Geschichten:Der Waldkauz - Abschied

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Gut Grodanshof, Peraine 1038 BF:

Es war Abend geworden. Obgleich der Himmel noch hell war, lag bereits die Ahnung der kommenden Nacht über dem Land. Im Gut Grodanshof hatten sich drei alte Freunde versammelt, die schweigend im fast leeren Gutshof beim Schein einer einzelnen Kerze zusammensaßen. Es war eine Krisensitzung, das war allen drei Männern klar, doch lange saßen sie nun schon schweigend zusammen. Die flackernde Kerzenflamme zeigte mehr Bewegung als sie Minen der Anwesenden.

Schließlich brach Alrik Herdan das Schweigen: „Ich habe Baron Junkobald von Hirschfurten getötet.“ Der Vogt von Tannwirk schien darüber weder besonders erfreut oder erschüttert zu sein. Seine Stimme war klar und gefasst als er weitersprach: „Er war ein Haffax-Agent, Deckname Zwölfender. Der elende Spitzelmeister Keres hat ihn enttarnt, leider sogar mit meiner Hilfe. Junkobald wusste zu viel und hätte bestimmt geredet.“

Marcipanus von Prailind-Storath nickte: „Er wusste, dass du dich ebenfalls Haffax angedient hast. Er hatte ja das erste Treffen vermittelt.“ Alrik Herdans Mine blieb ausdruckslos: „Ich bin Waldkauz. Das wusste er. Möglicherweise auch, dass ich in Perricum einen Ratsherr ermordet, einen Reliefstein für Haffax gestohlen und einem gesuchten Haffax-Schergen zur Flucht verholfen habe. Nichts vom Irrgarten, hoffe ich. Zu viel in jedem Falle.“ Marek Tannhauser grinste: „Ja, an diesen wimmernden Ratsherren erinnere ich mich noch. Wobei ermordert zu hart klingt. Schließlich hast du dem verdammten Kollaborateur nur seiner gerechten Strafe zugeführt.“

Alrik Herdan blickte zu dem hünenhaften Söldnerführer hinüber, den großen, blutigen Sack zu seinen Füßen ignorierend: „Ja und für deine Hilfe dabei sei dir wie immer mein tiefster Dank sicher. Auch für das Fangen dieses Spitzels.“

„Nicht der Rede wert. Ein neugieriges kleines Vögelchen vom Keres. Sollte dich wohl im Auge behalten. Aber keine Sorge, als Entschädigung habe ich seine Augen behalten. Herdan Druberpfad heißt er wohl.“

Marcipanus wandte sich mit Mühe von dem schwach bebenden Bündel ab und sagte: „Das ist nicht gut. Er hat dich schon im Verdacht. Die Schlinge zieht sich enger, alter Freund. Was tun wir?“

Alrik Herdan blickte seinen Verbündeten fest in die Augen: „Wir werden die Schlinge verbrennen. Meine Zeit hier neigt sich dem Ende zu. Unser Plan kann hier nicht weiter reifen. Ich habe lange mit mir gerungen. Damals habe ich für das Verbot der Nandus-Kirche gestimmt habe, aus Angst, man könnte meine Verbindung zu den Irrgärtnern erkennen. Angst, die Leiter nicht mehr weiter aufsteigen zu können. Doch wie blutig ist sie, die Leiter, wie leer, wie sinnlos. Ein ewiges Aufsteigen und hinunterstürzen. Darum habe ich damals den alten Studienkreis wieder ins Leben gerufen. Dieses Reich ist auf dem inhärenten Unrecht erbaut, es kann nicht genesen ohne zuvor eingerissen zu werden. Nie wieder Fron und Lehen! Für eine selbstbestimmte Herrschaft eines jeden mündigen Individuums müssen Opfer gebracht werden. Zu lange habe ich noch an der Herrschaft über diesen Flecken Land festgehalten, doch nun ist es an der Zeit, sich zu befreien. Die Brücken niederzureißen und die Paläste zu verbrennen. Ich werde in den Untergrund gehen, Gleichgesinnte anwerben, Infrastrukturen schaffen. Druckerpressen, Brieftauben, Waffendepots. Weiter Haffax zuarbeiten. Sollte er letztlich gewinnen, komme ich dann hoffentlich nahe genug an ihn heran, um es zu beenden. Marek, alter Freund, willst du mich begleiten? Möglicherweise bis an den Rand der Niederhöllen oder darüber hinaus?“

Der Söldner grinste und entblößte dabei seine gelben Zähne: „Das klingt nach höllisch viel Spaß. Ich bleibe an deiner Seite, Kleiner.“ Er streckte seine Hand über die Kerze aus und ergriff Alrik Herdans.

Auch Marcipanus legte seine Hand darauf und sagte: „Ich kümmere mich um Gareth. Wenn das Feuer der Revolution um sich greift müssen wir Gareth auf unserer Seite haben. Einige der Spießbürger gehören schon zu uns, ich werde dafür sorgen, dass es mehr werden. Und im Südviertel in die richtigen Ohren flüstern.“

Alrik Herdan blickte seine beiden Mitstreiter mit glänzenden Augen an, flüsterte: „Danke, meine Freunde. Lasst uns den Eid sprechen, auf dass wir nie vergessen, wofür wir kämpfen.“ Gemeinsam intonierten sie: „Ich, der ich mit wachem Geist und lauterer Seele den Irrgarten des Nandus betrete, schwöre…“

Als sie schließlich geendet hatten blickte der Vogt in du Runde und sagte: „ Nun bleibt nur noch eine Sache zu tun. Alrik Herdan von Prailind muss sterben.“ Er ging zu dem am Boden liegenden Gefangenen, befreite den bewusstlosen Mann von dem blutigen Sack. Er sah übel aus, aber Größe und Statur passten einigermaßen. Ohne Zögern zog er seinen Siegelring ab und steckte ihn dem Spitzel an. Dann legte er seine Finger um seinen Hals und drückte so lange zu, bis das Zucken des geschundenen Körpers erstarb. Wortlos sahen Marek und Marcipanus zu, wie Alrik Herdan den Leichnam an sein Schreibpult setzte und von dort einen Stein in seine Tasche steckte. Als der Vogt sie jetzt anblickte, konnten sie die nassen Spuren der Tränen auf seinen Wangen erkennen, doch seine Stimme war fest wie zuvor: „Würdet ihr mir nun helfen, den Stammsitz meiner Familie und alles was ich habe dem Feuer zu überantworten?“

Der Morgen dämmerte herauf. Von dem alten und einst stolzen Grodanshof war nicht mehr als rauchende Ruinen geblieben. Drei Männer standen schweigend davor, die harten Gesichtszüge schwach von der letzten Glut erhellt. Als der Mann, der vor den Trümmern seiner bisherigen Existenz stand, sprach, war es kaum mehr als ein Flüstern: „Alrik Herdan von Prailind, Vogt zu Tannwirk und Junker von Tannengrund ist gerade gestorben. Er war zu schwach, verbrannte, weil er sich nicht gänzlich dem Feuer der Revolution hingeben wollte. Doch aus der Asche erhebt sich der Waldkauz!“


8. Per 1038 BF zur abendlichen Perainestunde
Abschied
Tintenschwarz


Kapitel 4