Geschichten:Die Ein-Jahres-Fehde - Kapitel 1: Das kaiserliche Turnier

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Kaiserturnier zu Gareth, 1. Praios im 15. Regierungsjahr des Kaisers Eslams III.
(oder auch: 742 BF)

Heute hatte Curthan viele Ritter gesehen; strahlende Ritter aus dem Herzogtum Kuslik, bärtige aus dem Marschallslande am Born, Turban tragende Reiter aus Aranien oder schwer Gerüstete aus Weiden. Aus allen Teilen des Reiches sind die Ritter angereist, um am Turnier des Kaisers teilzunehmen.

Es hatte viele Durchgänge gebraucht, bis der beste Ritter des Reiches feststand. Bis dahin gab es viele gebrochene Lanzen und gestürzte Reiter. Noch vor dem Turnier wurden, wie es Tradition war, drei Knappen vom Kaiser zum Ritter geschlagen, damit diese daran teilnehmen konnten. Unter ihnen war auch Alrik von Luring gewesen, der viele Jahre lang als Knappe seines Onkels Sighelm gedient hatte.

Und danach hatte das Turnier begonnen.

Das schlimmste Erlebnis heute war der Tod eines jungen tobrischen Ritters. Dem garetischen Grafen aus Rommilys ist die Lanze an der Rüstung des Tobriers abgerutscht und durchdrang diese an einer ungeschützten Stelle.

Bis zu diesem Unglück war seine Base Duridanya vom Turnier völlig begeistert gewesen. Sie bewunderte die Ritter und ihre Heldentaten. Und Heldengeschichten liebte sie.

Und als Tassilo Galahan, ebenfalls einer der Knappen, die vom Kaiser ihren Ritterschlag erhalten hatten, ihr eine weiße Blume schenkte, und ihre Schönheit rühmte, schmolz sie dahin und stellte sich in ihren Träumen zweifellos vor, wie dieser sie vor irgendeinem Drachen rettete und sie heiratete.

„Er ist so schön“, hatte er Duridanya sagen hören, während sie ihren Ritter beobachtete.

„Das ist ein Sohn des kusliker Herzogs“, antwortete sein Vetter Sindar auf Curthans Frage, wer dieser Tassilo war.

Und dann ist der Tobrier mit der Lanze im Hals zu Boden gestürzt und sein Blut hatte sich am Boden ausgebreitet und Duridanya hatte erschrocken aufgeschrien und begonnen zu weinen. Schluchzend wurde sie von Maline, ihrer Zofe, von der Tribüne gebracht.

Curthan war ebenso schockiert gewesen, doch nahm er es mit der gesamten Fassung, die ein Elfjähriger aufbringen konnte und hatte sich gezwungen den Blick nicht abzuwenden. Schließlich wollte er später einmal selbst ein Ritter werden, und da mußte man so etwas ertragen können – zumindest sagte das immer sein Großvater. Und bin ich ja auch schon fast erwachsen!, dachte er.

Sindar nahm dies gelassen, aber er war mit seinen 16 Jahren ja auch schon ein erwachsener Mann.

Doch nachdem die Tränen getrocknet waren, ist Duridanya wieder auf die Tribüne zurückgekehrt – so wollte sie doch unbedingt sehen, wie ihr Ritter einen Gegner nach dem anderen vom Pferd stieß. Und dieser schien auch der Liebling des Volkes zu sein, so jubelten die Menschen bei jedem Sieg Tassilos.

Sogar ihren Großvater hatte er besiegt. Es hatte drei Durchgänge zwischen Tassilo und Rondred gegeben, doch keinem war es gelungen, seinen Gegner vom Pferd zu stoßen, so daß der Kaiser schließlich beschloßen hatte, daß der Kusliker den Lanzengang gewann, da seine Lanze besser getroffen hatte.

Doch die letzten drei Durchgänge waren die spannendsten gewesen. So hatte Tassilo seine albernische Gegnerin Celessa ni Niamad in einem Durchgang aus dem Sattel gehoben und Mainhard von Zweifelfels bezwang Baron Brandulf von Hirschfurten.

Und als der letzte Ritt begonnen hatte, war Duridanya ganz nervös gewesen, so sehr hatte sie mit ihrem Ritter mitgefiebert. Und einer dieser beiden würde ja auch der Sieger werden!

Und dann war sie erschrocken aufgesprungen, als sie ihren Ritter von Pferd fallen sah. Zweifellos hatte sie da wieder das Bild des Tobriers im Kopf, vermutete Curthan. Doch zur Erleichterung Duridanyas war ihm nichts passiert.

Doch hatte auch der Zweifelfelser zu stürzen gedroht – und wäre er gestürzt, wäre der Kampf zu Fuß ausgefochten worden – doch war es ihm mit Mühe gelungen im Sattel zu bleiben.

Nach dem Sturz hatte ein Knappe Tassilo aufgeholfen und er beglückwünschte den Zweifelfelser mit den Worten „Der Tag ist Euer“ zum Sieg.

„Er hätte den Sieg verdient“, meinte Duridanya schließlich und verließ mit Curthan und Sindar die Tribüne. Doch dann eilte sie sofort ihrem Ritter entgegen und sprach ihr Bedauern über die Niederlage aus.

Doch Sindar hatte zur Aussage seiner Schwester nur geschnaubt. „Er hat eben erst seinen Ritterschlag erhalten. Was hat sie erwartet? Es ist eh ein Wunder, daß er es so weit geschafft hat. Komm, Curthan. Laß uns sehen wie es Kynos geht.“

Kynos war der Knappe ihres Großvaters, mit dem sie sich angefreundet hatten. Und als sein Knappe war er während des Turniers dafür zuständig gewesen ihm die Lanzen zu reichen und nun würde er ihm wohl helfen seine Rüstung auszuziehen.

Als sie sich auf die Suche nach Kynos machten, sah Curthan noch, wie Tassilo freundlich lächelte, als Duridanya mit ihm sprach.

Zweifellos würde sie ihm noch so sehr auf die Nerven gehen, daß dieser es noch bereuen würde, ihr eine Blume geschenkt zu haben. Außerdem fand Curthan, daß dieser Kusliker fast zu schön war.

Kynos fanden sie dann schließlich auch dort, wo sie ihn vermutet hatten. Doch saß er auf einer Kiste vor dem Zelt, während er etwas schnitzte. Als er sie sah, steckte er sein Messer weg.

„Hat mich aus dem Zelt gejagt“, antwortete er auf Sindars Frage, warum er nicht ihrem Großvater bei der Rüstung half. „Stinksauer ist er. So sehr, daß er mir sogar fast den Panzerhandschuh ins Gesicht geschlagen hätte, wenn ich mich nicht weggeduckt hätte. Ich glaube er weiß selbst nicht auf wen er mehr sauer ist: auf diesen Kusliker, auf den Kaiser, auf mich oder einfach auch nur auf sich selbst“, lachte er. „Kommt, laßt uns wo anders hingehen.“

Kynos sah sie Wutanfälle Rondreds mittlerweile gelassen. Rondred als Knappe zu dienen war nicht leicht, doch er hatte gelernt mit Selbstironie und Spott die Dinge leicht zu nehmen.

Curthan brachte ihm viel Respekt entgegen. Er selbst versuchte immer so weit weg wie möglich von seinem Großvater zu sein. Besonders dann, wenn er seine berüchtigten Wutanfälle bekam. Ja, sogar sein Onkel zog es dann vor Rondred zu meiden! Curthan konnte sich noch gut daran erinnern, wie er als Fünfjähriger von seinem Großvater quer durch den halben Raum geschleudert wurde, weil er versehentlich beim Versteckspiel einen Rüstungsständer umgeworfen hatte. Er trug heute noch die Narben davon.

So zogen sie durch die Zelte und sprachen noch vom Turnier, als dann Kynos auf einen Jungen zeigte.

„Hey, schaut mal, wer da kommt“, sagte er.

Der andere Junge war wie Sindar und Kynos ebenfalls mit einem Kurzschwert bewaffnet, der Waffe eines Knappen, und sein Wappen zeigte einen springenden Hirschen auf rot. Es war Beowulf von Hirschfurten.

„Na, schau an“, spottete Sindar, laut genug, daß es Beowulf hörte. „Ich hätte nicht gedacht, daß ein Hirsch den Mut aufbringen kann sich allein durch die Stadt des Fuchses zu bewegen. Weiß er denn nicht, daß er so nur von Raubtieren umzingelt wird?“

Beowulf wollte sich offenbar die Schmähungen nicht gefallen lassen. Er ging auf sie zu, stemmte die Hände in die Hüften und blieb vor Sindar stehen. „Wir haben immer noch mehr Mut als ihr, Keres! Ihr verkriecht euch ja immer hinter den Mauern einer Stadt, wenn es darauf ankommt.“

„Ha! Mut mögt ihr vielleicht haben, aber bestimmt keinen Verstand! Ansonsten hätte dein Vater nie gewagt auf diesem Ackergaul am Turnier teilzunehmen und sich völlig zu blamieren..“

„Ackergaul?“, wiederholte Beowulf empört und seine Muskeln spannten sich an. „Dieses Pferd hat einen edleren Stammbaum als eure Familie! Anscheinend kannst du kein Ackergaul von einem edlen Tier unterscheiden! Das zeugt doch nur von niederer Abstammung!“

„So?“, sagte Sindar und griff nach seinem Kurzschwert. „Du wagst es also meine edle Abstammung anzuzweifeln?“

„So ist es! Selbst ein Insekt ist edler als du!“

„Jetzt reicht es aber“, knurrte Sindar und zog die Waffe.

„Sindar“, mischte sich Kynos ein und berührte ihn an der Schulter. „Laß es gut sein. Das gibt nur Ärger.“

„Ich lasse mich von ihm doch nicht beleidigen!“, gab Sindar zur Antwort und schüttelte Kynos Hand ab. „Davon abgesehen, wird es Großvater gefallen, wenn es einen Hirschen weniger gibt.“

Beowulf war sicherheitshalber ein Schritt – allerdings mit finsterem Gesicht – zurückgetreten, was für Sindar mehr Grund zum Hohn gab. „Schaut, er hat Angst! Das ist doch der Beweis!“

„Nun reicht es aber, Keres!“, knurrte Beowulf und zog seinerseits sein Schwert. „Wenn du ein Duell willst, kannst du ihn gerne haben!“

Curthan und Kynos brachten eiligst Abstand zwischen sich und den beiden. „Sindar, du Narr!“, fluchte Kynos vor sich hin und wandte sich dann Curthan zu. „Hol schnell deinen Onkel, Curthan!Bevor noch was passiert.“

Er nickte und rannte los.

Curthan wußte nicht warum Sindar jede Gelegenheit nutzte um mit den Hirschfurtens Streit anzufangen. Doch so weit wie jetzt war es noch nie gekommen. Sonst blieb es immer bei Schmähungen und Beschimpfungen. Noch nie wurden Schwerter gezogen!

Nun gut, sein hoher Großvater schimpfte immer, die Hirschfurten seien „Intriganten“ und „Verschwörer“. Vielleicht machte es Sindar deswegen? Curthan wußte jetzt zwar nicht genau, was Intriganten waren, aber was ein Verschwörer war, das wußte er. Das waren immer böse Leute, die einen König oder einen Kaiser stürzen wollten. Wollen sie wirklich den Kaiser stürzen, fragte er sich abermals. Sindar schien es zumindest zu glauben.

Doch sein Onkel Sighelm war ein besonnener Mann, der seinem Großvater immer davon abhielt, Krieg mit den Hirschfurtens anzufangen.

Auf der Suche nach seinem Onkel rannte er allerdings direkt seinem Großvater in die Arme und dieser hielt ihn am Ärmel fest. „Hey, Junge! Paß auf wohin du rennst!“, sagte er mit strenger Stimme. „Wo willst du überhaupt hin?“

Curthan blieb stehen und gab ihm Antwort. Es war immer besser ihn nicht zu reizen. „Ich suche Euren Sohn, Herr Großvater.“

„Er hat jetzt keine Zeit. Was ist denn so wichtig, daß du glaubst seine Zeit beanspruchen zu können?“

Curthan biß sich auf die Lippen, doch dann beschloß er lieber seinem Großvater zu antworten. „Sindar kämpft gegen einen Hirschfurten. Mit Schwertern meine ich. Und Kynos meint ich soll Hilfe holen.“

Das bärtige Gesicht seines Großvaters verfinsterte sich. „Bring mich hin!“, knurrte er und Curthan gehorchte.

Als er ihn zum Platz des Geschehens geführt hatte, war es schon vorbei und viele neugierige Leute standen in der Nähe und blickten auf die Szenerie. Auch ein Rondra-Geweihter war erschienen und hatte offenbar das Duell der beiden kurzerhand beendet. Mit strengen Worten schimpfte er Beowulf und Sindar. Letzterer kniete auf dem Boden und preßte seine Hand auf sein linkes Ohr – Blut strömte zwischen seinen Fingern hervor.

„Ihr könnt nicht einfach mitten unter den Zelten mit Schwertern aufeinander einschlagen!“, schimpfte der Geweihte. Die Schwerter der beiden hatte er ihnen abgenommen. „Ihr seid schließlich nur Knappen …!“

„Was ist hier passiert?“, dröhnte die laute Baßstimme Rondreds und die Beteiligten blickten auf und die Gespräche verstummten.

Sindar war der erste der ihm antwortete: „Er hat mir mein Ohr abgeschlagen!“ Seine Stimme überschlug sich fast, während er auf Beowulf deutete.

Rondred schritt auf Beowulf zu und gefährliche Wut war in seinen Augen zu sehen. „Wie kannst du es wagen!“, knurrte er und ballte seine Fäuste.

Der Rondra-Geweihte stellte sich aber schützend vor den Jungen. „Wohlgeboren, es war nur ein dummer Jungenstreich ...“

„Ein Jungenstreich?!“, fuhr Rondred den Geweihten an. „Diese Mistgeburt hat meinem Enkel ein Ohr abgeschlagen! Dafür muß er gerade stehen!“

„Das wird er auch, Wohlgeboren. Sein Schwertvater wird es erfahren.“

„Was? Dieser Zweifelfels? Ha! Das ist doch ein Lehnsmann von seinem Vater! Der wird doch dem Sohn seines Barons nichts antun! Zur Seite mit Euch!“

Rondred wollte eben den Geweihten einfach zur Seite schieben, doch meldete sich eine Stimme zu Wort, das Rondred veranlasste sich knurrend umzudrehen: „Was wird er nicht tun?“

Es war Baron Brandulf von Hirschfurten und er bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge, gefolgt von seinem Ritter Mainhard von Zweifelfels, dem Schwertvater Beowulfs. Beide waren unbewaffnet und hatten ihre Rüstungen abgelegt.

„Dein Sohn hat meinem Enkel ein Ohr abgeschlagen, Hirschfurten“, knurrte Rondred. „Dafür muß er gerade stehen.“

Brandulfs Blick schweifte von Rondred über Sindar, auf sein fehlendes Ohr, und blieb dann schließlich auf Beowulf hängen – und der Blick versprach ihm noch gehörigen Ärger.

„Gib es zu, Hirschfurten!“, zischte Rondred. „Das war beabsichtigt. Dein Sohn wollte meinen Enkel ermorden!“

„Ich gebe gar nichts zu“, antwortete Brandulf ruhig. „Und Ihr solltet lieber aufpassen, was Ihr sagt, Keres. Beowulf, komm her! Wir haben zu reden.“ Der Angesprochene eilte zu seinem Vater.

„Ihr könnt jetzt nicht einfach gehen“, dröhnte Rondred, als sich Brandulf abwenden wollte. „Ich verlange Genugtuung! Dein Sohn hat meinem Enkel ein Ohr abgeschlagen! Ich fordere sein Ohr!“

Brandulf drehte sich wieder um und blickte Rondred an. Abscheu lag in seinen Augen. „Das könnt Ihr vergessen“, sagte er und wandte sich wieder ab.

„Wie Ihr wollt, Hirschfurten“, knurrte Rondred. „Dann erkläre ich Euch die Fehde! Ab sofort werde ich Euch bekämpfen, sei es auf dem Schlachtfeld oder sonst wo!“

„Tut was Ihr nicht lassen könnt“, sagte Brandulf gelassen über die Schulter und ging.

Curthan blickte Kynos an. „Irgendwann mußte es ja soweit kommen“, meinte dieser.