Geschichten:Die Henne rupft den Keiler

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In der Morgendämmerung bemerkte die Wache auf den Türmen und Wehren des Hauptquartiers auffällige Bewegung hinter sich im Hof: Zahlreiche Gestalten hatten sich zu dieser frühen Stunde erhoben, sich in warme Mäntel gehüllt, die Handschuhe und Mützen übergezogen und gesellten sich zu den Söldlingen, als wäre es nötig, die Wachen zu verstärken. Nach einem halben Stundenglas war kein Plätzchen mehr frei, so dass die Wachen zu patrouillieren aufhörten und es stattdessen den Besuchern gleichtaten: Alle blickten sie gen Firun, wo sich der Weihenhorster Anger befand. Von diesen erhöhten Positionen aus war die Wiese gut einzusehen, ohne dass man sich auffällig unauffällig an ihrem Rande drücken oder sich im Gebüsch des Weges verstecken musste. Auf dem Anger sollte ein Duell stattfinden - von dem doch keiner wissen durfte, wollte er sich nicht als nächtlicher Lauscher enttarnen ... Auch in Weihenhorst selbst hatten sich zwischen den Häusern viele Menschen versammelt - die meisten von ihnen in den bunten und unterschiedlichen Wappenröcken der Märkischen Landwehr. Hier standen Märker und Tobrier beisammen und erwarteten das Ereignis, das es offiziell nicht gab.

Als die ersten sonnigen Lichtfinger Praios' über den Horizont kratzten, erschien auf dem Anger Baron Baradar von Plaue zu Beldenhag, ehedem Baron zu Keilerau. Er hatte unweit der Wiese sein Lager aufgeschlagen und war darum als erster zur Stelle. Es begleitete ihn nur einer seiner beiden Ritter, nämlich Winnemar von Wulfenrauffen. Beide waren in wärmende Mäntel gehüllt, mit dem Schwerte gegürtet und trugen Helme mit Helmzieren. Wenig später erschien die Meisterin der Mark Faduhenne von Gluckenhagen auf dem Wege zum Anger, begleitet von Genzmer von Radulfshausen, dem Baron von Finsterrode.

Sie beide hatten ebenfalls Rüstung angelegt und das Schwert gegürtet. Sie erreichten ausgreifenden Schrittes den Anger und standen sich alsbald gegenüber. Folgende Worte wurden gewechselt und später von den Beteiligten überliefert:

»Praios und Rondra zum Gruße an diesem schönen Morgen!« sprach Beldenhag die Rittfrau mit tiefer Stimme an, noch ehe sie richtig angekommen war. Er sah ausgeschlafen und gelassen aus - im Gegensatz zu seinem Begleiter, der wohl die Nacht über beschäftigt war, seines Barons Rüstung und Waffen auf Hochglanz zu bringen. Faduhenne hingegen sah verärgert aus - vermutlich, weil Beldenhag eben jenen Gruß gewählt hatte, den sie selbst hatte sprechen wollen. Stolz baute sich die kleine Frau vor Beldenhag auf: »Auch Euch, Plaue. Fangen wir an.«

Bei diesen Worten trat Finsterrode vor: »Ihro Exzellenz Rittfrau Faduhenne von Gluckenhagen, Meisterin der Markgrafschaft Greifenfurt, ist erschienen, im Namen Rondras und nach ihren Regeln den Ehrenhändel zu bestreiten, zu dem sie von Euch gefordert wurde. Sie hat mich, Genzmer von Radulfshausen, Baron von Finsterrode, zum Sachwalter ihres Anliegens erklärt. Darüber hinaus erklärt Ihro Exzellenz, von Ihren Worten keines zurücknehmen zu wollen. Frau Rondra möge über Wahrheit und Wahrhaftigkeit der Worte wie der Taten wie der Lauterkeit der Person Ihrer Exzellenz richten. Darob möge das ... äh ... Turnier nach Pervalschem Regular anfolgend beginnen!«

Beldenhag lächelte die Rittfrau offen an und nickte dann in die Richtung hinter ihr: »Moment noch, mein Secundant kommt eben an.« Und wirklich: Zwei Reiter preschten auf den Anger, der eine Beldenhags Ritter Firutin zur Rinckenhaid, der andere noch unerkannt, jedoch im tobrischen Waffenrock. Die Reiter verhielten unweit der Wartenden, und während Ritter Firutin nach dem Absitzen die beiden Pferde nahm, marschierte der andere auf Beldenhag zu.

»Baradar! Ich sehe dich wohlauf, Nachbar, nach all der Zeit! Ich bin geeilt, dir beizustehen!« sprach der Ankömmling und umarmte den Angesprochenen. Es war ein graubärtiger Recke, wohl an die fünfzig Götterläufe zählend, gerüstet und bewaffnet. Seinen Helm zierte als Relief oberhalb der Stirn der doppelköpfige Wolf, sein Mantel trug als Schulterwappen drei weiße Föhren auf blauem Grund, sein Wappenrock den tobrischen Wolf. Der Mann erschien in Blau und Weiß. »Exzellenz, ich grüße Euch. Wir trafen uns vor wenigen Wochen in Greifenfurt der Stadt, wo ich meine Familie besuchte, wie Ihr wisst.«

Faduhenne nickte: »Ich erinnere mich, Hochgeboren. Ich sehe Euch unvermutet wieder.« - »Mein alter Freund und Nachbar rief mich, ihm zu secundieren. Ich ritt die ganze Nacht bis an den Morgen von Greifenfurt hierher. Ich fürcht', mein Pferd wird länger nicht mehr laufen!« Bei diesen Worten lachte er kurz und entblößte die lichten Reihen seiner Zähne. »Ihr habt noch nicht begonnen?«

»Doch, doch«, warf Finsterrode grimmig ein und wiederholte seine Sätze. Der tobrische Ritter stellte sich nun so auf, dass die beiden Duellanten und die Secundanten im Viereck standen, und sprach feierlich: »Ihro Hochgeboren Baradar von Plaue, Baron zu Keilerau und Beldenhag ist erschienen, im Namen Rondras und nach ihren Regeln den Ehrenhändel zu bestreiten, zu dem er Euch gefordert hat. Er hat mich, Rondredt von Hartsteen-Wildgrund, Baron von Föhrenhain, zum Sachwalter seines Anliegens erklärt. Darüber hinaus erklärt Ihro Hochgeboren, solltet Ihr nicht Eure Beleidigungen zurücknehmen und Euch vor aller Welt entschuldigen, möge Frau Rondra über Wahrheit und Wahrhaftigkeit der Worte wie der Taten wie der Lauterkeit der Person Seiner Hochgeboren richten. Darob solle der Ehrenhandel anfolgend beginnen!«

»Es sei«, entgegnete Finsterrode. »Ihro Exzellenz wählt das Schwert zu Ihrer Waffe. Es möge beginnen der Kampf auf's erste Blut.«

»Es sei«, stimmte Föhrenhain zu. »Ihro Hochgeboren akzeptiert die Wahl. Es möge beginnen der Kampf auf's erste Blut.« Alle vier zogen nun die Schwerter. Während die Rittfrau und Beldenhag in Stellung gingen, kreuzten die Secundanten ihre Klingen zwischen den beiden. Da die Entscheidung nun kurz bevorstand und durch das junge Licht des Tages bestens beschienen wurde, reckten sich die Beobachter im Hauptquartier, eine neugierige Anspannung machte sich breit. Die beiden Duellanten hatten die Mäntel abgelegt. Beldenhag trug das Wappen von Keilerau auf seinem Rock – den goldenen Keiler auf Blau -, Frau Faduhenne das Wappen ihrer Familie – die kampflustige goldene Henne vor Rot.

Mit sirrendem Klang lösten die Secundanten ihre Klingen, und Faduhenne führte nach altem Brauch als Herausgeforderte den ersten Streich. Doch Beldenhag parierte mühelos. Schlag auf Schlag folgte. Beldenhag nutzte den Vorteil seiner Größe und Kraft, Frau Faduhenne den ihrer Wendigkeit und besseren Übung. Doch war es Beldenhag, der zuerst einen Treffer landete: Wuchtig krachte seine Klinge auf die Rittfrau nieder, die sich nur durch großes Geschick vor der Niederlage rettete; Beldenhags Klinge wurde abgelenkt und schrammte über Frau Faduhennes Rüstung, dass die Funken sprühten, doch ohne sie zu verletzen. Jedoch - sie ging zu Boden und verharrte wenige Liderschläge auf allen Vieren.

Lautstark schwoll ein »Ohh« vom Hauptquartier herüber, woraufhin plötzliche Stille einkehrte und sich die heimliche Zuschauerschar flugs hinter die Wehren duckte, um vom Kampfplatz aus nicht entdeckt zu werden.

Dort spannten sich Finsterrode und Föhrenhain, gegebenenfalls einzuschreiten, sollte Beldenhag den Sturz der Rittfrau nutzen, das Duell entgegen Rondras Regeln zu beenden. Doch jener dachte nicht daran. Vielmehr trat er einen Schritt zurück und wartete, bis die Rittfrau sich erhoben hatte. Er ließ ihr sogar erneut die erste Attacke.

Und wieder schlug Klinge auf Klinge, gingen die Duellanten vor und zurück, duckten sich, stachen Finten, wichen aus, parierten, griffen an. Da! Frau Faduhenne schlug heftig zu und erwischte die Schwerthand des Beldenhagers, dass der Panzerhandschuh krachte und zerbarst. Das Schwert entglitt seiner Hand und fiel zu Boden, er selbst trat eilig zurück. Frau Faduhennes Augen blitzten zornig hinter dem Visier, sie musste sich sichtbar beherrschen, dem Tobrier nicht ordentlich zuzusetzen. Beldenhag nahm sein Schwert wieder auf, doch war in seinen Schlägen weniger Kraft. Noch zwei Attacken, da durchbrach die Rittfrau seine Deckung und schnitt mit spitzer Klinge zwischen die Rüstung Beldenhags, just oberhalb des Unterarms, wo die Armschienen enden. Sofort traten die Secundanten zwischen Beldenhag und Frau Faduhenne, die ihre Schwerter sinken ließen. Beldenhag blutete heftig aus der Wunde am Arm.

Die heimlichen Beobachter erzeugten ein aufgeregtes Rascheln, enthielten sich jedoch eines lauten Jubels.

Finsterrode sprach laut und vernehmlich: »Frau Rondra war der Meisterin der Mark gewogen! Der Ehrenhändel ward zu ihren Gunsten entschieden! Akzeptiert Ihr den Ausgang des Händels?«

»Ich akzeptiere«, keuchte Beldenhag sich setzend, während Föhrenhain ihm den Helm abnahm, um sich danach mit der Wunde zu befassen.

»Gut«, schnaufte Frau Faduhenne, nicht minder erschöpft als ihr tobrischer Gegner. »Ich erwarte Euch heut Abend wiederhergestellt zum Rapport beim Marschall und der Markgräfin.« Dann zog sie mit Finsterrode ab in Richtung des Quartiers, in dem einige Hektik herrschte, als sich die Zuschauer schnell zu ihren Behausungen aufmachten.

***

Später am Tage führte Beldenhag ein langes Gespräch mit der Markgräfin, nach dessen Ende er wieder gen Helbrache zog. Ihm war das Kommando über die Landwehren im nördlichen Lichterhag zugesprochen worden (zu dem auch Finsterrode gehört), doch unter des Barons von Nebelstein Oberbefehl.

Baron Rondredt von Hartsteen-Wildgrund brach mit seinem ehemaligen Nachbarn auf und wird noch diesen Mond an die tobrische Front zurückkehren.

Frau Faduhenne erwähnte den Händel mit nur einem einzigen Wort, das sie an den Baron von Weihenhorst, Roban von Gettersperg zum Weihenhorst, gerichtet hatte: »Ihr solltet besser auf die Einhaltung des Landfriedens in Eurem Lehen Acht geben, Herr Roban!«