Geschichten:Der Salzenforst 10

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Raim hatte aufgehört darüber nachzudenken was er hier tat. Den Bogen in der Hand lief er nur wenige Schritte hinter dem gewaltigsten Hirsch her, den er je gesehen hatte und schoss doch nicht. Und das Ganze geschah auch noch im Salzenforst, jenem verfluchten Wald, den schon seit Generationen niemand mehr betreten hatte. Was würde Goswin dazu sagen? Würde ihm überhaupt jemand diese Geschichte glauben? Raim schüttelte den Kopf. Egal, darüber konnte er sich später Gedanken machen. Momentan war es wichtiger, sich den Weg zu merken. Erstaunlicherweise fand das riesige Tier vor ihm einen Weg zwischen all den scharfkantigen Gewächsen hindurch, ohne sich zu verletzen. Selbst das Gras, das schlichte Stiefel schnell durchdringen konnte, wuchs hier niedrig und zerbröselte unter den Hufen des Hirsches. Raim achtete darauf, möglichst in den Spuren des Tieres zu laufen. Endlich erreichten sie eine Lichtung. Raim schaute auf. Was er für eine Lichtung gehalten hatte, war ein See, in dessen Mitte eine Insel mit einem verfallenen Turme stand. Der Hirsch hielt wie selbstverständlich auf das Ufer des Sees zu. Raim trat neben ihn. Das Wasser war gefroren. Halt, war es wirklich gefrorenes Wasser? Er zog einen Handschuh aus und hielt zwei Finger auf das vermeintliche Eis. Als er neben der Kälte auch Feuchtigkeit spürte, leckte er an seinem Finger... Salz.

“Und nun?“, erschrocken stellte er fest, dass er gerade zu dem Hirsch gesprochen hatte. Das riesige Tier schaute kurz zu ihm, dann wieder zum Turm. Raim folgte dem Blick. Die Spitze des Turmes war explodiert, die unteren Etagen aber intakt, sah man einmal von der allgegenwärtigen Salzkruste ab.

Die Tür des Turmes schien offen zu sein, davor lag etwas Salzüberzogenes. Der Hirsch stellte einen Huf auf das salzige Eis. Es schmolz langsam darunter. Raim verstand. Für den Hirsch ging es hier nicht weiter.

Den Bogen legte Raim am Ufer ab und trat vorsichtig aufs Eis. Ihn trug es. Schritt für Schritt ging er vorsichtig vorwärts. Dann hatte er die Insel erreicht. Er schaute zurück und musste voll Enttäuschung feststellen, dass der Hirsch verschwunden war.

Die Ruhe, die Raim in den letzten Stunden dieser ungewöhnlichen Jagd verspürt hatte, war nun verschwunden. Unruhig zog er seinen Jagddolch und trat näher zur Tür. Neugierig schaute er zu dem mannslangen Stück Holz davor. Die Kristalle hatten eine andere Farbe. Rosa, beinahe rot schimmerten die Gewächse. Dort, eine klare Stelle im Kristall. Raim kniete nieder und schaute genauer hin. Ein Gesicht in Panik erstarrt, schaute ihn an. Raim stieß einen entsetzten Schrei aus und fiel nach hinten. Schnell rappelte er sich auf. Er schluckte und trat langsam wieder näher. Er zwang sich erneut in das verzerrte Gesicht zu schauen. Dann atmete er auf, es war nicht Goswin.

Er trat zur Tür. Ein kleiner dunkler Raum lag vor ihm, an der Rückseite hatte es wohl einmal eine weitere Tür gegeben, doch diese war aufgebrochen worden. Eine Schicht aus Kristallen schloss die Lücke, so dass man nur dunkle Schemen dahinter erkennen konnte. Fackeln schienen im Innern zu brennen, denn ein warmes Leuchten flackerte ab und an von innen gegen die Kristalle.

Raim trat vorsichtig in den Raum. Sofort schoss vor ihm eine salzene Gestalt aus dem Boden. “Zeige mir den Schlüssel!“, erschallte eine Stimme aus der Säule. Erschrocken zog Raim den Fuß zurück und betrachtete das salzene Ungetüm. Sogar ein Gesicht schien das Ding zu haben. Mühsam versuchte er sich zu erinnern, was Goswin ihm einst von seinen Reisen durch Aventurien erzählt hatte. Doch nichts passte so recht. War dies vielleicht einer dieser Tschinne? Diese Wesen aus Wasser oder Feuer? Konnten die reden? Und von welchem Schlüssel sprach das Ding?

Raim dachte nach. Vielleicht war dies so ein Magierturm aus der verfluchten Zeit der Magierkriege. Der ehemalige Bewohner mochte sein Haus statt mir einem guten Hund, wie es jeder vernünftige Mensch tun würde, mit so einem Tschinn geschützt.

“Herr Tschinn“, Raim räusperte sich. Die Salzsäule antwortete nicht. Raim sprach etwas lauter, “Herr Tschinn.“

“Mein Name ist Raim. Hättet ihr die Güte mich einzulassen?“, fragte er. Die Säule bewegte sich auf ihn zu. Erstaunt beobachtete der junge Jäger, wie das so zerbrechlich aussehende Gebilde einfach über den Boden glitt.

Kurz vor der Türe hielt das Wesen inne. “Nur wer einen Schlüssel hat, darf hindurch!“, grollte es. Raim hatte allerdings den Eindruck, dass die Stimme des Wesens nur eine Tonlage hatte. Freundlich oder böse... alles klang gleich.

“Einen Schlüssel? Nun, ich habe keinen.“, Raim grübelte. Schlüssel besaßen nur reiche Leute. Die meisten Häuser, die erkannte waren von innen mit einem Riegel gesichert, den man von außen nur mit einem versteckten Hebel entriegeln konnte.

“Habt ihr vielleicht meinen Freund gesehen? Er heißt Goswin und ist Jäger so wie ich.“, fragte Raim.

“Eindringlinge“, grollte das Wesen. Eindringlinge? Was sollte das bedeuten? Er war doch ganz allein hier. Nachdenklich schaute sich Raim um und erblickte wieder den toten, von Salz überzogenen Mann. Waren vielleicht Diebe hier eingedrungen und der Tschinn grollt deshalb?

“Wenn ich Dir helfe die Eindringlinge zu vertreiben, lässt Du mich dann hinein?“, Raim rechnete zwar nicht mit einer positiven Antwort, aber versuchen konnte man es ja mal.

“Helfen?“, der Tschinn schien interessiert. Raim grinste. Mal wieder ein Schuß ins Blaue, der getroffen hatte. Goswin schüttelte immer den Kopf, wenn Raim aus dem Nichts Ideen hervorbrachte, die er hinterher selbst nicht genau begründen konnte. Aber meist funktionierten sie.

Wieder bewegte sich etwas hinter der kristallenen Wand hinter dem Tschinn. Raim kniff die Augen zusammen. Das war doch ein Mensch. Verdammt, durch diese Salzwand konnte er nicht scharf sehen. Eine dunkle Hose und ein grünes Wams schien die Person zu tragen. Raim biss sich auf die Lippen. Das mochte Goswin sein. Vielleicht war er in dem Turm gefangen?

“Hör zu, Herr Tschinn“, fuhr Raim fort, “Ich helfe Dir die Eindringlinge aus dem Turm zu vertreiben, aber dafür lässt Du meinen Freund unversehrt.“

“Freund?“ Raim verzog verärgert das Gesicht. Wie erklärte man so einem Ding was ein Freund ist?

“Mein Vater? Weisst Du was ein Vater ist?“, versuchte es Raim.

“Vater?“

Warte, überlegte Raim. Diese Dinger werden doch von Magiern herbeigezaubert und müssen ihnen dienen.

“Mein Herr“, schlug er dem Salzding vor.

“Dein Herr!“

Dies schien er tatsächlich verstanden zu haben.

“Ich helfe Dir Deinem Herren zu dienen, wenn Du mir hilfst meinen Herren freizubekommen.“

Es dauerte einen Moment, dann grollte es, “Einverstanden.“

“Fein. Wieviele Menschen sind im Turm?“, fragte Raim.

In der Salzsäule knackte es, “Einer mit Madas Gabe gesegnet, einer mit Ingerimms Werk, einer dem Firun zugewandt.“

Mada, Ingerimm, Firun? Wovon sprach das Ding?

“Der mit Firun, dass ist mein Herr!“, rief Raim.

“Gut, der Firunsjünger soll unbehelligt sein.“

“Abgemacht. Dann lass mich hinein, damit ich die Diebe herausjage!“, schlug Raim vor.

“Zeige mir den Schlüssel!“, verlangte der Tschinn.

Raim fasste sich an die Stirn. Es war zum Verzweifeln mit dem Ding. “Aber wie soll ich die Diebe verjagen, wenn ich nicht reindarf?“



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Autor: Goswin