Geschichten:Darpatwellen - Verloren und gefunden

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Brückstetten, Baronie Knoppsberg, 1. Praios 1040 BF

Die von klaffenden Wunden gezeichnete Kriegerin ließ ihre Waffe fallen und brach inmitten der leblosen Körper ihrer ehemaligen Kameraden, den Schergen des Fürstkomturs, zusammen. Gierig sog der staubige Hof den rinnenden Lebenssaft auf und verwandelte ihn in graubraune Kruste.

Entsetzt hatte Gemma von Fuchsbach den mit aller Brutalität geführten Kampf beobachtet, unfähig, wie die anderen Gefangenen die Gelegenheit beim Schopf zu packen und zu fliehen. Das Gemetzel hatte sein grausames Ende gefunden, als der kahle Anführer des Trupps mit durchbohrter Brust und halb abgetrenntem Kopf zu Boden gegangen war. Nach dem Klirren der Waffen und dem Geschrei der Kämpfer lag nun eine fast gespenstische Ruhe über dem Gutshof Brückstetten. Nur zögerlich näherte sich Gemma schließlich der schwer atmenden Gestalt am Boden, wobei sie darauf peinlich achtete, nicht aus Versehen in einer der Lachen zu treten. So gut es eben ging, denn die Tränen waren ihr ob, ob des übel zugerichteten Fleisches vor ihr, in die Augen geschossen. Gemma kniete sich zitternd nieder. Der Anblick der geschunden Glieder ihrer so lang vermissten ältesten Tochter gestatteten Gemma keinen anderen Schluss: Stemma von Fuchsbach würde diesen Tag nicht überleben und schon bald über das Nirgendmeer gehen. Es hätte so viel zu erzählen gegeben, so viel zu bereden oder zu erklären - doch Zeit blieb keine mehr. Stattdessen flüsterte sie mit erstickter Stimme: „Kind…“, und wollte sanft über die das Antlitz der Kriegerin entstellenden Narben streichen, doch sie zuckte zurück. Diese glühten wie flüssiges Kupfer und Schweiß rann Gemmas Tochter in Strömen über die unversehrte totenbleiche und zu einer Schmerzensgrimasse verzogenen Gesichtshälfte. Ihre Augen flatterten, während ihr Mund zwischen dem Rasseln des Atems einen Hauch formte: „Mutter…“

Die blutverschmierten Finger tasteten schwach umher, bis Gemma die suchende Hand mit der ihren umschloss: „Ich bin da, Stemma. Ich bin da. Du bist…zu Hause.“ Ein kaum merkliches Nicken kam als Antwort.

Wie die abertausend Male zuvor griff Gemma nach dem Gänseamulett an ihrer Halskette und begann zu beten: „Herrin Travia, Hüterin des Herdfeuers, Beschirmerin der Familien, ich danke dir, dass du die Schritte meiner Tochter den Weg zurück zu ihrem Heim gelenkt hast, auf welch dunklen Pfaden auch immer sie gewandelt ist. Hilf, dass sie auch den Weg zurück in deinen Schoß findet und nicht der ewigen Finsternis anheim fallen möge, die sie umklammert hält. Gern will ich alles halten, was du mir auferlegst, aber errette ihre Seele.“


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Das Geräusch vorsichtiger Schritte ließ Gemma von Fuchsbach erschrocken aufblicken.

Vor ihr standen mit großen Augen Hesine und der kleine Efferdan.

„Was macht ihr hier?“, entfuhr es Gemma, „Mehr dieser Schufte können jedem Moment hier auftauchen. Bringt euch in Sicherheit!“

Aber Hesine schüttelte den Kopf: „Die Schiffe sind weitergefahren, wir haben sie beobachtet.“

„Wer ist das?“, fragte Efferdan neugierig und deutete auf die sterbende Kriegerin.

„Das... ist eure Base Stemma.“

„Die? Ich dachte, die ist schon längst…“, Hesine kannte die Geschichten über die seit der Märkischen Schlacht verschollene Base und schloss schnell den Mund, als sie selbst die Dummheit ihrer Bemerkung erkannte und beschloss, all die in diesem Moment durch den Kopf schießenden Fragen vorerst hintanzustellen. Stattdessen wandte sie sich an ihren kleinen Vetter: „Efferdan, kannst du da irgend etwas tun?“

Der Junge legte den Kopf schief, sah von ihr zu Gemma, auf die Schwerverwundete und wieder zurück. Dann ließ auch er sich auf die Knie nieder und betrachtete die mit geschlossenen Augen daliegende Frau und ihre glühenden pulsierenden Narben. Schließlich legte er seine kleinen Hände auf Stemmas Stirn und auf ihr Herz. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz und Anstrengung und seine Finger krallten sich zusammen. Langsam hob er die Hände, als würde er etwas Schweres aus dem sich stöhnend aufbäumenden und verkrampfenden Körper herausziehen. Ein markerschütterndes Kreischen wie von Metall auf Metall ertönte, gefolgt vom Klang brechender Ketten. Hesine musste sich die Ohren zu halten. Dann löste sich ein rötlicher Schatten aus den todwunden Gliedern Stemmas und zerstob flirrend in der Luft. Mit einem Aufschrei taumelte Efferdan nach hinten und fiel hin.

Die eine Hand um das Gänseamulett an ihren Hals gekrallt und mit der anderen die Hand ihrer Tochter umklammernd hatte Gemma das Geschehen mit weit aufgerissenen Augen beobachtet. Nun bemerkte sie, dass das Glühen, das Stemmas versehrte Gesichtshälfte durchzogen hatte, restlos verschwunden war. Auch die schmerzverkrampfte Hand entspannte sich und der Atem ihrer Tochter wurde ruhiger.

„Danke“, hauchte es kaum hörbar über die aufgesprungenen Lippen, woraufhin ein Lächeln über das tränennasse Gesicht Gemmas huschte, das sich jedoch sofort verflüchtigte. Irgendwo ertönte der Ruf einer Gans - oder war es ein Rabe? Ein rotes Rinnsal ergoss sich aus dem Mundwinkel, als Stemma von Fuchsbach den Kopf zur Seite neigte, die Augen öffnete und ihre Mutter ansah. Ihr Mund formte im immer schwächer werdenden Atem noch drei Worte. Dann verließ sie der letzte Lebenshauch: „Es... ist... gut.“


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Texte der Hauptreihe:
1. Pra 1040 BF zur mittäglichen Efferdstunde
Verloren und Gefunden
Feuernarbe


Kapitel 3

Autor: Steinfelde