Geschichten:Das Schweigen im Walde I: Feuersbrunst - Teil 6

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Zwischenspiel – In barönlicher Mission

Abseits der Reichsraße 2, 27. Peraine 1027 BF

Gerion führte den kleinen Entsatztrupp nach Süden, der Kaiserstadt entgegen. Tonfall und Umgang des Barons von Uslenried hatten die neuen Gefährten schnell erkennen lassen, dass er das Vertrauen seiner Hochgeboren besaß, und so hatten sie widerspruchslos seine Führungsrolle hingenommen. Dennoch, die eigentliche Aufgabe war es, alsbald nach Gareth zu gelangen und dafür zu sorgen, dass dort nicht alles dem Chaos und Verderben anheim fiel; da brauchte es keine große Anführerschaft, um dem Erhalt der zwölfgöttlichen Ordnung genüge zu tun.

Sie hielten sich etwas abseits der Reichsstraße, seit sie das Ende des vor ihnen marschierenden feindlichen Trosses hatten erahnen können. Auf den Pferden kamen sie auch abseits der befestigten Wege wohl immer noch schneller voran als auf Schusters Rappen, und ihre einzige Chance, Gareth vor den Angreifern zu erreichen, bestand darin, diese abseits des Weges zu überholen. So trieben sie die Pferde weiter zur Eile an, gönnten auch sich selbst nur die nötigste Rast und waren wenig später allem Anschein nach wohl auf gleicher Höhe wie die Feinde, von ihrem Ziel aber noch eine knappe Tagesreise entfernt.

Richild von Moorbrück, die Golgaritin, hielt auf einmal abrupt inne und brachte ihr Pferd zum stehen. Schnell sprang sie aus dem Sattel, eilte einige Schritte zurück und kauerte sich auf den Boden, als ob sie etwas untersuchte.

Gerion ließ den Rest des Trupps ebenfalls anhalten und ritt zu Richild hinüber. Die Ordensritterin zog ein Paar Handschuhe aus dem Gürtel, streifte sie über und hob einen toten Vogel vom Erdboden auf – einen Raben, Borons heiliges Tier. Seltsam verkrümmt sah der Leib des Tieres aus, gleich so, als hätte der Tod den Vogel mitten im Flug ereilt und eine unsichtbare Faust das Genick gebrochen.

»Es geht nicht mit rechten Dingen zu; etwas Böses ist hier am Werk«, beantwortete Richild die noch unausgesprochene Frage, die Gerion gerade auf der Zunge lag. »Ich habe schon mehre tote Vögel auf unserem Weg liegen sehen, und ich bin mir sich, dass das Dämonenkonstrukt daran schuld ist.« Das sie damit die fliegende Feste meinte, war allen offensichtlich.

Gerion wurde in diesem Augenblick bewusst, dass auch er schon mehrere tote Vögel am Boden hatte liegen sehen, dem ganzen aber keine Beachtung geschenkt. »Offenbar geht von der fliegenden Feste eine Macht aus, die selbst die Vögel vom Himmel fallen lässt«, mutmaßte er, und der Magier nickte zustimmend. »Lasst uns weiter reiten. Mir schwant, die Gefahr, die von jenem Ding ausgeht, ist größer, als wir erahnen können. Hier können wir ohnehin nichts ausrichten.«

Die Ordenskriegerin erhob sich stumm, ohne den toten Raben abzulegen; stattdessen verstaute sie ihn in einer der Satteltaschen ihres Pferdes. Gerion hinterfragte ihr Tun nicht.

In den folgenden Stunden fanden sie immer wieder weitere tote Vögel, und bei jedem Raben wiederholte sich das Spiel: Richild stieg aus dem Sattel und bettete den Vogelleib in eine der Satteltaschen. Die ersten beiden Male ließ Gerion die Truppe noch anhalten; danach jedoch ritten sie langsam weiter, bis die Golgaritin sie wieder eingeholt hatte.

Am Abend, als die Finsternis bereits so weit fortgeschritten war, dass ein Weiterreiten nicht ohne Gefahr für die Pferde möglich war, machten sie die erste längere Rast und nutzen die kurze Nachtruhe zum schlafen. Abwechselnd hielten sie Wache, blieben jedoch unbehelligt. Als fern im Osten der Morgen zu grauen begann, ritten sie weiter. Tote Vögel hatten sie schon am Abend kaum noch gefunden; der dämonische Einfluss der fliegenden Feste reichte offenbar nicht so weit, denn inzwischen befanden sie sich eine ganze Strecke westliche vom Feind und hatten diesen hoffentlich bereits überholt.

Umso ärgerlicher stimmte es Gerion, dass sie nicht einmal eine halbe Stunde nach ihrem Aufbruch schließlich die Reichsstraße 3 erreichten, auf welcher sie auch bei Nacht noch einigermaßen passabel vorwärts gekommen wären. Nun gaben sie den Pferden die Sporen und eilten über das Pflaster Richtung Gareth.

Eine weitere Stunde später fanden sie wieder tote Vogelleiber, und weit nach Sonnenaufgang ertappte Gerion sich dabei, wie er immer wieder im Sattel stand und nach vorn spähte, ganz so als könne er die Tore Gareths herbeischauen. Von innerer Unruhe erfüllt gab er sich äußerlich zwar gelassen, doch die Angst fraß sich mehr und mehr die die Herzen des Entsatztrupps, ihn selbst nicht ausgeschlossen. Wieder und wieder malte er sich aus, was zu Gareth geschehen könnte und war schließlich so in Gedanken, das er den nahenden Flügelschlag gar nicht hörte und erst der Warnruf seiner Gefährten ihn aufblicken ließ. Vom Himmel herab stürzte sich ein widernatürliches Wesen in vagen Formen einem Greifen ähnlich, doch der Leib war schwarz und strahlte Finsternis und Verderben aus.

»Ein Irrhalken!« hörte er den Magus rufen, der gleich darauf eine Formel zitierte. Die übrigen waren derweil aus dem Sattel gesprungen, Gerion tat es ihnen gleich. Schlagartig wurde es dem Ordenswächter klar, das diese Begegnung keinesfalls zufällig sein konnte; die Herren der Schwarzen Horden hatten ihre Späher ausgesandt, damit nichts und niemand ihren Plan vereiteln konnte. Die Gefährten griffen zu den Waffen, auch wenn sie gegen einen Dämonen damit nur wenig ausrichten konnten; lediglich Gerion wusste um die Macht seines Schwertes, dem elementare Kräfte innewohnten und hoffte, dass auch der Rabenschnabel der Golgaritin geweiht und damit wirksam gegen die niederhöllische Entität war.

Noch bevor der Irrhalken, eine Hitzewelle vor sich hertreibend, heran war, wurde er von einem magischen Angriff getroffen, was den Dämon jedoch nicht aufhielt. Während die Söldner und der junge Weyringhäuser sich lediglich verteidigen und die Kreatur mit ihren Angriffen ablenken konnten, leisteten Magierstab, Elementarschwert und Rabenschnabel ganze Arbeit und trafen den Irrhalken immer und immer wieder, bis dieser nach endlos scheinendem Kampf schließlich von einem kraftvollen Hieb Richilds getroffen wurde und in einer Stichflamme verging; nur ein Häufchen Asche blieb auf dem rußgeschwärzten Pflaster der Reichsstraße zurück.

Glücklicherweise hatte sich niemand der Gefährten ernsthaft verletzt. So versorgten sie die Wunden, fingen die Pferde wieder ein und setzten ihren Weg nach Gareth fort, in der Hoffnung, dass es keine weiteren Zwischenfälle gäbe. Schließlich konnten sie in einiger Entfernung die Silhouette der Kaiserstadt erkennen, doch auch der unwirkliche Felsklotz, der nördlich davon am Himmel hing, war bereits schemenhaft zu erkennen.

Je näher sie der Stadt kamen, um so mehr Menschen kamen ihnen entgegen; offenbar hatten viele Bürger Gareth voller Angst den Rücken gekehrt, als sie das Unheil nahen sahen. Wiederum gaben die Gefährten den Pferden die Sporen und trieben sie zur Eile an, und immer wieder wanderte der Blick Gerions von der Stadt hin zur fliegenden Feste der Angreifer. Der Strom der Flüchtenden, der ihr Fortkommen behindert hatte, ebbte plötzlich ab; es schien fast, als seien die Stadttore geschlossen worden. Noch einmal trieb Gerion sein Ross an; sie mussten so schnell wie möglich vorwärts kommen, kostete es, was es wollte.

Zur Mittagsstunde erreichten sie endlich die Kaiserstadt, doch die widernatürliche fliegende Festung der Heptarchen war schon fast heran. Sie würden zu spät kommen.