Geschichten:Das Schweigen im Walde I: Feuersbrunst - Teil 17

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Erinnerungen XIII – Eiseskälte

Winter 1028 BF

Die Nacht war schon vor einer guten Stunden hereingebrochen, und sternenklar war der Himmel. Dennoch hatten die beiden Golgariten keine Rast mehr einlegen wollen, Waldfang war nahe und den Weg von der Stadt bis zum Tempel der Schweigenden Wacht, in welchem sich auch ihr Ordenshaus befand, nurmehr zwei Meilen entfernt. Durchgefroren stapften Alara und Jeldan durch den Schnee, im Herzen unendlich froh darüber, die kommende Nacht endlich wieder in einem Bett in gewohnter Umgebung verbringen zu können.

»Bin ich froh, daß wir endlich da sind«, ließ sich Jeldan vermehmen. »Wenn ich mir den Himmel recht besehe, wird das heute wieder eine verdammt kalte Nacht werden, wohl noch kälter als die letzten.«

»Da magst Du recht haben, Jeldan«, erwiderte Alara. Außerdem wird es auch Zeit, daß wir endlich da sind; wir waren schon viel länger unterwegs, als ich gedacht hätte.« Die Heimreise von Kloster Gansbach bis hierher hatte sie bislang fast das dreifache der üblichen Zeit gekostet, weil sie wegen des Wintereinbruches und der heftigen Schneefälle kaum vernünftig vorwärts gekommen waren; Reiten war fast die gesamte Wegstrecke nicht möglich gewesen. Notgedrungen hatten sie kurze Tagesreisen in Kauf genommen und lieber hatten sich lieber schon am Nachmittag nach einer Unterkunft umgesehen, wenn sie gerade ein Dorf erreicht hatten, anstelle noch weiterzuziehen und dann im freien übernachten zu müssen. Gevatter Firun mochte bei diesem kalten Winter manch einen durch den Frost in des Herren Borons Hallen schicken, doch den beiden Golgariten war wenig daran gelegen.

Die Nähe der Ordensniederlassung gab den beiden Reisenden noch einmal antrieb, und wenig später führten sie ihre Pferde den Weg zum Tempel hinauf.

Bruder Tarich, der Vorsteher des Tempels, stand unter dem Vordach der Eingangshalle und schmauchte ein Pfeifchen. Grüßend erhob er die Hand, als er die beiden Golgariten erkannte. Mit einem »Boron zum Gruße« erwiderten die beiden Ordenskrieger den Gruß, was Tarich mit einem Nicken zur Kenntnis nahm. Der Geweihte sprach selbst für einen Boroni sehr wenig.

Garrelt Vossk, der als Knecht im Orden diente, kam aus der Tür herausgehumpelt. Er teilte Tarichs Laster und wollte sich gerade zu dem Geweihten gesellen, als er die beiden Ankömmlinge gewahrte. So schnell es ging eilte er ihnen entgegen und half, das wenige Gepäck abzuladen und nach drinnen zu schaffen. Alara fiel auf, daß er das Bein nachzog, auch die rechte Hand war in einen Verband gehüllt, der schon bessere Tage gesehen hatte.

»Wie geht es Dir, Garrelt?«, fragte sie ihren Untergebenen.

»Ach, wie soll es schon gehen. Das Bein wurde auf der Heimreise immer schlimmer, und so, wie es eben aussieht, wird es wohl steif bleiben.«

»Und die Hand?« bohrte Alara weiter.

»Die ist im dutten«, entgegnete der Ordenknecht und hob den Verband in die Höhe. »Hab noch den Dauem und den Zeigefinger. Den Rest hat mir der Medicus der Baronin abnehmen müssen, nachdem es fast angefangen hatte zu faulen. Kann von Glück sagen, daß ich noch lebe, hat er gesagt.«

Alara erwiderte nichts darauf. Garrelt hatte einen eigenartigen Sinn für Humor, aber den hatte er auch vorher schon gehabt. Draußen vor dem Portal hustete es. »Der holt sich noch den Tod«, murmelte Garrelt, und als Jeldan ihn fragend anblickte, zeigte der mit der bandagierten Hand auf Tarich. »Ist ja auch selber schuld, wenn er bei der Kälte nur in seiner Robe draußen herumsteht. Hab’s ihm schon ein paarmal gesagt, aber er will ja nicht hören.«


Coswin von Streitzig zog den Mantel enger um die Schultern und den Hut tiefer in die Stirn, als er den Tempel verließ. Das Schneetreiben hatte wieder eingesetzt, und es schien, als wollte der Herr Firun den Schmutz des Tages mit seinem blassen Leichentuch überdecken. Gemählich schritt Coswin über den Markplatz der Reichsstadt Hirschfurt und lenkte seine Schritte auf die nächste Taverne zu, in welcher er mit einem seiner Informanten verabredet war. Zumindest hatte die sysmbolische Botschaft, die ihm heute morgen zugespielt worden war, erkennen lassen, daß es etwas neues zu berichten gab. Und Coswin, der als gräflicher Vogt die Güter zu Hirschfurt verwaltete, hatte gerne etwas über jene in der Hinterhand, die ihm ein Dorn im Auge waren, und zudem war es niemals verkehrt, auch all jenes zu wissen, was der Obrigkeit ansonsten nicht unbedingt zu Gehör kam. Er war gespannt wie ein Elfenbogen, was Elgor ihm wohl berichten würde.

»Eine milde Gabe«, erklang es da leise neben ihm. Ein Bettler saß an der Ecke und hielt bittend die Hand auf. Seufzend zückte Coswin seinen Geldbeutel, entnahm diesen einige Kreuzer und ließ sie vor dem Bettler in den Schnee fallen. Jener beeilte sich, die Almosen zusammenzuklauben, derweil Coswin die warme Schänke betrat, sich einen heißen Gewürzwein bestellte und auf Elgor wartete. Jener aber versetzte ihn um fast eine Stunde.

Dem Bettlersmann hingegen auf dem kalten Markt nutze die milde Gabe nichts mehr, denn noch vor Mitternacht kroch ihm die Eiseskälte so weit in die Glieder, daß er erfror. Elgor hingegen, der weit nach seinem Auftraggeber die Taverne verließ, stolperte um ein Haar über den Erforenen, den er als kleine Entschädigung aber gleich noch um die Almosen erleichterte, die jener nun kaum mehr gebrauchen konnte.


In Uslenried auf der Burg hingegen erging es den Bewohnern weitaus besser. Zwar war es an mancher Stelle in der Burg zugig und empfindlich kalt, doch im Herrenhaus genannten Trakt trotzte man der Kälte außerhalb der Mauern am warmen Kamin. Jener Teil der Burg war vor einem guten Jahrhundert im Inneren ausgebrannt, zum Teil eingestürzt und die übrigen Mauern schließlich abgetragen worden. Anschließend hatte man dort die oberen Stockwerke aus Fachwerk neu errichtet, und die Fenster hatten gar Butzenglasscheiben, was man auf einer Burg nicht allzu oft vorfand. So war dies der wärmste Teil der Burg, und in den Bürgerhäusern der Stadt mochte es auch nicht gemütlicher sein.

Baron Wulf saß mit seinen Anverwandten vor dem knisternden Kaminfeuer; man spielte Karten, Würfel oder Garadan, während Tee und gewürzter Wein Leib und Seele von innen erwärmten. Die Kinder waren längst zu Bett gebracht worden, als die Erwachsenen noch immer in trauter Runde beisammen saßen. Sinya hatte gerade ein Stück auf der Laute zum besten gegeben, welches sie den Tag über neu einstudiert hatte, und quittierte das Handgeklapper ihrer Familie mit einem Lächeln.

»Wie in den alten Zeiten«, sinnierte Cern, »nur das damals auch Mutter noch dabei war. Erinnert ihr Euch noch an den kalten Winter, als ihr wegen des plötzlichen Schneefalls geschlagene vier Wochen am Grafenhof bleiben mußtet?«

Wulf grinste seine Gemahlin an, und dieser erging es nicht anders. »Wie könnte ich diese Tage je vergessen«, erwiderte er, denn in dieser Zeit waren Sinya und er sich nähergekommen, und niemand vermochte zu sagen, ob sie ansonsten nun auch in dieser Runde zusammensitzen würden.

»Ich darf nur nicht an diesen Darrick von Roßhagen denken«, entgegnete Sinya. »Wißt ihr noch, daß dieser darauf aus war, mit mir den Traviabund zu schließen?« Darrick war ein Neffe von Paske von Roßhagen, des damaligen Grafen von Ochsenwasser, gewesen, der einige Jahre älter war als Wulf und Cern und sich einen regelrechten Spaß daraus gemacht hatte, die jüngeren Knappen zu piesacken, wo er nur konnte, derweil er selbst kurz vor dem Ritterschlag gestanden hatte. Und selbst als Ritter ließ er seinen Zorn häufig an den beiden Jünglingen ab, erst recht, als Baronin Alruna Nella von Aschenfeld sein Werben um die jüngste Tochter nicht zu Kenntnis nehmen wollte und Darrick herausbekommen hatte, was Wulf und Sinya füreinander empfanden. Von da an waren Wulf und Cern seiner Eifersucht und den Wutanfällen des jungen Ritters immer häufiger ausgeliefert, und nur selten griff der Graf in die Eskapaden seines Neffen ein.

»Naja, wollen wir hoffen, daß wir den nie wiedersehen«, entgegnete Cern, »schließlich gehörte er letztlich wie sein Vater und sein Onkel auch zu den Reichsverrätern, die Answin folgten.«

»Naja, daß sind alte Zeiten«, sagte Wulf. »Und es ist wohl typisch für kalte Winterabende, daß man die Stunden in Erinnerungen schwelgend verbringt. Aber am liebsten hätte ich dem mal so richtig was auf’s Maul gehauen!«

Alle lachten, auch Rondrina und Yalinda, die den Roßhagener nur aus den Erzählungen der andern kannten.

»Aber wir haben es überstanden, und im Gegensatz zu ihm stehen wir nicht unter Reichsacht und haben schon anderes überstanden«, setzte Cern fort.

»So ist das. Auf uns!« sprach Sinya und hob ihren Weinbecher; fröhlich stieß die versammelte Runde an.