Geschichten:Der König im Dunkeln - Hören und Sehen

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Ängstlich erwachte Almado Hauberker, als er von unten aus dem Hause ein dumpfes Geräusch vernahm.

Instinktiv zog er sich seine Decke weit über den Kopf, bemühte sich, mit aufgerissenen Augen ruhig zu atmen, und zählte langsam bis er das dritte Dutzend voll hatte.

Über einen Götterlauf war es nun her, dass der hochstaplerische Frankward von Hirschenrode Almado hatte entführen lassen, um seinen Vater, den Siegelbewahrer der Stadt Hartsteen, unter Druck zu setzen und freie Verfügung über das Stadtsiegel zu haben.

Doch noch immer suchten den Jungen nächtens furchtbare Alpträume heim, die den sechsjährigen Almado nicht schlafen ließen.

Heute sollte einer von ihnen blutige Wahrheit werden.

Gedämpft durch die Decke hörte er einige Momente später das Knarren der Stiege und die Stimme seiner Mutter.

“Stipen?“

Seltsam, dachte Almado. Obwohl sie nach unten geht, wird ihre Stimme lauter.

“Stipen??“

Der spitze Schrei seiner Mutter zerriss die Nacht.

Almado zitterte. Er presste sich die Hände auf die Ohren, wollte die Klänge von unten aus dem Hause nicht hören.

Doch so sehr er sich bemühte, so drangen sie gnadenlos in seine Sinne.

Das Schreien seiner Mutter.

Ihr Weinen.

Die eiligen Schritte der Dienerschaft.

Ihre Klagerufe.

Das mehrfache Poltern der Haustüre.

Aufgeregtes Murmeln ungezählter Stimmen.

Wie in Trance warf Almado die Bettdecke zur Seite. Angetan in sein Nachtkleid schlich er die Stiege in die Stube hinunter.

Sah die Dienerschaft in Tränen aufgelöst.

Sah seine Amme schluchzen.

Sah seine Mutter in Weinkrämpfen in den kräftigen Armen der Gastherrin Junivera Breitenbach.

Sah den Ratsmeister der Stadt mit kreidebleichem Gesicht an die Wand gelehnt.

Sah die Waffenherrin der Stadt aufgeregt mit einigen Bütteln reden.

Und dann sah er seinen Vater.

Auf dem Boden ausgestreckt.

Er sah das Meer von Blut, in dem er lag.

Sah die unzähligen Stichwunden, die das Nachtgewand seine Vaters förmlich zerfetzt hatten.

Sah die erschrocken geweiteten Augen im sonst so sanften Gesicht seines Vaters.

Und er sah die kleine Igelstatuette, die im Blut neben seines Vaters in Krämpfen erstarrter Hand lag.

Almados nimmer enden wollender Schrei ließ alle in der Stube zusammenzucken und fuhr ihnen durch Mark und Bein.