatte den Eindruck, daß der Weg diesmal viel kürzer war, aber er hatte auch jegliches Gefühl für Zeit und Raum verloren, denn die Länge der nun folgenden Kutschfahrt konnte er nicht annähernd bestimmen. Irgendwann nur war der Verschlag der Kutsche geöffnet worden und der durch die Stöße der Straße und das Gerumpel der hart gefederten Kutsche geschundene Land¬vogt wurde hinausgezerrt und wiederum einige Treppen hinabgestoßen. Auf jedem Absatz schlugen ihm beißender Geruch und stechender Gestank ent¬gegen, dazu Kettengerassel, Gejammer und Gestöhn - Geräusche, die er aus den Kerkern unter der Fe¬stung Mendena nur allzugut kannte.

Der Sack wurde ihm erst in seiner Zelle abgezogen. Diese Zelle war ein dunkles Loch, auf dessen Boden fauliges Stroh lag. Zum Gang hin war das Loch mit langen Eisenstäben vergittert und gegenüber lag eine ebenso geartete Zelle, und daneben noch eine und noch eine und so den ganzen Gang entlang. An den Gitterstäben hingen zerlumpte Gestalten mit vor Dreck starrenden Fetzen am Leibe. Jede Falte ein Tal der Ungeziefer, die zottigen Haare verlaust, die Bärte verfilzt. Einige der Kerkerinsassen hatten die lange Gefangenschaft oder die hochnotpeinliche Interrogatio den Verstand ausgeschwitzt, so daß von einstmals stolzen Männern sabbernde Häuflein Elend geblieben waren. Sherianus wurde von einem stiernackigen Wärter an der Wand festgekettet, direkt neben einen dieser bedauernswerten Schwachsinnigen, der als¬bald mit unverhohlenem Interesse an Sherianus zu fingern begann. Doch Sherianus schlug ihm auf die Finger und stieß ihn beiseite und wandte sich dann seinem eigenen Gedanken zu. Wieso? Was hatte er falsch gemacht? Und wo war er überhaupt? Jäh wurde er aus den Gedanken gerissen, denn von schräg gegenüber hörte er seinen Namen werden. Wer mochte ihn hier schon kennen? Sherianus schlurfte zu den Gitterstäben, soweit seine Kette es ihm erlaubte und spähte in die Zelle schräg gegenüber. Aus ihr grinste ihn ein feixendes, wohlvertrautes Gesicht entgegen, gewiß ausgemergelt und unrasiert und schmutzig, doch unverkennbar: Baron Rallerfeste ...