Geschichten:Das Schweigen im Walde I: Feuersbrunst - Teil 12

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Erinnerungen IX – Neue Anfänge und Ungewissheiten

Uslenried, Anfang Rondra 1028 BF

Erschrocken schreckte Wulf von Streitzig j.H. zur Greifenklaue, Baron von Uslenried, aus seinen Gedanken auf und schalt sich selbst einen Narren, dass er sich nicht besser im Griff hatte. Schon seit er vom Reichscongress in Elenvina zurückgekehrt war ertappte er sich immer wieder dabei, wie er seinen Gedanken nachging und sich fragte, warum alles so gekommen war, wie es geschehen war. Er hatte getan, was er konnte, auch wenn der Preis ein hoher gewesen war, denn zu verlustreich waren die Schlachten gewesen. So hatte er wieder einmal in seinem Audienzsessel in der Hohen Halle von Burg Greifenklaue verharrt, ohne das er die näherkommenden Schritte wirklich wahrgenommen hatte.

»Ergehst Du Dich immer noch in Deinen finsteren Gedanken?« Ein spöttisches Lächeln lag auf Yalindas Gesicht, deren Söldnerseele die Ereignisse von Puleth und Gareth weitaus besser weggesteckt zu haben schien als er selbst.

Allerdings war sie nicht allein gekommen; neben ihr ragte die hagere Gestalt Godelinds auf, der Junkerin von Streitzensfeld und stellvertretenden Heermeisterin der Ritterschaft des Hauses. Demonstrativ hatte sie sich in den Wappenrock der Ritterschaft gekleidet, was sie abgesehen von Kampf und Turnei für gewöhnlich nur dann tat, wenn sie etwas in ihrer Eigenschaft als Offizierin der Truppe von ihm wollte. Wulf ahnte bereits, was es war und gewahrte aus den Augenwinkel auch die Godelinds Tochter Nerea, die sich etwas abseits hinter den beiden älteren Frauen hielt. „Also, was gibt es?“ fragte er, während er sich erhob. „Hier ist die neue Soldliste für die Wölfe“, entgegnete Yalinda und hielt ihm eine Pergamentrolle entgegen. „Wir haben die Verluste aufstocken können, die wir in Puleth erlitten haben, auch wenn die Truppe noch nicht dieselbe Kampfkraft hat wie zuvor. Daneben habe ich vor, die einhändige Terbena zur neuen rechten Hand des zweiten Rudels zu ernennen; sie erscheint mir am geeignetsten dafür, den Posten von Leobrecht auszufüllen und steht schon lange bei uns im Sold.“

Wulf nickte. Leobrecht Isinger war lange Jahre Angehöriger der Waldsteiner Wölfe gewesen und seit der Schlacht am Siegestempel zu Puleth verschollen, auch wenn man seine Leiche nicht gefunden hatte. Bei der Vielzahl der Toten und Verwundeten war das aber auch kein Wunder. „Gib die Liste weiter an Meister Datierlich, er soll sich darum kümmern, das der Sold zeitig bereitgestellt wird.“

Yalinda zog die Hand zurück, nachdem Wulf keine Anstalten machte, sich die der Liste auch nur anzunehmen. So würde sie das Pergament halt selbst in die Schreibstube bringen müssen. Godelind hingegen sah ihre Zeit gekommen.

„Was ist mit der Ritterschaft? Das Haus braucht einen neuen Heermeister. Es ist inzwischen fast zwei Monde her, dass wir Ralbert in Terichgrund zu Grabe getragen haben.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah Wulf auffordernd an.

„Ich weiß“, entgegnete der Baron unwirsch, und sein Tonfall ließ deutlich erkennen, dass er keine Meinung hatte, über das aufgebrachte Thema zu sprechen.

„Und wann gedenkst Du, eine Entscheidung der Nachfolge zu treffen? Die Zeiten sind unsicher; wer weiß schon, wann das Reich wieder nach uns ruft.“

Das Lauern in Godelinds Augen blieb Wulf nicht verborgen, und als Yalinda sich auch noch einmischte und zu Bedenken gab, dass er die Entscheidung nicht auf ewig verschieben könne, beschloß er, die Flucht nach vorn anzutreten.

„Mir ist schon klar, worauf Du hinaus willst, Godelind. Doch vorerst bleibt alles so, wie es ist. Mir steht der Sinn nicht nach Veränderungen, derer hatten wir unlängst zu genüge. Und sollte es darauf ankommen, wirst Du die Ritterschaft führen; wie es Deinem Rang als linke Hand des Heermeisters bestimmt ist.“

Die Streitzensfelderin schien alles andere als zufrieden, und auch Yalinda behagte der Gedanke nicht sonderlich. Nerea hingegen zuckte deutlich zusammen, als der Blick des Barons auf sie traf.

„Ich hoffe, Deine Unschlüssigkeit wird uns nicht irgendwann zum Verhängnis werden“, entgegnete Godelind mit einer Spur von Trotz in der Stimme.

„Keineswegs. Und lass Dir eines gesagt sein: Garwin wird es mit Sicherheit nicht werden. Ist es das, was Du hören wolltest?“

Godelind straffte sich, und Wulf musste insgeheim lächeln. Offenbar hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen, den Godelind hatte nach dem Greifenzug zwar das Junkertum Streitzensfeld, nicht aber den Posten des Heermeisters vom seinerzeit gefallen Ardo geerbt. “Nun, dann werden wir halt abwarten“, erwiderte die Junkerin zähneknirschend, und Yalinda warf Wulf verstohlen einen Blick zu, der ausdrückte, er solle es sich nicht mit Godelind verscherzen. Sie drehte sich um, und Nerea folgte ihr.

Yalinda schüttelte den Kopf. „War das nötig?“ fragte sie ihren Bruder, als die beiden Frauen den Saal verlassen hatten

Wulf zog die Schultern hoch. „Ich weiß es nicht. Aber ich lasse mich weder drängen, noch möchte ich etwas überstürzen.“

„Du solltest es aber auch nicht zu sehr schleifen lassen, sonst ist irgendwann alles zu spät. Manche Dinge wollen nicht aufgeschoben werden.“ Damit ließ sie ihn stehen.

Wulf schlenderte hinaus in den Burggarten, während er über Yalindas Worte nachdachte. Natürlich konnte er sich nicht ewig verstecken, doch die Zustände im Reich lasteten schwer auf seiner Seele. Noch immer gab es keine Kunde vom Verbleib der Königin, und dem Herzog der Nordmarken misstraute er ohnehin. Eine Stimme in seinem inneren mahnte ihn, Rohaja nicht verloren zu geben, bis es Gewissheit gab. Einige Wochen noch, dann musste er darüber hinweg sein und die Dinge wieder in die Hand nehmen, da hatte Yalinda schon recht; heute hingegen aber nicht mehr.

Schließlich erreichte er seine Familie, die sich bei dem schönen Sommerwetter bereits zu früher Nachmittagsstunde in den Garten begeben hatte. Sinya Phexiane, seine Gemahlin, saß im Schatten eines Kirschbaumes auf einer grob gezimmerten Bank, die Zwillingen Aylin und Anyara spielten zu ihren Füßen im Gras. Nur Corian, der älteste ritt ungestüm auf seinem Pony hin und her und bekämpfte unsichtbare Drachen und Schwarzmagier.

Wulf ließ sich neben Sinya nieder und griff nach etwas Obst, dass in einem Korb neben einem Krug frischen Quellwassers bereitstand. Den Rest des Tages wollte er ohne den Gedanken an vergangene Zeiten und die Amtsgeschäfte verbringen, was ihm sogar leidlich gelingen sollte.