Geschichten:Das neue Haselhain - Eine Albernierin kehrt nach Hause I

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Nahe Festung Haselhain, 17. Travia 1040


Je näher Lyn der Festung kam um so weniger trieb sie ihr Pferd an, bis es irgendwann nur noch im gemütlichen Schritttempo vorwärts ging. Wehmütig lag ihr Blick auf der gewaltigen Festung und ein Hauch von Trauer legte sich schwer auf ihr Herz. So sehr sie sich auch darauf freute, ihre Heimat und vor allem ihre Kinder wiederzusehen, so sehr schmerzte es auch die neue Heimat zurück zu lassen. Seit Ra’ouls Tod war Haselhain ihr zu hause gewesen, der Ort an dem sie lebte und wirkte. Und auch ganz sicher das ein oder andere bewirkt hatte. Ihre Gedanken glitten zurück zu den Ereignissen der letzten Tage, an all die Worte die gewechselt wurden. “Deine Kinder vermissen dich…” “Albernia braucht Euch…” “Es würde mich freuen, Euch an meiner Seite zu wissen…” aber auch “Wenn Euer Herz nicht hier ist, dann brauche ich Euch nicht…” Alles Worte die ihr den Abschied leicht machen sollten, es aber dennoch nicht taten.
Die Frage ihres Fürsten kam ihr wieder in den Sinn “Was hält Euch noch in Perricum…?” und erneut stellte sie fest, dass dies nicht so leicht zu beantworten war. Ra’oul war schon lange gegangen, Eslam seinem Sohn nun nachgefolgt. Simold dem sie die Treue geschworen hatte war als Held gestorben, Siyandor dahingerafft… Caihyn? Es schmerzte sie an ihren Sohn zu denken, hatte sie ihn doch gefühlt schon vor über 5 Götterläufen verloren. Nicht nur, dass sie nicht wusste wo er war, selbst wenn sie ihm helfen könnte, würde er die Hilfe doch nur ausschlagen. Und dennoch fühlte es sich wie Verrat an, ihn quasi aufzugeben. Doch was wog schwerer - ein Sohn der sich von ihr abwandte oder 3 Kinder die sehnlichst auf die Rückkehr ihrer Mutter warteten.
Und dann war da noch Selo. Noch vor einigen Monden hätte sie nicht daran geglaubt, dass irgendetwas ihre Freundschaft stören könnte. Und nun? Nur noch wenig erinnerte an den Freund und hätte sie ihn damals schon so kennengelernt, sie wüsste nicht zu sagen, ob sie nach Simolds Tod noch am Hof geblieben wäre. Sie wollte auch ihm helfen, doch schlug er ihre Hilfe so direkt aus wie sonst kein anderer. Ihn zurück zu lassen schmerzte am meisten, vor allem da sie in den vergangenen Tagen fast geglaubt hatte, Wesenszüge des alten Freundes wieder zu sehen.
Sie seufzte und zog das Tempo etwas an. Es brachte nichts, darüber nachzusinnen, denn ihre Entscheidung war gefällt.

Ankunft in Haselhain

Es war bereits Nachmittag als Lyn in die Burg einritt und sofort spürte sie die Blicke so einiger bekannter Gesichter hier. Die Festung schien im Umbruch, ohne dass sie dies an etwas Bestimmtem festmachen konnte. Es fühlte sich anders an, nicht nur in ihr drin, auch konnte sie eine Veränderung hier spüren. Wie um alles noch einmal in sich aufzunehmen saß sie ungewohnt langsam ab und übergab ihr treues Ross dem Stallburschen. “Gib ihm nicht nur heute sondern auch morgen eine extra Portion Kraftfutter. Der Ritt heute war hart und schnell und ich werde bereits morgen wieder aufbrechen.” Dieser tat wie ihm geheißen, ohne weiteren Anstoß daran zu nehmen, was ihm auch nicht zugestanden hätte. Doch kaum wandt Lyn ihren Blick wieder ab von dem braunhaarigen Jungen namens Harvan, bemerkte sie wie sich unzählige Blicke wieder von ihr abwanden. Ohne weitere Worte ging sie in Richtung des Gebäudekomplexes, nickte dabei wie sonst auch den Bediensteten zu die ihr über den Weg liefen, die ihr aber anders begegneten als üblich, als wüssten sie mit der Situation nicht recht unzugehen, doch keiner sprach sie an oder hielt sie auf. Erst als sie im Raulschen Flügel ankam stoppte sie kurz als ihr auffiel, dass sie mit ihren nach Pferd riechenden Reisekleidern fehl am Platz wirkte. Nur kurz überlegte sie, ob sie dies ändern wolle, doch beschloss sie, dass sie keine Lust hatte, die kurze Zeit die ihr blieb mit Etikette und höfischem Gebaren zu verschwenden. Der nächste Schreiberling der ihr auf dem Gang entgegen kam wurde von ihr mit einem Blickkontakt abgefangen ehe sie sagte “Lasst dem Baron ausrichten, dass ich zurück bin. Und sag, wo finde ich Meister Albentir?” Der Angesprochene fuhr beinahe zusammen, hatte er sich der Situation doch entziehen wollen, widmete sich dann aber dem Gesagten: “Natur’lich, Aiär …,”, verlegen schaute er zu Boden und suchte nach der nun passenden Anrede für Lyn und fand wohl auch eine die ihm passabel erschien, “Ädlä Dämä, ich wärdä däm Marben sainän Gast mel’dän. Maistär Alben’tir wärdä ich äbenfalls davon untärbraitän. Är bä’findät sich gä’radä in dringlichän An’gälägenhaitän bai Maistär Halimon.”
Das Gestottere des Schreibers verschaffte Lyn zumindest schon Gewissheit darüber, dass Selo die Nachricht ihres Weggangs aus Haselhain schon weiter verbreitet hatte. Sie nickte ihm zu und sagte mit der gewohnten Autorität “Gut, ich werde in meiner alten Schreibstube auf ihn warten.” Unangenehm irritiert nickte der Schreiberling mit dem Bart und den tiefen Augenhöhlen ihr zustimmend zu und empfahl sich mit einer leichten Verbeugung. Lyn lenkte derweil ihre Schritte zu ihrer Schreibstube und betrat diese. Als sie sah, dass diese bereits bis auf ihre wenigen persönlichen Dinge leer geräumt war, musste sie sich doch kurz am Türrahmen festhalten. Sie hatte mit einigem gerechnet, aber nicht damit, dass Selo ihr noch nicht einmal Gelegenheit geben würde, ihre Angelegenheiten selbst zu übergeben und zu regeln. Sie seufzte und war nun sehr froh darüber, dass sie für diesen letzten Ritt so wenig Zeit eingeplant hatte. Ihr Blick glitt über das kleine offene Kästchen mit persönlicher Korrespondenz, die anscheinend fein säuberlich darin aufbewahrt wurde. Daneben die Bücher voller Sagen und Legenden die von denen ihr Ra’oul nach ihrer Ankunft hier immer wieder eins geschenkt hatte und der alte Zinnbecher, der ihr schon so lange Gesellschaft leistete. Ein Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht als sie sich den Büchern zuwandte. Dann stockte sie, war dabei doch eines, dass ihr bisher unbekannt vorkam. Sie nahm es in die Hand und blätterte darin. Schnell stellte sie fest, dass es sich um relativ neue Geschichten aus Perricum handelte und nicht um alte Sagen. Nicht wissend von wem das Geschenk stammte wurde ihr dennoch etwas wärmer ums Herz, denn dass es dort mit Absicht platziert worden war, stand für sie außer Frage. Da es nun hier eh nichts für sie zu tun gab, außer auf Meister Albentir zu warten, setzte sie sich in den vertrauten Lehnstuhl am Tisch und begann, zu lesen. Tatsächlich war es eine meisterhafte Arbeit Selos Gemahlin Fatime, das erkannte sie sofort, soviel Anmut und Kraft wie in der Schrift, den Bildern und den Worten lag, und auch auf die Details im Einband und dem Papier waren höchster Wert gelegt worden. Der Geschichten selbst waren eine Art malerisch-geschmückt geschriebene Chronik der vergangenen Jahre, im typisch blumigen Sprachgebrauch der großen Haimamuda. Und auch immer wieder entdeckte sie Namen darin die ihr den Schauer über den Rücken laufen ließen: Simold, Eslam, Selo und natürlich Ra’oul. Sie war so Gedankenverloren, dass sie die Zeit völlig vergaß und auch nicht bemerkte wie Meister Rohalan Albentir den Raum betrat und erschrak beinahe als der ansehnliche und gutgütige Mann plötzlich nah bei ihr stand.

Sich fast über ihre Nachlässigkeit ärgernd legte sie das Buch beiseite und erhob sich, um auf Augenhöhe zu Rohalan sprechen zu können. “Meister Albentir…” begann sie mit ungewohnt stockenden Worten “schön dass wir vor meiner endgültigen Abreise noch einmal miteinander reden können. Ich gehe davon aus, dass Se… der Baron Euch schon über meinen… unseren Entschluss in Kenntnis gesetzt hat?” “Edle Damä, wie schön Euch noch ainmal sprechen szu könnän. Ja, das hat sainä Hochgäboren tatsächlich bäreits gestern getan, szusammen mit vielen waiteren Angelegenhaiten.”, er schaute auf das Buch in ihrer Hand, “Ah, ich sehä Ihr habt das Buch beraits gefunden, ainä vor'zugliche Arbeit, nicht wahr? Ich selbst habe ainige der Bidlnisse darin anfärtigen dürfen.” Lyn nickte “Ja, das ist es.” Sie strich noch einmal kurz geistesabwesend über den Deckel des Buches “Ein schönes Werk und eine schöne Erinnerung. Ich werde es in Ehren halten.” Jetzt blickte sie Rohalan direkt an und merkte, wie sich ein leichter Kloß in ihrem Hals bildete “Es war mir auch eine Freude, mit Euch zusammenarbeiten zu dürfen, auch wenn ich es vielleicht nicht immer so gezeigt habe. Ihr wisst, die Bücher waren mir immer eine leidige Pflicht.” bei den Worten zeigte sich ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie ihm gestand, was er sicher schon seit Jahren wusste. “Aber dennoch beantworte ich gerne noch Eure Fragen zu laufenden Vorgängen, so ihr welche habt. Ich werde erst im Laufe des morgigen Tages abreisen.”
“Gerne, konnen wir noch über ainige Ungeraimthaiten sprechen, doch wie Ihr schon sagtet, es war Euch schon immer ehär lestige Pflicht, bai der, mit Verlaub Euch schon immer etwas unter die Arme gegriffen werden musste, deswägen, sollte dies ain kurszes Unterfangen szein, denke ich.” Mit seiner typisch charmanten Art ließ er ihr ein vielsagendes, freudig-neckendes Lächeln zukommen. Bei jedem anderen hätte sie vielleicht aufbrausend nachgefragt, ob er ihr Inkompetenz unterstellen wolle, doch bei Rohalans Art konnte sie nicht anders als ebenfalls zu lächeln und zu erwidern “Dann wird Euch mein Fehlen ja kaum auffallen.” Spielerisch entrüstet antwortete dieser: “Aber, aber, maine edle Dame, dies wurde wohl wahrlich niemand ernstlich behaupten, Ihr habt Euren ganz aingenen Verdienst hier vollbracht.” Ihr Blick wurde etwas ernster, nachdenklicher als sie entgegnete “Dann bleibt mir nur zu hoffen, dass die Saat die ich gelegt habe aufgeht. Doch sagt, hat er Euch gesagt, warum ich gehen werde? Oder habt ihr noch Fragen?” Sie schmunzelte erneut als sie hinzufügte “Ich kann mir gut vorstellen, wie die Gerüchteküche mittlerweile brodelt…”
“Nun saine Hochgeboren tailte uns nur knapp von Eurem Fortgang mit, aber erwähnte dass es in baidsaitigem Ainvernehmen und zum Wohle der Baronie geschehe, da Al’Baernya Euch zuruck rufe, das haben die maisten so akzeptiert, auch ich. Und naturlich brodelt die Gerüchtekuche, aber mit der Zait waiß man darauf nicht all szu viel zu geben, nur sich szu merken aus welcher Richtung welches Gerede kommt.” Sie nickte “Ja, seine Hochgeboren hat es ganz gut zusammengefasst. Ihr wisst ja, dass meine drei Jüngsten schon seit drei Götterläufen in Albernia weilen. Die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen, aber da ich sie nicht hierher zurück holen möchte, sie aber auch nicht länger auf mich verzichten können, bleibt mir kaum eine andere Wahl. Und er hat auch Recht wenn er sagt, dass meine Heimat… ich meine meine alte Heimat mich ruft und ich den Ruf nicht länger ignorieren kann.” Sie schaute ihn leicht fragend an um zu ergründen ob er verstand, was sie ihm damit sagen wollte. Meister Albentir, dem dieser so formell-altmodische Titel so gar nicht stehen wollte, nickte nur wohlwollend und wohl auch -wissend. “Darüber konnen wir unsz später noch unterhalten, Edle Dame, wenn wir die Bucher noch ainmal in Augenschain nehmen, vorher solltet Ihr Euch viellaicht noch ainmal mit dem Baron treffen. Wie ich waiß said Ihr beraits angekündigt.” Sie nickte und erwiderte “Ja, das sollte ich wohl. Ich finde Euch danach in Eurer Schreibstube?”

“Dort oder in der Stube Maister Halimons.” Nachdem sie Meister Albentir noch einmal zugenickt hatte wandte sie sich zum gehen.

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