Geschichten:Das Verbot der Nandus-Kirche - Die Gedanken sind frei

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In einer Absteige im Südquartier, Ende Ingerimm 1036

"Der Naturzustand ist ein Zustand vollkommener Freiheit, innerhalb der Grenzen des Naturgesetzes seine Handlungen zu lenken und über seinen Besitz und seine Person zu verfügen, wie es einem am besten scheint," Elmenbarth atmete tief durch, dann las er weiter, "ohne jemandes Erlaubnis einzuholen und ohne von dem Willen eines anderen abhängig zu sein."

Er schaute sich in der kleinen Kammer um. Selbst ein Strohsack in einer Absteige in Brabak kann ein heiliger Ort des göttlichen Einhorns sein. Warum also sollte er nicht in diesem Zimmer Zwiesprache mit seinem Gott halten können? Elmenbarth hatte beim Konvent alles verloren, was ihm etwas bedeutet hatte. Und dennoch war sein Plan eigentlich aufgegangen. Eigentlich. Hätte er geahnt, dass sich der Adel so uneinig war, hätte er sich von diesem Weidenhoff nicht überreden lassen, die Beweise gegen die Kanzler abzugeben, hätte, hätte, hätte...

Er wollte nicht so recht zu seinem Gotte finden, leise rezitierte er das alte Lied aus seiner Zeit bei den Yesataniden, dass ihm so oft geholfen hatte, die Konzentration auf das Wesentliche zu lenken, gerade die letzte Strophe passte heute so gut wie sie es damals zur Zeit im Kerker tat:

"Ja fesselt man mich
Im finsteren Kerker,
So sind doch das nur
Vergebliche Werke.
Denn meine Gedanken
Zerreißen die Schranken
Und Mauern entzwei:
Die Gedanken sind frei"

"Herr Nandus vergib mir, dass ich die Freiheit Deiner Kirche der größeren Sache geopfert habe. Fast zwei Dutzend Adelige habe ich in Deinem Sinne angeleitet. Ich habe sie gelehrt Rätsel zu lösen und ihren freien Willen zu erkennen. Doch ich habe versagt, denn Deine Gaben kamen nicht über sie und sie haben aus freien Willen gegen uns entschieden."

Elmenbarth erhob sich und lief in der kleinen Kammer auf und ab, als wäre es die Zelle von damals. Es gab nur einen einzigen Unterschied: Die Kammer hatte ein Fenster, durch das Lärm und Gestank Gareths hineindrangen.

"Herr Nandus vergelt's mir, dass ich das Wissen über der alten Steine Macht nicht weiter gehütet sondern veröffentlicht habe. Vergelt's mir, dass ich Alfessir darüber sprechen ließ. Nur so konnte wir unsere Gegner erkennen. Und es sind viele. Und es sind mächtige!"

Elmenbarth stützte sich auf die Fensterbank und schaute auf die stinkende Gasse der Reichsstadt hinab. Ein kleines Mädchen spielte anscheinend Fangen mit zwei etwas älteren Jungen.

"Herr Nandus bestrafe mich, dass ich meinem erklärten Feind dem Adel die Reliefstücke zur Aufbewahrung gegeben habe. Denn dieser Steine Macht soll dem Volke dienen, dessen Macht zu brechen, und nicht dem Adel, die seine zu festigen. Leider aber muss sich Dein göttlicher Wille einsichtig dem größeren Plan der Zwölfe unterwerfen. Vielleicht ist es doch nicht meiner Generation Aufgabe? Habe ich Dein Orakel damals falsch verstanden?"

Das Mädchen in der Gasse wurde von den beiden Jungs überwältig und auf den schlammigen Boden gedrückt. Dreckig richtete es sich auf und dozierte altklug "Seht Ihr? Ihr könnt mich wohl festhalten, aber," und sie zeigt mit ihren dreckigen Fingern auf den verstrubbelten Kopf, "hier drin tue ich weiter was ich will."

Elmenbarth lacht laut auf. "Warte Kleine!", rief er aus dem Fenster, dann schlug er sein Buch zu und beeilte sich, in die Gasse zu kommen. Nandus Rätsel waren manchmal die verworrensten, aber dieses schien ihm einfach. Das Mädchen musste die Lehren der Kirche empfangen: Die göttliche Strafe und der göttliche Lohn zugleich.