Geschichten:Der Segen des Verschwindens

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Vor langer Zeit in einem Wald an den Hängen des Raschtulswalls

Der Schamane goss allen Familienmitgliedern ein wenig von dem süßen Dattelwein ein, den sie bei dem Reitervolk gegen einige überzählige Glitzersteine getauscht hatten. Er sprach den alten Trinkspruch und alle gaben die traditionelle Antwort, bevor sie gemeinsam tranken.

Es gab natürlich einen Grund zu feiern: Der Sohn des Häuptlings hatte seine ersten sechs kalten Winter und nun auch sechsmal die schwitzigen bösen Tage überlebt, weshalb es Zeit war, dem Kind einen Namen zu suchen.

Und so war die Familie mit den Häuptlingssohn hoch auf den Sturmberg geklettert, wo der Schamane ihn mit Eis, Fels und Sturm gesegnet hatte. Danach waren sie gemeinsam runter an den Stierfluss gestiegen. Gestern Nacht hatte der Schamane ihn mit fruchtbarem Uferschlamm eingerieben und mit dem Wasser des großen Stromes gereinigt.

Heute schließlich, wo das große Feuer am Himmel so hell auf ihre Köpfe niederbrannte, hatte er die abschließende Feuersegnung bekommen. Und er hatte, tapfer wie sein Vater, fast nicht geschrien als der Funke sein lockiges Kopfhaar angesengt hatte.

Alle lächelten sich an. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen, aber man war sich einig, dass die Segnung eines solchen Sohnes, geboren als der Blutstern der Himmelsnatter ein Auge war, eben solche Strapazien rechtfertigte. Heute Nacht, wenn das silberne Mal am Himmel im vollen Glanz steht, würde sich der Name des Kindes verraten. Und dieser Name würde zeigen, welche Zukunft die Sterne für den Jungen haben würden.

Der Junge schlief mittlerweile in ein Bärenfell gehüllt friedlich im Arm seiner Mutter. Dieser fielen auch langsam die Augen zu, so wie den meisten der Verwandten, die die Segnungsreise des Jungen begleitet hatten.

Das Eindösen der Stammesmitglieder wurde jäh vom Schrei der Mutter unterbrochen. Durch ihr Auge hatte sich ein Speer gebohrt und ein großer Schwall ihres Blutes lief über den schlafenden Jungen. Nur wenige Augenblicke später prasselten weiter jene Waffen auf die Versammelten nieder, die die Kleinen schufen, indem sie den Rostfels mit Feuer und Hammer quälten. Wer den Fels zu seinem Sklaven macht, wird nie seine Treue erfahren.

Der Schamane, der spürte, dass der Wein des Reitervolkes alle über die Maßen schläfrig machte, rief die Urkraft aus den steinernen Knochen der Erde an, aber es gelang ihm nur, sich und den Jungen, den er aus dem Armen der sterbenden Mutter gegriffen hatte, vom Gift zu reinigen. Die anderen ließ er im Sterbenskampf zurück.

Er rannte durch den Wald den Hang hinauf, denn er wusste, dass die Kleinen mit ihren kurzen Beinen ihm nicht folgen konnten. Aber diese Biester waren schlau und so stolperte er über ein dickes Seil, dass sie von Baum zu Baum gespannt hatten. Der Junge rollte ihm aus den Armen und richtete sich kampfbereit auf, einen dicken Holzstamm wie eine Keule schwingend.

Während Hiebe und Stiche auf den Schamanen einprasselten, musste er hilflos mitansehen, wie die Kleinen mit Speeren den Jungen einkreisten. Ein besonders wagemutiger sprang ihm auf den Rücken und schlang die Arme um den Hals des Jungen. Dieser biss daraufhin seinem Angreifer mit soviel Kraft in die Hand, dass er einige der winzigen Finger zwischen seinen Zähnen zermalmte. Als da das Licht des Mals auf das Gesicht des Jungen fiel, erkannte der Schamane den Namen, der sich ihm offenbart hatte.

Der Schamane griff noch ein letztes Mal nach der Urkraft, und vermengte sie mit seinem sterbenden Atem, der den Namen des Jungen schrie. Dieser verschwand von einem Augenblick auf den anderen vor den Augen seiner Jäger.

Die Bosparaner würden "Wimmelkriegerfresser" (oder "Barompatold" in der Sprache der Trolle) über die gesamten Trollkriege jagen. Aber sie würden ihn niemals bekommen, denn der Segen der Verschwindens, den der sterbende Schamane auf ihn gesprochen hatte, begleitete ihn sein ganzes Leben lang.


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Texte der Hauptreihe:
Autor: VolkoV