Geschichten:Die Last des Alterns - Teil 1: Von Leisetretern und Hitzköpfigen

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Dramatis Personae:

Anshelm von Mistelstein

Oblodor von Mistelstein

Selissa von Sturmfels-Mistelstein


Baronie Gnitzenkuhl, Herrschaft Natternhöh` im Perainemond 1033 BF

„Jaja, geh nur du Dummkopf! Wirst schon sehen, was dabei herauskommt, wenn du nach der Pfeife einer zickigen Baronin tanzt…!" Wutentbrannt schrie er seinem Sohn diese Worte nach als dieser schon hoch erhobenen Hauptes den Turm verließ. Hektisch blickte er um sich, um etwas zu finden, an dem er sich abreagieren konnte. Der Becher landete, nachdem er von der Tür abgeprallt war mit einem hohlen Scheppern auf dem Steinboden. Nicht, dass er ihn hatte treffen wollen, nein er musste sich einfach Luft verschaffen. Ein armseliges Zeichen der Kapitulation in seinen fruchtlosen Bemühungen aus Anshelm einen Mann nach seinen Vorstellungen zu formen. Wann, wann würde sein Stammhalter sich endlich offen gegen ihn Auflehnen? Er war des Wartens müde. So müde! Die blauen Augen stachen leuchtend aus dem rot gewordenen Gesicht Oblodor von Mistelsteins heraus. Das streitlustige Funkeln in den Augen des Adligen glomm noch immer.

Ihm ging es gehörig gegen den Strich, dass Anshelm immer so leisetreterisch auftrat. Ins Gesicht hätte er ihm sagen, nein schreien sollen, dass er ein sturer, alter, geiler Bock sei, der sich den lieben langen Tag nur noch mit Wein zulaufen ließ, und jedem Rock nach gierte, statt sich um das Gut zu kümmern. Was machte er stattdessen? Kam einem Aufruf von Geshla von Gnitzenkuhl nach, wo sie seine Gefolgschaft forderte auf einer Reise zu diesem irren Junker von Kelsenstein. Sogar die Nebachoten hielten diesen Marnion für nicht ganz bei Trost. Wann würde er endlich einfordern was ihm zu stand?

Frustriert nahm er einen Schluck aus seinem Becher, in welchem sich aber nur Wasser befand. Er narrte seine Leute gerne damit, dass er so tat, als sei er vom Wein berauscht , und beobachtete sie dann, wie sie sich verhielten. Nicht schön, was man dabei bisweilen für Erkenntnisse über das engste Umfeld erhielt. Im dämmrigen Schummerlicht des Turmes betrachtete er nach wie vor erbost seine Hände. Die Kraft, die ihnen inne wohnte half ihm hier nicht weiter. Schwielig und kraftvoll leisteten sie ihm immer noch gute Dienste. Aber wer sollte ihm nachfolgen, wenn nicht Anshelm? Zwei seiner ehelichen Sprösslinge waren ermordet worden. Eine ungute Zeit damals, nicht nur für die Adelsfamilie, sondern auch für ganz Zyrpicum. Trauer hatte allerorten geherrscht, und der Boronanger erhielt damals viele neue Gräber. Die Ferkinas aus dem Raschtullswall hatten sie angegriffen und die besten Arbeiter geraubt, direkt aus den Weinbergen. Der Versuch, die Entführten zu retten hatte hohen Blutzoll gekostet. Zwei seiner Kinder mussten sterben, ein Geweihter der Leuin und auch viele treue Waffengefährten waren an Rondras Tafel eingekehrt.

Ein Knarren über ihm verriet, dass sein Ausbruch nicht unbemerkt geblieben war. Kaum hörbar kam jemand von oben die Leiter hinunter in den großen Raum, der Wohnraum und Küche in einem war. Sie hatten ihn so belassen, selbst als sie einen Anbau an den Turm hatten errichten lassen. Dieser Platz atmete ihre neue, die Perricumer Geschichte aus. Bilder, Statuen und Stickereien zeigten ihre einstigen und jetzigen Bewohner auf eindrucksvolle und nicht minder kunstfertige Art. Sicher ein ungewohnter Anblick für einen einfachen Wehrturm. Aber so waren sie, die Mistelsteiner, eben.

„Vater, seid ihr wohlauf?" Selissa, wer sonst würde so rücksichtsvoll nach ihm schauen? Zart legte sich ihre Hand von hinten auf seine Schulter, während sie um ihn herum trat. Maiglöckchen Duft, stellte er noch nebenbei fest. Zu mädchenhaft für eine Frau in ihrem Alter nach seinem Dafürhalten!

„Hast du gewusst, dass er mit der kleinen Isenbrunn zu den Wilden nach Kelsenburg will?" Hart fasste er sie mit seinen blauen Augen in den Blick. Keine Spur von Trunkenheit war in seiner Stimme. Überrascht über die harschen Worte musterte sie ihn. Doch es lag eher Verwunderung, denn Misstrauen in ihrem Blick. Die verwitwete Frau wohnte wieder in ihrem Elternhaus, seit sie 1026 BF ihren Gemahl verloren hatte. Noch so eine Sache, die er nicht in Ordnung bringen konnte. Sie sah gut aus, war eine wirklich passable Ehefrau, soweit er als Vater das beurteilen konnte, und doch…war kein Mann mehr an seine Tür gekommen, der sie ehelichen wollte. Wohin sollte das nur alles führen? Es wurde Zeit, dass sie ihren Sohn aus erster Ehe als Page wo unter brachten. Vielleicht würde das ihre Chancen auf eine neue Verbindung steigern.

„Du meinst Anshelm? Zu welchen Wilden denn? Doch nicht etwa den Ferkinas?" Sie hielt sich erschrocken die schlanke Hand vor den Mund. Am liebsten würde er sie manchmal schütteln für so viel Naivität, aber er gemahnte sich zur Ruhe: sie hatte andere Fähigkeiten, die für eine Frau im heiratsfähigen Alter wichtiger waren, beruhigte er sich im Geiste. Gereizt sprach er dennoch weiter: „Hol mir deine Frau Mutter. Wir müssen reden."